Interview: Frank Böhmert
 
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Es gibt Wichtigeres und Schöneres im Leben, als Bücher schreiben

im Interview mit Frank Böhmert

 

von Michael Schmidt

 

Mit seiner Kurzgeschichte Operation Gnadenakt, erschienen im Magazin phantastisch!, gewann Frank Böhmert den Deutschen Science Fiction Preis 2015. Grund genug ihm ein paar Fragen zu stellen:

 

Fantasyguide: Hallo Frank, du bist Berliner. Berlin, Hauptstadt des vereinigten Deutschlands. Eine Stadt, um die sich viele Mythen ranken. Manche behaupten, Berlin sei provinziell, eher ein groß geratenes Dorf. Andere schwärmen vom grünen Berlin, einer Stadt, die mit der Natur verbunden ist. Berlin gilt auch als viertgrößte türkische Stadt und ist gelebte Multikultur. Berlin gilt aber auch als hip, beliebt für Amüsement, angesagt bei Start-Ups und das Tor zur Zukunft. Berlin ist aber auch gelebte Unfähigkeit, in der Flughäfen niemals öffnen, die Verwaltung schlampig ist und Bezirksbürgermeister und Finanzsenatoren bundesweit bekannt sind und lautstark verkünden, dass Deutschland sich abschafft.

Berlin schwankt in der Wahrnehmung vielleicht auch zwischen »Der Hauptmann von Köpenick« und »Wir Kinder vom Bahnhof Zoo«.

Du bist Berliner. Was von diesen Thesen stimmt, und wie siehst du als Ureinwohner deine Stadt?

 

Frank Böhmert: Ach naja, Klischees tragen ja immer einen Teil Wahrheit in sich, sonst wären es keine Klischees geworden. Insofern stimmen die von dir zusammengefassten Sätze alle zugleich, als Facetten.

Wie eigentlich immer, wenn man über »das« Berlin, »die« Berliner oder »die Amerikaner«, »die« Muslime spricht, stört mich daran weniger das jeweilige Klischee, das dann kommt, sondern vielmehr die Unaufrichtigkeit des Sprechenden. Er müsste ja sagen: »Die Teile Berlins, die ich während eines Aufenthalts kennengelernt habe« oder »das Berlin, über das ich gelesen« bzw. »Filme gesehen habe«. Das tut aber so gut wie niemand. Frei nach Neil Gaiman: Wenn jemand über seine eigenen Erfahrungen schreibt, hat er wahrscheinlich recht. Wenn jemand über andere Leute schreibt, hat er wahrscheinlich unrecht.

Ich bin in meinem Leben zweimal in London gewesen. Einmal habe ich dort als junger Mann mit Freunden eine Woche auf der Straße verbracht, das andere Mal war ich mit meiner Familie in einer WG in einem multikulturellen Viertel untergebracht, das bis dahin noch nicht von Touristen entdeckt worden war. Darüber könnte ich viel Wahres sagen. Meine London-Erfahrung unterscheidet sich aber frappant von jemandem, der dort einige Zeit unter, sagen wir, gutsituierten Bildungsbürgern verbracht hat.

Wer von beiden kennt »London«? Keiner, würde ich sagen.

 

Fantasyguide: Nehmen wir an, du müsstest oder dürftest, je nach Sichtweise, sehr lange leben. Was, denkst du, wäre dabei die größte Strafe, und was wiederum würde dir an dieser Idee besonders gefallen?

 

Frank Böhmert: Ich beschäftige mich aus einer bewussten Entscheidung heraus nicht mit Fragen meiner Lebensspanne. Ich bin jetzt Mitte fünfzig und dem Tod mehrfach sehr nahe gekommen – das erste Mal war ich noch nicht mal eingeschult. Damals musste ich wegen eines Blinddarmdurchbruchs notoperiert werden; es ging buchstäblich nur noch um Stunden. Mein Leben ist endlich, davon kann ich wohl als Einziges ausgehen, und vom Rest lasse ich mich überraschen. Ich beschäftige mich lieber mit der Frage, was ich heute, morgen, übermorgen erfahren oder erreichen möchte.

