Zwei Frauen, zwei Geschichten: Die eine kommt in Hollywood aus der Maske, die andere ist vom Dasein im Abseits gezeichnet. Beide sehen kaputt aus. Verlebt. Verbittert. Verwundert. Die eine ist Charlize Theron, ein Weltstar, dessen auffällige Schönheit für Monster , einen großen Film mit einer großartigen Hauptdarstellerin, weggeputzt wurde. Theron trägt eine Zahnprothese, Kontaktlinsen, Geld auf den Augenlidern und 30 Pfund Extragewicht.
Die andere ist Aileen Wuornos, eine mehrfache Mörderin, der das Leben nicht erlaubt hat, schön zu sein. Oder sonst wie privilegiert. Sie versucht, cool zu wirken, aber sie zuckt nervös, und ständig geht ein Rucken durch ihren Körper, als müsste sie sich durchschütteln, um zu spüren, wer sie eigentlich ist. Nach dem Zug an der Zigarette wirft sie trotzig den Kopf in den Nacken, öffnet die Lippen zu einem unsicheren Lächeln mit schiefen Zähnen und heruntergezogenen Mundwinkeln. Die wollen nicht nach oben zeigen. Trotzdem: Soll ihr nur einer was sagen.
Das eine echte Glück gesucht
Zwei Frauen, ein Gesicht. Es erzählt. Das Kinn aufmüpfig nach vorn gestreckt, die Stimme dunkel, die Haut fahl, das Haar strähnig. Es erzählt Hässliches. Trauriges auch. Es ist das echte Gesicht der echten Aileen. 2002 wurde sie im Bradford County hingerichtet, ein Jahr darauf ging Theron grandios gnadenlos in »Monster« (Regie: Patt Jenkins) als die Frau, die sechs, vermutlich sieben Männer erschossen hatte, weltweit unter die Haut. Die Leiche der zehn Jahre nach ihrer Verurteilung mit Gift Getöteten wurde verbrannt, die Asche in ihrer Heimat Michigan verstreut.
Zwei Jahre danach, just am 29. Februar 2004, dem Tag, an dem Wuornos ihren 48. Geburtstag gefeiert hätte, erhielt Charlice Theron den Oscar für die Rolle der Aileen Wuornos, die enttäuscht und zornig immer noch von Sehnsucht träumte und glaubte, doch noch irgendwann irgendwie an das eine echte Glück zu kommen.
»Ich mein, jeder muss an irgendwas glauben. Und ich? Mir war nichts weiter als die Liebe geblieben.«
Die blieb der vom Leben demolierten Seele zum Schluss auch nicht mehr. Ihre junge Geliebte verriet sie, arbeitete nach der Inhaftierung mit der Polizei zusammen und ließ für die genaue Aufklärung der Morde ihre Telefonate mit Aileen abhören. Tyria Moore, im Film die Selby, gespielt von Christina Ricci, ein ehemaliges Zimmermädchen, mit dem Aileen von 1986 an zusammen gelebt hatte, brach anschließend jeglichen Kontakt ab. Ihre große Liebe. Dabei hatte es nach so viel erfahrenem Schlechten doch so gut angefangen.
»Eigentlich wollte ich ja nur ein Bier trinken. Aber an dem Tag, an dem ich Selby kennen lernte, hatte ich fast den ganzen Nachmittag im Regen gesessen und wollte mich umbringen. […] Das Einzige, was mich daran hinderte, war ein Fünf-Dollar-Schein. Vermutlich hatte ich irgendeinem Arschloch einen geblasen. Das machte mich stinksauer, dass ich mich umbringen wollte, mit dem Geld in der Tasche. Dann hätt ich ihm ja umsonst einen geblasen. Also machte ich einen Deal mit Gott. Ich sagte ihm ›Ich muss die fünf Mäuse vorher ausgeben. Aber wenn das Geld weg ist, bin ich’s auch. Und wenn du mir noch was Gutes tun willst, dann musst du dich beeilen‹. Und da war sie.«
Schlechtes Los gezogen
Tyria Moore. Eben der Mensch, an dessen Seite die vom Leben geprügelte, enttäuschte, gebrandmarkte Aileen meinte, doch endlich mal das vielversprechende Los gezogen zu haben. Dreißig Jahre alt war sie, als ihr die aparte (Fast-)Kindfrau begegnete, ergo jung genug, um einen anderen, besseren Kurs einzuschlagen. Viel Wunschdenken war dabei, viel Herumgespinne. Sie hatte schlechte Karten, da war das Milieu, das Schema, da waren die Vorstrafen, der mangelnde Intellekt, die Vorurteile, die auch in finsteren Ecken lauern.
Und Tyria tat ihrer so burschikosen und doch so irritierten Herzdame bei Weitem nicht in allen Dingen gut. Sie war naiv, unselbständig, dabei klar berechnend, sprach von Leidenschaft und pochte auf ihre Vorteile. Aileen war selig, sich kümmern zu können, sich mit ihr ein Zuhause teilen zu können. Sie sorgte dafür, dass sie Geld hatten, ging weiterhin anschaffen, weil sie es nicht anders kannte und wusste. Männerhass, Demütigung, Verzweiflung und Konsequenz, einmal mehr auch zu oft Ebbe in der Kasse gipfelten in Raubmord.
