Agricola (Brettspiel)
 
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Agricola

Rezension von Björn Backes

 

Die Zeiten, in denen die landwirtschaftlichen Berufe als Erwerbstätigkeiten zweiter Klasse angesehen werden, scheint seit der SPIEL `07 ein jähes Ende gefunden zu haben. Während der internationalen Spieltage präsentierte „Bohnanza“-Schöpfer Uwe Rosenberg nämlich erstmals sein mittelalterlich angehauchtes Aufbauspiel „Agricola“ und eroberte die Herzen der Strategiefanatiker im Sturm. Nicht nur die Pressevertreter, sondern auch die zahlreichen Gäste, die bislang die Ehre hatten, spielerisch in die Landwirtschaft des 17. Jahrhunderts abzutauchen, waren sich schließlich einig. „Agricola“ ist das definitive Highlight einer qualitativ nicht ganz so verheißungsvollen Messe und der Titel, der mit Abstand aus der Masse heraus sticht. Zeit also, die Glaubwürdigkeit dieser These mal genauer zu prüfen!

 

 

Spielidee:

 

In „Agricola“ schlüpfen die Spieler in die Rolle einer Bauernfamilie und lernen, sich mit dem produktiven Treiben auf der rückständigen Produktionsstätte auseinanderzusetzen. Der Hof muss ausgebaut und erweitert werden, die Familie braucht Zuwachs, um den steigenden Anforderungen gerecht werden zu können, aber gleichzeitig will auch die eigene Familie ernährt werden, um das raue Leben auf dem Feld und in den Bestallungen zu überleben. In insgesamt 14 Runden geht es darum, den eigenen Lebenskomfort stetig zu verbessern und den Hof derart zu gestalten, dass er für die Produktion tragbare und lukrative Resultate hervorbringt. Wer dies während dieser Zeit am besten meistert und in den einzelnen Erweiterungssparten erfolgreich wirtschaftet, hat am Ende beste Chancen, die Schlusswertung als bester zu überstehen.

 

 

Spielziel:

 

Auch in „Agricola“ entscheiden Siegpunkte in der Schlussabrechnung über die Platzierungen. Allerdings ist das Wertungssystem recht komplex und erfordert von den einzelnen beteiligten, dass sie den Ausbau ihres landwirtschaftlichen Betriebs homogen und gleichmäßig gestalten. Der Fokus sollte also nicht bloß auf der Erweiterung der Weidewirtschaft oder der Vergrößerung der Familie liegen, sondern alle wesentlichen Faktoren mit einschließen. Sollte dies dennoch nicht berücksichtigt werden, bekommt man ganz schnell Minuspunkte angerechnet, die in der endgültigen Wertung richtig bitter sein können, weil sie nur schwer wieder zu kompensieren sind. Ziel ist es also, erfolgreich Ackerbau zu betreiben, Weidelandschaften von bestimmter Fläche anzulegen, den Tierbestand auszuweiten, Ställe zu errichten und den Hof sowie das Gebäude im maximalen Umfang zu nutzen. Darüber hinaus braucht aber auch die Familie Zuwachs, um die Arbeiten auf dem Hof überhaupt durchführen zu können. Es gilt also, allerhand zu berücksichtigen und keinen einzelnen Punkt zu vernachlässigen. Dann nämlich sollte man bei der Punkteverteilung ziemlich gut wegkommen und möglicherweise sogar mit der höchsten Punktzahl als Sieger hervorgehen. Aber es ist eben leichter gesagt als letztendlich auch getan!

 

 

Ausstattung:

 

Spielpläne

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5 Hofpläne für die Spieler

3 Spielpläne für die Aktionen

1 Plan für große Anschaffungen

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360 Karten

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166 gelbe Karten „Ausbildung“

136 orange Karten „kleine Anschaffung“

10 rote Karten „große Anschaffung“

16 Rundenkarten

16 Aktionskarten

8 Bettelkarten

6 Übersichtskarten

2 Deckkarten

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Holzmaterial

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Je 5 Personensteine, 4 Ställe und 15 Zäune

