Alles oder Nichts (Autor: Michael Schmidt)
 
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Alles oder Nichts

Autor: Michael Schmidt

 

13. Woche Regenzeit

Gaarson musterte sein Spiegelbild kritisch. Er war schmal und groß, der Körper muskulös und athletisch, kein Bauchansatz trübte das Bild eines durchtrainierten, jungen Mannes von diesseits der Dreißig. Kräftige Wangenknochen prägten ein markantes Gesicht. Dunkle Augen und die schmale lange Nase rundeten den Eindruck ab. Das braune Haar war kurz und glatt.

Ja, er konnte sich sehen lassen. Eine Augenweide für alle Frauen und so hatte er eigentlich nie Probleme, sie für sich zu gewinnen. Kaum eine hatte ihm die kalte Schulter gezeigt oder ihn unnötig lange zappeln lassen. Bis er auf Amata getroffen war. Amata mit ihren wunderschönen braunen Augen und dem ganz eigenen Kopf. Seufzend drehte sich Gaarson um und griff nach seinem langen gelbweißen Mantel, der die Zeichen der Turoswächter trug. Dann verließ er sein Zimmer.

Die Gänge waren leer, nur hier und da traf er auf einen anderen Turoswächter. Im Moment gab es viele Reisende, König Tarus war in der Stadt und zog die Massen an. Es kamen Händler, Glücksritter, aber auch allerlei zwielichtige Gestalten aus aller Herren Länder.

Gaarson war froh, heute und morgen frei zu haben. Zwei Wochen hatte er ohne längere Pausen durchgeackert und sich somit die Erholung verdient. Es war keine leichte Aufgabe, die Reisen durch die Portale zu ermöglichen und die Turoswächter hatten alle Hände voll zu tun, um den Betrieb aufrecht zu erhalten. Man war bestrebt, neue Leute zu rekrutieren, allerdings war eine Entscheidung diesbezüglich noch offen. Gaarson wartete sehnsüchtig auf Verstärkung, er konnte gut und gerne eine helfende Hand gebrauchen. Andere sprachen sich dafür aus, den Personenkreis nicht auszudehnen, stattdessen die Anzahl der Reisen durch das Portal zu limitieren und damit die starke Position in der Stadt noch weiter zu festigen.

Mit langen Schritten durchquerte er das Gewirr der scheinbar endlosen Gänge, die das Portal durchzogen. Hier und da grüßte er, wenn er jemandem begegnete, ließ sich aber auf keine längeren Gespräche ein. Er hatte eine Verabredung mit Amata und wollte vorher seinen kleinen Bruder Naarson besuchen. Es gab nicht allzu viele Gelegenheiten, er war zu beschäftigt durch seine reichlichen Aufgaben im Kult der Turoswächter und kam selten in das Zentrum Saramees.

Endlich erreichte er sein Ziel, betrat durch ein abgelegenes Seitentor die Straßen Saramees und tauchte in die hektische Welt der Hafenstadt ein. Bezeichnenderweise hieß diese Straße Nordrand, begrenzte doch das Portal die Stadt in diese Richtung. Darauf achtend, den zahlreichen Besuchern nicht zu nahe zu kommen, begab er sich umgehend auf den breiten Portalsweg, neben der prächtigen Turosallee die größte Straße Saramees. Die Straße führte vom Portal direkt zum Hauptmarkt und damit zum zentralen Punkt Saramees.

Die Straße platzte aus allen Nähten. Massen an Menschen, Glisk und Gayra boten ihre Waren feil, priesen lautstark ihre Götter an oder warben für ihre politischen Ziele. Die Hitze tat ihr Übriges, so sah der Turoswächter alle paar Minuten eine verbale oder gar handgreifliche Auseinandersetzung.

Es dauerte eine halbe Stunde, die er sich ohne Eile vertrieb, bis seine Aufmerksamkeit von einer Gauklergruppe in Anspruch genommen wurde. Vier Personen, allesamt Menschen. Ein kräftiger glatzköpfiger Hüne spie Feuer oder zerbrach Fischbein. Ein kleiner, sehr wendiger Mann zeigte allerlei akrobatische Kunststücke, schlug einen Salto oder bog sich so weit nach hinten, dass er den Kopf durch die Beine stecken konnte.

Der Dritte war in einen weiten Umhang aus grobem Leinen gehüllt und pries die eigentliche Attraktion an. Eine schwarzhaarige Schönheit, deren große dunkle Augen Gaarson sofort in einen Bann zogen. Ihre Kleidung war wenig züchtig, der Ausschnitt zeigte herrliche Rundungen und erweckte Lust auf körperliche Freuden. Die schlanken Beine waren sichtbar, da der Rock nur bis zu den Knien reichte. Ihre Haut hatte einen hellen Braunton und glänzte in der Sonne.

Sie sah ihn an und er erkannte überrascht das Versprechen, sich ihm hinzugeben. Selten hatte er eine solche Offenheit erlebt, schon nach dem ersten, flüchtigen Blickkontakt. Die dunklen Augen schauten ihn an, der Ausdruck darin war eine Mischung aus Wollust und Sehnsucht, gepaart mit etwas Undefinierbarem. Fast vermutete er einen Hauch Traurigkeit. Welches Schicksal die Frau wohl hinter sich hatte?

