Interview: Oliver Plaschka (2010)
 
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Interview mit Oliver Plaschka

Das folgende Email-Interview führten Christian Endres und Oliver Kotowski am 25.04.2010 mit Oliver Plaschka.

 

Vor gut zwei Jahren hatte ich Oliver Plaschka anlässlich seines Romans Fairwater. Oder: die Spiegel des Herrn Bartholomew interviewt. Dieses Jahr ist mit Die Magier von Montparnasse ein weiterer phantastischer Roman von ihm erschienen, dem ich mindestens ebenso viel Erfolg wünsche. Anlass genug einmal nachzufragen, wie es ihm in der Zwischenzeit ergangen ist – und ein paar weiterführende Informationen aus ihm herauszukitzeln.

 

 

Fantasyguide: Hallo Oliver! Es sind mittlerweile gut zwei Jahre seit unserem letzten Interview vergangen. Ich habe gelesen, hättest inzwischen promoviert und gäbest ein Seminar. Warum? Strebst du eine Professur an oder magst du einfach gerne Freizeit in Seminarräumen verbringen?

 

Oliver Plaschka: Ich verbringe einfach gerne meine Freizeit an der Uni. Nein im Ernst, eine Professur strebe ich aktuell nicht an, aber ich schätze den akademischen Umgang, und hoffe auf die Bewilligung eines Forschungsvorhabens, das mir dieses Leben noch einige Jahre erlauben würde.

 

 

Fantasyguide: Zu deiner Dissertation: "Verlorene Arkadien: das pastorale Motiv in der englischen und amerikanischen fantastischen Literatur" – was ist denn, sträflich vereinfacht, der Clou?

 

Oliver Plaschka: Sträflich vereinfacht geht es um die Sehnsucht nach verloren gegangenen, "besseren" Leben und Welten. Diese Sehnsucht trifft man sowohl in der Fantasy als auch der Schäferdichtung an. Denke z.B. an die verstreichenden Zeitalter Mittelerdes, oder die Kinder, die noch den Weg nach Narnia kennen. Man kann meine Arbeit auf den Seiten der UB Heidelberg auch herunterladen.

 

 

Fantasyguide: Unter der Ägide des Amerikanisten Lars Schmeink und weiterer Mitglieder der Uni Hamburg wird im Verlaufe dieses Jahres die Tagung "Fremde Welten. Wege und Räume in der Fantastik im 21. Jahrhundert" stattfinden. Die ist eng mit der "Gesellschaft für Fantastikforschung" verbunden. Bist du da irgendwie involviert? Planst du in dieser Richtung etwas?

 

Oliver Plaschka: Momentan weiß ich noch nicht, ob ich es im September nach Hamburg schaffe, weil ich einfach zu viel zu tun habe. Prinzipiell finde ich solche Tagungen aber sehr begrüßenswert und interessant, und wir werden im Sommer 2011 in Heidelberg auch selbst eine große Konferenz (das Haupttreffen der International Gothic Association) ausrichten.

 

 

Fantasyguide: 2008 wurde dein Debütroman "Fairwater oder: Die Spiegel des Herrn Bartholomew" mit dem Deutschen Phantastik Preis ausgezeichnet. Was bedeutet das für dich konkret – hat das bei Verhandlung oder dergleichen dir einen Vorteil gebracht? Was bedeutet es dir ideell?

 

Oliver Plaschka: Ideell bedeutet mir der Preis sehr viel, denn der DPP ist, nicht nur im übertragenen Sinn, ein sehr schöner Preis (auch wenn die Admins der deutschen Wikipedia sich nach wie vor weigern, seine Relevanz anzuerkennen). Auch konkret war er durchaus ein Bonus, selbst wenn wir uns mit Klett-Cotta schon über das neue Projekt verständigt hatten, als ich ihn gewann. Aber seien wir mal ehrlich, "Deutscher Phantastik-Preis" klingt einfach gut.

 

 

Fantasyguide: Du hast für "Fairwater" ja nicht nur Lob, sondern auch Kritik bekommen. Welche Kritikpunkte hast du angenommen und – damit kommen wir zu deinem neuesten Roman, "Die Magier von Montparnasse" – wie hat sich das ausgewirkt?

 

Oliver Plaschka: Meine Agentur sagt immer, gute Bücher sind kontroverse Bücher. Was ich vor allem durch die Kritik gelernt habe, ist, den Leser nicht mehr so massiv mit Zitaten, Anspielungen und meinem persönlichen Geschmack zu konfrontieren, sondern die Geschichte "offener", weniger hermetisch zu halten. Die "Magier" haben auch eine klarere Dramaturgie und ein übersichtlicheres Figurenkabinett. Vieles habe ich aber auch ähnlich gelöst wie bei "Fairwater"; es passiert immer noch viel zwischen den Zeilen und Kapiteln, und viele Schlüssel zum Verständnis dessen, was "eigentlich" geschieht, sind in Bildern und Träumen versteckt.