Falls du auf »Operation Gnadenakt« anspielst: Da ist das Schlimme ja, dass jemand gegen seinen Willen am Leben gehalten wird, noch dazu in Gefangenschaft, und von eventuellen Vorzügen hat er gar nichts; er darf nicht einmal mehr auf den Tod hoffen.

 

Fantasyguide: »Operation Gnadenakt« ist ein gutes Stichwort. Erst einmal Glückwunsch zum DSFP!

 

Frank Böhmert: Danke! Über diesen meinen ersten Literaturpreis habe ich mich, nach einer Handvoll Nominierungen über die Jahre, sehr gefreut. Einige meiner rund hundert treuen Leser lästern schon, nun sei es mit dem Status »ewiger Geheimtipp« vorbei …

 

Fantasyguide: In der SF ist die Unsterblichkeit meistens positiv besetzt. Zellaktivatoren bei Perry Rhodan sind ein Beispiel, es gibt ja aber auch eine Reihe SF-Romane, da spielt die Unsterblichkeit eine große Rolle und sie wird fast immer als erstrebenswertes Gut gehandelt. In deiner Geschichte ist Unsterblichkeit ein Fluch und wie kam dir die Idee zu »Operation Gnadenakt«? Und ist es gerade diese Sichtweise, welche die Jury von der Preiswürdigkeit überzeugt hat?

 

Frank Böhmert: Was die Jury überzeugt hat, werde ich in zwei Tagen auf dem MediKonOne (12. bis 14.08.2016 in Oldenburg – Anm. d. Red.) erfahren, wenn ich mir die Laudatio anhöre … den Spaß gönne ich mir.

Das Thema Unsterblichkeit lässt mich ehrlich gesagt kalt. Als jemand, dessen Herz auf Naturzyklen und Lebensrhythmen anspricht, finde ich allenfalls die Vorstellung der Reinkarnation recht spannend. Oder auch die psychische Konstitution, die überhaupt zu dem Wunsch nach Unsterblichkeit führt – darüber hat der große Robert Silverberg mal ein tolles Buch geschrieben: Book of Skulls, auf Deutsch Bruderschaft der Unsterblichen.

Die Idee zu »Operation Gnadenakt« kam mir ganz schnell. Mich hat die Diskrepanz zwischen der schieren Größe und Monstrosität der Nazi-Untaten und den im Vergleich arg begrenzten Möglichkeiten ihrer Ahndung schon oft beschäftigt. Das Gedankenspiel einer grotesken Art von Strafe lag nahe, und damit auch die Frage, was das aus den Beteiligten und einem Rechtsstaat dann macht. Als phantastisch!-Redakteur Christian Endres mich nach einer Geschichte fragte, war die innerhalb von wenigen Tagen geschrieben. Ich habe, glaube ich, von der ersten Skizze bis zur endgültigen, lektorierten Fassung keine acht Arbeitsstunden dafür gebraucht.

 

Fantasyguide:Der MediKonOne war ja mittlerweile. Wie war es?

 

Frank Böhmert: Ich fand es sehr schön. Oldenburg ist ein angenehmes Städtchen, die Uniklinik hatte den Veranstaltern einen hellen, freundlichen Gebäudeteil zur Verfügung gestellt, das Programm war durchdacht und vielfältig, mein Mitpreisträger Andreas Brandhorst, von dem ich schon als Jugendlicher seine Terranauten-Romane und später einige Übersetzungen gelesen habe, erwies sich als sympathischer, nachdenklicher Mensch, und mit Herbert W. Franke durfte ich auch eine echte Legende der deutschen Science Fiction einmal live erleben.

Du merkst, ich bin begeistert. Wobei mein Fazit sicher auch von der sehr erfreulichen Preisverleihung gefärbt ist …

 

Fantasyguide: Wenn dein Herz auf Naturzyklen und Lebensrhythmen anspricht, wie steht das in Relation zu deinem Schreiben und auch in Relation zur Science Fiction und deren Wahrnehmung im deutschen Sprachraum? Hierzulande wird SF ja oft mit Technikbegeisterung und Zukunftsoptimismus gleichgesetzt. Fehlt der deutschsprachigen SF eine spirituelle Ebene?