33 runde Holz-Spielsteine

27 runde Lehm-Spielsteine

15 runde Schilf-Spielsteine

18 runde Stein-Spielsteine

27 runde Getreide-Spielsteine

18 runde Gemüse-Spielsteine

21 würfelförmige Schaf-Spielsteine

18 würfelförmige Wildschwein-Spielsteine

15 würfelförmige Rind-Spielsteine

1 Startspieler-Stein

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Plättchen/Marker/Sonstiges

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18 braune Ackerplättchen

24 Holz-/Lehmhüttenplättchen

15 Steinhausplättchen

36 gelbe NW-Marken

9 Multiplikationsmarken

3 Anspruchsmarken

1 Schreibblock mit Wertungsvorlagen

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Die Spielausstattung zu „Agricola“ ist in der Tat ziemlich edel, wenn auch visuell nicht ganz so ansprechend, wie man es beispielsweise von den Mainstream-Verlagen gewohnt ist. Stattdessen zählen hier Werte wie Robustheit und Umgänglichkeit, so dass einerseits der langfristige Spielspaß gesichert ist, dem Spiel andererseits aber auch eine leichte Überschaubarkeit zugrunde liegt. Und dies sind bei der liebevollen Gestaltung der Pläne, Marker und Karten Aspekte, die definitiv von höherem Wert sind als glitzernde Visualisierungen und überfrachtete Darstellungen. Insofern sind die Rahmenbedingungen also schon einmal sehr, sehr angenehm.

 

 

Regelwerk:

 

Warum einfach, wenn’s auch kompliziert geht? Nun, das 12-seitige Begleitheft ist zwar ziemlich anschaulich strukturiert, bezogen auf die Texte jedoch teilweise ein wenig umständlich formuliert. Rosenberg bemüht sich, ein grundsätzlich sicher komplexes Spiel in kompakter Form darzustellen und bei den Erläuterungen schnell auf den Punkt zu kommen. Dies mag bei der Beschreibung der groben Idee zwar noch in Ordnung gehen, ist aber gerade beim Transfer der vielen kleinen Details mitunter anstrengend und verwirrend. Natürlich mag erschwerend hinzukommen, dass eine wahrliche Heerschar an Informationen auf den Leser hernieder prasselt, aber für den unbeleckten Spieler ist die recht knapp vorgetragene Flut an Infos fast schon eine leichte Überforderung. Außerdem werden die vielen bebilderten Beispiele am Seiten Rand auch nicht immer an den richtigen Textpassagen angebracht, was stellenweise sogar noch deutlichere Verständnisprobleme auslöst. Und dabei ist das eigentliche Spielprocedere bei weitem nicht so schwer verständlich, wie es anfangs scheint!

 

 

Spielablauf:

 

Vor der eigentlichen Partie erhalten die Spieler erst einmal ihre Startmaterialien, darunter ein Spielplan mit dem eigenen Hof sowie die Materialien in der gewählten Farbe. Jeder Hof wird mit zwei Holzhütten ausgestattet, die wiederum von jeweils einer Person bewohnt werden. Die „Bauer sucht Frau“-Schwierigkeit bleibt also von Beginn an außen vor. Das übrige Spielmaterial wird unterdessen sortiert und am Rande bereitgelegt.

Anschließend werden die Rundenkarten ihrer Nummerierung nach separat gemischt und anschließend so zusammengefügt, dass die erste Spielphase oben auf liegt, die sechste und letzte hingegen am unteren Ende des Stapels. Die Aktionskarten werden wiederum so präpariert, dass ihre Anzahl auf die jeweilige Mitspielerzahl abgestimmt ist. Dies gilt auch für die Ausbildungskarten, von denen jeder Spieler ebenso sieben Exemplare auf die Hand bekommt wie von den kleinen Anschaffungen. Bettelkarten und große Anschaffungen werden offen auf die vorgesehenen Positionen am Rundenspielplan ausgelegt. Als Letzter erhält jeder Spieler noch eine Runden- und Wertungsübersicht zur Hand.

 

Per Los wird entschieden, wer den Startspieler-Posten übernimmt. Diese Person bekommt zwei NW-Marker, alle anderen hingegen einen dritten zusätzlich. Dieses Privileg bleibt ihm dann auch so lange erhalten, bis ein anderer Spieler in der Aktionsphase die Aktion ‚Startspieler’ wählt.

 

Das eigentliche Spiel gliedert sich nun in vier aufeinander folgende Phasen, die in jeder einzelnen der 14 Runden wiederholt werden. Nach den Runden 4, 7, 9, 11, 13 und 14 erfolgt weiterhin eine Erntezeit, welche schließlich in eine neue übergeordnete Spielphase überleitet. In diesen Erntezeiten geht es schließlich auch ans Eingemachte. Einerseits müssen Nährwerte für alle Personen am Hof bereitgestellt werden, andererseits erntet man aber auch auf dem Acker die Feldfrüchte und darf sich auf den Weidelandschaften über Zuwachs freuen. Vorher gilt es jedoch erst einmal, in den vier Phasen einer jeden Runden hierzu die Voraussetzungen zu schaffen.