Unwillkürlich blieb Gaarson stehen und musterte die Gruppe. Keiner der drei Männer schenkte ihm nur den Hauch einer Beachtung, einzig die Frau schaute ihn herausfordernd an, gab ihm das Gefühl, als sei er der einzige Mensch auf der Welt. Ja, ihr Blick fixierte ihn, er verlor sich in den unergründlichen Tiefen dieser braunen Augen.

Für einen Moment stieg so etwas wie Unbehagen in Gaarson auf, dann zerstreuten sich seine Bedenken so schnell wie sie gekommen waren. Was sollte ihm dieses liebreizende Wesen schon antun?

Sie tanzte, da war er sich sicher, nur für ihn. Die Beine herumwerfend, folgte sie dem Rhythmus des Liedes, welches sie mit ihrer glockenhellen Stimme initiierte. Ihr Rock flog hoch, gab den Hauch eines Einblicks auf ihre Unterwäsche preis, doch verging der Moment so schnell, dass Gaarson kaum sagen konnte, welche Form und Farbe diese hatte. Ihr Lächeln wurde breiter, ihre Augen funkelten schelmisch, während sie eine Pirouette drehte und sich immer näher an ihn heran schob, ihn nicht aus den Augen lassend.

Er schluckte. Gerade er, der nie verlegen war, wenn es darum ging, einem Weibsbild nachzustellen, fühlte sich in dieser Situation wie sein schüchterner Bruder Naarson. Ganz kurz spürte er, wie seine Knie weich wurden, mühsam bewahrte er Haltung und riss sich zusammen. Er raffte seinen Umhang, straffte die Schultern und blickte der Schönen entgegen, wie er hoffte, mit einem Hauch Arroganz, aber auch einer gehörigen Portion Selbstbewusstsein und Gelassenheit, ja fast ein wenig Desinteresse. Ihr Grinsen veränderte sich, wurde verschlagener, so erwiderte er es und winkte sie herrisch zu sich heran. Das Spiel begann ihm zu gefallen.

„Frau. Ihr tanzt, als seid Ihr beseelt von göttlicher Gnade. Wo lernt man eine solche Kunst mit einer derartigen Perfektion? Und wo werden solch schöne Töchter geboren? Ihr seid nicht von hier, sonst wäret ihr mir schon längst ins Auge gefallen.“

Sprach es mit leichter Strenge und streckte ihr eine Handvoll Cil entgegen. Sie lächelte erneut verheißungsvoll, nahm das Geld entgegen, ein kurzer Knicks, der fast schon beleidigend wirkte in seiner schnoddrigen Eleganz, dann tanzte sie sich weiter an ihn heran, dem exotischen Rhythmus ihres Liedes folgend. Sie kam ganz nah, sodass er ihren heißen, duftenden Atem verspürte. In ihren Augen funkelte der Schalk, gepaart mit einer Herausforderung, die viel versprach und noch mehr forderte. Die Lust brannte in seinen Adern und nur mühsam hielt er seine Hände zurück.

„Ich bin eine Messianerin aus der Enklave Salou. Dort ist es oberstes Gebot, zu unterhalten und die Menschen zu erfreuen, so sollte es nicht verwundern, dass ich dieses Handwerk beherrsche. Anlässlich des Besuchs von König Tarus gedenke ich, für eine Weile den Bewohnern Saramees meine Kunst darzubieten und hoffe, Gefallen zu finden. Wenn ich Eure Blicke richtig deute, ist mir das vortrefflich gelungen. Und wenn ich ehrlich sein soll, es passiert selten, dass mein Tanz keine Wirkung zeigt.

Sagt, edler Herr, wie ist es, habt Ihr Lust, etwas über Eure Zukunft zu erfahren? Der Tanz ist nicht die einzige Leidenschaft, der ich fröne. Folgt mir und Ihr werdet Eure Neugier nicht bereuen.“

Sie drehte sich weiter, ihren Gesang fortführend tanzte sie über die staubige Straße, den Sand aufwirbelnd. Über die Schulter blickte sie ihn keck an, bevor sie im Rhythmus einer imaginären Musik die Straße hinab ging. Gaarsons Gedanken überschlugen sich.

Sollte er oder sollte er nicht?

Wenn Amata oder einer ihrer Gefolgsleute ihn zu Gesicht bekäme, wäre die Mühe der letzten Wochen umsonst gewesen. Er zögerte und focht einen inneren Kampf, der nur wenige Augenblicke andauerte, dann hatte er sich entschieden. Den Besuch bei seinem Bruder verschob er auf unbestimmte Zeit, stattdessen eilte er der tanzenden Schönheit in das fast unüberschaubare Gewirr der kleinen Gassen, die sich wie ein Labyrinth vom Portalsweg in Richtung des Hafens verzweigten, hinterher.

Gedankenverloren rempelte er in seiner Unaufmerksamkeit einen Passanten nach dem anderen an. Gaarson ignorierte die Flüche und Verwünschungen, die ihm entgegengebracht wurden. Als ihn jemand am Arm festhalten wollte, riss er sich wirsch los und eilte weiter. Seine Wahrnehmung fokussierte sich auf den wirbelnden Rock und den immer wiederkehrenden Blick, den sie ihm über die Schulter zuwarf und der niemals zuließ, dass er auch nur einen Gedanken daran verschwendete, stehen zu bleiben und umzukehren. Ein Blick, dessen Emotion ihn gefangen hielt. Ein Blick. Der ihn verzauberte.

