Schattenfall (Autor: R. Scott Bakker; Der Krieg der Propheten Bd. 1)
 
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Schattenfall von R. Scott Bakker

Reihe: Der Krieg der Propheten Bd. 1

Rezension von Oliver Kotowski

 

Rezension:

Maithanet, der Shriah der Tausend Tempel, das Wort Gottes auf Erden, ruft den Heiligen Krieg aus. Die Gläubigen sollen sich im Kaiserreich Nansur bei der Hauptstadt Momemn versammeln und mit geballter Macht gegen die Kianene vorgehen: Es gilt Shimeh, die heilige Stadt, in der der letzte Prophet sein Wort verkündete, den unreinen Klauen der Fanim-Heiden zu entreißen. Doch viele Gläubige sind nicht sonderlich fromm: Ikurei Xerius III., der gottgleiche Kaiser von Nansur, will den Heiligen Krieg dazu gebrauchen um die an Kian verloren gegangenen Gebiete zurückzuerobern und schickt dazu seinen Neffen Conphas gegen die Scylvendi aus, die noch nie in einer offenen Feldschlacht besiegt wurden, Eleäzaras, der Hochmeister der Scharlachspitzen, des mächtigsten Hexerordens der Drei Meere, will mit seiner Hilfe die Cishaurim, den Hexerorden der Fanim, vernichten, Nersei Calmemanis will Nersei Proyas, dem Kronprinzen von Conriya und mächtigsten der am Krieg teilnehmenden Fürsten, nicht den ganzen Ruhm überlassen. Der Hexerorden der Mandati fürchtet die Rathgeber, ein uraltes Übel, welches die zweite Apokalypse herbeiführen will, und entsendet Drusas Achamian um entsprechenden Hinweisen nachzugehen. Unterdessen macht sich der Dûnyain-Mönch Anasûnmbor Kellhus auf, seinen Vater in Shimeh zu treffen – ist er der prophezeite Anasûnmbor, der vom Ende der Welt kündet?

 

Das Geschehen trägt sich auf der Welt Eärwa in den Jahren 4109 bis 4111 zu. Das meiste davon im Süden um die Drei Meere herum. Dort liegt im wüstenreichen Westen das Reich der Kianene, welches seit Jahrhunderten die Nansur immer weiter in den Nordosten drängt. Weiter östlich liegen die wichtigen Reiche Galeoth, Ce Tydonn, Conriya und Ainon. Im Nordwesten von Nansur befindet sich die Steppe Jiünati, die Heimat der kriegslüsternen Scylvendi, und ganz im Norden finden sich kaum mehr Menschen, dort herrschen die Sranc und die Nichtmenschen. Diese beiden Völker werden kaum vorgestellt, aber die wilden, blutrünstigen und brutalen Sranc erinnern mich ein wenig an Orks, während ihre klugen und grausamen Herren, die Nichtmenschen, mich an Michael Moorcocks Melnibonéer oder Dunkelelfen erinnern. Beides sind aber nur vage Eindrücke, da sie nur angerissen werden. Vor langer Zeit herrschten große Herren im Norden: Die menschlichen Norsirai der Kuniüri, die Verbündete der Nichtmenschen waren. Aber während der ersten Apokalypse wurden die großen Reiche des Nordens vernichtet und nur wenige Überbleibsel haben sich erhalten: Die von den Kriegermönchen der Dûnyain gehütete Königsdynastie der Anasûrimbor und die Gnosis, die Hexenkunst der Mandati. Wen der verborgene König aus dem Norden jetzt ein wenig an Aragorn und J. R. R. Tolkiens Der Herr der Ringe erinnert, der kann noch mehr Gemeinsamkeiten finden. Am auffälligsten ist der Anhang mit den Sprachfamilien, auch klingen die Namen wie aus Mittelerde: Dûnyain – Dúnedain, Eärwa – Arda, Qûya-Nichtmenschen – Quenya. Die Ausgangslage ist sehr ähnlich: Bei Tolkien werden die Menschen vom einstmals glänzenden Gondor, dem Schutzschild gegen Mordor, im letzten Krieg von den umliegenden Fürsten durch Heereskontingente unterstützt. Bei Bakker führt das einstmals glänzende Nansur, der Schutzschild gegen Kian, den letzten Krieg gemeinsam mit den umliegenden Fürsten. Gondor bietet Boromir, Nansur bietet Conphas, doch beide sind nicht die eigentlichen Herren. Beide haben sich natürlich die Kreuzzüge zum Vorbild genommen: Gondor/Nansur ist Byzanz, das zerfallene alte Reich im Nordwesten ist das antike Rom, Mordor/Kian ist das Osmanische Reich. Wie Tolkiens versucht Bakker seiner Welt eine epische Breite und Tiefe zu verleihen: Seine Geschichte nimmt ihren Anfang mit der ersten Apokalypse, die vor knapp 2.000 Jahren stattfand (wie bei Tolkien scheint es keine technische Entwicklung zu geben), doch natürlich kann er bisher nicht an die zahllosen, eng verwobenen Texte Tolkiens, immerhin dessen literarisches Lebenswerk, heranreichen. Es gibt selbstverständlich auch viele Unterschiede: Die Scylvendi – eine Mischung aus Mongolen und Apachen, die sehr an die Chaosbarbaren der Warhammer-Welt erinnern – gibt es so bei Tolkien nicht, die Nichtmenschen scheinen Bösewichte zu sein, die Gläubigen haben Rituale, Tempel – und Tempelritter – und vor allem der Heilige Krieg wird von den 'Guten' geführt. Er erinnert so deutlich an den ersten Kreuzzug, dass der Leser bisweilen den Eindruck hat, Bakker habe direkt aus den Quellen abgeschrieben.