Aileen Wuornos trug nicht aus reinem Selbstschutz eine Waffe, als sie Ende der Achtziger zu ihren Freiern ins Fahrzeug stieg. Mindestens sechs Männer erschoss sie, sie drückte stets mehrmals ab, bestahl die Toten, nahm sich ihre Autos und stellte die Frau an ihrer Seite zufrieden, die angeblich keine Fragen stellte und Aileen nicht geglaubt haben will, als diese ihr erstmalig anvertraut hatte, eine Mörderin zu sein.
»My Girl« nannte die Große ihre Kleine. Für sie war es Liebe. Und eben das wollte Regisseurin Jenkins vor allem anderen in ihrem Film, mit produziert von Theron, zum Ausdruck bringen:
»Es ist eine Liebesgeschichte.«
Mördergeschichte – Liebesgeschichte
Peter Travers schrieb (Rolling Stone, Dezember 2003), die Darstellung von Charlize Theron mache das Sehen des Films zu einer Erfahrung, die man »nicht vergessen würde«. Er meinte jedoch auch, Patty Jenkins sei zu sehr bemüht gewesen, eine Rechtfertigung für das Verhalten von Aileen Wuornos zu finden.
Exakt das wies Jenkins von sich. Rechtfertigen, anklagen, irgendetwas beweisen wäre nicht Intention gewesen, sie wollte eine Story erzählen, nicht(s) entschuldigen, sondern zeigen, was wie passieren kann, wenn es so oder so gegeben ist. Das ist ihr gelungen: Sie hat großes Kino gemacht, nicht dokumentiert. Es gibt auch keine erklärende Vorgeschichte. Eben die der wahren Aileen Wuornos, geboren 1956, die sich schon als Teenager prostituierte. Sie kam aus einem kaputten Elternhaus, der Vater nur im Knast, die Mutter unfähig, Kinder groß zu ziehen. Blutjung wurde sie schwanger, vermutlich vom Bruder, das Baby gab sie weg. Als die Großmutter starb, bei der sie aufgewachsen war, ging sie auf die Straße, war erleichtert, wenn sie Freier fand, die sie mitnahmen in die Wohnung oder auf das Hotelzimmer, weil sie dort duschen konnte.
Ihre Hochzeit mit einem 69jährigen aus Florida war nur ein schäbiges Intermezzo, was dahinter steckte, muss unkommentiert bleiben. Als Ehefrau für wenige Wochen suchte Aileen weiter die halbseidenen Pubs und Spelunken auf, in denen sie sich stabiler fühlte als da draußen, dann schlug sie ihren Mann mit seinem Gehstock. Er erwirkte Kontaktverbot, Kapitel beendet. Sie ließ sich weiter treiben, verkaufte sich, erniedrigte sich. Schämte sich. Verfluchte diejenigen, die sie benutzen durften. Erst die lesbische Beziehung zu Tyria gab ihr ein wichtiges Stück Selbstwertgefühl. Das wollte sie halten, dafür ging sie letztendlich über Leichen.
»Amerikas erste weibliche Serienkillerin. – Männerhassende, lesbische Mörderin.«
Der Prozess machte Schlagzeilen. Frauenverbände demonstrierten, zwei Dokumentationen (Nick Broomfield) und ein Fernsehfilm unter dem Titel Overkill: The Aileen Wuornos Story (Regie: Jean Smart, 1992) folgten. Dann der Kinoerfolg 2003.
Stationen einer Mörderin: »Monster«, mit zahlreichen Filmpreisen ausgezeichnet, ist eine Glanzleistung. Charlize Theron und Christina Ricci spielen brillant, zweifellos. Authentisch, fesselnd, aufwühlend. Für ihre Rollen haben sie sich selbst einiges abverlangt. Dass beide zu ordentlicher Gewichtszunahme verpflichtet waren, ist nicht ganz so nennenswert, das gehört bei Charakterdarstellern dazu, mal dicker, mal dünner sein zu müssen. Aber sie vertieften sich auch spürbar deutlich im Stoff, besuchten Originalschauplätze, lasen hunderte persönlicher Briefe, die sie von Aileen Wuornos erhielten und sprachen mit ihren Bekannten und Freunden. Kurzum, beide haben sich ins Zeug gelegt, beide verdienen Respekt.
Wobei die Theron als Aileen tatsächlich einfach nur umhaut, so grandios gut ist sie. So wahrhaftig verstört und gleichzeitig verstörend, sie geht grundehrlich an die Substanz. An die eigene. An die der Film-/Real-figur. An die des Zuschauers. Dort Mitleid, Abscheu, Nachdenklichkeit, dann Nervenkitzel, Betroffenheit, Unverständnis. So soll(te) es sein.
»This is one of the greatest performances in the history of the cinema. (Dies ist eine der großartigsten Darstellungen in der Geschichte des Kinos).« (Roger Ebert, Filmkritiker)