Briefe in die chinesische Vergangenheit (Autor: Herbert Rosendorferl)
 
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Briefe in die chinesische Vergangenheit von Herbert Rosendorfer

Rezension von Ralf Steinberg

 

Verlagsinfo:

Der Mandarin Kao-tai reist mittels eines Zeitkompasses aus dem China des 10. Jahrhunderts ins 20. Jahrhundert nach München. Mit der Unbefangenheit, die ein Abstand von 1000 Jahren und ein völlig anderer Kulturkreis ermöglichen, beobachtet er den »Fortschritt« der »Großnasen«, die nicht ruhen und rasten, sondern beständig von sich fortschreiten …

 

Rezension:

Der 1986 erschienene Roman Briefe in die chinesische Vergangenheit von <link>Herbert Rosendorfer wird von Science-Fiction Fans zu den bedeutendsten SF-Werken der alten Bundesrepublik gezählt.

 

In Briefform lässt Rosendorfer einen chinesischen Beamten über die ihm völlig fremde Welt berichten. Tausend Jahre übersprang er mit Hilfe einer Zeitreise und tauscht sich über seine Erlebnisse mit einem Freund in der Vergangenheit aus. Obwohl in China gestartet, landet er in München in der Gegenwart des Romans, also etwa 1985. Er hat Glück, dass er nicht wegen Spionage festgenommen wird, sondern bei einem Universitätsangestellten unterkommt, der ihm die Eingewöhnung in das zwanzigste Jahrhundert erleichtert.

Die ersten Briefe illustrieren die Begegnung mit Dingen, die Kao-tai völlig unverständlich sind, etwa Autos oder Elektrizität. Doch als eine Art Gelehrter stellt er sich den Dingen und fragt seinen Gastgeber dahingehend aus.

Nach und nach macht er sich so seine Gedanken über Umweltverschmutzung, Staatsformen, dem eisernen Vorhang, aber auch über Korruption, Musik und Fortschrittswahn.

 

Man spürt, dass Rosendorfer zu den Themen jede Menge zu sagen hat und nutzt sein chinesisches Sprachrohr, um diese Dinge auf eine indirekte und wahrscheinlich humorvolle Weise zu verbreiten.

Leider wird das teilweise immer nerviger, nutzt sich die Idee ab. Während der Ton der Briefe zunehmend deutlicher wird, bleiben stilistische Mittel wie die fehlerhafte Lautmalerei von Namen und Dingen bis zum Schluss auf demselben halbinfantilen Niveau. Hinzu kommen etliche Passagen, die eine biedere Bürgerlichkeit widerspiegeln und so vielleicht auch dem damaligen Zeitgeist entsprechen. Insofern sind die »Briefe in die chinesische Vergangenheit« natürlich auch ein hervorragendes Zeugnis der 80er Jahre in der BRD.

 

Interessant sind zudem die logischen Widersprüche in der Handlung. So bleiben zunächst durchaus vorhandene Möglichkeiten, dem Zeitreisenden Überblicke über die Entwicklung der vergangenen Jahrhunderte zu geben, ungenutzt. Das erkundbare Wissen über China ist erschreckend gering. Erwartete Kommunikationshilfen wie etwa ein Wörterbuch kommen nicht zum Einsatz.

Dafür aber darf Kao-tai erotische Abenteuer erleben, deren Erregungslevel gut in das brave Ambiente des gesamten Romans passt.

Vermutlich wollte Rosendorfer auch gar keine stringente Erzählung über das Überleben in unserer Zeit liefern. Der Fokus liegt auf der Satire, auf der Bloßstellung diverser gesellschaftlicher Probleme.

So muss man die einzelnen Briefe wohl eher als Glossen zu diesen speziellen Themen lesen, ähnlich den Friseursitzungen in C. U. Wiesners Friseur Kleinekorte.

 

Zur Zeit seiner Erstveröffentlichung wird der Roman durch seine aktuellen Bezüge vergnüglich zu lesen gewesen sein. Der Erfolg des Romans und seine bis heute anhaltende Popularität deutet darauf hin, dass es Rosendorfer durchaus gelang, damit eine dankbare Leserschaft zu finden.

Durch die literarische Verschleierung wirkt die Gesellschaftskritik aber auch irgendwie zahnlos und brav. Anspruchsvolle Späßchen für den Salon und keine griffigen Parolen für die Friedensbewegung oder AKW-Gegner.

 

Fazit:

Herbert Rosendorfers kritischer Blick auf seine Gegenwart offenbart die langweilige und erschreckend kleingeistige Spießigkeit, die die alte Bundesrepublik in den 80gern ausstrahlte.

So brisant »Briefe in die chinesische Vergangenheit« zu seinem Erscheinen gewesen sein mag, so farblos erscheint das Buch heute.

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Buch:

Briefe in die chinesische Vergangenheit

Autor: Herbert Rosendorfer

Taschenbuch: 366 Seiten

dtv, 1. März 1986

 

ISBN-10: 3423105410

ISBN-13: 978-3423105415

 

Erhältlich bei: Amazon

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Erstellt: 25.11.2015, zuletzt aktualisiert: 06.10.2023 09:48, 14197