Kommentar: Rogue One
 
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Rogue One, Star Wars und die Postmoderne

Warum das Spin-off ein makelhaftes Kunstwerk ist

 

Redakteur: Oliver Kotowski

 

Seit dem 15. Dezember läuft der neue Star Wars-Film Rogue One: A Star Wars Story. (RO) Der Film wird nicht als Teil der Saga gewertet – darum gibt es keine römische Nummer – sondern als Spin-off, ein „Nebenprodukt“, wie Langenscheidt übersetzt.

 

Ich will mich nicht lange mit der Beschreibung des Filmes aufhalten – zahllose Trailer und Rezensionen sollten bereits genügend dazu gesagt haben. Auch gehe ich davon aus, dass der Film vom Leser bereits gesehen wurde, oder dass ihm Spoiler egal sind. Weitere Warnungen wird es nicht geben.

 

Dennoch zunächst ein paar Worte dazu, was der Film eigentlich ist.

Direktor Orson Krennic (Ben Mendelsohn) soll für des galaktische Imperium eine gewaltige Waffe fertigstellen: Den Todesstern, eine Raumstation, die ganze Planeten zerstören kann. Aber irgendwie will der Superlaser nicht richtig funktionieren. Daher zwangsrekrutiert er den genialen Wissenschaftler Galen Erso (Mads Mikkelsen), der vom Imperium desertiert war und mit dem extremistischen Widerstandskämpfer Saw Gerrera (Forest Whitaker) im Kontakt stand. Galen wird also entführt, seine Tochter Jyn Erso (Felicity Jones) von Gerrera aufgenommen. Fünfzehn Jahre später ist aus Jyn eine Kriminelle geworden, die in ein imperiales Arbeitslager soll. Galen hat die Arbeit am Todesstern vollendet, gleichzeitig aber auch einen Schwachpunkt eingebaut. Es gelang ihm, den imperialen Piloten Bodhi Rook (Riz Ahmed) umzudrehen und mit einer Nachricht zu Gerrera zu schicken. Davon bekommt nun der Rebellenspion Cassian Andor (Diego Luna) Wind – er veranlasst, dass Jyn befreit wird, damit sie einen Kontakt zu Gerrera herstellen kann.

Soweit die Ausgangslage. Von da ab flitzen Jyn, Cassian und sein Droide K-2S0 (Alan Tudyk) durch die Galaxis, bekommen neue Verbündete, wie Chirrut Îmwe (Donnie Yen) und Baze Malbus (Jiang Wen), und geraten immer wieder an imperiale Widersacher, bis sie am Ende die Pläne des Todessterns haben.

 

Das ist wohl beinahe jedem Zuschauer des Films von vornherein klar: Am Ende werden die Rebellen die Pläne haben, denn so beginnt der Film Star Wars IV: A New Hope (ANH). Tatsächliche ist RO die Ausformulierung der beiden Rolltextsätze:

Rebel spaceships, striking from a hidden base, have won their first victory against the evil Galactic Empire. During the battle, Rebel spies managed to steal secret plans to the Empire’s ultimate weapon, the DEATH STAR, an armored space station with enough power to destroy an entire planet.

Wie kann dieser Film überhaupt noch spannend sein, wenn das Ende schon bekannt ist?

 

Im Wesentlichen unterscheidet man zwischen zwei Arten von Spannung: der Longitudinalspannung und der Transversalspannung. Longitudinalspannung ist das, was üblicherweise als Spannung bezeichnet wird: Der Film stellt eine Frage – Wer ist der Mörder? Wer wird die Zombies überleben? – die der Film im Laufe der Spielzeit beantwortet. Transversalspannung greift aus dem Film heraus, sodass der Zuschauer, und nicht der Film selbst die Frage beantwortet. Ein klassisches Beispiel liefert Lars von Triers Film Dogville (DK u.a. 1993). Die moralische Grace (Nicole Kidman) war vor ihrem mörderischen Gangstervater (James Caan) in ein abgelegenes Dorf geflohen, wo sie von den Einwohnern ausgebeutet, drangsaliert und schließlich ermordet werden soll. Dafür rufen sie den Gangstervater. Doch der wollte seine Tochter eigentlich nie töten, er schießt nur stets, wenn er zornig ist. Nun beginnt eine Diskussion zwischen Vater und Tochter: Was wäre der richtige Umgang mit den Dörflern? Der Film gibt eine Antwort vor, doch damit ist die Frage mitnichten gelöst. Der Zuschauer muss sie für sich selbst beantworten.