 

 

Fantasyguide: Erinnerst du dich noch, wann dir die Idee zu "Die Magier von Montparnasse" kam?

 

Oliver Plaschka: Eins der Dinge, die sich ändern, sobald man professionell zu schreiben beginnt, ist, dass man auf Inspiration nicht mehr warten kann, sondern nach ihr suchen muss. Im Endeffekt entstanden die "Magier" aus dem glücklichen Zusammentreffen einiger alter Rollenspielfiguren, eines nie zu Ende gebrachten Gedichts über einen verliebten Zeitreisenden und einer Szene aus Deep Space Nine, in der Kira und Odo 20er-Jahre-Kleidung tragen.

 

 

Fantasyguide: Der Roman lässt sich nur bedingt dem zuordnen, was man gemeinhin als "Fantasy" versteht. Wie wäre es mit "magisch-realistisches Kammerspiel"? Oder wie würdest du den Roman in der Phantastik verorten?

 

Oliver Plaschka: Um den Ausdruck "magischer Realismus" schlage ich ehrlich gesagt einen weiten Bogen, weil er in Literatur und Malerei bereits mit einem Haufen anderer Bedeutungen belegt ist. Das mit dem Kammerspiel beschreibt es aber sehr schön.

 

Wenn wir dem Roman ein Etikett umhängen wollen, würde ich ihn als "urban fantasy vor einem historischen Hintergrund" bezeichnen. Das klingt natürlich nicht sehr elegant.

 

 

Fantasyguide: Wie wichtig war die Recherche vor Ort?

 

Oliver Plaschka: Sehr. Bestimmte Dinge lassen sich nicht aus zweiter Hand in Erfahrung bringen; etwa, wie groß die Zimmer des Hotels oder die Entfernungen zwischen den Cafés sind, ob man vielleicht den Eiffelturm über den Dächern sieht, oder wie die Luft in den Katakomben riecht.

 

 

Fantasyguide: In dem Roman lässt der Nachwuchsautor Gaspard sich über den Literaturbetrieb aus – daran seien Leute beteiligt, denen man seinen Hund nicht für fünf Minuten anvertrauen würde. Wie stehst du zum Literaturbetrieb? Was ist deine Haltung zur "Affäre Hegemann"?

 

Oliver Plaschka: Der Literaturbetrieb übt genauso wie die Musikindustrie, das Filmgeschäft oder jeder andere Kunstbetrieb eine magische Anziehungskraft nicht nur auf Talente, sondern auch auf Selbstdarsteller aus. Oft geht beides Hand in Hand. Die Bemerkung war vor allem auf Salons wie den Gertrude Steins gemünzt, in dem schon Hemingway die Erfahrung machte, wie frustrierend es sein kann, als Neuling auf die Unterstützung selbsternannter Koryphäen zu hoffen.

 

Was "Axolotl Roadkill" betrifft, ich fand die Sache ziemlich peinlich, vor allem für den Verlag. Davon abgesehen ist das aber genau die Art von Buch, die mich nie interessiert hat und nie interessieren wird. Da wird versucht, eine Konstruktion, die weder sonderlich interessant noch gelungen ist, als authentisches Lebensgefühl einer ganzen Generation zu verkaufen. Was soll ich sagen, meine eigene Jugend fand ich geiler.

 

 

Fantasyguide: Was macht für dich einen guten Roman aus und welchen Rat würdest du Nachwuchsautoren mit auf den Weg geben?

 

Oliver Plaschka: Das mag nun nach einem Zirkelschluss klingen, aber ein guter Roman hat wenig Schwächen. Das heißt, der Autor und idealerweise auch die Leser sehen wenig Potential, wie man den Stoff inhaltlich, dramaturgisch oder stilistisch noch verbessern könnte. Eigentlich hieße das auch, dass man die nächsten zehn Jahre die Finger von dem Versuch lassen sollte, noch einmal etwas Ähnliches zu schreiben, aber diese Regel wird aus naheliegenden Gründen häufig gebrochen.

 

Ich würde jungen Autoren aber nicht raten, ihre Messlatte von vornherein zu hoch zu legen. Tatsächlich ist mein Standardrat an junge Autoren, gerade seit Erfindung des Internet (ja, ich weiß noch, wie es vorher war), sich nicht zu sehr wegen der Meinung anderer verrückt zu machen. Zu viel Feedback kann tödlich sein, besonders am Anfang. Man braucht mitunter viele Jahre, und viele hundert Seiten, bis man ein verlässliches Gespür dafür bekommt, was man eigentlich will, und was man eigentlich kann.