Plötzlich stoppte die namenlose Schönheit, drehte sich abrupt um und wartete, bis er zu ihr aufgeschlossen hatte. Aus einer inneren Eingebung heraus blickte er nach rechts und links und sah erstaunt, dass die Gasse menschenleer war. Doch der Gedanke verschwand, kaum dass er ihn zu fassen bekam. Jetzt zählte nur noch der Moment. Er war ihr ganz nahe, verlor sich in ihren wunderschönen Augen, roch ihre weibliche Note, ihren warmen Atem, sah ihre schimmernde Haut. Ihre Münder kamen einander näher, ganz leicht berührten sich die Lippen, ihre Weichheit ließ den letzten Rest seines Verstandes schwinden. Im hintersten Winkel seines Bewusstseins dachte er an das Treffen mit Amata, doch erschien ihm dieser Gedanke seltsam unwirklich. Ihre Lippen verschmolzen, fest presste sie ihren Körper an ihn, die Schenkel, den weichen Bauch, die Brüste. Das Atmen fiel ihm schwer, nur mit Mühe hielt er sich zurück.

Dann schalt er sich einen Narren. Sein Herz pumpte das Blut schnell und kräftig durch seine Adern, seine Männlichkeit erwachte und ließ endgültig den Instinkt über den Verstand siegen.

Plötzlich verspürte er einen süßen Schmerz, fühlte sich seltsam leicht, dann wurde es dunkel um ihn.

 

Hämmernder Kopfschmerz weckte ihn. Orientierungslosigkeit machte sich breit, gefolgt von der Angst, etwas Schlimmes erlebt zu haben. Seine Kehle war wie ausgedörrt, die Lippen brannten. Er fuhr mit der Zunge darüber und schmeckte den metallischen Geschmack von Blut.

Dann kam die Erinnerung mit einem Male zurück. Die tanzende Schönheit, die fremdländische Melodie, der Kuss, dann der Schmerz. Erst jetzt nahm er wahr, wo er sich befand. Das Gesicht im staubigen Untergrund von Saramee, lag er wie ein mittelloser Säufer mitten auf der Straße. Mit einem Aufstöhnen drehte er sich zur Seite, spuckte, um den Sand aus seinem Mund zu bekommen.

Mühsam rappelte er sich auf und schaute sich um. Die Gasse war immer noch leer. Oder wieder. Ein Blick zur Sonne zeigte ihm, dass er nicht allzu lange bewusstlos gewesen sein konnte. Er klopfte sich mit den Händen den Staub aus den Kleidern und glättete sie gleichzeitig. Ein prüfender Blick zeigte ihm, dass er sich so kaum mit Amata treffen konnte. Aber zum Umkleiden war es zu spät. Er hoffte, er würde nicht über Gebühr unpünktlich sein.

Er verließ die Gasse und versuchte sich zu orientieren. Es dauerte eine Weile, bis er den Portalsweg wieder erreicht hatte. Also war er doch länger bewusstlos gewesen, als er geglaubt hatte. Nahezu drei Stunden! Er konnte von Glück sagen, dass ihn niemand um die Ecke gebracht hatte. Siedendheiß fiel ihm seine Geldbörse ein.

Er durchsuchte seine Taschen und war nicht sonderlich überrascht. Wie zu erwarten war, glänzte diese durch Abwesenheit. Er fluchte, hatte er doch reichlich Bai eingesteckt, um Amata auszuführen und ihr zusätzlich noch eine kleine Aufmerksamkeit zu kaufen.

Aber jetzt war es zu spät, dem verlorenen Geld nachzutrauern. Schnellen Schrittes begab sich Gaarson zum Haus des Geldwechslers, doch Ulsa Gelebh, die Haushälterin Amatas, bestätigte seine schlimmsten Befürchtungen. Sie öffnete auf sein Klopfen und wartete seine Erklärungen gar nicht erst ab.

„Gaarson Gaad, welch eine Ehre“, flötete sie heuchlerisch, bevor ihr Ton härter und die Stimme lauter wurde. „So, der Herr bequemt sich dann doch hier einzutreffen. Und das eine Stunde nach der vereinbarten Zeit. Bursche, Amata Baal ist alles andere als erfreut und im Moment nicht für Euch zu sprechen. Seht Euch doch an.“

In ihrem Blick lag eine Abscheu, die ihn unwillkürlich zurückweichen ließ.

„Nicht nur, dass Ihr unpünktlich seid. Nein! Ihr erscheint dazu noch abgerissen, als hättet Ihr die Nacht im Rinnstein unter einer Gruppe abgetakelter Säufer verbracht. Macht Euch davon und überlegen es Euch gut, wie Ihr dieses schlechte Benehmen wieder gutmachen können.“

Dann knallte sie die Tür vor seiner Nase zu. Er wartete wider besseres Wissen noch eine Weile vor dem verschlossenen Eingang und merkte dabei, dass er alles andere als Wohlauf war. Die Muskeln schmerzten und ein ungewohntes Schwächegefühl hielt ihn gefangen. Er machte kehrt und begab sich zur Holzgasse. Naarson war wie erwartet in der Schuhmacherwerkstatt, sein treuer Begleiter Enoch saß auf der linken Schulter und schaute Gaarson aus seinen unheimlichen gelben Augen entgegen. Enoch war ein Mong, fünfundzwanzig Zentimeter lang und hatte ein braunes Fell. Er grinste ihn an und präsentierte ihm dabei seine kleinen, scharfen Zähne, als wolle er ihn verhöhnen. Gaarson fragte sich zum wiederholten Male, woher sein Bruder dieses Wesen hatte. Er hatte vor Enoch niemals einen Mong gesehen und war sich fast sicher, dass man sehr weit reisen musste, um den nächsten anzutreffen.

