Das dunkle Museum (Autor: Uwe Voehl und Marcus Richter)
 
Zurück zur Startseite


  Platzhalter

Das dunkle Museum

Autor: Uwe Voehl und Marcus Richter

 

Auf dem nichtssagenden Plakat direkt vor dem alten Fachwerkhaus, das sie soeben mit der Reisegruppe besichtigt hatte, stand: „GEWALT Manifestationen – Entstehen einer Ausstellung“. Doch sie hatte den Namen des Künstlers bereits vergessen, als sie den Eingang betreten und vor der menschenleeren Kasse stand. Freier Eintritt. Auch gut, wo alles und jedes teurer geworden war. Sie steckte die VOGUE, mit der sie sich draußen Luft in der flimmernden Sommerhitze zugewedelt hatte, zurück in ihre Shopping-Bag. Hier drinnen herrschte eine angenehme Kühle, wie sie sie seit Stunden nicht erfahren hatte. Sie war nassgeschwitzt bis auf den BH. Es war eine blöde Idee gewesen, sich der Reisegruppe anzuschließen, anstatt auf Siegmar im Hotel zu warten, bis der seinen noch blöderen Geschäftstermin erledigt hatte.

Zögernd machte sie ein paar Schritte vorwärts. Vielleicht war die Ausstellung noch gar nicht eröffnet. Jedenfalls war kein Mensch zu sehen. Aber dann hörte sie von irgendwoher Stimmen. Sie ging den Stimmen nach, wobei sie das Gefühl hatte, etwas Verbotenes zu tun. Die Stimmen schienen zu streiten. Sie hörte eine sehr laute, männliche Stimme heraus, und eine zweite, die von einer Frau zu stammen schien. Vielleicht der Künstler, der mit irgendjemanden stritt. Die Frau schrie auf, doch der Schrei ging augenblicklich in ein fast lustvolles Stöhnen unter. Ellen spürte, wie ihre Erregung wuchs.

Die Erregung fiel in sich zusammen, als sie in einen Raum trat und den Ursprung der Stimmen erkannte. Auf der Betonwand lief ein flimmernder Schwarz-Weiß-Film. Er zeigte eine auf einem Bett gefesselte Frau, die von zwei maskierten Männern in die Mangel genommen wurde. Der Soundtrack dazu kam aus versteckten Lautsprechern. Doch ebenso wie die verwackelten Schwarz-Weiß-Bilder, auf denen kaum etwas Konkretes zu erkennen war, waren auch die Stimmen zu verzerrt, um sie zu verstehen. Allein die Schreie waren unmissverständlich.

Kunst oder nicht, derartige Widerwärtigkeiten wollte sie sich nicht anschauen. Sie drehte sich um und suchte den Ausgang, als eine Stimme sie aufhielt:

„Sie wollen doch nicht schon wieder gehen?“

„Wenn Sie nichts dagegen haben.“ Ihr forscher Ton war einstudiert. In Wahrheit war sie irritiert. Sie konnte den Mann, der sie angesprochen hatte, in dem diffusen Dunkel kaum ausmachen. Er stand im Schatten, doch im nächsten Moment trat er vor, so dass der Film teilweise auf ihn drauf projiziert wurde. Die sich bewegenden, schwarz-weißen Filmbilder vermischten sich mit seinen Konturen.

„Schade“, sagte der Mann. „ich hätte sie gern durch meine Ausstellung geführt.“

„Ihre Ausstellung?“

Er machte eine weitausholende Geste. „Alles noch im Aufbau. Sie wird erst in ein paar Tagen eröffnet.

Na prima, dann hatte sie ja wenigstens einen Grund, gleich wieder zu verschwinden.

„Ich – ich interessiere mich nicht für so etwas“, sagte sie. Das Wort Kunst wollte ihr nicht über die Lippen kommen. Sollte er sie meinetwegen für eine dumme Kuh halten, aber sie setzte hinzu: „Mein Kunstverständnis hört bei den Impressionisten oder so auf.“

„Tja dann. Kann man wohl nichts machen. Schade.“

Sie konnte es kaum glauben, dass er sie so einfach aus seinen Fängen entließ. Und sie hatte schon befürchtet, sich auf irgendeine langatmige Diskussion mit ihm einlassen zu müssen. Andererseits: So einfach entlassen zu werden, gefiel ihr auch nicht. Ihr fiel etwas an ihm auf, und sie sagte es:

„Wie ein Künstler sehen Sie gar nicht aus.“

„Wie sehen denn Künstler – Ihrer geschätzten Meinung nach - aus?“

Nahm er sie auf den Arm? Ihr fiel ihr eigener Widerspruch auf: Wenn sie behauptete, nichts von Kunst zu verstehen, wie sollte sie dann wissen, wie ein Künstler aussah? Jedenfalls nicht wie er: Sein Anzug war mindestens von BOSS. Seine Krawatte war eindeutig Hermès und seine wildledernen leichten Schuhe irgendein italienisches Fabrikat. Künstler hatte sie sich immer in ölfarbenverschmierten Overalls vorgestellt. Mit langen Haaren oder kahlgeschorenem Schädel, während ihr Gegenüber einen modischen Kurzhaarschnitt bevorzugte. Er erinnerte sie an George Clooney.

Das sagte sie ihm natürlich nicht. Sie fühlte sich nicht wohl. Vielleicht war es die Kälte. Sie spürte, wie sie fast ein wenig taumelte. Nicht auch das noch!

„Geht es Ihnen nicht gut?“, fragte er besorgt.

