Artikel: Die Hörspiel 2010 - Ein Messebericht
 
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Die Hörspiel 2010

Das Geheimnis der Kassettenkinder


Ein Bericht von Oliver Kotowski


Gestern, am 19. Juni, war es wieder soweit: Die Hörspiel. Dieses Jahr war man vom Hühnerposten ein paar Meter nach Links in die Markthalle gezogen. Aufgrund meiner einmaligen, lanzelotischen Unkonzentriertheit habe ich den Hauptbahnhof verpasst. Mein Zuspätkommen war allerdings insofern ein Vorteil, als dass ich nicht mehr lange im schönen Hamburger Regenwetter in der Ticketschlange warten musste.

 

Der Umzug in die Markthalle erwies sich als Fluch und Segen zugleich. Wie im letzten Jahr waren wieder zahlreiche Labels da: vom Argon Verlag und Captain Hoggy über Europa, Lausch und Maritim hin zu Tinitus Hörspiele und Vitaphon war alles dabei – der Messeführer zählt dreißig Aussteller auf. Auch Pop.de hat natürlich wieder eine breite Auswahl von Hörspielen feilgeboten. Wer nun die Markthalle kennt, weiß, dass sie eher länglich aufgebaut ist. Zusammen mit den vielen Besuchern ergab das ein ziemliches Gedränge bei Pop.de und den Ausstellern. Die Besucher schienen mir dieses Mal weniger durchmischt zu sein – weniger Kinder, weniger ältere Leute. (An dieser Stelle eine kleine Randnotiz: Es schienen mir etwa fünfzig bis sechzig Prozent der Besucher weiblich zu sein. Dagegen war die Mehrheit der Hörspiele auf männliche Hörer ausgerichtet, ein paar waren neutral und mir ist keines aufgefallen, das auf weibliche Hörer ausgerichtet war. Mag daran liegen, dass die Hörspielmacher, sprich Regisseure und Produzenten, alles Männer waren.) Von der Gefülltheit der Säle ausgehend, würde ich vermuten, dass dieses Jahr noch einige Besucher mehr da waren – die Säle scheinen mit noch größer als die des Hühnerpostens zu sein; in dessen Räumlichkeiten hätten vermutlich nicht mehr alle hineingepasst. Die Säle sind zum einen räumlich klar voneinander getrennt – der kleine ist gleich vorne, der große ganz hinten – sie wurden auch thematisch unterschiedlich genutzt: Im kleinen fanden eher die Talks statt und im großen die Live-Hörspiele.

Das Programm fing schon um 10.30 mit Wolf Frass' Karaoke Hörspiel Die 1000 Augen des Dr. Mabuse an, doch da steckte ich noch unten im Gewühl. Statt zur Rainer Schmitts Larry Brent-Live Lesung (die ich schon kenne) bin ich zum Talk "Gib den Indies eine Chance". Die kleinen Labels, die "Indies", haben es natürlich sehr schwer, gerade was den Vertrieb angeht. Da ist es für die kleinen ein wahrer Segen, dass Andreas Wilken von Pop.de sich vorgenommen hat, alle verfügbaren Hörspiele auch tatsächlich verfügbar zu haben und so den Indies eine Plattform zu bieten. Weiterhin waren noch Sönke Strohkark von Fear4Ears, Falk T. Puschmann von Innovative Fiction und Dirk Hardegen von Ohrenkneifer da. Alle stellten kurz einen Ausschnitt aus einem mehr oder minder aktuellen Hörspiel vor – der richtige Track wurde nie auf Anhieb, bisweilen überhaupt nicht gefunden – und lobten einhellig die große Freiheit, die ihnen gelassen wird – nur bei einem arg grausigen Cover von "Road to Hell" wurde Einspruch erhoben. Schließlich moderierte das Ganze eine Moderatorin, deren Namen ich mir in der falschen Annahme, alle Beteiligten würden im Messeführer genannt werden, nicht notiert hatte: Die Blonde mit den schicken Schuhen.


