Die magische Bibliothek (Autor: Michael Siefener)
 
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Die magische Bibliothek von Michael Siefener

Rezension von Ralf Steinberg

 

Verlagsinfo:

Der Rechtsanwalt und Büchernarr Albert Moll wird auf die Burg des undurchsichtigen Grafen Roderich gerufen, um mit diesem ein Testament aufzusetzen. Dabei stößt er auf zwei betörende Frauen und den Hinweis auf eine wertvolle magische Bibliothek, die auf der Burg verborgen sein soll. Eine Bibliothek, von der er schon immer geträumt hat. Und bald steckt er mitten in Ereignissen, die den Geschichten Stokers, Blackwoods, Lovecrafts und Poes entsprungen sein könnten …

 

Rezension:

Die klassische Phantastik hat viele Erzählungen und Romane, die nach und nach ins Vergessen zu rutschen drohen. Dabei scheint es durchaus noch Fans der alten Schauergeschichten zu geben.

Michael Siefener erweist seinen Genre-Referenzen in Die magische Bibliothek in mehrerer Hinsicht seinen Respekt.

So baut er die Werke und Schöpfungen von Bram Stoker, Algernon Blackwood, H. P. Lovecraft, P. D. James und Edgar Allan Poe nicht nur direkt in seine Handlung ein, er setzt sie auch wie in einer Collage als Bestandteile der Geschichte ein. Dieser selbstreferenzielle Stil wird noch dadurch verdichtet, dass die Hauptfigur Albert Moll eine Art Phantastik-Nerd ist.

Er ist exakt jener Typ Leser, der den Vorwurf des Eskapismus heraufbeschwört. Probleme im Alltag umgeht er durch Flucht in seine Lektüre und den damit verbundenen Träumen.

Auf seine Dienstreise in die verschlafene Eifel-Kleinstadt nimmt er gleich einen ganzen Handapparat an Fluchtliteratur mit, für jede Situation das passende Buch.

Dabei nutzt er die Werke zunächst nur zur Untermalung der grusligen Atmosphäre. Je mehr sich aber die Umgebung scheinbar seiner schaurigen Lektüre angleicht, umso mehr versucht er dem überraschenden Horror des Alltags zu entfliehen, indem er sich in die ihm bekannten Horror-Szenarien flüchtet.

Insofern könnten auch diese mitgebrachten Bücher jene magische Bibliothek sein, die der Titel verspricht. Ab einem gewissen Punkt der Handlung, wenn das Unheimliche unerklärbar wird, erscheint auch die versteckte Bibliothek in der mysteriösen Burg irreal. Michael Siefener bietet mehrere Möglichkeiten an, die Geschehnisse zu erklären.

Wir könnten uns entscheiden, Moll als Opfer vererbter Geisteskrankheit zu sehen und alle phantastischen Ereignisse allein in seinem krankhaften Geist verorten.

Oder wir lesen »Die magische Bibliothek« tatsächlich als phantastischen Roman, dessen übernatürliche Bestandteile innerhalb der Handlung tatsächlich geschehen, Moll also weder geistesgestört noch Opfer einer Intrige ist. Selbst wenn wir dem finalen Auflösungsversuch folgen, kann es immer noch sein, dass sich die Elemente mischen. Dass zwischen Geisteskrankheit und real erlebten Seltsamkeiten diverse Schichten der Wahrheit stecken.

Siefener gibt keine Hinweise darauf, vielmehr bleibt er fast immer konsequent innerhalb der Wahrnehmung Molls.

Moll selbst ist ein eher langweiliger Protagonist, einzig seine Liebe zur Phantastik und der überhöhte Eskapismus charakterisieren ihn als Sonderling. Dabei brechen sexuelle Sehnsüchte ebenso unter dem Mantel des Unscheinbaren hervor, wie Minderwertigkeitskomplexe bezüglich Aussehen, Fitness und beruflicher Befähigung.

Gerade die sexuelle Erfüllung bestimmt weite Teile seines Handelns und lässt tatsächlich vermuten, dass ein Großteil der Erlebnisse seinem Wunschdenken entsprechen. Zwei Frauen interessieren sich für ihn, begehren ihn körperlich und zumindest die Verführung durch Ilsa, der Wirtstochter, bleibt bis zum Schluss motivlos. Oder gaukelt uns der Autor auch hier etwas vor? Immerhin ist Ilsa eine literarische Referenz, die Moll selbst erkennt.

 

So erweist sich »Die magische Bibliothek« von Michael Siefener, je mehr man darüber nachdenkt, als raffiniert verschlungene Hommage an die klassische Schauergeschichte, in der eine logische Aufklärung nicht Not tut. Als Buchliebhaber wird man sich aber kaum der Faszination entziehen können, die das Versprechen auf eine Sammlung teilweise verschollener Bücher liefert. In alten Gemäuern auf vergessene Kostbarkeiten zu stoßen, Texte wieder zu entdecken, deren Geheimnisse seit Generationen keiner mehr kosten konnte! Wer könnte versprechen, im Angesicht derartiger Verlockungen moralisch und geistig integer zu bleiben? Nicht nur das Weib lockt ewiglich …

 

Siefeners Stil ist nicht in allen Teilen des Romans gleich fesselnd. Ab und zu wird der Text behäbig, pausiert. Trotzdem baut sich zunehmend eine Spannung auf, die den fortschreidenden geistigen Verfall Molls abbildet, sofern man sich dieser Deutung anschließt.

 

Das umlaufende Titelbild von Thomas Franke passt ins 19. Jahrhundert, zur Epoche also, aus der etliche Geschichten stammen, die Siefener zitiert. Diese eher lose thematische Bezug schmückt das Buch jedoch ganz famos und gereicht dem Medusenblut Verlag von Boris Koch zu editorischer Ehre.

 

Fazit:

»Die magische Bibliothek« von Michael Siefener ist eine wundersame Reise in die Phantastik selbst. Angefüllt mit Verweisen auf die berühmtesten Klassiker der Schauer- und Horror-Literatur, entfaltet sich nach und nach eine eigene Welt des Übernatürlichen, ohne endgültig zu klären, ob wir mit dem Protagonisten zusammen einem Albtraum erlegen sind oder sich uns eine nicht minder bösartige Kriminalgeschichte offenbart.

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Buch:

Die magische Bibliothek

Autor: Michael Siefener

Taschenbuch, 231 Seiten

Medusenblut, Januar 2006

Cover: Thomas Franke

 

ISBN-10: 3935901097

ISBN-13: 978-3935901093

 

Erhältlich bei: Amazon


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Erstellt: 12.06.2014, zuletzt aktualisiert: 04.12.2024 12:06, 13589