 

Phase 1: Beginn einer neuen Runde

 

Am Anfang jeder neuen Runde wird eine neue Rundenkarte aufgedeckt, die den Spielern schließlich neue Aktionsmöglichkeiten gewährt. Diese Aktion darf nicht nur in der laufenden, sondern auch in allen folgenden Runden genutzt werden, sofern man es schafft, eine seiner Personen hier zu positionieren. Sollten bestimmte Aktionen erst ab einer festgelegten Runde greifen, können sie jetzt umgesetzt werden. Auch Material, welches Spielern dank spezifischer Ausbildungen oder Anschaffungen zusteht, wird jetzt aufgeteilt.

 

Phase 2: Auffüllphase

 

Manche Aktionsfelder des Spielplans werden in dieser Phase mit neuen Waren und teilweise auch Nährwerten aus dem allgemeinen Vorrat bestückt. Wer später eines dieser Aktionsfelder wählt, entscheidet also möglicherweise wegen des zusätzlichen Anreizes durch die Auffüllung dieser Felder. Es kann auch geschehen, dass manche Felder doppelt und dreifach bestückt werden, sollten sie nicht genutzt werden.

 

Phase 3: Arbeitszeit

 

Nun beginnt der aktive und strategische Teil es Spiels. Beginnend mit dem Startspieler nimmt jeder Spieler eine Person seines Hofes und setzt sie auf eines der Aktionsfelder. Dieses Feld ist fortan für alle anderen Spieler belegt, was die Position des Startspielers natürlich enorm stärkt. Er hat das Privileg der ersten Wahl. Dieser Vorgang wird nun so lange reihum fortgesetzt, bis jeder Spieler alle Personen auf den Aktionsfeldern untergebracht hat. Tiere, Waren und Nährwerte nimmt er an sich, wobei die Tiere sofort auf eine Weide seines Hofplans abgesetzt werden muss. Ist hier allerdings kein freier Platz mehr verfügbar – es gilt ein Limit von zwei Tieren pro Hoffeld bzw. vier mit angrenzendem Stall – gehen die Tiere zurück in den allgemeinen Vorrat.

 

Phase 4: Heimkehr

 

Am Ende des Spielzugs nimmt jeder Spieler seine Personen wieder an sich und setzt sie in die Gebäude des Hofes zurück. Damit ist die Runde zu Ende, falls es sich nicht um eine der sechs Runden handelt, denen eine Erntezeit folgt. In diesem Fall werden drei Spielphasen durchlaufen, die letztendlich für die Wertung von größter Bedeutung sind.

 

 

Phase 1 der Erntezeit: Die Ackerphase

 

Die Spieler nehmen sich von jedem ausliegenden Acker genau einen Stein, also Gemüse oder Getreide.. Sollten bestimmte Karten einen besseren Ertrag ermöglichen, darf man diesen nun ebenfalls an sich nehmen.

 

Phase 2 der Erntezeit: Die Ernährungsphase

 

In dieser Phase muss man den anstrengungen der Bauernfamilie Tribut zollen. Für jede Person, die bereits am Hofe lebt, ist die Abgabe von zwei Nährwerten erforderlich. In dieser Runde gezeugter nachwuchs geht ausnahmsweise mit einer Bezollung von einem Nährwert durch. Sollte man dergleichen nicht mehr vorrätig haben, kann man alternativ Gemüse oder Getreide 1: 1 eintauschen. Soltle man hingegen im besitz von Feuerstellen sein oder dementsprechende Ausbildungen durchlaufen haben, kann man diesen Tauschkurs sogar noch verbessern und möglicherweise auch Tiere in Nahrung umwandeln.

 

Dennoch ist es gut möglich, dass man schlecht gewirtschaftet hat und die geforderte Leistung nicht aufbringen kann. In diesem Fall kann man eine Bettelkarte ziehen und sich so aus der Affäre ziehen. Allerdings muss man am Ende des Spiels für diesen Zug drei Minuspunkte in Kauf nehmen – was, so merkt man später, schon eine ganze Menge ist!

 

Phase 3 der Erntezeit: Die Vermehrungsphase

 

Auch die Ackertiere bekommen in „Agricola“ Nachwuchs, und zwar genau in dieser letzten Phase der Erntezeit. Für zwei Tiere gleicher Sorte, ganz egal, ob sie getrennt oder gemeinsam am Hof untergebracht sind, erhält man ein Junges, welches jedoch sofort auf der Weide untergebracht werden muss. Andernfalls verliert man das Tier sofort wieder.

 

 

Nach 14 Runden, 6 Erntezeiten, langer Grübelei, Planerei und Tüftelei folgt gleichzeitig mit der letzten Ernte die Schlusswertung. Alle Aspekte des Spiels werden hierin einbezogen, beginnend mit der Produktivität der Äcker über die Nutzung der Weiden und Ställe bis hin zur Vergrößerung des Hofgebäudes. Anschließend werden die Punkte miteinander verglichen und derjenige mit dem besten Ergebnis zum Sieger erklärt.