„Doch, es geht schon. Bloß die Hitze, wissen Sie. Sie würde doch hier keinen Schwächeanfall kriegen. Das hätte ihr gerade noch gefehlt. „Und hier drinnen ist es so kühl.“ Wie in einem Leichenschauhaus, setzte sie in Gedanken hinzu.

Die Schreie der Frau in dem Film waren inzwischen verstummt. Gottseidank. Aber dann begann der Film von Neuem. Widerwärtig.

„Ich gehe jetzt“, sagte sie.

„Ich denke, sie haben Recht. Gehen Sie!“, sagte ihr Gegenüber und lächelte freundlich.

Sie drehte sich um und suchte den Ausgang.

Sie hatte geglaubt, erst durch einen langen Flur gegangen zu sein.

Große, dunkle Vorhänge hatten von den hohen Wänden herabgehangen. Dahinter eine vage Erinnerung von Licht, das kaum durch den schweren Stoff hatte hindurch dringen können, Öffnungen wie Zirkuseingänge.

Immer wieder waren die Stoffvorhänge von Teilen von schmutzigem Mauerwerk

unterbrochen worden, halbe Türen, teilweise von dem Stoff verhangen, der sich

dann wieder scheinbar endlos in die Tiefe des Raumes hineinzog.

Das Gefühl der Desorientierung wurde jetzt stärker. Etwas benommen stützte

sie sich mit der Hand an einem kalten Stück Mauer ab und massierte ihre Stirn.

 

Warum war es hier nur so kalt? Sie blinzelte mit den Augen und nestelte an

ihrer nassgeschwitzten Bluse herum. Der Stoff war dünn und kalt und hatte sich

wie ein eisiger Umschlag gegen Fieber an ihre Haut geschmiegt. Sie zog den

kalten Stoff von ihrem Brustkorb fort und atmete erleichtert auf. Jetzt ging

es besser. Sie fühlte sich immer noch ein wenig benommen und sie zog die

Augenbrauen wütend zusammen, weil sie so dumm gewesen war, hier herein zu gehen.

`Kunst? ´, sie versuchte hämisch zu lachen. Dass sie nicht lachte! DAS sollte

Kunst sein?

“DAS?“, sagte sie sehr laut. Sie schüttelte mit dem Kopf und versuchte sich

grade hin zu stellen. Ihre Hand berührte das Mauerwerk und zuckte zurück. Das Gestein war so kalt wie die Luft, die sie einatmete und sie fragte sich wütend, warum sie denn nicht ihren eigenen Atem sah, wie er vor ihren Augen kondensierte. Das hätte einfach wunderbar gepasst! Draußen der heißeste Tag des Jahres und sie hing hier rum mit einer durch geknallten Kreuzung zwischen Andy Warhol und einem Bankkaufmannszögling, dem man so viel Geld in seinen zugekniffenen Arsch geschoben hatte, bis er geglaubt hatte, seine verdammten SadoMasoPhantasien, die er sich wahrscheinlich online aus Brasilien zuschicken ließ, würden als Postmoderne Kunst durchgehen.

THE END OF ART!,

Sie kicherte in sich hinein. „Alles ist Kunst“, hörte sie fast den Kunstdozenten an ihrer Hochschule. Am liebsten wäre sie jetzt gleich in eine seiner beschissenen Vorlesungen hereingeplatzt und hätte ihm ins Gesicht gespuckt und ihn gefragt, ob DAS Kunst war. Nein, sie hätte ihn vor dem versammelten

Studentenrat nackt ausgezogen und es ihm ordentlich mit der Reitpeitsche gegeben, während sie dabei onanierte und eine Ledermaske trug und hohe Lackstiefel.

„Was will uns der Künstler damit sagen?“, hätte sie geschrien.

„WAAAS?“

Sie fühlte sich plötzlich wieder klar im Kopf. Ihre Augen glitzerten

herausfordernd und sie fühlte sich wieder wie damals, als dieser bescheuerte

Blondschopf Frank-Peter ihr an den kurzen Rock und den kleinen Arsch hatte gehen wollen.

An IHREN kleinen Arsch! Und sie hatte ihm mit dem rechten Knie eins zwischen

seine Beine gegeben, dass das Geläut nur so geklingelt hatte. Und vor dem

Direktor hatte sie geschrien, wie eine Furie und ihn gefragt, was er sich denn

einbilde, ob er vielleicht auch an den ihren kleinen Arsch fassen wollte –

da hatte die Sekretärin den Raum verlassen und der Direktor hatte angefangen zu stottern und erst den Knoten seines Schlipses geöffnet und ihn gleich wieder hastig geschlossen.

Sie lächelte plötzlich und strich sich das dunkle Haar zurück. Sie

umklammerte ihr kleines Shopping-Bag wie eine lederne Keule. Sie betrachtete es etwas enttäuscht, aber sie sah, wie die Knöchel ihrer Hand wie kleine, weiße Eisberge aus ihrem Handrücken hervorstachen. Das ist nur die Spitze des Eisberges, dachte sie grimmig. Und sie drehte sich um und stampfte zurück in Richtung der schreienden Stimmen. Ihr hübsches Gesicht war wie eine Faust

zusammengeballt.

Die Stimmen wurden lauter.

„Gewalt –Manifestationen?“, zischte sie.

