Das fünfte Imperium (Autor: Viktor Pelewin)
 
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Das fünfte Imperium von Viktor Pelewin

Ein Vampirroman

Rezension von Oliver Kotowski

 

Rezension:

Der neunzehnjährige Roma Schtorkin hatte sich einmal mehr mit seiner Mutter gestritten und war wütend und frustriert durch die Straßen Moskaus gestrolcht. An der Uni war er nicht aufgenommen worden, den Job als Transportkuli hatte er hingeschmissen und neue Aussichten hatte er keine. Da war er auf ein seltsames Angebot gestoßen: Eintritt in die Elite Russlands! Ein Scherz, oder? Roma hat sowieso nichts Besseres zu tun und geht hin. Jetzt erwacht er an eine Sprossenleiter gebunden, vor ihm ein bizarr maskierter Mann im roten Bademantel, der seltsame Fragen stellt. Der vorgibt ein Vampir zu sein – ein Perverser! Denkt Roma. Aber weit gefehlt, Brahma ist wirklich ein Vampir und er sucht einen Nachfolger. Es ist der Loser Roma, der als Vampir Rama II. die Nachfolge antritt und die verborgenen Strukturen der Macht im postsowjetischen Russland erkundet.

 

Roma wird im Moskau des frühen 21. Jh. – vor der Weltwirtschaftskrise – zum Vampir. Zwar trägt sich das gesamte Geschehen in Moskau und der näheren Umgebung zu, doch nur selten stellen sich für den Landeskundigen Aha-Effekte ein: Wie die Vampirgesellschaft aus der menschlichen herausgehoben ist, sind auch die meisten Schauplätze nicht Teil des realen Russlands, sondern fiktive Privaträume. Die Beschreibung der Schauplätze nimmt nicht viel Raum ein; Details werden nur hervorgehoben, wenn sie auch etwas über den aussagen, der sich mit diesen Details inszeniert. Viel mehr Raum nimmt die Darstellung der sozio-kulturellen Konstitution des postmodernen Russlands, besonders dessen Wertekosmos, ein. In mancherlei Hinsicht ist der Roman als Sittengemälde zu verstehen. Mit Einschränkungen auch als Gesellschaftskritik, denn Pelewin greift eine alte Metapher von Karl Marx auf, der den Kapitalismus als Vampir beschrieb, der vor allem die Arbeiterklasse, im geringeren Maße aber auch die anderen Klassen ausbeutet bzw. aussaugt.

Durch die Machttechniken von Glamour und Diskurs lenken die Vampire aus dem Verborgenem die Geschicke der Menschheit: Glamour ist das wünschenswerte, schöne Bild, der Körper und das Ziel, Diskurs ist der Text drum herum, der erklärt, warum man beim Glamour bleiben muss, der Zaun, die Schere im Kopf. Mit diesen Techniken formen sie eine Gesellschaft, in der man stets chic und hip sein muss, in der Schönheit der Form zum Inhalt der ingroups wird – Germany's next Topmodel. Es kommt darauf an, wie man sich verkauft. Und die Vampire wollen die ultimativen Käufer sein – sind sie es auch?

Damit ist das Setting eine Mischung aus Milieu und einer eigenwilligen Form von symbolischer Kulisse.

Die phantastischen Elemente beschränken sich nicht auf die Erklärung, warum die russische bzw. menschliche Gesellschaft ist, wie sie ist, die Vampire selbst bieten ebenfalls Anlass zum Wundern. Vampire sind keine aus den Gräbern steigende, blutlüsterne Untote, sondern mehr oder minder 'natürliche' duale Wesen: Es gibt einen menschlichen Wirt, dem die "Zunge" – der Kern der Urvampire – in dem Hals anstelle der Mandeln implantiert wird. Die Vampire erinnern damit an die Trill aus Star Trek, allerdings bringt die Zunge keine Erinnerungen an frühere Leben, sondern bloß eine Persönlichkeitsstruktur und ein paar spezielle Fähigkeiten mit. Natürlich gehen auch hier die Vampire ihrem Kerngeschäft nach – dem Bluttrinken. Doch es dient nicht der Ernährung, sondern der Kontrolle: Durch den 'Biss' – eigentlich ritzt kein Vampirzahn, sondern eine elektrische Entladung, die von der Zunge erzeugt wird, die Haut – verkostet der Vampir (wiederum mit Hilfe der Zunge) ein paar Tropfen roter Flüssigkeit ("Blut" klingt in Vampirohren schrecklich vulgär) um daraus die Erinnerungen des Opfers zu lesen. Mit allerlei alchemistisch anmutenden Destillaten können die Vampire sich zeitweilig stark ausgeprägte Talente aneignen; hier zeigt sich nicht nur Pelewins Hang zum Trashigen, sondern auch sein Spiel mit der Popkultur: Mit Hilfe eines roten Todesbonbons werden Vampire zu tödlichen Nahkämpfern.