 

 

Spielspaß:

 

„Agricola“ ist in Sachen Taktik und Planung mitunter das vielseitigste und bezogen auf die enorme Fülle an Auswahlmöglichkeiten wohl auch das spielerisch komplexeste Spiel, welches in der Ausführung eines Familienspiels über den Zeitraum von etlichen Jahren auf den Markt gekommen ist. Durch die Fülle an Materialien ist gewährleistet, dass sich jede Partie maßgeblich von der vorherigen unterscheidet. Aufgrund der unzähligen alternativen Siegstrategien ist zudem eine Spieltiefe erreicht, die in diesem Genre beispielhaft und womöglich bis dato unerreicht ist. So viele verschiedene Ansätze wollen ausprobiert und erforscht werden, und da dieses Bestreben für jeden einzelnen Beteiligten gilt, ist es quasi ausgeschlossen, dass man dem bäuerlichen Treiben überhaupt einmal überdrüssig werden kann.

 

Diese Begeisterung schlägt sich schließlich auch auf die Spielatmosphäre nieder. Man fühlt sich bisweilen an die ersten Gehversuche in Catan erinnert, spürt aber, dass die Mechanismen in „Agricola“ um Längen weiter ausgereift sind. Dieser Detailreichtum an Ideen, die liebevolle grafische Umsetzung sowie das überzeugend aufgearbeitete Spielmaterial ermöglichen daher auch ein Potenzial, welches der Spielsucht gänzlich neue Nuancen hinzufügt. Das Gefühl von ‚So etwas hat es noch nicht gegeben’ manifestiert sich in jeder Partie, gleichermaßen die Euphorie, der man sich gar nicht beugen kann.

Um es aber etwas kompakter auf den Punkt zu bringen: Es klingt unglaublich, aber in dieser großen, weiten Brettspielwelt muss erst eine Landwirtschaftssimulation daherkommen, um der glitzernden, modernen Konkurrenz zu zeigen, wie hoch der Standard im Strategiespiel-Bereich sein kann. Eine derartige Referenz und ein vergleichbarer Spielspaß, und da trifft man schließlich genau das Urteil der begeisterten Messebesucher, sollte nämlich bis auf weiteres unübertroffen werden!

 

 

Fazit:

 

„Agricola“ ist ein schlichtweg fantastisches Strategiespiel und die definitive Krönung von Rosenbergs bereits preisgekröntem Werk als Spielautor. Wer vor anspruchsvollen Partien, innovativen Mechanismen, bezaubernder Atmosphäre und einer erheblichen Suchtgefährdung nicht zurückschreckt, sollte sich nicht lange bitten lassen und der Einladung auf den Bauernhof folgen. Auch wenn „Agricola“ für die Nominierung zum „Spiel des Jahres“ etwas zu komplex sein sollte – selbst in den entschärften Modifikationen der Familienspielregel – so dürfte es unter echten Fanatikern in diesem Jahr ganz bestimmt das Rennen machen. Einer von ihnen bedankt sich an dieser Stelle beim Schöpfer des Spiels für die brillante Umsetzung eines beispiellosen Spielsystems…

 

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Oje, das hat nicht geklappt, Elfenwerk! 20240419052342003401fa
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Brettspiel:

Agricola

Lookout Games / Heidelberger Spieleverlag

Autor: Uwe Rosenberg

Spielerzahl: 1 bis 5

Spieldauer: 60 - 90 Minuten

Mindestalter: ab 10 Jahre

ASIN: B0010B5472

Erhältlich bei: Amazon

Weitere Infos:

Inhalt:

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5 Hofpläne für die Spieler

3 Spielpläne für die Aktionen

1 Plan für große Anschaffungen

166 gelbe Karten „Ausbildung“

136 orange Karten „kleine Anschaffung“

10 rote Karten „große Anschaffung“

16 Rundenkarten

16 Aktionskarten

8 Bettelkarten

6 Übersichtskarten

2 Deckkarten

Je 5 Personensteine, 4 Ställe und 15 Zäune

33 runde Holz-Spielsteine

27 runde Lehm-Spielsteine

15 runde Schilf-Spielsteine

18 runde Stein-Spielsteine

27 runde Getreide-Spielsteine

18 runde Gemüse-Spielsteine

21 würfelförmige Schaf-Spielsteine

18 würfelförmige Wildschwein-Spielsteine

15 würfelförmige Rind-Spielsteine

1 Startspieler-Stein

18 braune Ackerplättchen

24 Holz-/Lehmhüttenplättchen

15 Steinhausplättchen

36 gelbe NW-Marken

9 Multiplikationsmarken

3 Anspruchsmarken

1 Schreibblock mit Wertungsvorlagen

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Erstellt: 21.03.2008, zuletzt aktualisiert: 16.02.2018 17:50, 6104