Kolumne: Reißleine
 
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Kolumne: Reißleine

Autor: Holger M. Pohl

 

Natürlich denken Verlage kaufmännisch. Jedes Unternehmen denkt kaufmännisch – oder sollte es zumindest tun. Und genau aus diesem Grund machen Verlage eben etwas, was uns Lesern so ganz und gar nicht gefällt: sie ziehen die Reißleine. Nicht oft, aber immer öfter. Sie bringen den ersten Band einer Reihe, vielleicht noch den Zweiten … und dann ist Schluss, Aus, Ende, Vorbei. Weil – kaufmännisch gesehen – die Reihe nicht ganz so erfolgreich war, wie es sich die Inhaber, Aktionäre oder sonst wer erhoffte. Der erwartete Profit war nicht hoch genug. Geld regiert die Welt – auch in dieser Hinsicht.

Kaufmännisch gesehen, wie gesagt, eine logische und richtige Entscheidung – aber Leser denken selten kaufmännisch und manchmal auch nicht ganz logisch, wenn es um ihre Helden geht.

 

Allerdings muss man auch sehen, dass Verlage sich damit durchaus in guter Gesellschaft befinden. In der TV-Landschaft ist so etwas nämlich schon seit Jahren gang und gäbe: eine Serie wird produziert, der (mit etwas mehr Sorgfalt und mehr Einsatz produzierte) Pilotfilm vorausgeschickt. Ist der nun nicht so der Renner … wird die bereits produzierte Serie entweder eingestampft oder allenfalls auf DVD herausgebracht. Den Weg auf den Bildschirm findet sie selten. Nun ja, der Quotenrichter hat den Daumen gesenkt und das Aus beschlossen, noch ehe es richtig losging. Nix Quote – Nix Werbeeinnahmen. Jenen Zuschauer, denen der Pilotfilm doch gefallen hat, bleibt dann entweder eine spätere DVD-Box oder die Flucht in den nächsten Pilotfilm einer Serie, die dann vielleicht doch gesendet wird.

 

Wie gesagt, die Verlagslandschaft hat diese Unart mittlerweile übernommen und stoppt eine Reihe gerne mal so zwischendrin. Im Bereich der Phantastik und insbesondere der Fantasy hat das in den letzten Jahren so einige Reihen getroffen.

Wobei ich manchmal den Eindruck nicht loswerde, dass der Autor nicht ganz unschuldig ist. Wüsste der Verlag nämlich, wie viele Teile einer Reihe der Autor so genau geplant hat, dann könnten die Verlage möglicherweise etwas besser abschätzen, was auf sie zukommt und sie auf den Leser loslassen. Aber der Autor ist sich da oft selbst nicht ganz sicher. Nach dem 3. und abschließenden Band kommt der 4. und endgültig letzte Band der Reihe. Gefolgt von dem ultimativ allerletzten und alles erklärenden 5. Band (in dem man sich ein Hintertürchen für Teil 6 offen lässt).

Da ist schon zu verstehen, wenn einem Verlag manchmal der Geduldsfaden reißt und er die Reißleine zieht. Kaufmännisch gesehen sind wir hier immer noch im grünen Bereich.

 

Doch wie schon gesagt, ein Leser sieht nicht immer alles kaufmännisch und auch nicht ganz logisch. Eine Reihe fängt ja damit an, dass ein Teil erscheint. Die Leser, denen dieser Teil nicht so gefallen hat, werden sich dann eher weniger den nächsten Teil kaufen … und so weiter. Irgendwann kommt eben der Punkt, an dem der Verlag die Frage stellt: „Warum noch produzieren, wenn kaum noch etwas verkauft wird?“ Wobei über die Größenordnung dieses „kaum noch etwas“ zwischen Verlag und Leser sehr differierende Meinungen bestehen dürften.

Anders als in der TV-Landschaft wird aber die eingestellte Reihe nicht irgendwann auf DVD erscheinen (und auch nicht als Hörbuch), sondern eben einfach … unvollendet bleiben. Was den Verlag nicht stört und dem Leser ein großes Ärgernis ist.

 

Welche Möglichkeiten hat man aber so als Leser, damit das nicht geschieht. Oder damit man sich nicht so ärgert? Nun, welche Lösungen andere Leser ergreifen, weiß ich nicht. Ich für meinen Teil habe es mir zur Angewohnheit gemacht, Reihen, die bei Verlagen erscheinen, die bei der Benutzung der Reißleine überdurchschnittlich oft vertreten sind, erst einmal gar nicht anzulesen. Anders gesagt: Ich kaufe bei solchen Verlagen weder Band 1 noch Band 2 einer Reihe, sondern warte, bis die Reihe komplett ist. Wird sie das dank Reißleine nicht … habe ich mir Verärgerung erspart. Was aber den Verlagen letztlich gleichgültig ist. Das wiederum ist mir egal. Ergänzt wird diese gegenseitige Gleichgültigkeit durch gegenseitiges Unverständnis.

 

Eine weitere Möglichkeit ist, dass man dieses Spiel eben mitspielt und das Positive daraus zieht: wird eine Reihe eingestellt, dann lese ich sie eben im Original zu Ende (wenn sie da beendet wurde). Ich nutze den Lerneffekt um mein eingerostetes Englisch, Französisch, Russisch, Suaheli … wieder auf Vordermann zu bringen. Habe ich allerdings von der Original-Sprache keine Ahnung, dann bringt mich der Weg nicht weiter. Allerdings … vielleicht gibt es die Reihe – wenn schon nicht im Original verständlich – in einer Sprache, die ich beherrsche, komplett bei einem ausländischen Verlag. Das muss sich doch herausfinden lassen.

 

Vielleicht sollte ich aber auch selbst einen Verlag gründen und den Großen der Szene einfach all die Reihen abnehmen, die sie eingestellt haben. Für die es aber immer noch Leser gibt, die jedoch leider nicht mehr in den Genuss des Endes der Reihe gekommen sind. Sie wären sicher dankbare Käufer! Einen Namen für das Verlagsprogramm hätte ich auch schon: „The row must go on!“

 

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Oje, das hat nicht geklappt, Elfenwerk! 20240329135219cc01a442
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Erstellt: 14.08.2010, zuletzt aktualisiert: 26.06.2022 18:51, 10862