Naarson flickte ein paar braune, ramponiert aussehende Schuhe. Sein Bruder war klein und schmächtig, die grünen Augen rundeten das Bild ab: Obwohl sie Geschwister waren, besaßen sie keinerlei äußerliche Ähnlichkeit. Naarson blickte ihn überrascht an.

„Meine Güte! Was ist denn mit dir passiert? Du siehst ja ziemlich krank und heruntergekommen aus. Hast du etwas Ansteckendes? Dann bleib besser von mir fern.“

Der Ausdruck in den grünen Augen ließ Gaarson aufhorchen. Er fühlte sich schlecht, aber die Sorge im Blick seines Bruders machte ihm Angst.

„Wieso krank? Ich bin überfallen worden, aber sonst bin ich eigentlich in Ordnung. Obwohl ...“

In sich hinein horchend musste er feststellen, dass sein Bruder nicht Unrecht hatte. Er hatte zwar unterwegs schon gemerkt, dass es ihm nicht gut ging, aber erst jetzt fiel er in ein richtig tiefes Loch.

Sein Atem ging pfeifend, die Beine schmerzten, ohne dass er sich sonderlich angestrengt hatte. Die Augen brannten und hin und wieder flackerten dunkle Schlieren in seinem Blickfeld. Er fühlte sich von Moment zu Moment schlechter.

Irgendetwas hatte die geheimnisvolle Schönheit mit ihm angestellt. Einzig die besonderen Umstände seines Erwachens und die Not, da er Amata versetzt hatte, hatten ihn etwas abgelenkt und so merkte er erst jetzt, wie schlimm es um ihn stand.

Er nahm stöhnend auf einem freien Sitzkissen Platz und erzählte seinem Bruder mit brüchiger Stimme was ihm geschehen war. Naarsons Blick wurde immer sorgenvoller.

„Entweder hat dich diese Schönheit verhext, oder sie hat dich vergiftet. Du musst einen Priester oder einen Arzt aufsuchen. Wer weiß, wie gefährlich die ganze Sache ist. Mensch, du müsstest dich sehen, dann würdest du direkt losrennen und dir Hilfe holen.“

Zweifelnd zog Gaarson die Augenbrauen hoch. Ein Priester?

Er glaubte nicht an irgendwelche Götter, geschweige denn an Magie. Und Magie war es, was jeder Priester anzuwenden dachte. Magie war nichts anderes als das Unverständnis für logische Vorgänge. Die Gesetzmäßigkeiten von Sonne, Luft und Feuer waren keine Magie, sondern Kräfte und Eigenschaften, die klaren Regeln folgten und nichts mit irgendwelchen Göttern und Schamanen zu tun hatten. Der Priester blieb also außen vor. Sie würden eh nur ihre Götter anrufen und wenn er starb, war es eben ein Gottesurteil.

Aber was sollte er dem Arzt erzählen? Die Wahrheit kam nicht in Frage, außer seinem Bruder brauchte niemand von seinem Missgeschick zu erfahren. Er, der vielgerühmte Frauenheld, war einer geheimnisvollen Schönheit auf den Leim gegangen, die ihn bei erster Gelegenheit außer Gefecht gesetzt hatte. Schaudernd erinnerte er sich an die Leichtigkeit, mit der sie ihn um den Finger gewickelt hatte.

War es doch Magie gewesen oder wie hatte sie es geschafft, ihn dermaßen zu verzaubern? Sein eben noch festes Weltbild geriet ins Wanken, doch schnell schalt er sich einen Narren. Das war keine Magie, es war einfach zu lange her, seit er eine Frau besessen hatte und so hatte der männliche Instinkt die Oberhand gewonnen. Und das alles nur, um seine Chancen bei Amata zu erhöhen. Es wurde Zeit, dass er sich wieder regelmäßig vergnügte.

„Nein, ein Priester kommt nicht in Frage. Und einen Arzt werde ich erst dann aufsuchen, wenn ich sonst keine Alternative mehr sehe. So schlecht fühle ich mich noch nicht, auch wenn du meinst, dass ich so aussehe. Außerdem muss nicht jeder von meinem Missgeschick erfahren. Hast du vielleicht noch eine andere Idee?“

An der Miene seines Bruders konnte er eindeutig ablesen, dass dieser anderer Meinung war. Aber Naarson verkniff sich die Kritik, die ihm auf der Zunge lag.

„Hm. Wir können den alten Kara aufsuchen. Kara, den Geschichtenerzähler, der alle Götter Saramees und ihre Priester kennt. Vielleicht hat der eine Idee. Aber wie du mit Sicherheit weißt, ist Kara nicht gerade für seine Verschwiegenheit bekannt.“

Gaarson wog die Möglichkeiten ab, dann hatte er sich entschieden.