„Ich werde dir gleich zeigen, was sich hier manifestiert!“

 

Als sie den Raum betrat, hatte der Film gerade wieder von vorn begonnen. Die

beiden Männer mit den ledernen Masken waren noch nicht zu sehen. Sie sah

die junge Frau, wie sie auf das Bett gefesselt lag, die Beine und Arme gespreizt, über dem Gesicht ein seidenes Tuch. Sie beobachtete ihren Körper

angewidert. Ihre Brüste hingen etwas unvorteilhaft zur Seite, die Haut ihrer

Oberschenkel war ein klein wenig unregelmäßig. Sie dachte darüber nach und schüttelte den Kopf. Sie wollte sich jetzt nicht in den Schritt greifen, um die durchgeschwitzte, kalte Jeans von sich zu lösen.

Sie schaute sich um.

„Hey Andy, Gott ist am Telefon!“ Aus den Lautsprechern kam ein Rauschen, als hätte jemand nicht den richtigen Radiosender gefunden. Sie betrachtete

wieder die Leinwand. Die junge Frau bewegte sich nicht. Warum schrie sie nicht,

warum riss sie nicht an ihren Fesseln? Wollte sie es etwa?

Sie konnte sich nicht vorstellen, dass sie DAS wollte. Sie mussten sie

bezahlt haben, unter Drogen gesetzt, belogen. Sie war nur das Werkzeug ihrer

widerwärtigen Phantasien. Und wer wusste schon, was sie ihr erzählt hatten.

Wahrscheinlich hatten sie ihr erzählt, dass sie einfach nur ruhig liegen bleiben

sollte, dass sie sie nur filmen wollten, und dass sie die Kamera so aufstellen

würden, dass sie ihr in die –

Sie wollte nicht weiter denken. Sie wusste nicht, was sie ihr erzählt hatten

und es war ihr auch egal. Das, was sie sah, war bereits geschehen. Es war

Vergangenheit, abgeschlossene Vergangenheit. Sie würde dem Mädchen nicht mehr helfen können. Selbst wenn sie es wollte. Wütend stemmte sie die Fäuste in die Hüften.

Diese miesen, kleinen Wichser!

Als sie sah, dass die Männer mit den Masken auf der Leinwand erschienen,

hätte sie sich beinahe übergeben. Sie sahen abstoßend aus, sie waren älter, ihre Haut war uneben, faltig, nur die Haut ihrer Bäuche war straff und weiß. Ihre

Unterarme waren von dickem, schwarzem Haar überwuchert. Auch ihre

Oberschenkel, ihre Waden. Ihre Hände waren groß, fast einschüchternd groß. Sie gingen um das Bett herum und sprachen miteinander. Sie ging näher an die Boxen heran.

Sie versuchte zu verstehen, was sie sagten. Doch das Rauschen war zu stark.

Es war, als wäre das Rauschen lauter als vorher, als hätte man es extra

lauter gedreht, damit man nicht verstand, was die Männer in den Masken sprachen.

Unter den Masken konnte sie ihr widerliches Grinsen erkennen. Sie lachten!

Mit ihren fetten Mündern lachten sie, dass das Fettgewebe unter ihren breiten

Kiefern hin und her schwabbte. Dann kniete sich einer der beiden auf das

Bett. Sie konnte seinen fetten Hintern sehen und ihr entfuhr ein Laut der

Entrüstung, als sie sah, wie er die junge Frau streichelte, wie er aufsah, mit dem anderen Kerl sprach, wie sein Oberkörper vor Lachen vibrierte.

Jetzt reichte es! Sie packte einen der Lautsprecher. Sie riss daran. Das Kabel war mit kleinen Plastikhaken an der Wand befestigt.

Sie nickte und grinste.

OK!

Mit ihrem ganzen Gewicht lehnte sie sich zur Seite, hing kurz schräg in der

Luft. Sie wollte vor Wut aufschreien! Dann gaben die Befestigungen nach. Sie

stolperte vorwärts, die Box umklammernd und hörte, wie die Plastikhaken wie

Maschinenpistolenfeuer aus der Wand ploppten. Das Kabel waberte wie das

Verbindungskabel eines abstürzenden Heißluftballons durch die Gegend.

Das Gewicht der Lautsprecherbox wollte sie nach vorne reißen! Sie sah sich

schon, wie sie stürzte, auf die Box, auf ihre Hände, mit denen sie die Box

umklammert hielt und sie konnte schon fast hören, wie ihre Handgelenke dabei

brachen.

Ihre Hände ließen die Box los. Sie schlug ihr erst auf die Oberschenkel,

rutschte nach vorn – sie versuchte zu springen, irgendwie stehen zu bleiben, die Box mit den Händen von sich zu stoßen, mit den Knien – alles auf einmal! Die Lautsprecherbox schlug ihr mit aller Wucht gegen das rechte Schienbein. Sie schrie auf, stürzte.

„Verdammte Scheiße!“

 

Sie hörte das laute Rauschen aus dem Lautsprecher neben sich und rieb sich

stöhnend das Schienbein. Wenn sie die Augen schloss, wirkte das Rauschen fast beruhigend. „SCHSCHSCHSCHSCHSCH---“, machte es.

„SCHSCHSCH.“

Stöhnend versuchte sie das Geräusch nach zu ahmen. Es war so beruhigend!

„Schschscht.“ Ihre Hände umklammerten ihr Schienbein so fest, dass die

Knöchel ihrer Hände jetzt sicher wie kleine weiße Eisberge aus den Handflächen

herausragten. Sie lag da, ihre Beine an ihren Oberkörper herangezogen, den Kopf vorgebeugt, mit den Lippen auf ihren Knien. Ihr warmer Atem drang durch den Leinenstoff hindurch, bis auf die Haut. Sie wischte mit ihrer rechten Wange über den warmen und feuchten Stoff und lauschte dem Rauschen.