Während wir nun auf den Talk zum OHRKANUS warteten, stellten wir fest, dass es auch Anforderungen an die Besucher gab: Die junge Frau schräg vor mir wäre beinahe mit der Biergartenbank umgefallen. Die junge Frau direkt vor mir, hätte während dieses Balanceaktes das freischwebende Bankende fast an den Kopf bekommen. Nach dieser kleinen Einlage ging es dann aber los: Patrick Holtheuer, Frank Boldewin, Günter Merlau, Katja Brügger und jemand, den ich nur als "Raimond" (oder so) in Erinnerung habe. Letztgenannter, erzählte, dass er einst von einem Blitz getroffen worden sei; das habe anscheinend außer einem roten, leicht irritierbaren Flecken an der Hand, wo der Blitz vom Regenschirm überschlug, nichts hinterlassen. Solche Zwischenfälle könnten allerdings zu einer Neuordnung der Synapsen führen, was ihn zur Arbeit an dem OHRKANUS-würdigen Hörspiel inspirierte. Moderiert wurde der Talk von John Ment. Hier erfuhr man einiges über die Struktur des Preises (also des Vorganges, der schließlich zur Verleihung des Objekts der Begierde führt), was der Preis (also der Umstand, von der Jury für würdig befunden zu werden, nicht so sehr das Objekt der etc. pp.) und dass Sprecher ihre Rollen bisweilen schnell vergessen: Katja Brügger (Beste Sprecherin/Nebenrolle) musste sich erst noch einmal sich selbst als Irene Reuchlin in "Dorian Hunter 8" anhören, um herauszufinden, ob sie den Preis für irgendetwas Peinliches bekommt. (Das wiederum impliziert, dass sie peinliche Dinge macht; hier hätte man nachhaken müssen. D'oh!)


Und weiter ging es mit dem Talk Stars der Kindheit – Kinderstars. Zu sehen und (wichtiger noch) zu hören waren dreieinhalb Sprecher, die große Rollen als Kinder hatten: Sascha Draeger, Christian Stark, Stephan Chrzescinski und Torsten Sense; Letzterer eben nur zur Hälfte, weil er nicht rechtzeitig angekommen war. Moderiert wurde wieder von der Blonden mit den schicken Schuhen. Man hörte einige Ausschnitte aus ihren früheren Hörspielen und was die Sprecher jetzt so machen. Interessant ist, dass die meisten Kindersprecher bereits in der zweiten Generation mit der Hörspielindustrie zu schaffen haben.


 

Nun blieb ich zum Talk Ferienbande – Komik im Hörspiel. Die Besetzung war recht klein: Kai Schwind und Tim Buchholz, die Köpfe hinter der "Die drei ???"/"TKKG"/"Die fünf Freunde"-Parodie Ferienbande, standen gemeinsam mit Corinna Wodrich, der Hüterin des Europa-Grals, der da heißt "Die drei ???", den Fragen des Moderators Bernd Klose (mittlerweile war mir aufgefallen, dass nicht alle Namen genannt werden, und ich notierte mir meistenteils die fehlenden), Rede und Antwort. Der Besucher erfuhr, dass die "Ferienbande" ursprünglich ein Radio-Hörspiel war, dass die Macher auf Humor setzten, der die Erzählebenen durchbricht, und dass es vielleicht doch noch eine siebente Folge gibt. Trotz des bombigen Endes von "Der kolossale Terror". (Ich meine, hat einer der geneigten Hörer da etwas von Leichen gehört? Schließlich gilt die Serienmaxime: Wenn man die Leiche nicht gesehen hat, ist nicht vom Tod auszugehen.) Es wird ein weiteres Live-Hörspiel geben, vermutlich im Frühjahr 2011, vermutlich wird es ein Prequel werden. Und wer weiß, vielleicht wird es auch "Die drei ??? on Ice" geben – oder war das nur ein Witz?