„Lass uns Kara aufsuchen. Vielleicht kann er uns helfen und ganz nebenbei etwas über die Messianer erzählen. Zwar wird diese Tratschtante den Mund nicht halten, aber die Leute nehmen sowieso nicht alles für bare Münze, was der Geschichtenerzähler so von sich gibt.“

 

Die „Nasse Feder“ war bis auf den letzten Platz gefüllt. Sämtliche Sitzplätze waren belegt und in den Gängen dazwischen tummelte sich das gemeine Volk. Glisk, Jinjend, Adyra und Menschen, alles was Saramees Vielfalt zu bieten hatte, fand sich hier, nahm man die unheimlichen Xer aus, denen man selten auf den Straßen oder in den Tavernen Saramees begegnete.

Es war mal wieder Kampftag. Dieser fand im Zentrum der „Nassen Feder“ statt. Den Mittelpunkt bildete ein dreimal drei Meter großer Bereich, der vier Meter tief war. Die Begrenzungen der Grube bildeten lange, abgestufte Schrägen, in denen die Zuschauer saßen. Wer weiter hinten stand oder an den Tischen saß, musste sich den Kopf verrenken, damit er überhaupt etwas vom Kampf sah.

Gaarson und Naarson schoben sich mühsam durch die Massen der Leute. Ragun hatte ihnen versichert, dass Kara heute hier anzutreffen sein würde. Sie waren noch nicht weit gekommen, da sprang Enoch von Naarsons Schulter und verschwand zwischen den Beinen der zahlreichen Zuschauer.

„Warte, Bruder! Enoch macht sich auf die Suche. Für ihn ist das Durchkommen einfacher. Es wird nicht lange dauern, bis er den Geschichtenerzähler erspäht hat. Lass uns warten. Hier sehen wir auch etwas von dem Kampf. Schau da. Balesh Ram darf wieder jemanden verprügeln.“

Gaarson folgte der ausgestreckten Hand und sah den stiernackigen Mann mit den kohleschwarzen Augen. Balesh Ram posierte in seiner üblichen Art und Weise, spannte nacheinander die Brust- und Armmuskeln an. Darauf hatte der Mob nur gewartet, schrie und johlte. Balesh hob siegessicher die Arme und zeigte seinem Gegner, der sich zumindest äußerlich nicht beeindrucken ließ, die Zähne.

Angewidert wandte sich Gaarson ab. Er würde nie verstehen, was sein Bruder nur an diesen widerwärtigen Kämpfen fand. Naarson sollte langsam sehen, dass er sich um das weibliche Geschlecht kümmerte, anstatt diesen hohlköpfigen Schlägern nachzueifern. Er wusste zwar, dass sein Bruder für Amata schwärmte und ihm sein Werben übel nahm, aber das war nur eine vorübergehende Phase, wie es Jungen in diesem Alter öfters durchmachten. Er dagegen hegte keine ernsthaften Absichten.

Gaarson fühlte sich unwohl in dem Gedränge. Die körperliche Schwäche, die ihn seit heute morgen gefangen hielt, machte ihm immer mehr zu schaffen. Der Rücken schmerzte und er musste sich abstützen, da ihm sogar das Stehen schwer fiel.

Er lenkte sich ab, konzentrierte sich auf seine Umgebung. Es roch nach Schweiß, Wetah und manch verbotener Substanz. Er spürte einen Blick im Nacken, drehte sich um und musterte die unzähligen Köpfe, doch schien niemand von ihm Notiz zu nehmen. Er musste sich getäuscht haben.

Da streifte etwas ganz kurz seinen Fuß. Wenig später hatte Enoch auch schon die Schulter von Naarson erklommen. Dieser legte den Kopf schief, als würde er lauschen. Die beiden unterhielten sich auf einer schwer fassbaren Ebene, das hatte ihm Naarson vor langer Zeit erklärt. Aber er musste zugeben, dass er den Ausführungen damals nur bedingt folgen konnte.

Sein Bruder nickte ihm zu und schob sich in Richtung der hinteren Tische. Mit etwas Drängeln schaffte er es, sich einen Weg zu bahnen und schon bald erblickte er Kara, den Geschichtenerzähler.

Kara war ein dünner Mann, dem die Jahre tiefe Furchen ins Gesicht gegraben hatten. Er trug ein rotes, weit fallendes Gewand und sah ihm aus wetahvernebelten Augen entgegen.

„Kara, können wir dich sprechen. Es ist wichtig.“

„Ein Krug Wetah und ihr habt mein Ohr.“

Seine dürre Hand hob den mächtigen Krug und streckte ihn den beiden entgegen. Naarsons fragender Blick erinnerte Gaarson an seine Situation.

„Du musst es mir vorstrecken. Mir wurde mein Geldbeutel gestohlen.“

Naarson verdrehte die Augen und griff in sein gelbbraunes Gewand. Er öffnete den Beutel und zählte nach.

„Nun, es reicht gerade so. Kara, ich gebe dir das Geld für einen Krug, aber vorher benötigen wir eine Information. Bruder, erzähl es ihm.“

Und so berichtete Gaarson ein weiteres Mal von seinem heutigen Erlebnis. Mit der Erzählung rückten die Schmerzen wieder in den Vordergrund. Sein Magen krampfte sich zusammen und er bezwang sich, den Brechreiz zu unterdrücken. Ein Grinsen erschien auf Karas faltigem Gesicht, dann streckte er die Hand aus.

