Interview: Hardy Kettlitz
 
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Interview mit Hardy Kettlitz

von Ralf Steinberg

 

Nach jahrelanger Mitarbeit am Magazin Alien Contact, an Pandora, im SF-Club Andymon und als Setzer, Layouter und Designer des Golkonda Verlages überführt Hardy Kettlitz etliche seiner Projekte aus Shayol-Tagen in einen neuen Verlags-Imprint: MEMORANDA. Anlässlich des Erscheinens des ersten Buches Die Hugo Awards 1953 – 1984, baten wir Hardy, uns einiges über das Buch, seinen Verlag und die dessen Zukunft zu erzählen:


Fantasyguide: Hallo Hardy, Du bist ein unglaublich umtriebiger SF-Fan. Wurde Dir in all den Jahren das Genre nie langweilig, gab es nie irgendwelche Momente der Lustlosigkeit?

 

Hardy Kettlitz: Nur bei rund der Hälfte von allen Büchern die ich lese handelt es sich um Science Fiction oder Fantasy, daher habe ich genug Abwechslung. In letzter Zeit habe ich auch viele Autobiografien von Autoren gelesen, wodurch ich neue Blickwinkel auf deren Werke und die Zeit, in der sie entstanden sind, gewinnen konnte. Langeweile oder Lustlosigkeit kommt dabei nur sehr selten auf, und wenn doch, dann greife ich zwischendurch zu einem anderen interessanten Buch.


Fantasyguide: Alien Contact, SF Personality und jetzt MEMORANDA – war es ein steiniger Weg zum eigenen Imprint bei Golkonda oder einfach nur konsequent?

 

Hardy Kettlitz: Es hat sich so ergeben. Viel hängt von den Mitstreitern ab, denn wenn man versucht, alles allein zu machen, wird meist nichts daraus. Da der Shayol Verlag, wo früher meine Sachbücher erschienen, leider nicht mehr funktioniert, bin ich sehr froh, dass es den Golkonda Verlag mit seinem fleißigen und kreativen Team gibt. Und nun bietet sich die Möglichkeit mit dem neuen Golkonda-Imprint MEMORANDA nicht nur bestehende Sachbuchreihen weiterzuführen, sondern auch Neues auszuprobieren.


Fantasyguide: »Die Hugo Awards 1953 – 1984« ist die erste Veröffentlichung von MEMORANDA und wenn ich mich recht erinnere, ein Langzeitprojekt von Dir. Wann ging es los?

 

Hardy Kettlitz: Das ist schon eine Weile her. Natürlich habe ich mich schon sehr lange für die wichtigen aktuellen SF-Romane und -Erzählungen interessiert und die entsprechenden Neuerscheinungen gelesen. Dadurch sind mir viele Hugo-Gewinner bekannt. Allerdings musste ich feststellen, dass es doch auch eine ganze Reihe preisgekrönter Texte gab, die ich im Laufe der Jahre übersehen hatte. Als Chefredakteur von »Alien Contact« wurde ich immer wieder von Freunden oder Lesern gefragt, welche Bücher sich tatsächlich zu lesen lohnen. Diese Frage brachte mich im Januar 2002 auf die Idee, eine neue Rubrik in » Alien Contact« einzurichten und in unregelmäßigen Abständen die Hugo-Preisträger in chronologischer Folge vorzustellen. Zu ersten Mal erschien die Hugo-Rubrik in Alien Contact 44 am 2. Februar 2002, bis hin zur letzten AC-Ausgabe Nr. 68 im Dezember 2005. Allerdings waren die Texte nur online verfügbar. Nachdem »Alien Contact« eingestellt wurde, hatte ich die Idee, die Rubrik in Form eines Buches fortzuschreiben.


Fantasyguide: Die Inhaltsangaben der einzelnen Werke sind oft mit persönlichen Worten ergänzt, unter anderem ordnest Du die Preiswürdigkeit innerhalb des Jahrgangs ein, manchmal sogar in den größeren Kontext von echten Klassikern. Ich weiß, dass Du Dich unglaublich gut auskennst, aber macht das nicht auch angreifbar?