Trotz all dem gelingt es ihm nur ansatzweise aus dem Setting ein Milieu zu machen – es bleibt weitgehend ein Ambiente, was an den Figuren liegt, die auf die eine oder andere Art alle Außenseiter sind.

 

Der Roman verfügt über eine relativ große Zahl von Figuren – es tritt etwa ein Duzend in mehr oder minder wichtigen Rollen auf, dazu kommen noch zahlreiche Randfiguren. In aller Regel handelt es sich bei den Figuren um Exzentriker. Bakker hat in puncto Moral eine wichtige Botschaft: Auch wenn viele Figuren oberflächlich recht unterschiedlich sind und ebenso unterschiedliche Geschichten haben, im Zweifelsfall entscheiden sich nur Idioten für die Selbstlosigkeit.

Drei Figuren sind besonders wichtig: Da ist zunächst der Kriegermönch Anasûrimbor Kellhus. Der Dûnyain ist ein großer Norsirai. Zwar ist der gut aussehende Blonde ein brillanter Krieger, doch wichtiger noch sind seine geistigen Fähigkeiten: Sein Studium des Logos lässt ihn den Verlauf der meisten Situationen exakt vorausberechnen und seine perfekte Menschenkenntnis macht ihn zum Puppenspieler par excellence. Er hat eine geheime Mission, der er völlig skrupellos nachgeht – und wenn er dafür einen Kreuzzug einspannen muss. Cnaiür ist der Häuptling der Utemot, eines Scyvendi-Stammes. Der Barbar macht R. E. Howards Conan Konkurrenz: Er ist groß, kräftig und vor allem ein gefährlicher Kämpfer, der erbarmungslos und brutal seine Feinde niedermetzelt – hunderte von Schmucknarben, eine für jeden getöteten Feind, künden von seiner Kraft. Er ist ein hochintelligenter Mann, der die taktischen Finessen leicht durchschaut, selbst auf dem glatten Parkett der Diplomatie weiß er seinen Mann zu stehen – so beherrscht er selbstverständlich auch die Sprache der als bemalte Tunten verachteten Nansur. Da er einst von Anasûrimbor Moënghus ausgetrickst wurde und sich so seinen Ruf nachhaltig verdarb – er fürchtet insgeheim nicht anerkannt zu werden – brennt er auf Rache an dem Mann. Der dritte ist Drusas Achamian, der Hexer aus dem Mandati-Orden. Er ist ein kluger und aufmerksamer Beobachter. Seine tief greifenden Zweifel sind Segen wie Fluch: Er fällt nicht leicht auf den Schein herein, aber ist sich nie sicher das Richtige zu tun. Sein Auftrag ist die Suche nach den Rathgebern – aber gibt es diese nach all der Zeit überhaupt noch? Sonderlich interessant ist keine dieser Figuren für mich. Die Frauen sind sogar noch langweiliger: Mutter, Ehefrau, Konkubine, Hure – ihre Relevanz ist stets eng mit ihrer Sexualität verknüpft. Die gelungensten Figuren sind meines Erachtens Ikurei Conphas, der Oberbefehlshaber der Armee Nansurs, und Nersei Proyas, wichtigster Führer des Kreuzzuges. Beide sind gute Führer, sowohl auf dem Schlachtfeld wie am Hof, klug und ehrgeizig verfolgen sie ihre Ziele, aber sie durchschauen die Situation nicht vollständig. Sie streiten um die Führung des Kreuzzuges, wenn auch aus (teilweise) unterschiedlichen Motiven – die Rivalen sind die richtigen Figuren am richtigen Platz und entfalten daher eine plausible und spannungsreiche Beziehung.