Von diesen Tricks abgesehen sind Vampire normale Menschen – wenn sie zu viel Wodka trinken, werden sie betrunken, trinken sie dann noch mehr, sterben sie an einer Alkoholvergiftung. Besonders witzig ist die Furcht der höchst materialistischen Vampire vor der Religiosität – aber wie alle typisch vampirischen Eigenheiten besteht die Ähnlichkeit auch hier nur in der Form und nicht im Inhalt.

 

Die Figuren sind für einen zeitgenössischen Roman ungewöhnlich dünn ausgeführt, sie bleiben – thematisch passend – eher oberflächlich. Dennoch wird der Eindruck erzeugt, dass sie vielschichtig und rund wären. Das liegt sicherlich an der Kombination aus Wundergeschichte und Erzähler, denn der Erzähler Rama muss einerseits die Vampirgesellschaft kennenlernen und achtet mehr auf diese und die damit verbundenen Wunder und andererseits ist er sowieso unsicher und daher selbst bezogen – selbst als er die Nähe zur Vampirin Hera sucht, achtet er mehr darauf, wie er auf sie wirkt, als dass er versucht sie wirklich kennenzulernen. Rama II. ist und bleibt halt Roma, ein Kind seiner Zeit. Daraus resultiert auch ein anderer Persönlichkeitszug, seine rebellische Grundhaltung besonders gegenüber Autoritäten, die ihn andauernd Regularien hinterfragen lässt.

Die anderen Figuren bleiben Rama und dem Leser fremd: Hera ist eine smarte und ehrgeizige Jungvampirin, Mitra ist sein Patenvampir, anscheinend ein zur Rücksichtslosigkeit neigender Zentriker, Enlil ist ein jovialer, aber distanzierter Vorgesetzter, Loki ein anscheinend freundlicher, tuntenhafter Nahkampflehrer etc.

Dem Leser wird aufgefallen sein, dass die Vampire den Namen eines Gottes erhalten – welcher Name wem gegeben wird, ist dabei kein Zufall.

 

Will man eine Gesellschaft in einem Erzähltext ausführlich behandeln, so eignet sich als Plot hierfür die Entwicklungsgeschichte besonders gut – gilt es in ihr doch für den Protagonisten so lange Erfahrungen zu sammeln, bis er seinen Platz in der Gesellschaft (meist weit oben) gefunden hat – oder daran zu scheitern. So ist Das fünfte Imperium die Entwicklungsgeschichte Ramas – doch es ist eine zynische, desillusionierende Entwicklung, die Rama durchmacht, denn dem Leser wird bald klar, dass Rama am Ende auf die eine oder andere Art verlieren muss. Schließlich gilt für die Gesellschaft der Vampire, was für die der Menschen gilt: "Survival of the fittest." Oder als Maxime der Puysanges aus J. B. Cabells Der verwunschene Ort: "Vergehe dich nicht wider den Ansichten deiner Nächsten." Und in Rama steckt noch immer der rebellische Loser Roma. Verknüpft wird dieses mit einer Art 'romantischer' Dreiecksbeziehung zwischen Rama, Hera und Mitra. Dabei geht es allerdings nicht um Liebe, sondern um Lust, Kontrolle und ein bisschen Einsamkeit.

Die Spannungsquellen entstammen also in erster Linie den Wundern, die die Vampire und ihre Gesellschaft darstellen, und der Darstellung der postsowjetischen Moskauer Gesellschaft, die genug Ähnlichkeit mit der deutschen aufweist (wobei zu bedenken ist, dass die Vampirgesellschaft immer ein Stück weit metaphorisch verstehbar ist). Der Höhepunkt des Konfliktes der Eifersüchtigen fällt mit der Lösung der Frage nach Ramas gesellschaftlicher Stellung zusammen – Spannung erzeugen diese beiden Handlungsstränge allerdings erst sehr spät. Der Plotfluss ist dabei relativ hoch – stets wirken die Szenen so, als wenn noch etwas zu sagen oder zu fragen wäre, das aber nicht ausgesprochen wird – ein Eindruck, den man bewahren sollte.

