Das Gespensterbuch (Herausgeber: August Apel und Friedrich Laun; Gespensterbuch 1)
 
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Das Gespensterbuch hrsg. von August Apel und Friedrich Laun

Band 1 der Neuausgabe: Von Freischütz bis Zauberlied, hrsg. von Felix Woitkowski

 

Rezension von Ralf Steinberg

 

Verlagsinfo:

Mögen Toren und Schwachköpfe von Unmöglichkeiten schwatzen, der Weise beklagt sie, die nicht wissen, was möglich oder unmöglich, was wahr oder falsch, was Licht oder Schatten ist, die die großen Geister nicht kennen und begreifen, welche aus den stummen Grüften und Gräbern, aus den zerfallenen Gebeinen der Abgeschiedenen eine so schauerliche als wahre Sprache vor das erstaunte Ohr der Lebenden bringen. – An Euch, die Ihr hier versammelt seid, vorerst ein warnendes Wort. Hütet Euch, durch irgendeine vorwitzige Frage die Rache des Geistes zu reizen, der von meinem ersten Worte an diesen Totenkopf unsichtbar über ihm schweben wird. Versuchet übrigens, Euer Grauen zu mäßigen, und höret alles in Demut und Ruhe. Denn ich nehme die Gehorsamen in meinen mächtigen Schutz und lasse nur die Frevler von dem wohlverdienten Verderben ereilen.

 

Gespenstisch, mythisch, phantastisch. Im Geiste der Schwarzen Romantik schreiben August Apel und Friedrich Laun von 1810 bis 1817 deutsche Schauergeschichte. Im Gespensterbuch erzählen sie von Totgesagten und Wiederkehrern, von Aufklärern und Abergläubigen, von Liebesschwüren und Teufelspakten und lehren damit Europa das Grauen.

Die populärste deutschsprachige Sammlung von Geister- und Spukgeschichten des 19. Jahrhunderts in der ersten vollständigen Neuausgabe.

 

Rezension:

Gleich die Eröffnungsgeschichte im ersten Bändchen des 1810 erschienen Gespensterbuches ist uns bis heute eine Begriff, ohne dass wir sie tatsächlich auf dieses Büchlein zurückführen könnten. Die von August Apel notierte Volkssage Der Freischütz bildete (neben weiteren Quellen) die Vorlage für die bekannte Oper von Carl Maria von Weber.

 

Auch ein weiterer bedeutender literarischer Einfluss wird mit dem »Gespensterbuch« verbunden, wie auch Markus K. Korb in seinem Vorwort zum ersten Band der vollständigen Neuausgabe unter der Ägide von Felix Woitkowski erwähnt.

Im Sommer 1816 vertrieben sich Lord Byron, Percy Bysshe Shelley, Mary Wollstonecraft Shelley und William Polidori mit dem Schreiben von Gruselgeschichten die Zeit in der Villa Diodati am Genfersee. Eine der bekannten Inspirationsquellen war die englische Übersetzung der französischen AnthologieFantasmagoriana, ou Recueil d'Histoires d'Apparitions de Spectres, Revenans, Fantomes, etc.; traduit de l'allemand, par un Amateur, welches acht Geschichten aus den ersten beiden Bändchen des »Gespensterbuches« enthielt.

Somit verdanken wir ihm indirekt Frankenstein und über Polidoris Der Vampyr auch Dracula.

 

Eine tiefe Wurzel, die nun in drei Bänden in einer limitierten Sammlerausgabe beim Blitz-Verlag von Felix Woitkowski mit großer Begeisterung freigelegt wurde, damit die geneigte Leserschaft das Gespensterbuch auch jenseits von Lesesaal und Google wiederentdecken kann.

 

Am auffälligsten ist bei der Lektüre, wie oft sich die Geschichten um eine Braut, Eheversprechen und Hochzeit drehen. Man könnte sich hierfür mehrere Gründe denken.

Die beiden Herausgeber August Apel und Friedrich August Schulze (unter seinem Pseudonym Friedrich Laun), stammen aus bürgerlichen Verhältnissen. Die gesellschaftliche Stellung hing in hohem Maße von einer einträglichen Anstellung und einem geordneten Haushalt ab. Damit verband man ein spezifisches Frauenbild. Die Heirat wurde zum wichtigen Fixpunkt im Leben bürgerlicher Töchter, weil mit ihr die für eine gesellschaftliche Anerkennung wichtige Existenzsicherung einherging.

