Apatheia (Autor: Guido Seifert)
 
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Apatheia von Guido Seifert

Story-Sammlung

 

Rezension von Ralf Steinberg

 

Verlagsinfo:

Ein Haushaltsroboter hat nach der KI-Gleichstellung nichts Eiligeres zu tun, als sich zum Warbot umrüsten zu lassen.

Ein Vertreter im Ruhestand, der sich Tag für Tag in philosophischer Kontemplation übt, wird mit der nackten Gewalt der Sprawl konfrontiert.

Ein berühmter Komponist stirbt vor der Vollendung seines letzten Werkes, doch ein gewiefter Plattenboss will das Opus fertigstellen lassen. Aber es kommt anders …

Ein Kommissar untersucht einen Mord und erlangt Einsichten in Vorgänge, die die Gesellschaft auf den Kopf zu stellen drohen.

Ein gegen die KI-Dominanz kämpfender Rebell greift eine junge Frau auf und bringt sie in ein geheimes Lager. Doch auch jemand aus seinem alten Leben ist auf dem Weg dorthin …

Ein emeritierter Professor verliebt sich ein letztes Mal und versucht mit einer VR-Show, seine Angebetete auf sich aufmerksam zu machen.

… und mehr Storys.

Guido Seifert legt neben elf bereits bekannten Geschichten zwei hier erstmalig veröffentlichte SF-Storys vor.

 

Rezension:

Die Geschichten in Apatheia von Guido Seifert decken sein erzählerisches Schaffen seit 2008 ab und erschienen bereits in renommierten Magazinen wie der c’t, im Exodus, in Nova sowie in den Fanzines Xun und Golem. Zwei der Storys sind Erstveröffentlichungen.

Die Sammlung ist in vier Themenkreise gegliedert, die somit die Geschichten inhaltlich und nicht unbedingt chronologisch nach ihrer Entstehungszeit ordnen. Es empfiehlt sich tatsächlich gerade bei den beiden ersten Themen-Komplexen, KI-PARITÄT und KI-DOMINANZ, dieser Anordnung zu folgen.

Wie die Namen der Titelkreise bereits andeuten, steht die Auseinandersetzung mit Künstlicher Intelligenz in ihrem Mittelpunkt. Ähnlich Isaac Asimov in seinen Robotergeschichten, entwickelt auch Guido Seifert eine komplexe Future-History anhand beispielhafter Geschichten für sie wichtiger Ereignisse.

 

Die Ausgangssituation wird in Ich, Goliath AIROCS-604 dargestellt. Die Titelfigur ist eine KI. In diversen Rückblenden erfahren wir von ihrem Wunsch, den Körper eines mächtigen Kampfroboters zu erhalten, was sie zwangsweise in die Armee bringt und mit einem moralischen Dilemma konfrontiert.

Bereits in der Eröffnungsstory zeigt Guido Seifert, dass er dem Thema ethische Kompetenz sehr ambivalente Aspekte abzugewinnen vermag. Er verbindet das mit einer sorgfältigen und eher stillen Charakterentwicklung. Wir erleben das Wachsen der KI und begleiten sie zu dem Punkt, an dem sie sich entscheiden muss, menschlich sein zu wollen oder einen ganz anderen Weg einzuschlagen.

 

Der thematische Kontext verdirbt der zweiten Geschichte Ein Leben für Alpha Centauri ein wenig die Pointe. Was aber nicht stört. Im Gegenteil. Als erste der beiden Erstveröffentlichungen widmet sie sich einem faszinierenden Thema.

Die zunächst eher typische Story um die Besatzung eines Fern-Raumschiffs, die man wegen der langen Reisezeit in Kryostase steckte und sich mit den ebenfalls vertrauten Problemen solcher Missionen stellen muss, dreht komplett in eine andere Richtung, als auf der fernen Erde Menschen und KIs rechtlich gleichgestellt werden.

Es ist DAS große Thema von Guido Seifert und dominiert den Storyband qualitativ deutlich, was sich sofort in der nächsten Geschichte zeigt.

 

Massaker in RobCity stellt anhand eines Kriminalfalles die gesellschaftlichen Umbrüche dar, die mit der Gleichstellung von KIs und Menschen einhergehen. Neben komplexen soziologischen Veränderungen beeindruckt die Story auch durch sehr persönliche Überlegungen zu landschaftlichen und urbanen Umbrüchen.

