Alle Menschen sind sterblich (Autorin: Simone de Beauvoir)
 
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Alle Menschen sind sterblich von Simone de Beauvoir

Rezension von Ralf Steinberg

 

Verlagsinfo:

Mit Fosca, dem ungewöhnlichen Helden des Romans, dem auf geheimnisvolle Weise Unsterblichkeit verliehen ist, erleben wir sechs Jahrhunderte europäischer Geschichte in blutvollen Gestalten und abenteuerlichen Ereignissen. Foscas wechselvolle Schicksale lassen in ihm die tragische Erkenntnis reifen, dass die Sehnsüchte der Menschen ewig unerfüllbar und ihre Hoffnung immer vergeblich sind.

 

Rezension:

Philosophisch aufgeladene Romane haben meist das Problem, extrem stark vom Verständnis der jeweiligen Denkrichtung abhängig zu sein.

Simone de Beauvoir gehörte zum französischen Existentialismus und auch Alle Menschen sind sterblich ist ganz den philosophischen Problemen verbunden, die sich um Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung des Menschen ranken. Daraus auch eine im besten Roman-Sinne unterhaltsame Geschichte zu zaubern, ist nicht leicht.

 

In einer Rahmenhandlung begeben wir uns in das Theatermilieu und lernen die intrigante Diva Regine kennen. Selbstverliebt und ungemein von sich selbst überzeugt, kreist ihr gesamter Kosmos nur um sie. Bis sie auf einen rätselhaften Fremden stößt, dessen Weltabgewandheit zu knacken, zu ihrem großen Ehrgeiz wird.

Doch das Geheimnis hinter dem seltsamen Mann ist weitaus größer, als sie ahnte. Raymond Fosca wurde am 17. Mai 1279 in einem italienischen Stadtstaat geboren und ist unsterblich.

Regine versucht sich Fosca einzuverleiben, weil es ihr auch nach Unsterblichkeit drängt. Obwohl sie eher Ruhm damit meint. In den kurzen Zwischenspielen dient Regines Sinneswandel auch als zusätzlicher Spiegel für die Autorinintention. Mit zunehmenden Wissen über Foscas Leben und vor allem sein mit dem ewigen Scheitern verbundener Lebensunwille, macht Regine den Wert ihres eigenen Lebens deutlich.

 

Foscas Geschichte nimmt den größten Teil des Romanes ein. Wir begleiten ihn durch die Jahrhunderte. Erleben die italienischen Stadtstaaten in endlosen Streitereien und letztlich ihrem Untergang als europäische Großmächte. Kriegerisch, machthungrig und vor allem immer wieder sinnlos. Kein Wunder das Fosca am Leben verzweifelt, wo doch alles, was getan wird, nichts wirklich ändert.

Wir sind dabei, wenn Karl V. Südamerika auslaugt, erleben Reformation und den dreißigjährigen Krieg, Entdeckungen in Nordamerika, französische Revolutionen und immer wieder auch Liebe.

 

Wobei de Beauvoir sich regelmäßig gewohnten narrativen Mitteln verweigert. Figuren werden großartig eingeführt und kommen anschließend kaum zum Zug. Es gibt sehr viele Dialoge, deren Zweck eindeutig der Darlegung von Motivation dient und die dadurch sehr künstlich wirken.

Immer wieder werden komplexe Ereignisse nebenbei abgehandelt und wie Schachfiguren in ihre festgelegten Stellungen geschoben.

 

Fosca nimmt sich die Unsterblichkeit, um die Dinge richtig tun zu können. Er will seiner Heimatstadt Carmona, jenem fiktiven Stadtstaat, zur Blüte verhelfen. Dabei reicht ihm eine Herrschaftszeit nicht aus. Doch mit der Zeit erkennt er, dass nicht nur jede Blüte ihren Preis hat, sondern auch verwelken muss. Und nicht jeder Samen geht auf oder bringt jene Pflanzen hervor, die man sich erwünscht.

Fosca erkennt, dass alle seine Versuche, seiner Heimatstadt zu nützen, auf Dauer sinnlos sind oder sich ins Gegenteil verkehren. Er braucht für die Erkenntnis recht lange.