Diese Versorgungsfunktion der Ehe wurde mit romantischen Vorstellungen verklärt um selbst im Falle von charakterlichen oder äußerlichen Schwächen des Gatten, eine funktionierende, bürgerliche Ehe etablieren zu können. Geschichten über das schlimme Ende von Untreue, Selbstbewusstsein oder Auflehnung gegen elterliche Ratschläge passen sehr gut in das Erziehungsideal und auch wenn diese Intention vielleicht eher indirekt in die Geschichten einsickerte, die Häufung von Unglücksfällen, die jungen Bräuten im »Gespensterbuch« widerfahren, mag zumindest ein Indiz dafür sein.

 

In der Volkssage vom »Freischütz« können der Amtsschreiber Wilhelm und die Försterstochter Käthchen nicht heiraten, weil der Vater auf eine Verbindung mit einem Jäger besteht, der die seit 200 Jahren in Familienbesitz befindliche Försterei übernehmen soll.

Wilhelm lässt sich daraufhin mit dem Teufel ein und gießt die berühmten Kugeln.

Düstere Träume, schaurige Erscheinungen im finstren Wald und natürlich der Teufel selbst sind die einst gruseligen Zutaten der Geschichte, an deren Ende niemand glücklich ist.

 

Das Ideal von Friedrich Laun ist als typisches Märchen angerichtet. Ein Prinz soll heiraten, aber nicht irgendwen. Endlich findet man ein passendes Königreich samt Prinzessin Isola, doch leider ist das Land weit entfernt und eine Gesandtschaft wäre viel zu lange unterwegs. Daher setzt der König für die Lösung des Problems einen Preis aus, seine Tochter Floribella. Es meldet sich ein Buckliger namens Höckerlein mit Siebenmeilenstiefeln. Klar, dass weder Prinzessin noch König Lust, haben, den ausgesetzten Lohn zu zahlen.

Im weiteren Verlauf wird gestohlen, betrogen, sich verliebt, Zaubereien widerstanden, geheiratet und Floribella erkennt natürlich das gute Wesen im Innern Höckerleins.

Ein recht verwinkelt inszeniertes und teilweise sehr kompliziert erzähltes Märchen, dass mit bekannten Versatzstücken spielt.

 

In Der Geist des Verstorbenen verarbeitet Friedrich Laun nach eigener Angabe nicht nur eine eigene frühere Erzählung sondern auch einen erstaunlich ähnlichen Tatsachenbericht.

In ihr darf zu Beginn endlich einmal ein verliebtes Paar auch tatsächlich sich heiraten. Trotz bedenklichen Geistersehens des Brautvaters. Aber der Alltag scheint die Liebe zu töten und die Entfremdung führt zu einer tragischen Badereise des Gemahls …

Die Story hat einen schönen Twist und zeigt darüber hinaus auch recht deutlich, wie eng bürgerliche Konventionen über den Tod hinaus zu wirken vermögen.

 

Ein weiteres Märchen ist König Pfau. Gemäß Untertitel an französische Feenmärchen angelehnt, liefert es ein weiteres Brautabenteuer. Die Neugier einer Königin führt zu einer Weissagung durch eine Fee und um das prophezeite Ungemach von ihren Söhnen abzuhalten, wird die Tochter in einem Turm aufgezogen, abgeschottet von der Welt.

Da die Eltern ihren Kindern aber die Hintergründe verschweigen, befreien die Prinzen ihre Schwester nach dem Tod ihrer Eltern. Von der Welt ganz überfordert verfällt sie der Schönheit eines Pfaus und will niemand geringeren als den König der Pfaue heiraten. Ihre Brüder machen sich auf den Weg, diesen König zu finden.

Das Märchen ist komplett ungruselig, wenn man die seltsame Idee der Prinzessin außer Acht lässt.

 

Umso übler ist Die Verwandtschaft mit der Geisterwelt. Hier lässt Friedrich Laun eine Braut ihren beiden Freunden eine übersinnliche Geschichte um ihre verstorbene Schwester erzählen. Wunderbar konstruiert, bis kurz vor Schluss ahnt man nicht, wohin die Geschichte gehen wird und umso beklemmender überfällt es die Leserschaft dann. Eine Blaupause vieler Horrorgeschichten, die bis in die Gegenwart hinein Nachfolger findet.