 

Frank Böhmert: Ich sehe nicht, dass sich das beißen würde, weder in der SF noch in der Realität. Solche Rhythmen und Zyklen lassen sich wissenschaftlich beschreiben und erforschen, und wie gut Technikbegeisterung und Naturbewusstsein zusammengehen, lässt sich in Japan sehen. Das ist eines der am dichtesten besiedelten Industrieländer der Erde, und doch wächst dort stetig der Wald – und zwar schon seit der Tokugawa-Zeit, also seit dem 17. Jahrhundert. Da war man bei uns noch fröhlich am Kaputtmachen. Auch verstehen sich die Japaner sehr gut darauf, die, wie ich das nenne, Nomadenseele zu füttern. Sie sind Weltmeister im Erfinden und Verfeinern cooler Lösungen für das Leben in der freien Natur. Wenn du denkst, Läden wie Globetrotter wären toll, dann such mal im Internet nach den Angeboten japanischer Campingausrüster – da möchtest du weinen.

Was »der« deutschsprachigen SF »fehlt« … Hm, diese Frage ist mir ein paar Nummern zu groß. In meinen SF-Geschichten steckt drin, was mir persönlich an der SF wichtig ist; das reicht. Und die Situation, dass mir der gute Lesestoff ausgegangen wäre, hatte ich im ganzen Leben noch nicht.

 

Fantasyguide: Lesestoff ist ein gutes Stichwort. Was liest Frank Böhmert und schreibst du auch für den Leser Frank Böhmert oder sind das zwei vollkommen getrennte Paar Schuhe?

 

Frank Böhmert: Ich gehöre zu den, wie Klaus Wagenbach das nennt, »wilden Lesern«; ich lese mich im fröhlichen Zickzack durch die Genres und die Weltgeschichte.

Der Jazzsaxofonist Wayne Shorter hat sein Leseverhalten mal sehr schön beschrieben: »Ich halte Ausschau nach Büchern, die nie zu Ende gehen.«

So ist das auch bei mir. Ich will Bücher, die lange nachwirken, die ich immer wieder zur Hand nehme, die ich ein halbes Dutzend mal lese. Also lese ich lieber ein Zweihundert-Seiten-Buch dreimal als ein Sechshundert-Seiten-Buch einmal.

Zwischen dem Leser und dem Autor Frank Böhmert kann ich gar nicht trennen, schon aus handwerklichen Gründen. Was die Rohfassung betrifft, schaue ich meinen Geschichten eigentlich nur beim Wachsen zu, und redigieren tue ich laut. Diese Art zu schreiben kommt dem Vorgang des Lesens sehr nahe. Ich lese quasi, was das fürs Geschichtenerzählen zuständige Gehirnareal hervorbringt.

 

Fantasyguide: Schriftsteller entwickeln sich ja im Laufe ihres Autorenlebens. Wie siehst du deine bisherige Entwicklung als Autor? Wo willst du hin? Und hast du Themen, die dir besonders am Herz liegen und denen du dich noch widmen willst oder schon gewidmet hast?

 

Frank Böhmert: Ich sage immer, ich möchte schreiben, wie ein Bluesmusiker spielt – also im Laufe meines Lebens immer lockerer und punktgenauer werden. Ein gutes Stück Weg habe ich da schon geschafft, aber es kann auch noch gern bis siebzig, achtzig so weitergehen.

Ein bisschen mehr wirtschaftlicher Erfolg wäre natürlich schön, zum Beispiel einmal vierstellige Verkaufszahlen; dann hätte ich mehr Zeit zum Schreiben.

Ansonsten gibt es eine Handvoll Bücher, an denen arbeite ich teils schon seit über zehn Jahren, mit Unterbrechungen natürlich – aber über die öffentlich zu reden, ist langweilig. Es kann ja niemand überprüfen, was ich sage, und mir gegebenenfalls widersprechen. Und wer weiß, ob sie überhaupt je fertig werden. Es gibt Wichtigeres und Schöneres im Leben, als Bücher zu schreiben. Seine Kinder aufwachsen zu sehen, zum Beispiel. Oder den Garten weiter zu pflegen, den die Eltern angelegt haben.

 

Fantasyguide: Hast du Geschichten, auf die du aus irgendwelchen Gründen besonders stolz bist? Und welches Buch sollte sich ein interessierter Leser von dir zulegen?

