Tassilo, der Mumienabrichter (Autor: Simon Weinert)
 
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Tassilo, der Mumienabrichter von Simon Weinert

Rezension von Ralf Steinberg

 

Lange musste Simon Weinert darauf warten, dass sein Barockpunk-Roman Tassilo, der Mumienabrichter endlich als hübsches Buch in seinen Händen und den Auslagen der Otherland-Buchhandlung liegt.

Mit einer feierlichen Lesung und Premierenparty feierte man denn auch am 14.07.2015 das Ereignis entsprechend würdig mit Perücke und Schminke.

Viele Freunde des Autoren und Übersetzers kannten das Buch und halfen letztendlich auch bei der Veröffentlichung im Verlag Das Beben.

 

So konnte man vorab schon eine Menge über Inhalt und Stil hören, am häufigsten fiel der Satz: »Das kann er doch jetzt nicht machen!« Gemeint waren damit Hauptfigur und Autor zu gleichen Teilen.

 

Tassilo lebt in der Lagunenstadt Elon, auf der sonnigen Seite der Fantasywelt. Sein Vater ist Mumienabrichter und verdient als Handwerker genügend Geld, um zur Elite der Stadt zu gehören. Die trägt Perücken, bunte Schminkereien und farbige Augengläser. Um nicht wie das profane Volk oder der Abschaum aus dem Grund seine Füße mit dem Schlamm der Wege zu beschmutzen, nutzt man schwebende Bretter, die mit langen Stöcken durch die Gassen gestochert werden. Ganz im Sinne einer ausschweifenden Gottheit, dem Gewieften, gelten Dekadenz, zotige Sprüche, Gemeinheiten und Vergnügungen aller Art als wohlerzogene Lebensart. Nicht ganz unähnlich dem frivolen Hofleben eines gewissen Sonnenkönigs.

Ziemlich unangemessen ist das öffentliche Bekunden echter Gefühle wie etwa Angst. Und damit sind wir beim größten Problem Tassilos: Er ist ein fürchterlicher Angsthase, ein Schisser und dieses Manko bringt ihn beständig in skandalöse Situationen.

Darüber hinaus ist er aber ein ganz normaler Junge in einem menschenverachtenden Umfeld. Er ist fies, arrogant, voll dummer Ignoranz und egoistisch.

 

Ganz im Sinne frivoler Genüsse schenkte Simon Weinert seinem Roman eine kräftige Sprache. Es wird nach Herzenslust geflucht, keine Figur ist sich für einen derben Spruch zu schade. Ob fäkal oder sexuell, auch vor schönen Wortneuschöpfungen schreckte der Autor nicht zurück. Es entsteht dadurch eine pralle Gesellschaft, angereichert mit vielen Details einer prunk- und luxussüchtigen Gesellschaft. Eines davon ist die sehr schräge Art der Mumifizierung samt Verwendung und Programmierung der Mumien.

Durch klassische Fantasy-Elemente, etwa dem bösen Hexer oder einem nicht minder bösen Drachen, gewinnt die Geschichte zudem einen epischen und mythologisch klaren Rahmen, ohne je die satirischen Elemente zu verlieren.

Genausowenig allerdings auch die brutalen. Es gibt jede Menge Gewalt im »Tassilo«. Sie ist sowohl Ausdruck des jugendlichen Punkertums als auch fundamentaler Bestandteil der gesellschaftlichen Realität Elons. Tassilo kidnappt bedenkenlos ein geistig behindertes Mädchen, steckt sie in ein »Vögelhaus« und lebt von den Einkünften. Derartig krasse Auswüchse von Unmenschlichkeit sind aber auch in Elon keine Einbahnstraßen und so bekommt es Tassilo stets mit den Folgen seiner Taten zu tun.

Dass weder die Unmenschlichkeit, noch die Satire aus der Balance geraten, ist das große Wunder dieses Romans und so erfüllt sich der Wunsch des Autors, einen Fantasy-Roman zu schaffen, der eine Verstörung auslöst wie Kids von Larry Clark und trotzdem großartig ist.

 

Unbedingt erwähnenswert sind auch Cover und Illustrationen von Gustavo Barroni. Sie vermitteln nicht nur einen optischen Eindruck von Tassilo und seinem Äffchen, auch die barocke Stilistik und ihre Ornamente fügen sich eindrucksvoll in das Gesamtbild des Romans ein.

 

Fazit:

»Tassilo, der Mumienabrichter« von Simon Weinert ist Fantasy der anderen Art. Barocke Dekadenz, jugendlich rohe Punk-Attitüden und eine von Zoten, Anzüglichkeiten und Sprachwitz reiche Sprache machen das Roman-Debüt zu einer vergnüglichen Reise in die Abgründe der Unmenschlichkeit. Tiefgründiger kann man sich kaum im Dreck wühlen, danach stinken und trotzdem Spaß daran haben.

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Buch:

Tassilo, der Mumienabrichter

Autor: Simon Weinert

Das Beben, Juli 2015

Taschenbuch, 375 Seiten

Cover und Illustrationen: Gustavo Barroni

 

ISBN-13: 9783944855097


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Erstellt: 23.07.2015, zuletzt aktualisiert: 31.03.2024 20:18, 14049