 

In seiner Nachrede fasst August Apel die Sammlung des ersten Bändchens unter dem Begriff Wunderglauben zusammen. Im Rahmen seiner Naturerkenntnis seien Gespenster eben ein unerklärliches Wunder, zumindest noch, und damit Grundlage von Sagen und Mysterien, wie sie hier zunächst vorgestellt wurden. Für den zweiten Band versprich Apel dann mehr »eigentliche Gespenstersagen«.

 

Tatsächlich ist die erste Geschichte, Die Todtenbraut von Friedrich Laun deutlich gruseliger.

In einem Badeort erzählt ein Marchese der illustren Gesellschaft die Geschichte um der Sage von der Todtenbraut. Bei einem Aufenthalt auf der Burg eines befreundeten Grafen traf der Marchese auf eine jungen Mann, den er aus Venedig kannte und der eigentlich kurz vor seiner Heirat stand, nun aber der Tochter des Grafen den Hof macht.

Diese plötzliche Wendung der Gefühle findet der Marchese ebenso seltsam, wie die Behauptung, die venezianische Verlobte wäre Ursache der Trennung. Als aber ein angeblicher Besuch der Grafentochter in Parisund das Muttermal der verstorbenen Schwester erwähnt wird, gewinnt die uralte Todtenbraut-Sage ein neues, untotes Leben.

Die moralischen Lehren der Geschichte sind überdeutlich. Die Todtenbraut muss solange Männer verführen, bis ein treuer Geselle ihr widerstehen kann. So wird aus dem ursprünglichen Opfer die böse Flucherfüllerin. Braut zu sein, war eine sehr gefährliche Sache damals, wie auch die folgende Volkssage passenderweise zementiert.

 

Wohl so einige Mädchen zerbrechen sich den Kopf darüber, wie ihr Zukünftiger wohl aussehen mag. Die Bräutigamsvorschau bietet nun der jungen Gräfin Viola so einen Blick in die Zukunft, obwohl ihre alte Kinderfrau ihr deutlich mit einer Beispielgeschichte davon abrät. Denn eigentlich hat Viola bereits einen Verlobten, einen jungen Vasallen, namens Serini. Der jedoch leidet darunter, dass er nur Lehensnehmer des Grafen Nadasti ist, dem Verlobten von Violas Schwester. Entsprechend ändert sich der Tonfall seiner Briefe und Viola rennt in ihrer Unsicherheit zur Wahrsagerin, um dort herauszufinden, ob Serini ihr Mann wird.

Doch dunkel sind Pfade der dunklen Magie und eine Braut sollte die Pfade der Tugend nicht verlassen. Obwohl ihr von Minderwertigkeitsgefühlen geplagter Freund die eigentliche Ursache ist, wird Viola die Hauptverantwortliche für das folgende Unglück.

 

Der Todtenkopf von Friedrich Laun durchbricht das Muster, wenn die kurze Geschichte auch mit einer Hochzeit endet. Vielmehr geht es um eine Geisterbeschwörung, die zu einer hübschen, netten Läuterung führt. Gehorsamkeit den Eltern gegenüber gehörte ebenfalls zu den Geboten, die Laun wichtig waren.

 

Fast wissenschaftlich geht es in Die schwarze Kammer von August Apel dem Aberglauben an den Kragen. Eine natürliche und witzige Erklärung kann manchmal die gruseligsten Erscheinungen erklären.

 

Zurück zur weiblichen Schwäche führt Das Todesvorzeichen von Friedrich Laun. Klotilde wird von ihrem Gatten gezwungen, den ihr unsympathischen Baron von Wartenstein mit mehr Aufmerksamkeit zu begegnen, da es der Anstand erfordere. Der Baron aber hat sich in die junge Frau verguckt und wird alsbald täglicher Gast in Hause der Tiefenecks, ohne dass der Ehemann die Anzeichen wahrnimmt. Klotilde kommt aus der Nummer irgendwie nicht heraus und bald genießt sie die Avancen des Barons, bis der von ihr aber etwas mehr möchte. Sie erklärt sich ihren Mann, dem Baron wird der Besuch untersagt. Doch der lässt nicht davon ab, der jungen Frau Vorwürfe zu machen, legt sein Leben in ihre Hände und eines Tages hat sie Gründe zu glauben, der Baron hätte sich wegen ihr umgebracht.