Kann man diesem Fazit beim ersten Mal noch bedenkenlos zustimmen, fragt man sich bei jeder weiteren Episode, warum de Beauvoir uns und ihrer Figur dieselbe Lektion immer wieder aufbürdet.

Dabei gibt es durchaus Veränderungen in den Mitteln. Je nach Zeitgeist sucht Fosca andere Wege, seine Zukunft zu schaffen. Das verläuft in Schablonen, die mit heutigen Kenntnissen der Historie oft genug kollidieren. Die Auswirkungen von Inzest auf politische Entscheidungen etwa oder die nicht ganz so paradiesischen Zustände in den lateinamerikanischen Staaten vor der europäischen Invasion seien beispielhaft erwähnt. Hier ist das Alter des Romanes mehr als deutlich zu spüren.

 

Immer deutlicher wird, dass de Beauvoir in erster Linie herausstellen will, was das Leben an sich ausmacht. Indem sie zeigt, was alles an Bedeutung verliert, wenn es durch Wiederholung und Ewigkeit beliebig wird.

 

Auch Regine erkennt langsam, dass Fosca immer dieselbe Geschichte erzählt. Etwas sinnvolles scheint er mit seiner Zeit nicht angefangen zu haben. Fosca macht am liebsten immer alles selbst, wodurch er unbewusst seine Mitmenschen erniedrigt.

Diese Erhöhung seiner selbst durchzieht die gesamte Geschichte. Fosca weiß es immer besser, egal wie oft er scheitert. Die Schuld daran gibt er sich nicht selbst. Vielmehr muss er es immer und immer wieder von neuem Versuchen und erscheint damit wie ein Symbol des menschlichen Willens.

So brennt er auch in der Renaissance für die Wissenschaft. Durch die Unsterblichkeit hofft Fosca nun, die Früchte seiner Forschung auch ernten zu können. Das Universum reizt ihn. Weiter zu reisen, als je ein Mensch zuvor. Doch auch hier frisst die Ewigkeit seinen Enthusiasmus schnell auf.

Ihn interessiert die Wissenschaft nur noch, soweit sie unmenschlich ist. Er will nicht mehr der Menschheit, den Menschen dienen, die für ihn immer bedeutungslosere Schatten und zu schnell vergänglich erscheinen. Die Einsamkeit entspringt dieser Abgrenzung.

Und so bedauert er am Ende einzig jene Maus, an der er das Unsterblichkeitselixier einst ausprobierte. Sie muss mit ihm bis zum Ende aller Tage überleben. Die zwei letzten Lebewesen auf dem Planeten.

 

Die deutsche Übersetzung von Eva Rechel-Mertens bietet uns einen sehr Kontext-bezogenen Stil an. Meist lesen sich die Sätze sehr gehetzt, fast atemlos. Als wolle de Beauvoir die Zeit selbst zum Thema machen und dem Leser beim Lesen darauf hinweisen, welche Macht sie als Autorin auf dessen Zeit hat.

 

Fazit:

Mehr philosophische Belehrungen als ein stringenter Roman, der sich mit der Unsterblichkeit befasst ist »Alle Menschen sind sterblich« von Simone de Beauvoir. Man begreift recht schnell, welche Lehren die Philosophin vermitteln will. Leider gelingen ihr nur wenige wirklich berührende Szenen und Momente, sodass ihre sich wiederholenden Lektionen in Sachen Scheitern und Vorwärtsstreben durchaus langweilen können.

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Buch:

Alle Menschen sind sterblich

Original: Tous les hommes sont mortels, 1946

Autorin: Simone de Beauvoir

Übersetzerin: Eva Rechel-Mertens

Cover: Werner Rebhuhn

Rowohlt, 1982

Taschenbuch, 312 Seiten

 

ISBN-10: 3499113023

ISBN-13: 978-3499113024

 

Erhältlich bei: Amazon

 


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Erstellt: 05.03.2015, zuletzt aktualisiert: 23.08.2023 08:32, 13859