Kluft (Autor: Ralf Steinberg)
 
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Kluft

Autor: Ralf Steinberg

 

Auszug des gesetzlich vorgeschriebenen Protokolls des Chat-Providers BizzTer vom achten August:

 

<warlord_66> hab dir doch neulich von meinem neuen job erzählt, das horrorerlebnis schlechthin x_X

<maul_affe> wasn passiert?

<warlord_66> nja, ham hier son kühlraum vernetzt, ey, der war voller kisten mit so Skulls, voll der heavy schrott

<maul_affe> jo.. echt horror -.-

<warlord_66> jedenfalls ham wirs in ne windoof domäne gepackt

<maul_affe> und? komm zum punkt..

<warlord_66> jaja.. jedenfalls hock ich jetz hier an strand und hab das ganze netz remote... >_<

<maul_affe> O.o nee, oder??

<warlord_66>muss nur den coolerfan-dienst killen und der laden bekommt die fette hitze

<maul_affe> rofl wie geil

 

 

Drei Tage später.

 

Die Sonne stand milchig hinter einer Wolke und sandte durch sie hindurch sanftes Licht in den Park. Am Weg zum Rathaus saß ein junger Mann auf einer geschändeten Bank und starrte in seinen Laptop. Hin und wieder wischten die Finger seiner rechten Hand über das Touchpad, währen die Linke das Gerät krampfhaft festhielt, damit es nicht vom Schoß rutschte. Ein altmodischer Hut steckte keck auf dem dichten schwarzen Haar, etwas zu klein, sodass der herannahende Betrachter den unbedingten Willen zur Coolness erkannte.

Lukas blieb vor dem Sitzenden stehen.

»Und?«

Erschrocken zuckte der Angesprochene zusammen und konnte gerade noch verhindern, dass ihm der Laptop herunterfiel.

»Ey Alter, bist du bekloppt, oder was? Ich krieg hier voll den Herzkasper!«, schnauzte er und klappte den Rechner zu. Lukas setzte sich auf die Bank, nicht ohne die diversen Flecken auf ihr Alter zu überprüfen, und boxte seinen Freund in die Seite.

»Haste was erreicht?«

»Logo, easy way. Die Olle ist tot, Mann! Wird sich schön bekleckern, wenn sie’s checkt.«

»Die rafft das nich’, sind doch alle eh schon dusty.«

Lukas rekelte sich. Auf seinem Unterarm tauchte dabei eine verwaschene Tätowierung auf, ein Totenkopf mit Nuckel. Die Handgelenke steckten in zerbeulten Ledermanschetten, passend zu einer abgetragenen Jacke, die versuchte, eine Verbindung zwischen Punk und Lifestyle herzustellen, eine verschwommene Ahnung von Designerchick für Großstadtnerds.

Ein Griff in die Seitentasche, dann der Blick auf das Handy-Display.

»Okay Mann. Hau den CD raus!«

Maul klappte den Laptop wieder auf, weckte das System und hackte ein Passwort ein.

»Man Alter, das knackt dir jeder Hortkiffer. Schon mal an was Neues gedacht?«

»Maul«, sagte Maul und klickte einen Tabpage im Browser an.

»Hey cool, wo is’n das Logo her?«, fragte Lukas und tippte auf das Display.

»Man, nimm deine Griffel weg! Ja, geiles Pic, was? Hatte so ’n Partei-Fuzzi in seinem Blog, hab nur die Federn gepimpt.« Stolz schaute er auf einen blinkenden Bundesadler mit bluttropfenden Federstümpfen.

»Du best echt krank, Maul!«

»Maul.«

Maul tippte aufs Touchpad.

»Hey, was ’n das für ’n beschissener Stream? Voll der GEZ-Scheiß!«

»Nee, is’ nur Low- Quali, die Kiste hat nicht so ’n dollen Traffic. Und guck mal, die Olle, is’ schon da. Wat ham’se denn der für ne Tüte übergestülpt? Man, ist das retro!«

»Na ja, guter Fummel zum Sterben.«

Die beiden brachen in Lachen aus. Für einen kurzen Moment schien die Sonne durch die Wolke und überdeckte das Bild auf dem Screen.

»Nu los, mach hinne, muss nachher noch Ente von seiner Atze loseisen, wird bestimmt wieder heftig, so wie der drauf is’.«

»Ente is’ lame.«

»Mach schon!»

»Maul.«

Maul schaute noch einmal auf das Video-Fenster mit der Bundestagssitzung, dann tippte er zweimal mit dem gestreckten Mittelfinger auf das Touchpad.

Die Erde bebte.

»wtf.«

Maul zuckte mit den Schultern. Dann begann er plötzlich hektisch, am Laptop zu arbeiten.

»Hey, was ’n los Alter? Hat man dich erwischt?«

»Nee, das Netz bricht irgendwie zusammen, man, was soll der Scheiß, ich hab ne Flat!«

Sirenen ertönten, Leute rannten auf die Straße.

Lukas blickte verstört umher. Vom Rathaus kamen Frackträger angerannt und schrien, einer stolperte.

»Ey, lass uns abhauen, voll die Panik hier.«

»Man, ich hab kein Netz mehr!« Maul tippte inzwischen auf sein Handy ein. »Der Sat geht noch ...«, verwirrt brach er ab.

»Da muss irgendein Backbone drunter gewesen sein, wer macht denn so ‘n Dreck?« Ungläubig verfolgte er den Twitterfeed.