„Sehen Sie, wie sich in ihnen die Gewalt manifestiert hat?“

Sie öffnete plötzlich die Augen. Der Mann in dem teuren Anzug hob vorsichtig

die Lautsprecherbox vom Boden auf und stellte sie zurück auf den kleinen,

handgeschweißten Metalltisch.

„David Hume hat einmal sehr treffend über den Unterschied von menschlichem

Verstand und tierischem Instinkt gesagt: >Die Instinkte mögen verschieden

sein, aber es ist doch ein Instinkt, der den Menschen lehrt, Feuer zu meiden –

gerade so, wie der den Vogel mit solcher Genauigkeit in der Brutpflege

unterweist und in der ganzen Einrichtung und Ordnung bei der Aufzucht der Jungen. <“

Er drehte sich um und betrachtete sie, wie sie zusammengekauert auf dem

kalten, steinernen Fußboden lag und ihr Knie umklammert hielt.

„Hat Ihnen etwa Ihr Verstand nicht gesagt, dass sie diese Ausstellung

verlassen möchten, weil ihnen `heiß´ war, weil es hier nach Feuer riecht?“

Sie ließ ihr Knie los und schob ihm trotzig ihr kleines, gestähltes Kinn

entgegen.

„Was erzählst du hier für eine Scheiße?!“

Der Mann lächelte freundlich und verschränkte die Arme hinter dem Rücken.

„Sehen Sie“, sagte er und drehte sich wie ein aufmerksamer Kunstliebhaber

zu der hell erleuchteten Leinwand um. „wenn Hume Recht hatte, dann wären

Verstand und Instinkt ein und dasselbe. Eine entweder angeborene oder auf eine

andere Art erworbene Ansammlung von Erfahrungen, die zur Entscheidungsfindung

führen.“

Er drehte sich um und schritt schnell auf sie zu. Sie versuchte zurück zu weichen. Er kniete sich zu ihr hin, führte den Finger zu seinen Lippen. Sein

ruhiger Blick machte sie schläfrig.

„Wenn der erste Instinkt sie veranlasste, das Museum zu verlassen, und das

wollten Sie, was veranlasste sie dann, zurück zu kehren? War das der

Verstand?“ Er tippte sich mit dem Finger an die Stirn.

“Oder war es ein Instinkt, vielleicht irgendein anderer –“, er legte den

Finger wieder an seine Lippen. „INSTINKT“ Seine Nasenflügel öffneten sich vor

ihrem Gesicht sehr weit, als würde er sie riechen. „Ein Instinkt, der den

Instinkt der Flucht überlagerte. Der Jagdinstinkt?“

Sie ließ ihr Knie los, beugte sich vor und kam seinem Gesicht sehr nahe.

Ihre Nasenflügel öffneten im selben Takt, wie die seinen. Ihr Brustkorb hob und senkte sich. Ihre Pupillen zuckten. Sie versuchten in seinem ruhigen Blick

einen Angriffspunkt zu finden, eine Spalte, eine Kerbe – eine Ritze, ein Atom,

das fehlte. Sie wollte ihre Wut wie ein Brecheisen in diese freie Stelle rammen und ihn aufbrechen – IHN!

„Wo war ihr Verstand?“, fragte er und lehnte sich unerwartet gelassen

zurück.

Sie war verwirrt.

„Sagte Ihnen etwa Ihr Verstand, dass DAS keine Kunst ist?“, er deutete

flüchtig hinter sich.

„Es ist widerlicher –“, sie überlegte. Was konnte sie sagen? Ihre Hände zitterten. Sie sah, dass er sah, dass ihre Hände zitterten.

„Das ist krank!“, zischte sie wütend hervor.

„Weil es nicht –“ – er öffnete fragend die Augen.

„Weil es widerwärtig ist und abstoßend und – KRANK!“

„Das sagt ihnen ihr Gefühl. Aber was sagt ihnen ihr Verstand?“

„Dass sie auch krank sind!“ Sie versuchte auf zu stehen. Ihr Knie schmerzte

nicht mehr. Es fühlte sich taub an. Seine Hand packte sie plötzlich an ihrem

Oberarm und zog sie leicht empor. Warum versuchte sie nicht, sich los zu

reißen, warum schrie sie nicht, warum trat sie ihm nicht in seine gottverdammten Eier?!!

„Ja“, sagte er sehr ruhig.

Das verwirrte sie noch mehr. Hatte er damit gesagt, dass er krank war? Oder

hatte er damit einfach nur gesagt - ?

Er drehte den Kopf ein wenig zur Seite.

„Frank! Bringst du das hier mal in Ordnung?“ Sein Kopf drehte sich zu ihr

zurück und plötzlich konnte sie das sehr starke Parfüm riechen, das er trug.

Sie blinzelte. Neonröhren begannen zu flackern – ein paar Sekunden – sie kniff die Augen zusammen. Als sie sie wieder öffnete, war es plötzlich taghell in dem Raum. Ein Mann in blauem Overall kniete an der Wand und hielt einen

Akkuschrauber in der Hand. Gelassen befestigte er wieder das Boxenkabel.

„Frank kennt das schon“, sagte der Mann und lächelte. „In München haben sie uns fast das ganze Mobiliar zerschlagen.“ Er schüttelte mit dem Kopf.