 

 

Fantasyguide: Was denkst du: Wie sehr darf oder muss ein Autor seinen Leser fordern?

 

Oliver Plaschka: Der Autor darf den Leser fordern, so viel er will. James Joyce und Robert E. Howard haben beide ihre Fans! Der Leser ist derjenige, der sich entscheiden muss, wo sein Geschmack liegt. Wir liefern nur das Angebot.

 

 

Fantasyguide: Die Handlung umfasst sieben Tage, Engel, verbotene Früchte und Pforten in die Hölle. Wie gläubig bist du?

 

Oliver Plaschka: Ich spiele mit solchen Elementen, weil sie in unserem Kulturkreis eine archetypische Dimension besitzen. Sie werden von den Lesern verstanden, und sie sind sehr mächtig, wenn man sie richtig einsetzt. Fantasy und Religion haben viele Berührungspunkte, und viele der klassischen Fantasyautoren waren in ihrer Motivik oder sogar ihrer Sprache von der Bibel beeinflusst.

 

Für mich sind das aber literarische – sprich, fiktionale – Motive. Religion ist eine gute Sache, leider hat sie aber auch das Potential, zur Rechtfertigung furchtbarer Taten missbraucht zu werden. Ich persönlich habe mich nie darauf eingelassen, und ich bin sehr glücklich damit.

 

 

Fantasyguide: Du befasst dich auch mit Rollenspielen – du bist Mitverfasser des Rollenspiels "Narnia". Daher frage ich mich, ob du "Mage: The Ascension" kennst. Wenn ja: Hat es dich beeinflusst?

 

Oliver Plaschka: Ich bin ein großer Fan der World of Darkness. Ich habe jahrelang Vampire gespielt, und auch in Werewolf und Changeling kenne ich mich halbwegs aus. Die anderen beiden Systeme sind leider Bildungslücken bei mir. Ich nehme aber an, dass dennoch Parallelen bestehen.

 

Rollenspielerisch ist meine Vorstellung von Magie maßgeblich von Shadowrun geprägt; kulturgeschichtlich heißt das, von der abendländischen Tradition, also den Magiern der Renaissance wie John Dee oder den spätviktorianischen Geheimbünden wie der Order of the Golden Dawn. Barneby plaudert bei seinen Spaziergängen mir Ravi ja ein wenig aus dem Nähkästchen. Darüber hinaus gilt aber das gleiche, was ich oben zur Religion gesagt habe.

 

 

Fantasyguide: Justine ist eine wichtige Figur, in einem gewissen Sinn vielleicht sogar die zentrale, auch wenn Ravi mehr Abschnitte erhält. In jedem Fall halte ich Justine für die interessanteste Figur. Wie stehst du zu dieser meines Erachtens zu wenig beachteten Figur?

 

Oliver Plaschka: Justine ist in der Tat die zentrale Figur der Geschichte, und ich hoffe, nicht ich habe sie zu wenig beachtet. An Justines Entscheidung, ob sie ihr Leben selbst in die Hand nimmt, ist letztlich ja die komplette Handlung geknüpft. Gaspard gibt ihr nur den Anstoß, und auch die Magier sind auf sie angewiesen. Und ja, ich mag sie. Justine ist eine der Figuren, die nicht nur in einer Geschichte "auftauchen", sondern extra für sie entstehen, weil sie und die Geschichte in gewisser Weise eins sind.

 

 

Fantasyguide: Und schließlich grob gefragt: Mit welchen Themen werden sich deine zukünftigen Geschichten befassen?

 

Oliver Plaschka: Bis zum Sommer erscheint noch ein Steampunk-Abenteuer, dass ich gemeinsam mit zwei Freunden von der Universität geschrieben habe. Der Arbeitstitel lautet "Der Kristallpalast", und die Handlung dreht sich, wie man sich denken kann, um die erste Weltausstellung, London 1851. Meine folgenden Solo-Projekte würde ich dann sehr gerne in fiktionalen Welten ansiedeln; nicht, dass mir die Recherche zu viel würde, aber ich habe dann an drei fantastischen Romanen in der wirklichen Welt mitgeschrieben. Ich glaube, ich habe dann erst einmal alles gesagt, was mir dazu einfällt, und würde gerne zu "neuen Ufern" aufbrechen.

 

 

Fantasyguide: Vielen Dank für das Interview!

 

Oliver Plaschka: Ich danke!

 

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Erstellt: 25.04.2010, zuletzt aktualisiert: 16.10.2023 21:13, 10373