 

In einigen Punkten ähneln sich die Probleme von Klotilde und Emma Bovary. Unter penetrantem männlichen Druck lassen sich beide Frauen verführen und geraten in den Sog ihrer Leidenschaften. Bei Laun geht es dann am Ende aber doch eher um die Entmystifizierung jenes Todesvorzeichens.

 

Mit einem weiteren Märchen führt uns August Apel in Der Brautschmuck in die Zeit der Ritter und der Minne. Ein armer Ritter sucht nach dem legendären Brautschmuck um die auserkorene Tochter eines reichen Ritters heiraten zu dürfen. Eine sehr typische Queste und Prüfung. Ihr folgen fünf lyrische Texte, die stimmungsvoll das zweite Bändchen beenden.

 

Vom dritten Bändchen hat es nur noch Die Vorbedeutungen von Friedrich Laun in den ersten Band der Neuausgabe des »Gespensterbuches« geschafft.

Diese längere Erzählung widmet sich den Wirrungen im Liebesleben eines jungen Mannes. Glücklich der Verwundung eines Duells entkommen, berichtet er seinen Gastgebern die Hintergründe des seltsamen Waffengangs.

Erneut spielt das Schicksal zweier junger Frauen eine große Rolle. Die eine wird zu einer Hochzeit gezwungen, obwohl der Mann nicht ihren Träumen entspricht, die andere muss mit ansehen, wie sich der von ihr Geliebte in eine leidenschaftliche Affäre begibt, die ihn fast ruiniert. Grauenvolle Visionen bringen den jungen Schludrian aber zurück auf die ordentliche Bahn. Bestraft werden, wie so oft, die in ihre Rollen gefangenen Mädchen. Ganz und gar abhängig davon, geheiratet zu werden, liegt ihr Schicksal in den Händen von Männern, die kaum fähig sind, für sich selbst zu sorgen.

 

So bleibt »Das Gespensterbuch« zwar ein Quell, schauerlicher Themen und Geschichten, darüber hinaus offenbaren sich aber die moralischen Vorstellungen seiner Herausgeber und eines Bürgertums, das irgendwie noch dem Adel nacheifert, aber auch ganz eigene Ideale zu entwickeln beginnt. Gruselige Geschichten schienen wie Märchen auch, bestens geeignet, diese Weltanschauung in den Köpfen der Leserinnen und Leser zu verankern.

 

Es gibt zwar einige Fußnoten zur Erklärung heute ungewohnter Wörter, aber ein kleines Nachwort des Herausgebers hätte nicht geschadet.

 

Das Cover von Mark Freier zelebriert den Horror-Anspruch des Buches. Vielleicht eine nicht ganz passende Interpretation.

 

Fazit:

Mit der Wiederveröffentlichung des Gespensterbuches, damals herausgegeben von August Apel und Friedrich Laun, steht der Leserschaft eine sorgfältige Edition der Texte zur Verfügung, die ganze Generationen von Horror-AutorInnen direkt und indirekt beeinflusste. Zudem bieten die Geschichten einen tiefen Einblick in die moralische Verfassung jener Zeit.

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Buch:

Das Gespensterbuch

Band 1: Von Freischütz bis Zauberlied

Herausgeber: August Apel und Friedrich Laun

Original: Gespensterbuch, Erstes bis Drittes Bändchen, 1810/11

Herausgeber der Neuausgabe: Felix Woitkowski

Cover: Mark Freier

Vorwort: Markus K. Korb

Taschenbuch, 399 Seiten

Blitz-Verlag, 2016

Inhalt<typolist>

Der Freischütz – Eine Volkssage (August Apel)

Das Ideal (Friedrich Laun)

Der Geist des Verstorbenen (Friedrich Laun)

König Pfau – Feenmärchen nach dem Französischen (August Apel)

Die Verwandtschaft mit der Geisterwelt (Friedrich Laun)

Die Todtenbraut (Friedrich Laun)

Die Bräutigamsvorschau – Volkssage (August Apel)

Der Todtenkopf (Friedrich Laun)

Die schwarze Kammer – Anekdote (August Apel)

Das Todesvorzeichen (Friedrich Laun)

Der Brautschmuck – Deutsches Volksmärchen (August Apel)

Empusa-Lamia

Asvit und Asmund

Alp

Der Rabe

Hildur’s Zauberlied (August Apel)

Die Vorbedeutungen (Friedrich Laun)

</typolist>

erhältlich: Blitz-Verlag


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Erstellt: 21.06.2016, zuletzt aktualisiert: 12.04.2024 09:51, 14628