„Phantastisch.“

Sie schaute ihn fragend an.

„Kommen Sie. Ich führe Sie herum.“

Er ließ sie los und schritt auf eine der Wände zu, die von dem schweren,

dunklen Stoff verhangen war. Wie einen Vorhang schob er den Stoff beiseite.

Dahinter war gar keine Wand. Es war ein anderer Raum. Der Stoff war nur ein

Raumteiler. Sie blickte sich um, sah nach oben. Die Neonröhren blendeten sie.

Wie lang waren diese Stoffvorhänge?

„Kommen Sie“, sagte er und winkte ihr lächelnd zu. Sie betrachtete den Mann

im Overall, wie er das Boxenkabel gelassen an der Wand befestigte.

Dann folgte sie ihm.

 

Sie musste sich bücken und sie streckte ihren Kopf vorsichtig nach vorn,

wollte es sehen, wollte alles sehen. Seine Hand hob den Stoff, sein Arm und sein Körper waren wie eine Tür, eine Öffnung in dem schweren, dunklen Stoff. Sie trat durch ihn hindurch. Es war ihr, als sie so den neuen Raum betrat, als

wäre er das Spiegelbild des vorherigen Raumes. Ihr Kopf hob sich, sie schaute

an seiner Brust empor –

Er sah sie an. Hatte er sie nicht ebenso im vorherigen Raum angesehen?

Hatte sich alles gedreht? Sie umfasste nervös ihren Oberkörper, blieb

unschlüssig stehen und sah sich um. Wieder dieser dunkle, schwere Stoff, der von der Decke in langen Faltenwürfen herabhing, von der Decke heller Neonröhrenschein.

Es war kalt. Sie presste ihr kleines Schopping-bag unter ihre Achselhöhle

und spürte das warme Gefühl, das sich dort ausbreitete, über ihre Schulter,

ihren Rücken, einen Teil ihrer Brüste, ihrem Hals. Es endete an ihrer Hüfte, wo

es sich mit der Kälte des Fußbodens vereinigte, die über ihre Füße ihren

Körper empor kroch. Die Kälte wollte sie überwältigen.

„Es ist kalt hier“, sagte sie.

„Ja“, sagte er und ließ den Stoff hinter ihr zu Boden sinken.

Er trat an ihr vorbei, mitten in den Raum hinein. Sie sah ihn an und hatte

ein Gefühl, als wäre er der feste Mittelpunkt dieses Raumes, Schwerpunkt,

alles floss auf ihn zu.

Er drehte sich und sie drehte sich mit ihm.

„Ich nenne diesen Raum „Improvisation“!“, sagte er und streckte seine Arme

nach beiden Seiten von seinem Körper fort. Seine Arme knickten wie die eines

Bodybuilders, sein Gesicht wurde ernst, seine Hände nahmen eine kreative,

ineinander verschlungene Form an, seine Finger bewegten sich langsam und

Krallenartig.

Er schloss die Augen und atmete meditativ ein –

Und auuuuus -

„Improvisation“, sagte er noch einmal sehr langsam.

„Sie können sich nicht vorstellen, was sich hier alles abgespielt hat. Diese Wut, diese Aggressionen! Prügeleien, Bisse, Schnitte, Kinder, die ihren Müttern wie wild an die Schienbeine traten, die wiederum rissen ihnen die Haare aus! Männer lagen sich hier wie wilde Wölfe in den Armen, die Zähne ineinander geschlagen, zerrissene Kleidungsstücke neben jungen Frauen, sich auf dem Boden windend, auf ihnen Männer, die sie mit ihrem Gewicht niederdrücken, sich auf sie pressen, das Geräusch von langen Fingernägeln, wie sie panisch über den Betonboden kratzen und wegbrechen.“

Er klatschte langsam und taktvoll in die Hände. Das Geräusch schien von

überall wider zu hallen.

Er schloss die Augen und legte den Kopf in den Nacken.

„Das klatschende Geräusch von schweißnassen Händen auf angstschweißnassen Gesichtern! Die Schreie – “

Seine Hände blieben plötzlich still ineinander. Sein Kopf richtete sich wie

die Zielscheibe auf einem Rummelplatz auf.

„Ich nenne es den Improvisationsraum“, sagte er.

„In München hatten wir noch keinen Improvisationsraum.“

Sie öffnete fragend die Augen.

„Haben Sie sich jemals gefragt, was die meist gewählte Raumaufteilung in

Kunstgalerien ist?“

Er nickte.

„Der Parcours. Der Weg, der sie auf dem kleinsten Raum mit dem kürzesten Weg über alle Hindernisse führt, ohne dass sie ein Hindernis zweimal überspringen müssen.“ Er hatte die lächerliche Stellung eines Jockeys eingenommen.

„Und warum?“, fragte er.

Sie schüttelte den Kopf.

„Um Aggressionen abzubauen! Die meisten Künstler wissen nämlich, dass man

manche ihrer Bilder höchstens zwei Mal ansehen kann, ohne dabei laut auf zu

schreien und sein Galerieheftchen zu zerreißen oder damit auf die Frau neben

sich einzuschlagen“, er leckte sich die Lippen als bereite er sich auf eine

besondere künstlerische Darbietung vor. –„WEIL SIE SO VERDAMMT FETT IST!“, schrie er sie plötzlich an.

Sie schreckte zurück. Die Kälte des Fußbodens hielt jetzt ihren gesamten

Unterleib in seiner eisigen Umarmung.