 

Welchen Weg schlägt RO ein? Nun, die Ansicht, dass RO ein Kriegsfilm wäre, ist weitverbreitet. Er ist es nicht. Sicher, es gibt eine Reihe von Kämpfen mit Soldaten, sogar eine ausgewachsene Schlacht, doch die gab es auch in allen anderen Star Wars-Filmen. Die gibt es auch in diversen James Bond-Filmen, wie etwa James Bond 007 – Man lebt nur zweimal (GB 1967) oder James Bond 007 – Moonraker – Streng geheim (GB/F 1979). Nein RO ist ein viel mehr ein Agenten-Thriller als ein Kriegsfilm: Die Hauptziele von Jyn und Cassian sind Informationsbeschaffung, Extraktion und Mord, ihre Mittel sind die der Infiltration. Es geht ihnen niemals um militärische Ziele, sie nutzen nie rein militärisches Gerät. Wer mag, kann ja mal ausführlich RO mit einem typischen Agenten-Thriller wie James Bond – 007 jagt Dr. No (GB 1962) und einem typischen Kriegsfilm wie Die Brücke von Arnheim (GB/USA 1977) vergleichen.

Doch egal ob Agenten-Thriller oder Kriegsfilm, auf Longitudinalspannung kann der Film nur begrenzt setzen, denn die Filme sind diesbezüglich eher ergebnisorientiert. Der Heist-Film wäre eine wesentlich passendere Lösung gewesen. Im Heist-Film à la Ocean‘s Eleven (USA 2001) geht es darum, etwas aus einer clever gesicherten Einrichtung zu stehlen. Dazu muss eine Gruppe von Spezialisten einen noch clevereren Plan entwickeln, der sich dann – natürlich – nicht richtig umsetzen lässt, und nur gewitzte Improvisation kann die Schlenker ausgleichen. Bei einem Heist-Film steht eben der Weg und nicht das Ziel im Fokus: Auch hier weiß der Zuschauer schon vorher, dass die Trickster am Ende den Heist durchgezogen haben werden. Die Frage ist nur: Wie?

 

Aber diesen Weg schlägt der Film nicht ein, enttäuschenderweise, wie ich direkt nach dem Sehen von RO gedacht hatte. Der Film ist eine Art Flick-Werk-Agenten-Thriller. Da gibt es Jyns origin story, ein bisschen imperiale Rivalitäten, ein bisschen rebellische Rivalitäten, ein bisschen Parallelisierung von Saw Gerrera und Darth Vader (samt schwieriger Vater-Kind-Beziehung), jede Menge worldbuilding und natürlich die Jagd nach den Plänen. Das ist zu viel. Zwar ist mir mittlerweile bewusst, was sie bewirken sollen, doch während des Sehens bekam ich erst einmal eine Reihe von (Plot-kasal) isolierten Ereignissen zu sehen. All dies soll die wichtige Transversalspannung aufbauen, denn die Action bietet bloß Schauwerte und kaum Longitudinalspannung. Und, so meine ich, dies war auch nicht intendiert.

 

Die origin-Momente dienen dazu, die Figuren dem Zuschauer näher zubringen, damit er wenigstens etwas um die Figuren bangt und mehr noch über das Star Wars-Universum (SWU) erfährt. Wenn Saw Gerrera, ein brutaler Widerstandskämpfer, den viele Menschen fürchten, schwer vercybert zu seinem Atemgerät greift und charakteristisch zischende Atemgeräusche ertönen lässt, wird natürlich an Darth Vader erinnert. So werden die Figuren sehr pointiert parallelisiert. Doch was will der Regisseur Gareth Edwards damit bezwecken? Die Frage überlässt er dem Zuschauer. Angerissen wird die Brutalität von Gerreras Gruppe – die anderen Rebellen halten sie für Extremisten, für Terroristen. Es gibt keine Kooperation zwischen Gerreras Extremisten und den Rebellen der Allianz. Dies zusammen mit dem vage orientalischen Setting der Stadt Jedha stellt den Zuschauer vor die Frage: Sehen wir dem legitimen Widerstand und der Al-Nusra-Front beim Kampf gegen das Assad-Regime zu? Noch eine offene Frage.

Was dagegen sicher ist, ist dass Saw Gerrera in der Animationsserie Star Wars: The Clone Wars zuerst aufgetreten war – schon dort wird er als brutaler Widerstandskämpfer gegen die Seperatisten etabliert, dessen Gruppe von der Republik ausgebildet und bewaffnet wird. In Zukunft soll er in der Animationsserie Star Wars Rebels auftreten, einer Serie, die einige Zeit vor RO spielt.