 

Der Plot besitzt zwar ein paar Elemente der Abenteuer- und Kriegsgeschichten – es gibt eine Reihe von rasanten Fluchten und Kämpfen, ja sogar eine ausgewachsene Schlacht – doch im Zentrum steht eine Intrigen- und Rätselgeschichte mit mehreren Ebenen. Im Vordergrund steht die Frage, wer den Kreuzzug führen wird. Hier werden zahlreiche Intrigen gesponnen, da alle Machtgruppen mehr oder weniger differente Interessen haben. Dann stellt sich die Frage, was die Rathgeber mit dem Kreuzzug zu schaffen haben, und schließlich ist da noch Kellhus' Mission. Zudem versucht Bakker über Konflikten auf der persönlichen Ebene zwischen den Figuren und Intern Spannungen zu erzeugen. Darunter fällt wohl auch der Umstand, dass Cnaiür andauernd Serwë vergewaltigt; der Barbar hatte die neunzehnjährige Schönheit versklavt. Insgesamt scheint mir dieses aber billige, geschmacklose Effekthascherei zu sein.

Der Plotfluss ist ausgesprochen langsam, was zum einen an der Komplexität durch die vielen auf einen Punkt zulaufenden Handlungsstränge liegt, sowie der ausführlichen und mit ausschweifenden Worten Entwicklung von Setting und Figuren. Das führt dazu, dass die Ausgangslage über etwa 600 Seiten ausgebreitet wird – üblich wären 250-300 Seiten für eine Geschichte dieser Länge. Ein weiteres Problem könnte der Spannungsbogen sein, denn Bakker inszeniert seine Trilogie als eine einzige Geschichte und verwendet (zumindest im ersten Band) dem typischen "Mäuschen"-Schema: Es beginnt sehr niedrigschwellig, steigert sich dann langsam, wird zunehmend schneller und fällt nach dem Höhepunkt rasch ab. Da man am Ende des ersten Bandes immer noch am Anfang der Geschichte steht, hängt der Leser völlig in der Luft ohne das etwas sonderlich Aufregendes passiert wäre.

 

Die Erzähltechnik ist recht unauffällig, sieht man von zwei Ausnahmen ab: Zum einen ist die Erzählperspektive weitgehend personal, aber da fast jede auftretende Figur eine Szene aus ihrer Sicht erlebt, wirkt die Geschichte insgesamt wie aus auktorialer Perspektive erzählt. Zum anderen gibt es einige modernistische Stilblüten: So verabschiedet man sich im "Rotlichtviertel" mit "'Mach's gut!' – 'Mach's besser!'" wenn es gut gelaufen ist. Sonst heißt es: "'Fick dich ins Knie, du Wichser!'"

 

Fazit:

Eine Vielzahl von Machtgruppen will den Heiligen Krieg für eigene Zwecke gebrauchen – wer wird letztlich das Steuer übernehmen? Was haben die finsteren Rathgeber damit zu schaffen? Scott Bakker hat mit Schattenfall den ersten Teil einer intrigenreichen Epic Fantasy abgeliefert. Wer fand, dass J. R. R. Tolkiens Der Herr der Ringe zu kurz ist und die Ereignisse sowie die Beteiligten nicht krass und brutal genug sind, der sollte einen Blick auf die Trilogie Der Krieg der Propheten werfen – dabei gilt es aber ein wenig Geduld mitzubringen.

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Oje, das hat nicht geklappt, Elfenwerk! 2024041910163133692dd0
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Titel: Schattenfall

Reihe: Der Krieg der Propheten 1

Original: The Darkness That Comes Before (2003)

Autor: K. Scott Bakker

Übersetzer: Andreas Heckmann

Verlag: Heyne (August 2008)

Seiten: 653 Broschiert

Titelbild: Dirk Schulz

ISBN-13: 978-3-453-53047-8

Erhältlich bei: Amazon


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Erstellt: 17.11.2008, zuletzt aktualisiert: 27.02.2024 15:55, 7746