„Ich kann euch helfen, aber zuerst will ich meinen Lohn.“

Gaarson sah seinen Bruder an und nickte. Sechs Cil wechselten den Besitzer. Kara stand auf und ging in den hinteren Bereich der „Nassen Feder“. Die beiden Brüder folgen ihm. Durch eine versteckte Tür verließen sie die Taverne und betraten eine menschenleere Seitengasse. Kara zog sie hinter sich her, drei Gassen weiter blieb er kurz stehen, bevor er winkend in eine Nische huschte.

„Hier sind wir sicher. Herannahende sieht man hier frühzeitig und wir sind weit genug von der „Nassen Feder“ entfernt, sodass wir einen etwaigen Verfolger entdecken würden.“

Kara machte eine bedeutungsschwangere Pause, hob die Arme, als wollte er eine Gottheit beschwören, dann ließ er sie mit einem Ruck fallen.

„Nun, die Messianer. Wo soll ich anfangen?

Die Messianer sind eine ganz spezielle Sekte. Sie glauben an die absolute Harmonie zwischen Natur und Mensch. Ist diese Harmonie erst einmal hergestellt, so ihre Vorstellung, entwickelt der reine Geist unglaubliche Fähigkeiten. Von Gedankenlesen, Gestaltwandeln und räumlicher Versetzung ist die Rede. Es gibt keine Beweise, aber Gerüchten zufolge erscheint einem ein Messianer, der sich in seiner Mitte befindet, wie ein magisches Wesen. Kräfte, die man sich kaum vorstellen kann. Und je mehr der Messianer eins mit sich und seiner Umgebung ist, umso größer ist seine Macht auf die Außenwelt. Aber das schaffen nur wenige Messianer, denn dazu benötigt es ganz bestimmte Voraussetzungen.

Du musst auf eine Rekrutierungsgruppe gestoßen sein. Die Messianer suchen nach Menschen, die den Äther in sich haben. Nicht jeder kann Gedankenlesen oder Gestaltwandeln. Der Glaube der Messianer verheißt, dass es in der Erbmasse mancher Menschen liegt. Und die Sekte ist immer weiter auf der Suche nach neuen Mitgliedern, welche den Äther in ihrer Erbmasse tragen.

Nun, Gaarson, wie mir scheint, bist du ein solch besonderer Mensch. So habe ich eine gute und eine schlechte Nachricht für dich. Welchen willst du zuerst hören?“

Gaarson blieb stumm stehen und blickte Kara mit eiserner Härte an. Mittlerweile hatten die Schmerzen zugenommen. Feuer schien durch seine Muskeln zu ziehen und Säure seinen Magen zu verbrennen. Er stützte sich an der nächsten Wand ab und kniff die Lippen zusammen.

„Nun, das Gift der Messianer trennt die Spreu vom Weizen. Diese Frau hat in dir den Äther gesehen und jetzt wird sich erweisen, ob sie Recht hatte. Wenn du die Nacht überlebst, hast du den Äther in dir, und du bist einer der Menschen, welche die Messianer suchen. Über die Alternative möchte ich besser nicht spekulieren, nur so viel, es gibt kein Gegenmittel, das dich retten könnte.“

Kara hob die Arme zu einer entschuldigenden Geste. „Reicht dir diese Information?“

Übelkeitswellen schüttelten Gaarson. Die Augen schienen ihm aus den Höhlen zu treten. Er riss sich ein weiteres Mal zusammen.

„Wenn ich überlebe: Was werden die Messianer dann machen?“

Auf Karas Gesicht erschien ein schelmisches Lächeln, welches der Situation Hohn sprach.

„Sie warten. Einem Messianer mit Begabung stehen alle Türen offen. Der Löwenanteil der Mitglieder hat diese nicht und sorgt dafür, dass die Begabten wie Götter leben und sich einzig auf den Äther konzentrieren. Die Sekte propagiert das allenthalben und so ist es fast sicher, dass die Begabten ihren Weg dorthin finden. Manche früher, andere später. Der Ruf der Macht ist verlockend und ohne Anleitung verschleudert man sein gewaltiges Potential.“

Eine weitere Schmerzwelle durchzog Gaarsons Körper. Er schaffte es nicht mehr, sich auf den Beinen zu halten. Schwer schlug er zu Boden. Dann wurde es zum zweiten Mal an diesem Tage schwarz vor seinen Augen.

 

Die Welt war ein Kaleidoskop von Schmerzen. Jemand schrie, laut, anhaltend, mit all der Pein, die man einem Sterbenden zuspricht. Rote Schlieren, gefolgt von schwarzen Flecken verhinderten, dass er etwas sah. Sein Körper schien in Flammen zu stehen, wenig später fror er entsetzlich, die Muskeln wurden steif, während er sich zitternd zusammenrollte und flehend nach einer Decke verlangte. Erst jetzt merkte er, dass das Geschrei von ihm kam.

Sein ganzer Körper verkrampfte sich, wurde erschüttert von einer weiteren Schmerzwelle. Eine Hand kam näher, wischte den Schweiß von seiner Stirn. Dann näherte sich etwas seinem Mund, mühsam schluckte er die dargebotene Flüssigkeit herunter.

Die Sekunden dehnten sich zu Minuten, die Minuten zu Stunden. Er wusste nicht, wie lange er schon hier lag, gebadet im Pein, der sich stetig steigerte und kein Ende zu nehmen schien.