 

Hardy Kettlitz: Ich persönlich finde es hilfreich, wenn ein Autor zu einem Text Stellung bezieht. Ein schönes Beispiel ist das Sachbuch Der Milliarden-Jahre-Traum von Brian W. Aldiss und David Wingrove – übrigens auch mit einem Hugo ausgezeichnet, und zwar 1987 als bestes Sachbuch. Die beiden Autoren geben ziemlich unverblümt ihre Meinung ab. Wenn ich als Leser bei den Büchern, die mir bekannt sind, mit der Einschätzung der Autoren übereinstimme, dann ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass die mir unbekannten, aber von den Autoren gelobten Bücher mit hoher Wahrscheinlichkeit auch meinen Geschmack treffen. Es wird immer Leser geben, die grundsätzlich anderer Meinung sind, aber damit kann ich leben. Die Qualität von Literatur definiert sich eben nicht durch objektive Kriterien, sondern für jeden Leser subjektiv durch seine Lesebiografie und thematische Vorlieben.


Fantasyguide: Welches ist Dein Favorit unter den Hugo-PreisträgerInnen, egal welche Kategorie?

 

Hardy Kettlitz: Einen einzelnen Favoriten habe ich nicht, dazu sind es zu viele interessante Werke. Unter den Romane haben mir sehr gut gefallen: Clifford D. Simaks Way Station (Hugo 1964; dt. Raumstation auf der Erde), Ursula Le Guins The Dispossessed (Hugo 1975; dt. Planet der Habenichtse bzw. Die Enteigneten) und Joe Haldemans The Forever War (Hugo 1976; dt. Der ewige Krieg). Großartig ist aber auch der ›Special Commitee Award‹ für Neil Armstrong, Edwin Aldrin und Michael Collins für »The Best Moon Landing Ever«.


Fantasyguide: Welche drei Geschichten sollte man aus den Listen des Buches unbedingt gelesen haben?

 

Hardy Kettlitz: Auch das ist Geschmackssache. Empfehlen würde ich aber sogar mehr als drei: Arthur C. Clarkes The Star (Hugo 1956; dt. Der Stern), Daniel Keyes’ Flowers for Algernon (Hugo 1960; dt. Blumen für Algernon), Harlan Ellisons I Have No Mouth and I Must Scream (Hugo 1968; dt. Ich muss schreien und habe keinen Mund), Joanna Russ’ Souls (Hugo 1983; dt. Seelen), Connie Willis’ Fire Watch (Hugo 1983; dt. Brandwache und Octavia E. Butlers Speech Sounds (Hugo 1984; dt. Der süße Klang des Wortes).


Fantasyguide: Welche PreisträgerInnen kann man sich klemmen?

 

Hardy Kettlitz: Der vermutlich schwächste Roman, der je einen Hugo bekommen hat, ist They’d Rather be Right von Mark Clifton und Frank Riley (Hugo 1955; dt. Computer der Unsterblichkeit). Ob man unbedingt Philip José Farmers To Your Scattered Bodies Go (Hugo 1972; dt. Die Flusswelt der Zeit) gelesen haben muss, wage ich zu bezweifeln, obwohl ich Farmer zuweilen als Erzähler sehr schätze. Roger Zelaznys Unicorn Variations (Hugo 1982; dt. Die Einhorn-Variante) ist ziemlicher Quark. Und ob alle sieben Hugos für Poul Anderson berechtigt sind, wage ich zu bezweifeln.


Fantasyguide: Was war Dein letztes Hugo-Buch? Hast Du schon heiße Tipps für die nächste Verleihung?

 

Hardy Kettlitz: Im Moment lese ich gerade Ann Leckies Ancillary Justice (Hugo 2014; dt. Die Maschinen), denn den zweiten Band Die Hugo Awards 1985 – 2015 möchte ich bis zum nächsten Jahr fertigstellen. Einen heißen Tipp für den nächsten Hugo habe ich nicht, da ich zwar Rezensionen zu den englischsprachigen Neuerscheinungen verfolge, es aber nicht schaffe, all die neuen Bücher und Magazine zu lesen. Die Nominierungsliste für den Hugo 2015 ist seit dem 4. April veröffentlicht. John C. Wright ist gleich fünfmal nominiert, und unter den anderen Nominierungen sind viele neue Namen zu finden.