»Und is’ die Oma tot?«

»Man, du hast Nerven, is’ mir doch Blutwurst, die halbe City is’ offline, und du fragst nach ’ner toten Tussi!«

Lukas stand kopfschüttelnd auf, hängte sich Kopfhörer über die Ohren und tippte den Pegel über die Sirenenlautstärke.

»Egal, muss los, bis die Tage!«

»Ja, Mann, bleib sauber.«

Auf der Parkbank blieb Maul versunken zurück und forschte per Handy nach einem Ersatzproxy.

 

Es gab Gedränge am U-Bahn Eingang. Zwei Matronen vom Ordnungsamt verstellten die Treppe. Sie hatten die Hände in die Gürtel gehakt, die Holster ihrer Abzockcomputer glänzten satt in der Sonne.

»Allet jesperrt, bitte jehn se weita!«

Lukas schob einen Hörer vom Ohr und verfolgte gedanklich den Satz, bis er im Nachklang von »Bitch from Hell« Sinn ergab.

Inzwischen versuchte die bunte Truppe aus Senatsangestellten, Park-Omis und anderen Wegelagerern entweder das Ordnungsamt zu überwinden oder Informationen zu erhalten. Da Lukas eine instinktive Abscheu vor derartigen Bürgerinitiativen empfand, rückte er den Kopfhörer zurecht, zog eine perfekte Sonnenbrille aus der Innentasche seiner Jacke und machte sich auf den Weg.

Keine drei locker federnde Schritte weiter zerfetzte ein heftiger Knall das gezerrte Riff von »Dusk to Bones« und ein schwarzer BMW überschlug sich kurz vor der Kreuzung. Ein Stück die Allee hinunter kreiselte ein Sprinter, bis irgendetwas ihn von hinten rammte. Es quietschte aus allen Richtungen. Lukas sprang rechtzeitig zurück, um einem Motorrad auszuweichen, das über den Bürgersteig dem Chaos zu entfliehen suchte.

»Fuck!«, entfuhr es ihm. Dann besann er sich: »Scheiße!« Ungläubig sah er sich um. Die langweilige Ecke mutierte in wenigen Augenblicken zu einer abgefahrenen Szene eines B-Movies und er ließ seinen Blick betont langsam kreisen, bis ihn ein besonderes Bild festhielt. Während John Wayner kreischend das Blut in den Adern eines fernen New Yorks gefrieren ließ, beobachtete Lukas, wie sich vom U-Bahn Eingang her eine alte Frau näherte. Sie humpelte und wirkte bemüht eilig, wie sie ihren Rollator vor sich hinschob und mit dem Kopf wackelte. Da rauschte eine Radfahrerin an Lukas vorbei, ein Kindersitz versperrte ihm kurz die Sicht und dann flog die Gehhilfe der Oma beiseite, das Fahrrad schleuderte herum, eine panische Fratze blickte ihm kurz ins Gesicht und verschwand. Die alte Frau lag auf dem Rücken, einen Arm in den Himmel gereckt, als hielte sie ihn fest.

Abrupt schwiegen die Jungs von Bloody Sabbatical und Lukas wurde herumgerissen. Maul stand vor ihm, riss ihm den Kopfhörer vom Schädel und ließ ihn fallen, sodass er am Kabel kurz vor dem Boden pendelte. Lukas Augen wanderten von ihm zu Maul.

»Ey Alter, man, die drehn völlig am Rad, sind total ausgetickt. Das raffst du nich’ - hey, was starrst ’n so auf die Omma? Ist das nen Fetisch bei Dir?«

Adrenalin oder sonst etwas in Lukas Blut gewann die Oberhand: »So ’n Muttertier hat die einfach umgeflext!«

»Na und, Mann? Die hat jetzt Rheuma oder Krätze, und die nippeln doch eh alle ab, Oberschenkelhalsbruch und jeder Rezz kommt zu spät!«

»Aber die lebt noch,« mühte sich Lukas, Ordnung in die Situation zu bekommen.

»Alter, Du bist echt krank, man, lass uns Ente holen, ich muss was rauchen!« Maul zerrte ihn die Straße lang. Brandgeruch wehte heran, der Lärm um sie herum nahm beständig zu. Immer noch versuchten Autos, durch die Unfälle zu manövrieren. Menschen schrien mit den großen Sirenen auf dem Rathaus um die Ecke. Irgendwie schafften sie es über die erste Fahrbahn. Auf dem Mittelstreifen verkroch sich ein Hund zwischen den Beinen der Skulptur. Die Sieben Schwaben mit Spieß. Lukas erkannte das Ungetüm, aber er hatte es noch nie wirklich gesehen. Es war eine Hellebarde, kein Spieß, korrigierte er sich in Gedanken. Er blieb stehen. Maul fuhr herum.

Ein Truck tauchte hinter dem Sockel auf. Lukas starrte auf die Spitze der Hellebarde. Die Zugmaschine krachte in das Kunstwerk, das Podest zerbrach und die Schwaben fielen.

»Fuck!« sagte Maul.

»Scheiße!« antworte Lukas.

»Maul.«

Dann schnitt das verzinkte Stahlblech durch die Körper der beiden und spießte sie in die ehrwürdige Erde von Berlin.

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Die Charaktere dieser Geschichte, sowie alle Handlungen sind geistiges Eigentum des Autors. Alle Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen, Orten oder Handlungen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt. Der Autor verfolgt kein kommerzielles Interesse an der Veröffentlichung dieser Geschichte.

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Erstellt: 23.12.2010, zuletzt aktualisiert: 23.02.2019 14:05, 11399