Nach knapp dreistündigen harren und horchen im kleinen Saal, begab ich mich in den großen Saal, um das Live-Hörspiel Tony Ballard zu sehen. Hierbei handelte es sich um einen Teaser zu "Im Niemandsland des Bösen", der achten Folge der Reihe. Als Sprecher waren Tilo Schmitz (Mr. Silver), Katja Brügger (Roxane), (mittlerweile eingetrudelt:) Torsten Sense (Tony Ballard), Joschi Hajek und Janet Sunijc dabei. Es folgte ein Talk mit dem Produzenten Thomas Birker und den Sprechern, bei dem man erfuhr, dass für die achte Folge ein Experiment gemacht wurde, in dem Sprecher von vielen verschiedenen Labels eingebunden wurden und, dass Tilo Schmitz und Katja Brügger sich darüber freuen, wenn sie auch mal die Guten sprechen dürfen – ob ihrer dunklen Stimme werden sie gerne mit Bösen besetzt. Und die unterschiede zwischen der Rolle des Dr. Tod und Mr. Silver? Die Namen der Schurken bei "John Sinclair" sind schwerer auszusprechen!


Darauf ging es wieder zurück in den kleinen Saal zum Talk "Ich kann ohne Hörspiele nicht leben!" Unter der Moderation von Günter Merlau erzählten die Prominenten Jasmin Wagner, Alexandra Kamp, Kai Meyer und Markus Heitz von ihrem Verhältnis zum Medium. Dabei hörte man von Meyers Schockiertheit, als ihm Justus Jonas auf einer Messe einen schmutzigen Witz erzählte, davon, dass Heitz ein zweites Konto brauchte, weil das erste voll war, dass der Film "Saw" dem Moderator zu heftig ist, und dass Heitz gerne ein Hörspiel von einer seiner Geschichten hören würde; vielleicht eines mit Schrotflinten und Zombies, das im Herbst bei Lausch herauskommt. Fans der krassen Lausch-Hörspiele können gespannt warten.


Und wieder zurück zum Talk in den großen Saal: "Hollywood spricht (wieder)". Unter der Moderation von John Ment erzählten die Synchronsprecher Tobias Meister (Brad Pitt), Tilo Schmitz (Ron Pearlman), Charles Rettinghaus (Jean-Claude Van Damme) und Dietmar Wunder (Daniel Craig) von ihren 'Abenteuern'; Torsten Michaelis fehlte, dafür war Annina Braunmiller (Kristen Stewart – "Bella") kurzfristig eingesprungen. So erfuhr man, dass Rettinghaus einmal Van Damme traf und daraufhin von Schauspieler mit "Good voice!" gelobt wurde, was Rettinghaus mit "Good body!" beantwortete. Außerdem war der Film "Chucky – Die Mörderpuppe" so brutal, dass sich trotz der speziellen Szenen, die Synchronsprecher im Kinderalter zu sehen bekommen, von Tobias Meister kein Kind für die Rolle des Andy Barclay gefunden wurde, sodass schließlich eine Vierzehnjährige zum Zuge kam – Kinderschutz geht eben vor; Meister ließ anklingen, dass er vom Film insgesamt nicht begeistert war.


Weiter ging es mit dem Live-Hörspiel FUTURE-MAN. Hier ein kleines Zitat: "Der Todesplanet der tödlichen Vernichtung. In einer längst vergangenen Zukunft… Zu einer Zeit, da die Welt einer unglaublichen Bedrohung ausgesetzt werden worden sein wird… wird es nur einen gegeben haben werden, der die Erde gerettet konnten haben werden wird… haben gewird… FUTURE-MAN, MAN OF THE FUTURE!" Wobei "FUTURE-MAN" stets mit einem dramatischen Hall unterlegt wurde. Tanja Dohse, Robert Missler, Günter Merlau und Robert Schlunze als unter Größenwahn leidende Hitler/Imperator Ming-Parodie in einer aberwitzigen Star Wars/Flash Gordon-Persiflage aus der Feder von Schlunze selbst.


Jetzt wollte ich eigentlich eine etwas längere Pause machen, denn es folgte die Lesung "Bis(s) zum Morgengrauen" von Annina Braunmiller – interessiert mich nicht so. Da ich aber während "Hollywood spricht (wieder)" auf dem Boden sitzen musste, was meinem Rücken überhaupt nicht gut getan hatte, bin ich kurz vor 17.30 wieder hineingegangen, um mir für die folgende Veranstaltung einen erträglichen Sitzplatz zu sichern. Das entpuppte sich als Glücksfall, denn die Lesung wurde erheblich überzogen – die Pause wurde noch ein wenig überzogen und Annina Braunmiller ist nicht nur eine witzige und sympathische Person, sie las außerdem nicht stur eine Szene nach der anderen ab, sondern erzählte viel von der Arbeit als Synchronsprecherin. Auch für das Hörbuch hatte sie ein interessantes Detail mitzuteilen: Sie hatte den Namen der Autorin "Meyer" amerikanisch ausgesprochen (etwa "Me-jär"), doch der wird deutsch ausgesprochen. Da nun nicht überall in ein Mikro gesprochen werden kann – man hört den Unterschied – rief sie ganz aufgelöst beim Label an. Dort beruhigte man sie – in einer Szene las sie, wie Bella "Spiegeleier" brät und daraus lies sich M-eier ganz bequem zusammenschneiden.