 

Der Weg in die »KI-DOMINANZ« ist nur folgerichtig.

Was passiert mit den Menschen, wenn die KIs ihr Leben beherrschen? In Lykaon lernen wir menschliche Aussteiger kennen. Letzte Uneinsichtige, die sich dem elektronischen Zugriff entziehen wollen und dabei versuchen, den Kampf der so unterschiedlichen Intelligenz- und Denkarten zu gewinnen.

Erneut erleben wir Anhand persönlicher Schicksale einen Wendepunkt in der Zukunftsvision des Autors. Ein Schlaglicht, das einen wesentlichen Moment in seiner möglichen Zukunft beleuchtet.

 

Die folgende Geschichte, Titania, liegt thematisch ähnlich. Letzte Widerstandsnester werden von den KIs gejagt, doch der Widerstand ist längst in Apathie und Fatalismus versunken. Doch was will die Maschinenintelligenz von den Menschen? Was, wenn der Krieg eigentlich nur von einer Seite geführt würde?

Aus den Überlegungen, was die KIs von der Vernichtung oder Versklavung der Menschen hätte, entwickelt Guido Seifert eine ganz eigene Idee.

 

In Stevies Besuch werden wir Zeuge davon, wie Paul, dem Widerstand überdrüssig geworden, einen Weg bestreitet, der in eine andere Art des Zusammenlebens führt: der Sprawl.

Es ist die Gegenbewegung zur Technik-Konzentration der KIs und zeigt eine Möglichkeit auf, neben ihnen zu leben.

 

Dass Menschen dabei nicht unbedingt vernünftige Wege einschlagen, erläutert Die silberne Dose. Wir werden Zeugen einer religiösen Gruppierung, ebenfalls argwöhnisch beäugt von elektronischen Beobachtern. Doch manche Dinge erledigen sich von selbst.

 

Im dritten Komplex wendet sich der Autor dem Leben IN DER SPRAWL zu.

Apatheia oder Wer stirbt heute ist eine großartige Geschichte über das Leben in Anarchie. Wenn die städtische Ordnung zusammenbricht und einem friedlichen Pensionär der Weg zum Supermarkt durch sadistische Wegelagerer versperrt ist, können sich schlimme Dinge ereignet. Oder sich Grundlegendes ändern.

Detailliert und auf den Punkt erzählt, offenbart Guido Seifert in der Titelgeschichte großes inszenatorisches Geschick. Nicht nur thematisch ein Herzstück der Sammlung.

 

Zu Die silberne Dose No. 2 entspann sich zur Erstveröffentlichung in Nova 22 eine sehr interessante Diskussion zwischen Autor und Rezensent.

Mithilfe korrupter Angestellter der Stadtverwaltung kauft sich ein emeritierter Professor zeitlich begrenzten Zugang zu einer Videokamera, durch die er eine junge Vorstadtfrau heimlich beobachten kann, in die er sich verliebt hat. Seine Leidenschaft treibt ihn dazu, eine virtuelle Möglichkeit zu nutzen, sich ihr weiter zu nähern …

In der Tat wird beim Wiederlesen und im Kontext des Sprawl-Themas wesentlich deutlicher, was der Ausbruch der jungen Frau letztlich bedeutet. Auch vertieft die sprachlich sehr ambitionierte Geschichte das Gefühl für das soziale Gefüge in einer von Technik und Ungleichverteilung geprägten Gesellschaft. Während Professor Kugler mit seiner Sehnsucht nach Liebe und Anerkennung einen letztlich desaströsen Weg beschreitet, bietet sich zumindest für Lowenna ein Ausweg.

Damit wird die Sprawl, die Paul in »Stevies Besuch« noch als rettende Oase ansah, eine vom menschlichen Treiben erneut verdorbene und letztlich unmenschliche Gemeinschaft.

 

Mit Im Bauch von B-Sprawl treibt Guido Seifert diese Unmenschlichkeit auf die Spitze. Schonungslos stellt er das kaum lebenswerte Dasein der Bewohner seiner B-Sprawl dar. Die Entmenschlichung erstreckt sich auf die gesamte Gesellschaft und entwickelt dabei ein eigenes Leben, ein eigenes Bewusstsein, das in sich selbst transzendiert. Gänzlich unabhängig vom Treiben einzelner Menschen.

