Reise zum Mond und zur Sonne (Autor: Savinien Cyrano de Bergerac)
 
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Reise zum Mond und zur Sonne von Savinien Cyrano de Bergerac

Rezension von Ralf Steinberg

 

Verlagsinfo:

Mit gedanklicher Sprengkraft und sprachlichen Knalleffekten zündet dieses Buch ein Feuerwerk, das bis heute nichts von seiner literarischen Kraft verloren hat.

 

In den zwei Romanen Die Reise zum Mond und Die Reise zur Sonne, 1655 posthum erschienen, begibt sich Savinien Cyrano de Bergerac, der berühmte Autor mit der langen Nase, mit exorbitanter Phantasie und hintergründigem Witz auf wunderbare Expeditionen. Mit gedanklicher Sprengkraft und sprachlichen Knalleffekten zündet dieses Buch ein literarisches Feuerwerk, das bis heute nichts von seiner Faszination verloren hat. Wolfgang Tschöke überträgt die Werke erstmals in einen zeitgemäßen Ton.

 

Rezension:

Der dtv beweist sich erneut als Pfleger klassischer Literatur fernab des Mainstreams indem er die 2005 bei Eichborn erschienene und von Wolfgang Tschöke herausgegebebe Sammelausgabe der beiden Romane von Savinien Cyrano de Bergerac nun als Taschenbuch einer breiteren Leserschaft zur Verfügung stellt.

Wie schon bei Voltaires Candide veredelt Tschöke seine Neuübersetzung durch informative Anmerkungen, ein lesbares Nachwort und gibt dem Leser ein durch ausführliche Quellenarbeit vollständig von Zensur-Eingriffen befreite Ausgabe in die Hand. Im Nachwort erklärt er ausführlich, mit welchen Schwierigkeiten er bei der Zusammenstellung des Textes zu kämpfen hatte und geht dabei gleich noch auf die sehr spannende Quellenlage zur Biographie Bergeracs ein. Wer sich mit den physikalischen, philosophischen oder religiösen Betrachtungen in den Romanen schwer tut, sollte zudem das Nachwort zuerst und die Anmerkungen parallel zum Text lesen.

 

Die meisten Leser werden Cyrano de Bergerac durch das Bild kenn, dass Edmond Rostand in seinem Versdrama zeichnete und das Grundlage unter anderem der Verfilmung mit Gérard Depardieu war.

 

Seine beiden Reiseromane erschienen 1655 erst posthum, ihr philosophischer und vor allem theologischer Sprengstoff jedoch blieb auch nach diversen zensurbedingten Eingriffen enorm. Das liegt vor allen an der pointierten Schärfe seiner Sticheleien, die sich meist nur grob als Fürsprachen, naive Äußerungen oder gar Thesen verdammenswerter Fremdwesen tarnten. Dabei würzte er seine zum Teil schwer verdauliche Reise durch die moderne Wissenschaft mit phantastischen Einfällen, die den beiden Werken zu Recht einen Platz unter den Begründern der modernen Phantastik einräumen, auch wenn er die Reisen zum Mond oder der Sonne nicht erfand. Mit seinen Vordenkern geht Bergerac dabei sehr kreativ um, indem er nicht nur direkt Bezug auf sie nimmt, den Verfasser von La città del sole (dt. der Sonnenstaat), Tommaso Campanella, lässt er in "Die Reise zur Sonne" sogar als Begleiter seines Reisenden auftreten.

 

Zunächst jedoch verschlägt es den Ich-Erzähler auf den Mond, wo er direkt im Paradies landet und dort auch recht bald wieder hinausgeworfen wird, als ziemlich unernst Elias Schlangenbildnis sexuell umdeutet. So lernt er recht bald andere Mondbewohner kennen, die in ihm ein Tier sehen, nur den Geruch von Speisen essen und Gedichte als Währung benutzen. Zwar fällt es immer wieder schwer während der Gespräche, etwa mit dem Dämon des Sokrates, zu erkennen, worüber Bergerac spottet und was er selbst glaubt, zu skurril erscheinen meist die aus heutiger Sicht verqueren Ideen gleichermaßen, aber auch hier hilft stets ein Blick in den Anhang. Jedoch summieren sich die offensichtlich blasphemisch-hetärischen Sprüche derart, dass der Teufel kommt, um den Reisenden in die Hölle zu bringen, was jedoch misslingt und somit Platz schafft für die zweite Reise.

 

Hier erholt sich der Ich-Erzähler zunächst bei einem befreundeten Freigeist und wir erfahren weitere libertinistische Gedanken, bis auch hier der Klerus zuschlägt. Doch die Flucht glückt und führt zur Sonne. Nach einem kurzen philosophischen Zwischenspiel landet er auf der Sonnenoberfläche. In einer amüsanten Umdeutung der Metamorphosen lässt Bergerac nicht nur diverse sexuelle Verbote Revue passieren, ein eindeutig homosexuell geprägtes Märchen erklärt nebenbei Magnetismus und einige andere physikalische Wunder. Anschließend gerät der Protagonist in die Fänge eines Vogelstaates wo er für sein Menschsein angeklagt und zum Tode verurteilt wird. Die deutlichen Anlehnungen an Inquisitionsprozesse wie dem von Galileo Galilei geben einen guten Eindruck davon, welche Repressalien Andersdenkende zur Zeit Bergeracs zu erwarten hatten.

Nach der überraschenden Trennung und einem surrealistischen Wandel durch die Sinne endet das Romanfragment just in dem Moment, als man im Lande Philosophen auf Descartes trifft.

 

Die Fülle an behandelten Lehren und Anschauungen von Gassendi, dessen Kreis Bergerac zeitweise angehörte, über den stark kritisierten Aristoteles bis hin zu Platon oder Descartes, klopft er scharfzüngig ab ohne sich deutlich selbst zu positionieren. Stets ist sein Blick skeptisch und seine Worte spitz.

Das er dabei besonders dem Klerus deutlich und nachhaltig auf die Füße tritt, versteht sich irgendwie von selbst, Der Siegeszug der Vernunft lag, wie die Aufklärung selbst, in der Luft. Der vermutlich dritte Teil der Reisen, L'Etincelle (dt. Der Funken) ist leider verschollen, wie Wolfgang Tschöke vermutet aufgrund der konservativen Umgebung, in der sich Bergerac bis kurz vor seinem Tod ausgeliefert fand.

 

Fazit:

Cyrano de Bergeracs poetische und voller philosophischer Sprengsätze angereicherten Reisen zum Mond und zur Sonne spiegeln das zersplitternde europäische Weltbild des 17. Jahrhunderts brillant wieder. Nicht unbedingt durchweg leicht zu lesen, lässt sich mit Hilfe der vorzüglichen Edition und der führend Hand des Herausgebers eine Welt voller Fantasie und köstlicher Ideen entdecken, die man so sicher nicht erwartete.

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Buch:

Reise zum Mond und zur Sonne

Original: L'Autre Monde ou les États et empires le la Lune / L'Autre Monde ou les États et Empires du Soleil,1655

Autor: Savinien Cyrano de Bergerac

Übersetzer: Wolfgang Tschöke

Illustrator: Filippo Morghen

Taschenbuch, 368 Seiten

Deutscher Taschenbuch Verlag, 1. Juli 2009

 

ISBN-10: 3423137908

ISBN-13: 978-3423137904

 

Erhältlich bei: Amazon


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Erstellt: 06.10.2009, zuletzt aktualisiert: 27.02.2023 19:05, 9327