Es folgte das Live-Hörspiel Dorian Hunter. Dabei handelte es sich um fünf Szenen aus der elften Folge der Reihe: "Die Schwestern der Gnade". Darin hat sich Dorian in die geschlossene Psychiatrie einweisen lassen, in der seine Ehefrau Lilian eingewiesen wurde, um einen Mörder zu schnappen. Der störrische Dorian muss allerdings bald feststellen, dass es hässlich sein kann, wenn man gefüttert werden muss. Hier gab es zwei großartige Szenen, in denen der passiv-aggressive Pfleger Arni (Marco Göllner) Dorian (Thomas Schmuckert) mit Joghurt fütterte und Dorian Arni in einem Anfall von Zorn damit bespuckt, was Arni zu weiteren Übergriffen nutzte. Es gab großartige Szenen und ich saß ausnahmsweise auch mal gut – wo sind die Bilder? Die Szenen hatten mich so gefangen genommen, dass ich das Bildermachen schlicht vergessen hatte; sorry, aber die Szenen waren wirklich zu gut. Außerdem Standen die Sprecher – neben Göllner und Schmuckert waren auch Iris Artajo, Santiago Ziesmer, Tim Kreuer und Frank Gustavus – einiger von Dennis Ehrhardt ausgewählten Fragen Rede und Antwort. So wurde gefragt, was die Sprecher sich für ihre Figuren wünschten, und auch wenn Iris Artajo sicherlich überzog mit ihrem Wunsch, dass Lilian als Werwolf-Vampirin Dorian zur Strecke bringen möge, so wäre der geschassten Ehefrau doch eine kleine Rache an dem treulosen Gatten zu gönnen.


Der Abend wurde mit der Verleihung der Hörspieler des Jahres 2010 beschlossen. Gewinner waren: Leonhard Koppelmann, Heikedine Körting, Theresia Singer, Konrad Halver und Bastian Pastewka, der allerdings nicht anwesend sein konnte – via Videobotschaft teilte er mit, im Fernsehen laufe gerade "Kanonen gegen Dänemark", äh, er müsse arbeiten.

Was bleibt mir abschließend zu sagen? Es war schön; es hat viel Spaß gebracht. Allerdings scheint mir, man habe sich ein bisschen mehr auf den Kommerz und das Unterhalten ausgerichtet. Das finde ich durchaus schade – ich fänd's schön, wenn wieder mehr die nicht-kommerziellen Hörspielmacher ins Boot geholt würden, wenn es vielleicht auch eine echte Diskussionsveranstaltung statt der Talks gäbe; ich bin mir sicher, man kann für divergierende Ansichten argumentieren, ohne sein Gegenüber als "Gurkentruppe" oder "Wildsau" zu bezeichnen. Gleichwie, es hat sich gelohnt. Mal schauen, was nächstes Jahr wird.


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Oje, das hat nicht geklappt, Elfenwerk! 202403280002371cdb47bf
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Weitere Infos:

Die Bedingungen zum Fotografieren waren (für mich) dieses Mal besonders schlecht: Meist war es im Raum recht dunkel und dafür gab es in der Mitte der Bühne eine sehr helle Lichtquelle. Das Ergebnis ist, dass ich entweder ziemlich lange Belichtungszeiten in Kauf nehmen musste (was zu lustig verwackelten Bildern führt) oder aber ganz dicht dran sitzen musste, wollte ich etwas Erkennbares auf den Bildern haben.


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Erstellt: 20.06.2010, zuletzt aktualisiert: 07.02.2022 19:14, 10616