„Kalt“, hauchte er mit brüchiger Stimme, versuchte sich mit allerletzter Kraft auf die Ellenbogen zu stützen, doch der Versuch misslang kläglich. Ermattet blieb er liegen, regungslos, in der Gewalt eines Fiebers, das nicht von dieser Welt zu stammen schien.

Ewigkeiten später spürte er eine Decke um seine brennenden Glieder, die schwer auf ihm lastete und eine Hitze entfachte, die ihm die Kehle ausdörrte.

„Durst!“

Erneut wurde ihm ein Trank gereicht, er schluckte, trotz der Schmerzen. Er versuchte sich herumzudrehen, aber die geschwächten Muskeln versagten ihm auch dieses Mal den Dienst.

„Halte durch, Bruder!“

Die Stimme klang wie ein Donnerschlag in den Ohren, setzte sich in seinen Ohren fest und malträtierte seine Sinne.

„Hilf mir. Dreh mich auf den Rücken!“

Fast glaubte er, nicht gehört worden zu sein. Plötzlich schrie er auf. Die Berührung setzte seine Muskeln in Flammen, dann trat Naarsons in sein Blickfeld, weiter hinten erkannte er das faltige Gesicht des Geschichtenerzählers.

Sein Atem ging schwer und rasselnd. Verzweiflung breitete sich in ihm aus und ergriff von jeder Faser seines Seins Besitz. Er spürte sofort, der entscheidende Moment war gekommen.

Alles oder nichts. Leben oder Sterben.

„Hilf mir!“

Erneut wurde ihm Flüssigkeit gereicht, dann senkte sich Schwärze um sein Bewusstsein.

 

Die Lider waren schwer wie Blei. Er stemmte sich gegen die Trägheit, die ihn gefangen hielt. Gaarson sammelte seine Kräfte und schlug die Augen auf. Zuerst glaubte er, er würde es nicht schaffen. Er drohte erneut in die Dunkelheit abzudriften, doch kämpfte er, um bei Bewusstsein zu bleiben. Er nahm tiefe Atemzüge, konzentrierte seine Wahrnehmung nur auf die Augen, und siehe da, er hatte Erfolg.

Er blickte sich um. Auf Decken gebettet, lag er in einer Ecke von Naarsons Schlafraum. Die gelben Augen Enochs waren das Erste, was er wahrnahm, ein seltsames Glitzern, indem er mehr als nur einen Funken Intelligenz zu erkennen glaubte. Fast meinte er, Verständnis für seine Qualen in diesen Augen zu lesen, dann wischte er diesen Gedanken beiseite. Die Nacht war schlimm gewesen, aber es gab keinen Grund, jetzt alles in Frage zu stellen und an seinem Verstand zu zweifeln.

Der wahnsinnige Schmerz war vergangen und war einer allgegenwärtigen Mattheit gewichen. Nur ein leichtes Echo erinnerte ihn an die qualvolle Nacht, fast unwirklich, wie die Täuschung einer Fata Morgana.

Eine jubelnde Stimme riss ihn aus seinen düsteren Gedanken und schon erschien der braune Haarschopf Naarsons.

„Bruder, du bist erwacht. Der neue Tag ist angebrochen, das lässt nur einen Schluss zu: Du hast das Gift überlebt.“

Doch Naarsons Blick zeigte ihm, dieser war nicht so unbekümmert, wie seine Worte scheinen ließen. Tiefe Sorgenfalten hatten sich in sein Gesicht gegraben. Sein Bruder sah müde aus und das freudige Lächeln erreichte die Augen nicht.

„Bruder, es ist noch nicht vorbei. Du weißt, was Kara gesagt hat. Kämpfe gegen das an, was jetzt auf dich zukommt. Ich will nicht, dass du ein gestaltwandelndes Monster wirst.“

Bei diesen Worten fuhr Gaarson eine eisige Kälte das Rückgrat hinunter. Die Erinnerung kam zurück. Die Messianer und Karas Worte.

Sie warten. Einem Messianer mit Begabung stehen alle Türen offen. Der Löwenanteil der Mitglieder hat diese nicht und sorgt dafür, dass die Begabten wie Götter leben und sich einzig auf den Äther konzentrieren. Die Sekte propagiert das allenthalben und so ist es fast sicher, dass die Begabten ihren Weg dorthin finden. Manche früher, andere später. Der Ruf der Macht ist verlockend und ohne Anleitung verschleudert man sein gewaltiges Potential.

„Naarson, drück mir die Daumen. Und glaube mir eines: Auch ich will kein gestaltwandelndes Monster werden. Versprich mir eines: Hilf mir, wenn es an der Zeit ist.“

Die Brüder sahen sich ernst an, dann gaben sie sich die Hände. Der Schwur war besiegelt. Trotzdem sah Gaarson mit Unbehagen in die Zukunft. Und hatte die dumpfe Ahnung, dass eine Entscheidung über sein weiteres Leben fortan nicht nur in seiner Hand lag.

 

3 Tage später

Gaarson hatte nichts anderes getan als gelegen, geschlafen und gegessen. Drei Tage hatte sein Körper benötigt, um sich von dem Gift der Messianer endgültig zu erholen und wieder auf den Damm zu kommen.

Jetzt war es soweit!

