Die Unglückseligen (Autorin: Thea Dorn)
 
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Die Unglückseligen von Thea Dorn

Rezension von Ralf Steinberg

 

Verlagsinfo:

Der große Roman über die Sehnsucht nach Unsterblichkeit

Johanna Mawet ist Molekularbiologin und forscht an Zebrafischen zur Unsterblichkeit von Zellen. Während eines Forschungsaufenthalts in den USA gabelt sie einen merkwürdigen, alterslosen Herrn auf. Je näher sie ihn kennenlernt, desto abstrusere Erfahrungen macht sie mit ihm. Schließlich gibt er sein Geheimnis preis. Er sei der Physiker Johann Wilhelm Ritter, geboren 1776. Starker Tobak für eine Naturwissenschaftlerin von heute. Um seiner vermeintlichen Unsterblichkeit auf die Spur zu kommen, lässt sie seine DNA sequenzieren. Als Johannas Kollegen misstrauisch werden, bleibt dem sonderbaren Paar nur eines: die Flucht, dorthin, wo das Streben nach wissenschaftlicher Erkenntnis und schwarze Romantik sich schon immer gerne ein Stelldichein geben – nach Deutschland.

 

Rezension:

Während eines Forschungsaufenthaltes in den USA stößt die deutsche Molekularbiologin Johanna Mawet auf einen seltsamen Kauz, der sie zunächst für den Teufel hält und recht altertümliches Deutsch spricht.

Während sie im Institut daran forscht, die hohe Regenerationsfähigkeit von Zebrafischen für Menschen zugänglich zu machen, kommt sie von jenem Fremden nicht los.

Als er ihr erklärt, der Physiker Johann Wilhelm Ritter zu sein, und damit 240 Jahre alt, hält sie das Ganze zunächst für Spinnerei. Doch dann sieht sie die Chance, ihre Forschung erheblich zu beschleunigen. Winkt vielleicht sogar die Unsterblichkeit?

 

Den Fauststoff wollte sie endlich einmal wieder bearbeiten, erklärte Thea Dorn auf der Leipziger Buchmesse. Seit Thomas Mann, habe es keiner mehr gewagt und es sei nun Zeit dafür.

Also der ganz große Stoff. Und entsprechend viel Stoff packt Thea Dorn auch in ihren Roman. Das sieht man zunächst an der Verwendung der stilistischen Mittel. Es gibt ein Vorspiel, in dem zum ersten Mal eine Erzähler-Instanz zu Wort kommt, die sich im späteren Verlauf als die prometheushafte Mephisto- oder Teufelsfigur herausstellt, samt eigener Typographie für den selbst nicht auftauchenden Gott-Charakter.

Es gibt Auszüge aus einem uralten Buch der Militärchirurgie samt Deckblatt in Fraktur, Logs aus dem Sequenzierungsprogramm, Gedichte, Lieder, Tagebuchaufzeichnungen, Briefe, Comictextblasen und sprechende Fledermäuse. Jeweils mit entsprechendem Duktus.

Die Sprache ihre Figuren hat Thea Dorn dabei den Zeiten und Orten angepasst, es gibt sowohl Dialekte als berufstypischen Slang.

Gerade bei Johanna wird so der enge Bezug zum Englischen deutlich, der in ihrer Forschungsrichtung zu erwarten ist.

Schwieriger wird es bei ihrem Johann Wilhelm Ritter. Ihn lässt die Autorin reden und vor allem auch denken in jenem Schriftdeutsch, das um 1800 verwendet wurde. Für einem Menschen, der sich seit 200 Jahren durch die Weltgeschichte herumtreibt, ziemlich unglaubwürdig. Wie überhaupt die gesamte Figur aus der Zeit herausgefallen zu sein scheint. Eher Zeitreisender als Überlebender.