Fantasyguide: Wie muss man sich Deine Arbeit an solch einem Buch wie »Die Hugo Awards« heute vorstellen? Reine Internetrecherche, oder reist du zu Archiven, Leuten, Schauplätzen selbst? Wer hilft Dir dabei?

 

Hardy Kettlitz: Zu Archiven reise ich nicht, denn glücklicherweise habe ich ein recht umfangreiches Archiv in meinen vier Wänden. Die Bücher, Erzählungen und Filme habe ich direkt vorliegen. Schwieriger wird es herauszufinden, warum zum Beispiel der Club du Livre d’Anticipation aus Frankreich 1972 einen Special Award »for excellence in book production« erhalten hat. Da helfen wiederum französische Webseiten und entsprechende Bibliographien weiter. Kompliziert ist die Recherche für Rubriken wie »Best Fan Writer« oder »Best Fanzine«. Aber auch dafür gibt es Ressourcen, um nicht auf Informationen aus zweiter Hand zurückgreifen zu müssen. So gibt es inzwischen im Internet Fanzine-Sammlungen (z. B. efanzines.com), wo man sich die entsprechenden Ausgaben direkt als PDF-Datei anschauen kann.


Fantasyguide: Welche Art von Feedback wünschst Du Dir auf Deine Sachbücher?

 

Hardy Kettlitz: Ich wünsche mir das gleiche Feedback, das sich alle Autoren wünschen: Dass möglichst viele Leute die Bücher kaufen und sich einige vielleicht per E-Mail oder im Internet mit Lob, Kritik und hilfreichen Hinweisen äußern. Und vielleicht hat der eine oder andere sogar Lust und Zeit zur Mitarbeit an einem MEMORANDA-Projekt.

 

Fantasyguide: Du erwähnst im Buch auch, dass man die Preisverleihungen des Hugos inzwischen als Video nachträglich sichten kann. Wie steht's mit Dir? Reizt Dich ein WeltConvideo, bei dem Du nicht dabei warst?

 

Hardy Kettlitz: Absolut. So wie ich mich auf Conventions darüber freue, die Autoren persönlich treffen zu können, so macht es mir auch Spaß, in den Verleihungsvideos die Personen hinter den Werken sehen und hören zu können. Und manche Verleihungen sind recht spektakulär, wie zum Beispiel der »Garcia Moment« im Jahr 2011, als sich Christopher J. Garcia vor Freunde gar nicht mehr beruhigen konnte und kein Wort herausgebracht hat. Er wurde für sein Fanzine The Drink Tank ausgezeichnet, das zuvor bereits vier Jahre lang nominiert war. Garcias Auftritt wurde ein Jahr später für den Hugo 2012 als »Best Dramatic Presentation« nominiert.


Fantasyguide: Warum kam der WeltCon bisher nicht nach Deutschland? Warum gibt es keinen regelmäßigen Con in Berlin?

 

Hardy Kettlitz: Der WorldCon war schon einmal in Deutschland, und zwar mit 620 Besuchern im August 1970 in Heidelberg, Ehrengäste waren E. C. Tubb, Robert Silverberg und <link>Herbert W. Franke. Um den WorldCon erneut nach Deutschland zu holen fehlt dem deutschen Fandom die Kraft und das entsprechende Personal, fürchte ich.

In Berlin gibt es vermutlich keinen regelmäßigen Con, weil Berlin so groß ist, dass die Stadt dem interessierten Fan genug andere Möglichkeiten bietet. Es gibt viele Fantreffen, zum Beispiel den SF-Club ANDYMON mit seinen monatlichen Veranstaltungen oder die Buchhandlung Otherland, wo regelmäßig Treffen und Lesungen stattfinden . Übrigens plant ANDYMON zu seinem 30-jährigen Jubiläum gerade eine Phantastische Woche vom 1. bis 6. Juni 2015 und den Ü30-CON.

 

Fantasyguide: Wenn Du die großen Werke der SF betrachtest, wie würdest Du die Rolle deutscher SF einschätzen?