„Oder weil sie sich das Bild so genau ansieht“, sagte er wieder sehr ruhig.

„Oder weil er versteht, was sie sagt, weil sie über das Bild spricht und weil er genau dasselbe gesagt hat – ALS ER HIER SCHON VOR EINER STUNDE

VORBEIKAM!“

 

„Entschuldigung“, sagte er lächelnd. „Ich habe so etwas schon so oft gesehen.“ Er schüttelte mit dem Kopf. Sehr überwältigt von seiner eigenen

Darbietung steckte er die Hände in die Taschen seiner bequem geschneiderten Hose und sah sich abschätzig um. „Naja, solche Probleme wie in München sollten wir jetzt nicht mehr bekommen.“

Wie als ob sie etwas sagen wollte, öffnete sie den Mund und sog die Luft in

ihre Lungen. Sie schloss den Mund, hielt die Luft an. Dann ließ sie sie

langsam und laut aus ihren Nasenflügeln entweichen.

„Ja“, sagte er und nickte. Er ging zur Wand hob den schweren, dunklen Stoff

in die Höhe.

„Das könnte ihnen gefallen“, sagte er.

Sie drehte sich um und überlegte, aus welcher Richtung sie gekommen war.

Hinter sich hörte sie noch das leise Rauschen der Musikanlage und das leise

Surren des Akkuschraubers. Als sie zur anderen Seite des Raumes ging, betrachtete sie neugierig den Fußboden. Sie suchte nach Blutflecken, obwohl sie wusste, dass die Ausstellung noch gar nicht begonnen hatte. Sie betrachtete den Fußboden trotzdem. Es fühlte sich seltsam an, über diesen kalten, schmucklosen Betonfußboden zu gehen. Er trug etwas Mystisches in sich. Als sie den Blick hob, war sie am anderen Ende angelangt. Sein Arm hielt den Vorhang.

Sie bückte sich und schritt durch ihn hindurch.

Als sie sich wieder aufrichtete lächelte er sie schon an.

 

„Ich bin immer wieder selbst überrascht, was der nächste Raum zu bieten

hat“, sagte er lächelnd und trat an ihr vorbei, in den Raum hinein.

„Ah!“, wieder diese weitausholende Geste mit der rechten Hand. „Das

Mittelalter. Ich weiß nie genau, wo es anfängt und wo es endet.“ Er ging zu einem kleinen handgeschweißten Metalltisch und nahm einen kleinen Kupferstich in die Hand. Sie musste die Augen zusammenkneifen, als er es ihr hinhielt.

„Sehen Sie diese Präzision?“, fragte er sie sehr überzeugt.

„Eine sehr schöne Arbeit“, sagte sie anerkennend.

„Diese Gradlinigkeit, diese PRÄSENZ.“

„Ist das Dürer?“, fragte sie etwas unsicher.

„Was?“, er nahm ihr das Bild aus der Hand und betrachtete es lange.

„Wie kommen Sie darauf, dass das Dürer sei?“

„Gradlinigkeit und“, sie schluckte. “Präsenz.“

„Nein“, er hielt ihr wieder das Bild hin. „Sehen Sie doch genau hin.“

Sie hielt das Bild gegen das Licht. Bis jetzt hatte sie nicht näher darauf

geachtet, was auf dem Bild dargestellt wurde. Es musste eines der üblichen

Heiligenver –

Mein Gott! Sie sah auf, sie sah ihm ins Gesicht. Er nickte eifrig. Sie sah

wieder auf das Bild, wieder in sein Gesicht.

„Nicht wahr?“, sagte er. „Faszinierend. Diese Allgegenwärtigkeit der Gewalt.“ Er ballte seine Hand zur Faust. „Diese“, er schien nach den richtigen Worten zu suchen.

„Diese Schöpferkraft!“

Sie betrachtete das Bild, während er weitererzählte.

„Angeblich wurde es nach Original Kriegszeichnungen von Napoleons

Russlandfeldzug gestochen.“ Er deutete auf das Bild. „Sehen Sie die Genauigkeit bei der Darstellung der Uniformen? Hier – solche Wundbrandspangen haben nur französische Militärärzte verwendet. Sehen Sie, dass sie etwas schräg hängt, als wäre sie nicht korrekt befestigt worden? Das liegt daran, dass die Ärzte mit dem Haupttrupp mitzogen, während dieser Mann zu den Spähtruppen gehörte, die jeweils im Norden und Süden die Flanken verstärkten. “

Sie schüttelte mit dem Kopf. „Was wird mit ihm –“

„Sehen Sie sich das an!“, er deutete in die obere linke Ecke. „Sehen Sie,

das soll eine Stadt sein.“ Sie kniff die Augen noch mehr zusammen. Fast wollte das Bild vor ihren Augen verschwimmen.

„Aber das ist nicht Moskau.“ Er schien völlig aufgeregt zu sein. „Diese

kleinen Türme hier, sehen die für Sie aus wie Zwiebeltürme?“ Sie schüttelte

verwirrt mit dem Kopf.

„Sehen Sie bitte genau hin!“ Er drückte ihr das Bild wieder in die Hand.