Auch die verschiedenen Rivalitäten und ganz besonders das worldbuilding dienen dazu, dem Zuschauer das SWU weiter vorzustellen. Gerade das spirituelle Zentrum des Jedi-Kultes auf dem Mond Jedha fasziniert den Zuschauer. Bei den Kamerafahrten durch die engen Gassen begegnet man nie gesehenen Aliens, die zwischen den Ruinen einer zivilisierteren Zeit bizarr kostümierten Pilgern seltsame Gerichte anbieten. Rituelles Chanten, Sturmtruppenstreifen, klagende Bettler, weinende Kinder und verstohlene Rebellenspione. Welcher Freund des SWU würde dort nicht mehr Zeit verbringen wollen? Während des Filmes konnte ich spüren, wie die Zuschauer (mir inklusive) sich im Geiste Notizen für die spätere Verwendung machten. Jedha war großartig.

 

Wie steht all das mit dem Rest des SWU in Verbindung? Diese Frage ist der Grund, warum ich einen Großteil des Vorstellens des SWU zur Transversalspannung zähle: Zwar werden viele Fragen von anderen Geschichten beantwortet, doch dieses Wissen muss der Zuschauer eben selbst mitbringen. RO greift über sich hinaus, ohne den einordnenden Zuschauer bleiben es (relativ) nutzlose Schnipsel.

 

Doch im Titel sprach ich von Postmoderne und Kunstwerk. Nun dazu. Postmoderne kann in unterschiedlichen Kontexten sehr unterschiedliches bedeuten. Wenn man den Begriff im Rahmen des Geschichtenerzählens anwendet, dann will man zumeist auf das Spielerische hinaus. Postmoderne spielt mit Erzählmustern, Postmoderne spielt mit Realität und Fiktion, spielt mit Trivialität und Kunst, spielt mit Intertextualität, Zitat und Collage.

Das ganze worldbuilding, das weitere Vorstellen des SWU wird nur im Kontext der anderen SWU-Geschichten verständlich und interessant – es ist Intertextualität. Hinzu kommen viele Zitate in Form von Figuren: Saw Gerrera, Bail Organa, Mon Mothma, General Dodonna, Darth Vader – die Liste ist überaus lang, wer mag kann sich in der Den of Geeks einen Überblick verschaffen. Aber damit nicht genug: Auch Grandmoff Tarkin und Prinzessin Leia haben wichtige Auftritte. Und während Gerrera bislang nicht im Realfilm auftrat, Vader an seiner Maske erkannt wird, Organa und Mothma von Schauspielern dargestellt werden, die sich kaum verändert haben, ist Peter Cushing (Tarkin) tot und Carrie Fisher (Leia) ist nicht mehr zwanzig, sondern mittlerweile sechzig. Das klassische Vorgehen wäre es, neue, vom Typ her ähnliche Schauspieler zu casten (wie man es mit Alex McCrindle und Ian McElhinney bei Dodonna machte). Hat man bei den beiden auch, aber hinzu kommen noch CGI-Masken für die Schauspieler Guy Henry und Ingvild Deila in solcher Perfektion, dass der Zuschauer für Momente vergessen kann, hier nicht Cushing oder die junge Fisher zu sehen. Außerdem wurden Schnipsel vom Archiv-Material von ANH in RO integriert – man achte auf die Piloten, die über Scarif ihre Bereitschaft melden. An dieser Stelle könnte man noch einiges zu den Kameraeinstellungen (episches Panorama vs. schäbige Großaufnahme), der Kameraführung (langsame, ruhige Fahrten vs. wackelige Handkamera), Schnitt und Beleuchtung usw. sagen. Ich will mich hier darauf beschränken, dass Edwards gerade hier Anleihen beim aktuellen Kriegsfilm genommen hat; das ist vielleicht – wahrscheinlich? – ein Grund, warum der Film so oft als Kriegsfilm beschrieben wird.

Spiel mit der Intertextualität, dem Zitat und der Sehgewohnheit – ich glaube, man kann mit einiger Sicherheit sagen, dass sich der Film postmoderner Mittel bedient. Nicht extensiv – Disney will großes Geld verdienen, und dazu braucht man ein Massenpublikum. Nein, RO ist keine Avantgarde, es ist Mainstream. Sozusagen, postmodern light.