 

Hardy Kettlitz: Wir haben in Deutschland viele fähige Autoren, die sehr lesenswerte Werke verfasst haben. International ist der SF-Markt jedoch durch englischsprachige SF dominiert, weshalb deutsche, französische oder meinetwegen auch polnische SF fast ausschließlich im eigenen Land wahrgenommen wird. Das ist jedoch kein Grund zur Klage. Wirklich große Bücher finden früher oder später immer ihre Leser, auch wenn sie nicht unbedingt Bestseller werden.


Fantasyguide: In den Medien gab es vor kurzem wieder einmal eine Diskussion über den Niedergang der Literaturkritik. Du kennst beide Seiten, als Verleger als auch als Rezensent und Essayist, ist etwas dran am Verschwinden fundierter Kritiken?

 

Hardy Kettlitz: Diese Diskussion bezog sich im Wesentlichen auf das Feuilleton und die allgemeine Literaturkritik, die Themen der Diskutierenden waren dabei hauptsächlich »Meinung« und »Haltung«. Da die Science Fiction in den allgemeinen Medien nach wie vor ein Nischendasein führt, hat darüber auch niemand diskutiert. Der Zustand der Science-Fiction-Kritik in Deutschland ist nach wie vor beklagenswert, auch wenn sich einige Rezensenten wacker schlagen und die SF-Medien wie phantastisch!, Geek, Das Science Fiction Jahr, Quarber Merkur und einige Blogs und Internetseiten ihr Bestes geben. Strahlendes Vorbild für die derzeitige deutschsprachige SF-Kritik ist wohl die österreichische Zeitung Der Standard. Auch nicht zu vergessen die hervorragenden Podcasts Schriftsonar und Sigma2Foxtrott.

 

Fantasyguide: Brauchen die LeserInnen überhaupt noch Buchbesprechungen?

 

Hardy Kettlitz: Buchbesprechungen sind hilfreich, um sich für den Kauf und die Lektüre eines Buches zu entscheiden. Damit meine ich nicht die sogenannten Kundenrezensionen großer Internethändler, die leider allzu oft nur aus legasthenischem Gefasel bestehen. Ich lese gern Rezensionen, um mir einen Überblick zu verschaffen, was sonst noch alles erscheint. Schließlich kann man leider nur eine begrenzte Anzahl von Büchern lesen. Ob jeder einzelne Leser Rezensionen braucht oder nicht, muss er selbst entscheiden. Aber irgendwoher muss man seine Lesetipps schließlich bekommen, SF-kundige Buchhändler gibt es leider nicht allzu viele.


Fantasyguide: Wohin geht MEMORANDA in naher Zukunft, welche Pläne und Träume hast Du für die nächsten Jahrzehnte?

 

Hardy Kettlitz: In naher Zukunft wird es bei MEMORANDA neue Ausgaben der Reihe SF Personality geben, zum Beispiel schreibt derzeit Uwe Anton über Robert Silverberg. Außerdem arbeiten wir an mehreren Sachbüchern über allgemeinere SF-Themen. Es ist allerdings noch zu früh, um Namen und Titel zu nennen. Infos und Vorankündigungen sind dann auf www.memoranda.eu zu finden. Träume für die nächsten Jahrzehnte? Nun, es wäre großartig, wenn sich auch neue Autoren bereit fänden, sich ernsthaft mit ihrem Lieblingsgenre auseinanderzusetzen und darüber zu schreiben. Es gibt so viele interessante Aspekte, die darauf warten, erforscht, analysiert und bewertet zu werden.

 

Fantasyguide: Ich wünsche Deinem Verlag alles Gute und vor allem ganz viele tolle und so phantastisch aussehende Bücher, wie wir sie von Golkonda gewöhnt sind und vielen Dank für das Interview!


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Buch:

Die Hugo Awards 1953 – 1984

Autor: Hardy Kettlitz

Taschenbuch, 315 Seiten

MEMORANDA Verlag, 10. März 2015

 

ISBN-10: 3944720717

ISBN-13: 978-3944720715

 

Erhältlich bei Amazon

 

Kindle-ASIN: B00UHQ5TBW

 

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Erstellt: 11.04.2015, zuletzt aktualisiert: 16.10.2023 21:13, 13900