Aufgeregt hetzte er durch die bunten Gassen Saramees. Vorbei an den zahllosen Predigern, die ihren Gott anriefen, vorbei an Händlern, die ihre zahlreichen Waren anpriesen. Männer in bunten Hemden, Frauen in dunklen Stoffen, scheinbar ziel- und planlos durch die Straßen streifend. Glisk, deren Gesichtsausdruck einen harmlosen Besucher in Schrecken versetzt hätte, denen Gaarson aber keinerlei Beachtung gönnte. Sein Blick irrte vom vogelartigen Adyra zum schmächtigen Istader, doch nirgends verweilte sein Blick länger, sobald er erkannt hatte, dass es weder die unbekannte Schöne noch einer ihrer Begleiter war.

Da!

Lange schwarze Haare, verborgen durch ein grünes Tuch, die Gestalt zierlich.

Kurz verharrte er auf der Stelle. Sein Herz klopfte wie wild, die Hände zitterten. Er atmete dreimal ganz tief ein, dann war die Nervosität mit einem Schlag von ihm abgefallen. Mit würdevollen Schritten überwand er die Distanz, packte ihre Schulter …

… und starrte in das runzelige Gesicht einer zahnlosen Alten.

„Die Liebe macht blind!“

Wütend drehte er sich um und musterte die kräftige Gestalt, die sich mit spöttischer Stimme über ihn lustig machte. Das Gesicht wurde von einem schwarzen Vollbart umrahmt, frech schauten ihm zwei dunkelbraune Augen entgegen.

„Mein Herr, seid nicht böse. Ich beobachte nur. Es war diese schwarzhaarige Hexe, die Euch den Kopf verdreht hat. Ich kann mich noch daran erinnern. Es ist nur wenige Tage her und einen solchen Tanz vergisst man nicht.“

Mit wenigen Schritten überbrückte Gaarson die Distanz und packte den Redner am Kragen.

„Wo ist sie hin?“

Der bitterböse Blick ließ sein Gegenüber kalt.

„Lassen Sie mich los. Ich erzähle Ihnen schon, was ich weiß. Die Frau und ihre drei Begleiter waren schon eine ganze Woche da. Ihre Darbietungen waren wirklich gut und so sprach es sich schnell herum, dass es hier eine lohnenswerte Aufführung zu sehen gab. Jeden Tag kamen mehr Schaulustige und die Beutel der Schausteller füllten sich mit Münzen. Bis zu diesem Tag. Der Tanz der Frau war noch nie so bezaubernd, gleichzeitig so wild und leidenschaftlich gewesen.

Am gleichen Tag noch packten die vier ihre Sachen und verschwanden. Aber eines konnte ich noch in Erfahrung bringen.“

Der Bärtige holte Luft und schaute Gaarson tief in die Augen.

„Sie sprachen davon in die Enklave Salou zu reisen. Das war das Letzte, was ich von Ihnen hörte.“

Als Gaarson die Worte vernahm, ließ er automatisch die Schultern hängen. Die Enklave Salou war so unerreichbar fern. Es war genauso, als wäre die unbekannte Schöne gestorben.

Sehnsucht zehrte an Gaarson. Sehnsucht nach der unbekannten Schönen, die das Bild von Amata in den Hintergrund drängte. Sehnsucht nach einer besonderen Gabe. Und eine gehörige Portion Angst vor eben dieser.

Langsam schlurfte er zurück. Einer ungewissen Zukunft entgegen.

 

 

Hintergrund:

 

Am Anfang stand eine verrückte Idee. Chris Weidler suchte in seinem kleinen Forum Autoren für eine Serie in der Tradition der Diebeswelt. Mehrere Autoren, verbunden nur durch einen Schauplatz. Das war der Startschuss für „Saramee“ und ich war von Anfang an dabei.

Vor der ersten Geschichte beginnt die Planung. Die Stadt muss entworfen werden. Ihre Umgebung, die Länder, die an sie grenzen. Die politische Situation, aber auch Gegenstände des Alltags. Und wir einigten uns darauf, keine Magie zuzulassen. So etwas gab es bei einer Fantasyserie noch nie.

Meine persönliche Planung begann ebenfalls und die zentrale Person war Naarson Gaad und seine Schuhmacherfamilie. Sein Bruder Gaarson entwarf ich mit, doch erst zur vorliegenden Geschichte konnte ich ihn mit Leben füllen.

Mit Gaarson tritt der Kult der Turoswächter auf den Plan. Sein Abenteuer verwebt das Mögliche mit dem Unmöglichen. Die Messianer sind anders, aber eindeutig Magie üben sie nicht aus. Die Grauzone der Wirklichkeit, das behandelt „Alles oder nichts“.

Ein wenig inspirierte mich dabei Fritz Leibers Geschichte „Schicksalhafte Begegnung in Lankhmar“.

Mittlerweile sind 14 Sarameebände erschienen. Waren es zuerst noch Kurzromane einzelner Autoren, erscheint seit 2008 jedes Jahr eine Anthologie.

Und wer weiß. Vielleicht wird es in Zukunft auch weitere Abenteuer mit Gaarson Gaad und den Messianer geben.

 

Die Geschichte ist in der Anthologie Der wahre Schatz enthalten.

 

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Oje, das hat nicht geklappt, Elfenwerk! 20240423195705fc2d81cf
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Erstellt: 14.11.2009, zuletzt aktualisiert: 27.09.2016 09:58, 9516