 

Nach dem drogensüchtigen Kriminellen lernen wir in Schwester Sumotori einen privilegierteren Bewohner kennen. Mit großem Einfallsreichtum beschreibt Guido Seifert hier das moderne Alltagsleben. Vom smarten Rasierer bis hin zur omnipotenten Verkehrskontrolle, die sich schon fast zynisch am Ende aus dem rein menschlichen Drama heraushält.

 

KIs und Menschen, eine naheliegende Verknüpfung stellt der UPLOAD dar. Die Digitalisierung des menschlichen Geistes, der Transfer seiner Gehirnaktivität in eine Maschine, in ein Datennetz oder in einen virtuellen Raum sind beliebte Themen der Science-Fiction. Guido Seifert widmet sich in zwei ganz unterschiedlichen Geschichten diesem Szenario, das den vierten Story-Komplex beherrscht.

Gangster sind die Besten untersucht eine gar nicht so abwegige Situation. Wenn das Herstellen einer Geisteskopie möglich ist, muss der Staat gesetzliche Regeln aufstellen, um das Dilemma verdoppelter Persönlichkeiten in den Griff zu bekommen. Sicherheitskopien müssen vor Missbrauch geschützt werden. Was so ein Missbrauch bewirken kann, erzählt die Geschichte. Dabei wird schon auf den wenigen Seiten deutlich, wie komplex die damit verbundenen Probleme sind. Nicht nur juristisch, sondern auch auf zwischenmenschlicher Ebene.

 

Genau in diese Problemzone entführt uns die letzte Geschichte der Storysammlung, Le Roi est mort, vive le Roi!. Die für die Themenausgabe Musik des Nova-Magazins verfasste Geschichte, stellt einen genialen Komponisten vor die Versuchung, mittels Upload sein letztes Werk vollenden zu können. Ist die menschliche Kreativität wirklich an die Körperlichkeit gebunden? Können Programme das schöpferische Genie simulieren?

Beeindruckend an dieser Geschichte ist vor allem die sehr gefühlvolle Figurenzeichnung. Die Auswirkungen des Uploads zeichnen sich in den Interaktionen der Beteiligten ab. Hier geht Guido Seifert unter die Oberfläche der scheinbaren Stereotype und beantwortet letztlich die Fragen auf eine schlüssige Weise.

So endet die kleine Future-History mit einem Start in ein weiteres Zeitalter, zu dem die Geschichten noch verfassen sind.

 

Fazit:

Mit »Apatheia« legt Guido Seifert nicht nur einfach seine Science-Fiction Kurzgeschichten gebündelt in die Hände seiner Leserschaft. Mit der thematischen Anordnung verknüpft er sie zudem zu einer komplexen zukünftigen Menschheitsgeschichte, die eine ganze Reihe von Themen kritisch beleuchtet, denen wir uns tatsächlich stellen müssen. Guido Seifert denkt dabei Dinge weiter, deren Anfänge heute im Alltäglichen kaum auffallen mögen und doch unser Morgen bestimmen könnten.

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Buch:

Apatheia

Story-Sammlung

Autor: Guido Seifert

Taschenbuch, 274 Seiten

Begedia Verlag, 22. Juli 2016

Cover: Harald Giersche

 

ISBN-10: 3957770793

ISBN-13: 978-3957770790

 

Erhältlich bei: Amazon

 

Kindle- ASIN: B01DGQ0H0C

 

Erhältlich bei: Amazon Kindle-Edition

Inhalt:

  • Ich, Goliath AIROCS-604

  • Ein Leben für Alpha Centauri

  • Massaker in RobCity

  • Lykaon

  • Titania

  • Stevies Besuch

  • Die silberne Dose

  • Apatheia oder Wer stirbt heute

  • Die silberne Dose No. 2

  • Im Bauch von B-Sprawl

  • Schwester Sumotori

  • Gangster sind die Besten

  • Le Roi est mort, vive le Roi!

Oje, das hat nicht geklappt, Elfenwerk! 20240327180943791ef11c
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Erstellt: 28.09.2016, zuletzt aktualisiert: 24.11.2023 15:44, 14938