Kolumne: Mainstream
 
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Kolumne: Mainstream

Autor: Holger M. Pohl

 

Immer wieder begegne ich jemanden, der gemeinhin Mainstream genannt wird. Vornamen hat er in aller Regel keinen, aber anscheinend viele Gesichter. Viele blicken aus ihren Elfenbeintürmen auf Herrn Mainstream höchst arrogant herab und verweigern jeden öffentlichen Kontakt. Berührungsängste, weil nicht gut sein kann, was nicht gut sein darf. Oder: was vielen gefällt, muss einen Haken haben. Zumindest scheint Herr Mainstream aber ein rühriger Bursche zu sein, auch wenn das von vielen als höchst suspekt und mit einem gewissen Maß an Ablehnung betrachtet wird. Nichtsdestotrotz ist es Zeit, sich einmal mit Herrn Mainstream zu beschäftigen.

 

Mainstream ist – glaubt man vielen Augenzeugen – jemand, der immer genau das tut oder das liefert, was gerade gefragt ist. Damit ist er beim gemeinen Volk durchaus beliebt und erfolgreich. Zwar muss er sein Erscheinungsbild immer wieder ändern, damit das so bleibt, aber das ist kein sonderlich großes Problem für ihn. Er hat anscheinend eine genetische Veranlagung dazu, seine Gestalt schnell wechseln zu können. Der einzig wahre Gestaltwandler möchte man sagen. Herr Mainstream wird bejubelt, manchmal sogar gehypt.

 

Begibt man sich jedoch in die Elfenbeintürme des Forenadels oder der Kritilords, dann ändert sich das Ansehen von Herrn Mainstream schlagartig. Für diese blaublütigen Überwesen gehört Herr Mainstream zum niederen Pöbel, den man – wie schon seit Jahrhunderten üblich – mit Füßen treten und mit allerlei Verbalfäkalien bewerfen darf. Forenadel oder Kritilords mögen Herrn Mainstream nicht. Er ist niemand, dem man sonderlich übertriebene oder gar gewogene Aufmerksamkeit zollen müsste. Er ist niemand, mit dem man sich einlassen will. Lieber bleibt man in seinem Elfenbeinturm und schwelgt in den Delikatessen, die so hin und wieder angeliefert werden. Dabei übersieht das blaue Blut der Oberen Zehntausend allzu gerne – oder vergisst, was auf dasselbe hinausläuft – dass gerade dieser geschmähte Herr Mainstream es ist, der überhaupt erst ermöglicht, dass sie sich an ihren auserwählten Delikatessen laben können. Herr Mainstream und das niedere Volk sind es, die den Adel am Leben erhalten. Aber der Adel übersah schon immer gerne, dass er ohne das gemeine Volk nichts wäre. Möglicherweise sogar gar nicht existieren würde.

 

Würden nämlich Typen wie Herr Mainstream nicht die Kohle herbeischaffen, dann würden manche der Delikatessen für den Adel gar nicht erst produziert werden können. Oder es gäbe nur Delikatessen, was am Ende bedeuten würde, dass Forenadel und Kritilords irgendwann nichts mehr sehen, wenn sie aus ihrem Elfenbeinturm schauen. Weil nichts mehr da ist. Das gemeine Volk ist verschwunden und hinterlässt … Leere. Niemand mehr da, auf den man arrogant herabschauen kann. Pech, lieber Adel – aber Dein Problem!

 

Dabei begegnet man allerdings auch immer wieder einem höchst erstaunlichen Phänomen! Obwohl mehr oder weniger niemand aus dem Adel etwas mit Herrn Mainstream zu tun haben möchte, ja sogar jeden Kontakt mit ihm bestreitet, so kennt ihn doch erstaunlicherweise jeder. Und man erlaubt sich Urteile über ihn. Abfällige in aller Regel, denn natürlich kann das, was aus der Mainstreams-Fabriken geliefert wird, nicht mit dem mithalten, was die Delikatessen-Felder liefern. Erinnert mich an jene Tageszeitung, die keiner kennt, keiner liest … aber jeder weiß, was drin steht.

 

Also hochgeschätzter Forenadel, hochwohlgeborene Kritilords, entweder Ihr verkehrt doch mit Herrn Mainstream, dann steht dazu. Und zwar auf vernünftige und anständige Weise. Wertet ihn nicht einfach aus blauäugigenblütigen Prinzipien ab, weil er nicht in Eure hehre Adelswelt passt (die Vergangenheit zeigt, dass es oft genug zu sehr fruchtbaren Kontakten kam!)

Oder Ihr verkehrt nicht mit ihm und verbringt Eure Zeit in Euren Elfenbeintürmen und wisst nicht, was er liefert. Dann steht auch dazu und erlaubt Euch nicht einfach ein Urteil deswegen, weil Ihr Euch für etwas Besseres haltet und Eure Delikatessen so unsäglich viel besser erscheinen.

Vergesst aber in dem Fall eines nicht: Er ist es, der überhaupt dafür sorgt, dass Ihr Delikatessen bekommt. Und zumindest dafür solltet Ihr hohen Damen und Herren ihm dankbar sein!

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Erstellt: 07.04.2010, zuletzt aktualisiert: 26.06.2022 18:51, 10281