Doch ist die Absicht dahinter deutlich. Durch seine weltfremde Art ist Johanna viel eher geneigt, seine Geschichte zu glauben. Die zunächst skeptische Wissenschaftlerin beginnt, Beweise für Ritters Behauptung zu suchen. Neben dem Lesen in der Wikipedia (die inzwischen das ausführliche Zitieren aus ihr in Dorns Roman süffisant erwähnt), lässt sie auch seine DNA untersuchen und beginnt dadurch, ihre eigene Forschung zu vernachlässigen.

Mit immer fragwürdigeren Methoden versucht sie Ritters Unsterblichkeit auf die Spur zu kommen bis hin zu alchemistischen Ritualen.

 

Die Beziehung zwischen Johanna und Johann bleibt absichtlich über weite Strecken von Missverständnissen geprägt. Immer wieder stößt man auf Probleme, die normale Menschen durch ein Gespräch geklärt hätten. Doch Ritter vermag zunächst nicht mit Johanna sinnvoll zu kommunizieren. Sie muss sich erst soweit zurückentwickeln, den gesamten wissenschaftlichen Fortschritt der seit Ritters Tod vergangenen Jahre zurücknehmen, um endlich zu begreifen, was Ritter denkt. Und das ist ziemlich esoterisch und religiös.

Besonders der Schlussteil leidet dann auch unter diesem Abdriften ins Psychedelische. Johanna verfällt zunehmend geistig und körperlich und so ganz wird nie erklärt, warum eigentlich. Ist Johann der schöne Ritter, auf den Johanna ihr Leben lang wartete? Oder ist er Faust und sie die Versuchung, wie er zu Beginn vermutet? Sind gar beide ein Faust, der nach Wissen strebt und verzweifelt erkennt, nichts zu wissen?

Besonders diese Faust-Thematik spielt in einem großen Teil des Romans eine Rolle. Die Erkenntnis, mit dem Forschen und Lernen nicht das Erwünschte und Erhoffte erreicht zu haben.

 

Die immer tiefer gehende Beziehung von Johanna und Johann weitet sich zu einem großen Drama. Dabei sind es nicht nur typische Schmerzen einer wachsende Liebe, die beiden kreisen umeinander, verzehren und beleben sich bis zur Auflösung der Grenzen zwischen ihnen. Thea Dorn reibt die Schichten in Ritters Psyche dabei immer wieder mit der Vergangenheit. Wie Sitzungen beim Therapeuten dringt sie Stück für Stück in jene Verwundungen vor, die Johann zu jener düsteren Kreatur werden ließen, die Johanna so faszinierend findet. Unklar bleibt, warum gerade Johanna der Auslöser dieser Vergangenheitsbewältigung ist. Vielleicht sieht er sich ihr, ein zeitversetztes Spiegelbild.

Thea Dorn löst den Konflikt mit einem Weg, den auch Goethe für seinen Faust in Betracht zog.

 

So spannend der Roman auch über weite Strecken ist und trotz der großartigen erzählerischen Leistung gelingt es Thea Dorn nicht wirklich, den Stoff in eine moderne Geschichte einzubinden. Ihr Rückwärtsgehen offenbart das zugrundeliegende Problem. Faust funktioniert ohne Religion nicht, aber genau dorthin muss Faust noch gehen, in die Überwindung des Glaubens. Erst dann beginnt Erkenntnis. Thea Dorn schickt ihre Johanna zurück ins Nichtwissen.

 

Fazit:

»Die Unglückseligen« von Thea Dorn ist ein opulenter Roman über das Scheitern von Wissenschaft und zugleich ein sehr intimer und schmerzlicher Liebesroman.

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Buch:

Die Unglückseligen

Autorin: Thea Dorn

Gebundene Ausgabe, 555 Seiten

Albrecht Knaus Verlag, 26. Februar 2016

Cover: James C. Christensen

 

ISBN-10: 3813505987

ISBN-13: 978-3813505986

 

Erhältlich bei: Amazon

 

Kindle-ASIN: B0196J6KM2

 

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Erstellt: 11.07.2016, zuletzt aktualisiert: 18.04.2024 09:19, 14688