All das reicht für mich aber noch nicht, um den Film ein Kunstwerk zu nennen. Es fehlt der Mut, die Kühnheit, etwas Außergewöhnliches zu machen. Das sehe ich im Umgang mit dem Thema des Films: Selbstaufopferung. Der Film behandelt immer wieder Opfer: Lyra Erso (Valene Kane) opfert sich erfolglos, um ihre Familie zu retten, Galen opfert sich, um der Rebellion zu helfen, Cassian opfert seine Integrität (und das Leben eines seiner Informanten), um an wichtige Informationen zu gelangen, etc. – am Ende opfern sich alle Hauptfiguren, zahllose Soldaten und große Teile der Rebellenflotte, um an die Pläne zu gelangen. Nicht nur die Figuren opfern, auch der Film opfert: Sein worldbuilding. Es gibt kaum nova, die der Film nicht zerstört: Figuren, Städte, Planeten. Mehr noch, ich meine, der Film opfert sich selbst. Ohne ANH ist der Film belanglos. Es braucht den Abschluss, die Zerstörung des Todessterns, die erst ANH liefert. RO macht sich selbst zum Vorspiel. Es ist der bisher düsterste Film des SWU, noch düsterer als Star Wars III: Revenge of the Sith (RotS), weil wirklich alle Hauptfiguren sterben. Diese extreme Düsternis lässt die Helden aus ANH um so mehr erstrahlen. RO ist der Wendepunkt der Saga: The Phantom Menace stellt die Ausgangslage dar, das gütige und friedliche Sternenreich, das allerdings durch finstere Ambitionen bedroht wird. Die Bedrohung wird stärker, bis sie in RotS die Kräfte des Guten besiegt – die Helden verschwinden. In ANH tauchen sie wieder auf, auch wenn Obi Wan gleich von Vader getötet wird, gibt er doch den Staffelstab an Luke weiter. Obi Wan war einst gescheitert, jetzt scheitert er wieder – Luke ist die neue Hoffnung. Am (vorläufigen) Ende in Return of the Jedi wird er die alte Gefahr beseitigen und die Chance auf Güte und Frieden wieder ermöglichen. RO nun steht zwischen den beiden Trilogien: Die Helden der Republik sind weitgehend verschwunden, die neuen Hoffnungsträger noch nicht aufgetaucht, die Fahne der Hoffnung tragen einstige und (zum Teil zukünftige) Nebenfiguren. Jyn, Cassian und die anderen sind keine Helden – sie sind zu schwach, zu korrupt. Es sind Gefallene, die nur auf eine Erlösung hoffen dürfen, wenn sie ihr Leben für eine größere Sache geben. Erst das Opfer dieser Beinahe-Helden gewährt den neuen Helden die Zeit, die sie zum Heranreifen brauchen. Und eben dieses Opfer bringt der ganze Film: Er zerstör alles, was er geschaffen hat, macht sich selbst zum Vorspiel, damit sein Nachfolger wieder glänzen kann. Hier wird ein Fehler des Expanded Universe (EU) vermieden: Wo im EU immer größere Bedrohungen auftraten, die die Ereignisse der klassischen Trilogie immer kleiner erscheinen ließen, lässt RO die Bedeutung von ANH wachsen. Die Größe von Rogue One: A Star Wars Story ist seine Demut. Deshalb halte ich es für ein Kunstwerk.

 

Doch ich sprach im Titel auch von Makeln. Zwar schafft der Film so viel Neues, doch ebenso viel zerstört er auch. Nach dem Film weiß man so viel mehr über das SWU, doch man erfährt nichts Neues. Was ich mit diesen oxymoronischen Worten meine: Der Film lässt keine Fäden offen – Jedha wird man nicht wiedersehen, Scarif nicht, Jyn Erso und die anderen auch nicht. Die anderen Filme ließen immer viel Raum für die Phantasie – wie viele Kinder waren in der Sandkiste auf Tatooine, wie viele Rollenspieler besuchen es im Geiste immer noch? Ich fürchte Jedha wird so viel seltener Gäste haben. Schade, denn es ist bzw. war mindestens ebenso aufregend wie Tatooine.

 

Wenn der Film nicht so viel opfern würde, nicht so melodramatisch wäre und jeden zum Märtyrer machte, ein paar mehr Fäden offen, Platz für die Phantasie ließe, statt nur die Lage in ANH zu erklären, wäre es eben nicht nur ein cleveres Kunstwerk, sondern möglicherweise auch ein hervorragender Film geworden. So bleibt ein durchwachsener Film, eben ein makelhaftes Kunstwerk.

 

Doch der Spielraum, den Disney Edwards mit diesem Film gewährte, lässt Gutes für die weiteren Spin-off-Filme hoffen: Vielleicht wird ja der Han Solo-Film mit Alden Ehrenreich Kunstwerk und hervorragender Film zugleich.

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Rogue One: A Star Wars Story

USA 2016

Regie: Gareth Edwards

Laufzeit 134 Minuten

Musik: Michael Giacchino

Walt Disney Studios Motion Pictures

 

Erhältlich bei: Ab ins Kino!

DarstellerInnen:

  • Felicity Jones

  • Diego Luna

  • Alan Tudyk

  • Mads Mikkelsen

  • Donnie Yen

  • Jiang Wen

  • Ben Mendelsohn

Weitere Infos:

Star Wars - eine Übersicht für den Fantasy Guide

Rogue One in der PhilmDB

Starwars.de - die offizielle Website.


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Erstellt: 22.12.2016, zuletzt aktualisiert: 31.05.2022 08:09, 15225