„Es ist so klein“, flüsterte sie. Ihre Stimme begann zu schwanken. Sie

versuchte zu erkennen, ob er Recht hatte. Oh Gott, es waren –

Er nickte. „Pagoden. Es sind chinesische Pagoden. Und es ist eine Großstadt,

das erkennt man daran, dass mehr als drei große Gebäude dargestellt werden.“

„China?“, frage sie ungläubig. Ihre Augen schmerzten. „Napoleon?“

Er schüttelte mit dem Kopf. „Nicht Napoleon. Jean-Baptiste de Godart. Er

wurde gleich zu Beginn des Feldzuges mit seiner Kompanie versprengt. Angeblich wurde er wahnsinnig und machte aus der Kompanie eine fünftausend Mann starke Armee, aus Franzosen, Russen, Schweden und was weiß ich noch alles. Er soll das Ziel gehabt haben, China zu erobern. Und das –“

Er stellte den Kupferstich ehrfurchtsvoll zurück auf den kleinen

Metalltisch.

„Das ist der einzige Beweis.“

„Aber Sie haben ihn“, sie fasste sich an die Stirn. Ihre Hand war eisig, ihre Stirn brannte.

„Gepfählt, meinen Sie?“

Sie nickte.

„Ja. Seine eigenen Männer müssen ihn gepfählt haben. Die Chinesen hätten ihn vielleicht in siedendes Öl getaucht, sie hätten ihm vielleicht die Haut

abgezogen, aber Pfählen –“, er schüttelte mit dem Kopf.

„Nein“, sagte er. “Schließlich war es Godart, der diese Idee erst in den

Fernen Osten brachte.“

„Kommen Sie“, sagte er und nahm sie in seine großen, starken Arme. „Ich

werde Sie stützen.“

„Mir ist kalt“, sagte sie verwirrt und presste sich hoffnungsvoll an seinen

kräftigen Oberkörper. Er blieb stehen und packte sie aufmunternd an ihren

Oberarmen. Er beugte sich wie ein Trainer zu ihr herab.

„Ich weiß“, sagte er ruhig und nickte. Dann umfasste er wieder ihre

Schultern und ging mit ihr zu einem der dunklen Vorhänge.

„Möchten Sie raten, was uns als nächstes erwartet?“, fragte er sie neugierig

und legte seine Hand auf den Stoff.

Erschöpft legte sie ihre kalte Hand auf seine warme Brust.

„Also ich würde mal sagen –“, mit einer weitausholenden Geste drückte er den

Stoff beiseite und eröffnete kurz den Blick in den dahinter liegenden Raum.

Sie konnte einen Stuhl sehen und einen Tisch. Sie blinzelte mit den Augen.

Ein Käfig?

Etwas bewegte sich in dem Käfig!

Seine Hand riss den Stoff zurück.

„Ach“, er drehte sie herum führte sie in die entgegengesetzte Richtung.

„vielleicht ist das doch nichts für Sie.“

„Was war das für ein Käfig?“, fragte sie.

Er winkte uninteressiert mit der Hand ab. „Irgendein Käfig.“

„Lieben Sie vielleicht Käfige?“

Sie schüttelte mit dem Kopf. Seine Hand schob den nächsten Vorhang bei

Seite.

„Dann gefällt ihnen vielleicht das!“

 

Der Vorhang öffnete sich und plötzlich drehte sie sich zur Seite und erbrach

sich auf den Boden.

Er streichelte ihr den Nacken und drehte sich um.

„Frank? Bringst du das hier mal in Ordnung?“ Der Mann in dem blauen Overall

kam mit einem Eimer und einem Lappen und kniete sich wortlos auf den Boden.

„Ich kann nicht mehr“, flüsterte sie. Alles um sie herum begann sich zu

drehen. Sie sah die dunklen Vorhänge, das gleißende Neonlicht, wie es auf sie

einbrannte, sich in ihren Verstand brannte. Ihre Augen tränten. Alles

verschwamm.

Sie riss sich aus seinem Griff los und taumelte zur Seite. Ihre Hände

suchten einen Halt. Sie krallten sich in den dunklen Stoff zu ihrer Seite.

Der Stoff gab nach. Sie fiel, hörte Stimmen und sah auf. Wieder eine

Videoinstallation. Das Bild flimmerte über ihren Körper. Es wurde von der Decke auf den Boden geworfen. Sie versuchte auf zu stehen. Ihre Hände zitterten. Sie fühlte die Bilder fast, wie sie über ihren Körper krabbelten und wie sie in sie eindrangen.

Es war ein heilloses Durcheinander.

Sie betrachtete ihre Haut – und schrie plötzlich auf. Sie taumelte vorwärts.

Sie drehte sich. WOHIN? Sie drehte sich.

Sie fühlte, wie er sie an der Schulter berührte und zuckte zusammen, und

schrie –

Und schrie!

Sie schlug ihm mit ihrer kleinen Faust mit aller Gewalt ins Gesicht.

Seine Hand zuckte zurück. Er betastete fasziniert sein Gesicht. Als er

seine Hand zurückzog, war auf seinem Zeigerfinger ein einziger Tropfen von Blut.

Er lächelte.

„Wie ich sehe, brauchen Sie keine Führung mehr.“

Sie hatte ihre Hände erschöpft auf ihren Knien abgestützt und atmete schwer.

Er ging einen Schritt zurück und legte seine Hand an den Vorhang.

„Rufen Sie mich, wenn Sie etwas finden, was ihr Interesse weckt“, sagte er

freundlich und öffnete den Vorhang.

„Frank? Das Licht.“ Dann verbeugte er sich.

„Nicht der Künstler macht die Kunst“, sagte er. Das Neonlicht flackerte,

dann erlosch es. „Der Betrachter selbst wird zum Künstler, indem er seine

intellektuellen Bestrebungen darauf richtet, einer Banalität einen tieferen Sinn

zu geben.“

Sie sah ihn mit großen, ängstlichen Augen an.