 

Frank Böhmert: Wer gern Storys liest, könnte es mit Ein Abend beim Chinesen probieren. Das enthält quer durch die Genres meine besten Geschichten aus dreißig Jahren. Gibt es allerdings inzwischen nur noch im E-Book.

Von meinen SF-Romanen ist wohl Die Sternenhorcher der eigentümlichste. Er spielt im »Perry-Rhodan«-Kosmos, macht aber offensichtlich auch allgemeinen SF-Lesern viel Spaß; jedenfalls bin ich damit, was außergewöhnlich für einen Serienroman ist, beim Kurd-Laßwitz-Preis bis auf den dritten Platz gekommen.

Und wer gern zeitgeschichtliche Romane liest: Bloß weg hier!, mein aktuelles Buch, spielt 1973 während der Ölkrise und beschreibt ein Großstadtabenteuer zweier Berliner Jungs. Ein Roadmovie in Romanform, und das Ganze passiert, zack rums!, an einem einzigen Tag.

 

Fantasyguide: Und auf welche Geschichte aus deiner Feder darf sich der Leser in der nächsten Zeit freuen?

 

Frank Böhmert: Da kommt erst einmal nichts. Ich war lange krank und konnte 2015 nur halb so viel arbeiten wie sonst; entsprechend viel habe ich nun mit dem Brotberuf um die Ohren. Der Rubel muss ja endlich wieder rollen.

Seit kurzem immerhin fangen sich im Hinterkopf überhaupt zwei Stoffe wieder an zu regen, einmal eine Art Multikulti-Märchenroman plus Krimi, einmal ein Zombieroman als, hm, politische Utopie. Von beiden liegen schon jeweils rund hundert Seiten Material vor … aber wann die mal fertig sein werden? O weh.

 

Fantasyguide: Also kann man davon ausgehen, du bist nicht hauptberuflich Autor, oder doch? Wie siehst du die Autorensituation in Deutschland?

 

Frank Böhmert: Nein, ich schreibe jeden Morgen vor der Brotarbeit, dem Übersetzen von Romanen, ungefähr eine halbe Stunde lang an meinen eigenen Stoffen. Ich habe es mal mit dem hauptberuflichen Autorendasein probiert und einiges für die »Perry-Rhodan«-Serie und ihre Ableger geschrieben. Aber das war nichts für mich; da habe ich gelitten wie ein Hund. Also bin ich lieber wieder zum Übersetzen zurückgekehrt und schaue ansonsten meinen eigenen Geschichten beim Wachsen zu.

Vielleicht kommt ja irgendwann noch ein Durchbruch zum Erfolg, wer weiß. Und wenn nicht, habe ich wenigstens nicht allzu prekär gelebt und die Sachen geschrieben, die mir selbst Freude bringen.

Was »die Autorensituation in Deutschland« betrifft: Ein Autor setzt sich hin und schreibt. Das geht, wie die Literaturgeschichte zeigt, in wirklich allen Umständen, auch in sehr unerfreulichen und anstrengenden. Der Rest ist Jammern und/oder Lobbyarbeit. Das interessiert mich beides nicht.

 

Fantasyguide: Eine Empfehlung an Autoren, die noch am Anfang ihrer Schriftstellerei sind!

 

Frank Böhmert: Macht einfach!

 

Fantasyguide: Noch ein letztes Wort an die Leute dort draußen!

 

Frank Böhmert: Sagt ruhig hallo, falls wir uns mal über den Weg laufen! Ich quatsche immer gern mit Leuten.

 

Fantasyguide: Wir bedanken uns für das informative und unterhaltsame Gespräch.

 

Mehr von Frank gibts in seinem Blog oder unter @BHasenbrot bei Twitter!

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Buch:

Bloß weg hier!

Autor: Frank Böhmert

Taschenbuch: 138 Seiten

Golkonda, Juni 2011

Cover: benswerk

 

ISBN-10: 3942396106

ISBN-13: 978-3942396103

 

Erhältlich bei: Amazon

 

Kindle-ASIN: B00578YAWY

 

Erhältlich bei: Amazon Kindle-Edition

Oje, das hat nicht geklappt, Elfenwerk! 2024032916264528c52d15
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Erstellt: 26.09.2016, zuletzt aktualisiert: 16.10.2023 21:13, 14931