Wer nun allerdings von einer Vampirgeschichte blutige Action oder erotischen Sex erwartet, wird enttäuscht: Sexualität spielt zwar eine große Rolle, 'richtige' Sex-Szenen gibt es aber keine – und noch weniger romantisches Schmachten. Es gibt wohl eine Action-Szene und sogar eine Szene, in der mehr als ein paar Bluttropfen vergossen werden, doch zur Spannung tragen beide nur wenig bei.

Eine weitere wichtige Spannungsquelle ist schon mehrfach angeklungen: Pelewin spielt gekonnt auf verschiedene Aspekte der Kunst (im weiteren Sinne) an. Es wird aus Star Wars, der Matrix, Troja und Pulp Fiction zitiert, Alien vs Predator gehört zu Ramas Lieblingsfilmen, er kennt Iggy Popp und Mircea Beslan und auch die Literatur kommt nicht zu kurz: Neben (der in puncto Popkultur unvermeidlichen) Anspielung auf Joanne K. Rowlings Hauptfigur finden sich welche auf die Werke von Joseph Conrad und Leo Tolstoi. Natürlich gibt Dracula sich die Ehre und immer wieder Vladimir Nabokov – Außenseiter Rama fragt sich – und unglücklicherweise auch Enlil – ob Lolita sich von lol ableitet und eine ist, die viel lacht.

 

Erzähltechnisch ist der Roman auf den ersten Blick eher unauffällig: Ich-Erzähler Rama berichtet getreulich von den Ereignissen. Er folgt dabei einem progressiven Strang (wobei es einen längeren Rückblick auf Ramas früheres Leben als Roma gibt und die Erkundung der Vampirgesellschaft erfordert eine Reihe von Rückgriffen und ist daher in Anteilen regressiv), der sich dramatisch auf einen Höhepunkt zu bewegt. Der Stil ist dabei stets ein wenig ironisch. Zwar ist Rama nicht übermäßig gebildet – und man merkt es seinem Stil durchaus an – doch hat er engen Kontakt mit hoch gebildeten Lehrern, in deren Rede Sätze wie "Die Kultur der anonymen Diktatur ist der fortgeschrittene Postmodernismus." ganz beiläufig fallen. Doch Rama wäre nicht der "Obermacka Offsewörld" (zumindest seinem Idealbild nach), wenn er darüber nicht hinweg ignorieren könnte. Heraus kommt eine in sich stimmige Vielfalt von Sprachstilen mit geschliffenen Dialogen. Doch besondere Glanzpunkte setzen die kleinen Details – wer sehr aufmerksam liest (ich musste Teile zweimal lesen, das geht auch) findet nicht nur zahllose Anspielungen, sondern ebenso viele Vorausdeutungen und Zweideutigkeiten. Was zunächst eher schlicht wirkt, ist tatsächlich eine unglaublich dichte Aneinanderreihung mehr oder minder verborgener Stilmittel.

 

Fazit:

Der neunzehnjährige Moskauer Roma erhält überraschend Eintritt in die Elite des Landes; als Rama II. muss er sich einen Platz in der ihm fremden Vampirgesellschaft suchen – und nur langsam ahnt er, wie gefährlich diese Suche sein kann. Viktor Pelewin liefert mit Das fünfte Imperium einen geistreichen Entwicklungsroman um den russischen Loser Rama ab, der nicht nur eine sehr originelle Vampirgesellschaft entwirft, sondern auch eine scharfsinnige Analyse gewisser Tendenzen des zeitgenössischen Kapitalismus vorlegt – wenn einem Glamour und Diskurs nicht zu anstrengend sind oder man auf der Suche nach einer "Sexy und düsterer Vampir verliebt sich unsterblich in Mary Sue"-Kopie ist, gibt es keinen Grund den Roman nicht zu lesen. Klänge es nicht so pathetisch, schriebe ich: Der Roman ist eine Offenbahrung.

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Oje, das hat nicht geklappt, Elfenwerk! 20240420080413b6dde3af
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Titel: Das fünfte Imperium. Ein Vampirroman

Reihe: -

Original: Empire V

Autor: Viktor Pelewin

Übersetzer: Andreas Tretner

Verlag: Luchterhand Literaturverlag

Seiten: 399 Klappbroschur

Titelbild: Ruth Botzenhardt

ISBN-13: 978-3-630-62138-8

Erhältlich bei: Amazon


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Erstellt: 22.02.2009, zuletzt aktualisiert: 12.04.2024 09:51, 8261