„Das Ziel ist, den Betrachter selbst zur Kunst zu machen. Wenn sich alle

seine intellektuellen Bestrebungen darauf richten, sich selbst einen tieferen

Sinn zu geben, kann er zum Kunstwerk werden, zur Götze, zu GOTT.

Wissen Sie eigentlich, was das bedeutet?“

Sie drehte sich von ihm fort. Sie stolperte. Blieb stehen, zitterte.

„Es bedeutet, dass sie heute die unglaubliche Möglichkeit haben, sich selbst

zu begegnen“, er machte eine weitausholende Bewegung mit der Hand.

„Schauen Sie sich um“, sagte er. „Ich bin selbst immer wieder überrascht,

was der nächste Raum zu bieten hat.“

 

 

Sie erwachte und ihr war so wundervoll warm. Sie versuchte, sich zu

bewegen. Als es ihr nicht gelang, lächelte sie. Durch das seidene Tuch auf ihrem Gesicht, konnte man sehen, wie sie atmete, wie sie lächelte. Da, wo das Tuch ihre Lippen berührte, war es dunkel und feucht. Ihre Zunge drang aus ihrem Mund empor und stieß das Tuch ein wenig von ihren Lippen ab, dass eine kleine Spitze entstand, die erst größer wurde und dann in sich zusammenfiel, als sie tief und genüsslich einatmete.

Sie war so froh, dass das Tuch auf ihrem Gesicht lag und dass sie fast

nichts sehen konnte. Sie wollte nie wieder etwas sehen, nur noch daliegen, DA.

Sie hatte die beiden Männer bereits erwartet. Sie konnte sie durch das

Seidentuch nur schemenhaft erkennen. Sie waren groß und kräftig. Sie redeten

miteinander.

„Hast du eine Ahnung, was wir mit ihr machen sollen?“, fragte einer der

beiden und ging abschätzig um das Bettgestell herum.

„Er hat gesagt, wir sollen unserer künstlerischen Ader freien Lauf lassen.“

Der um das Bett herumging, begann zu lachen.

„Tatsächlich? Wir sollen also UNSERER KÜNSTLERSICHEN ADER freien Lauf

lassen?“, Er setzte sich zu ihr auf das Bett. Seine fast beängstigend großen Hände streichelten ihren Oberarm. Sie versuchte sich unter den Fesseln seinen

Händen entgegen zu drängen.

„Na-Na-Na“, sagte der Mann auf der Bettkante fast überrascht und sah den

anderen an. Sie begannen wieder zu lachen. Plötzlich legten sich seine Hände

wie ein Rosenkranz um ihr Gesicht und pressten es mit dem Tuch in das Kissen

hinein. Ihr Atem blies das Tuch wie einen Luftballon auf.

Im Hintergrund hörte sie ein leises Rauschen, das langsam immer lauter

wurde. Sie begann zu schreien. Das Rauschen wurde lauter. Und durch den Nebel von Schmerz und Begierde hindurch, drang es langsam in ihren Verstand ein, tiefer, bis das Rauschen ganz in ihr war und sie ausfüllte.

Danach war selbst der Schmerz nicht mehr als ein Rauschen.

 

SCHSCH, machte es.

SCHSCHSCHSCHSCHSCHSCHSCHSCHSCH -----------

 

„Sie wollen doch nicht schon wieder gehen.“

Siegmar drehte sich um.

„Ehm“, er kniff die Augen zusammen, um in der Dunkelheit besser sehen zu

können.

„Nein“, sagte er. Er betrachtete fasziniert den Film, der auf einer

großen, weißen Leinwand gezeigt wurde und scheinbar die Vergewaltigung einer jungen Frau darstellte.

„Eins der wenigen Objekte, die ich bereits vollenden durfte“, sagte der

Mann im Dunkeln geheimnisvoll.

Sigmar schüttelte mit dem Kopf.

„Wie haben Sie nur diese ausgezeichnete Bildqualität zustande bekommen?“

Der Mann im Dunkeln lachte.

„Glauben Sie mir“, sagte er. „so was ist heutzutage ganz einfach.“

Plötzlich trat er aus dem Schatten heraus und kam sehr schnell auf Sigmar

zu. Sigmar fragte sich, ob so die Videokünstler von heute aussahen, teure

Anzüge, Markenschuhe. Er war begeistert.

„Darf ich sie ein wenig herumführen“, fragte ihn der Mann freundlich.

Sigmar zuckte mit den Schultern.

„Glauben Sie mir“, sagte der Mann und machte eine weitausholende Bewegung mit der Hand.

 

„Ich bin selbst immer wieder überrascht, was der nächste Raum zu bieten

hat.“

Nach oben

Oje, das hat nicht geklappt, Elfenwerk! 2024042002401340c34d64
Platzhalter

Disclaimer

Die Charaktere dieser Geschichte, sowie alle Handlungen sind geistiges Eigentum des Autors. Alle Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen, Orten oder Handlungen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt. Der Autor verfolgt kein kommerzielles Interesse an der Veröffentlichung dieser Geschichte.

Freigabe zur Weiterveröffentlichung besteht, soweit vom Autor nicht anders angegeben nur für "FantasyGuide.de". Für alle weiteren Veröffentlichungen ist die schriftliche Zusage des Autors erforderlich.


Platzhalter
Platzhalter
Erstellt: 20.06.2005, zuletzt aktualisiert: 26.07.2019 10:10, 462