Am grünen Rand der Welt (Autor: Thomas Hardy)
 
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Am grünen Rand der Welt von Thomas Hardy

Rezension von Ralf Steinberg

 

Verlagsinfo:

Als sie zu ihrer Tante in ein kleines Dorf im Südwesten Englands zieht, wirkt die stolze Schönheit Bathsheba Everdene wie eine Exotin. Sie schart eine Reihe von Verehrern um sich, darunter den bescheidenen Schäfer Gabriel Oak, den wohlhabenden Farmer William Boldwood und den charmanten Soldaten Francis Troy. Doch welcher ist der Richtige?

 

Rezension:

Der Name der fiktiven Landschaft Wessex, in denen einige der Romane von Thomas Hardy spielen, klingt irgendwie vertraut. In seinem Vorwort zeigt sich Hardy sehr verwundert, wie weit sich die Verwendung dieses Namens zu seinen Lebzeiten ausbreitete, obwohl die damit charakterisierte, reale Landschaft inzwischen ihre Gestalt stark veränderte.

Und doch gilt auch heute noch Südengland im Besonderen als romantische Landschaft, ziehen Devon, Cornvall und eben auch Dorset die Menschen in ihren Bann.

Dabei lag es Hardy fern, eine Märchenlandschaft zu beschreiben und in ihnen traumhafte Fabeln spielen zu lassen. Vielmehr suchte er das Leben in seiner Heimat im Spiegel des Realismus zu betrachten.

 

Am grünen Rand der Welt beginnt jedoch zunächst tatsächlich wie eine Schäferromanze.

Gabriel Oak verbringt ein ruhiges und beschauliches Leben in Südengland. Durch einen Kredit konnte er sich eine Schafherde kaufen und Weideland pachten. Sein Alltag ist voller Arbeit, aber er ist damit zufrieden. Selbst als ihm die junge, hübsche und vor allem selbstbewusste Bathsheba Everdene begegnet, ändert sich an seinem Leben zunächst wenig. Doch dann sieht er sie erneut, wird von ihr vor dem Erstickungstod gerettet und schon hält er um ihre Hand an.

Ans Heiraten aber denkt Bathsheba nun aber überhaupt nicht.

Und es kommt noch schlimmer für den einfachen Mann. Er verliert die Farm und muss sich seinen Lebensunterhalt wieder als Lohnarbeiter verdienen. Während er suchend durch das Land zieht, gerät er auf einen Hof, auf dem ein Strohhaufen in lodernden Flammen steht und auf benachbarte Gebäude überzugreifen droht. Beherzt packt er mit an und wird zum Helden des Abends.

Die Farm gehört Bathsheba. Auf Grund seines Einsatzes bekommt er die vakante Schäferstelle, ohne sich jedoch Hoffnung auf die junge Farmerin machen zu können.

Bathsheba wurde durch den Tod ihres Onkels zur Nachfolgerin in der Pacht der Farm und ist fest gewillt, sie alleine zu führen, nachdem sie den diebischen Verwalter entlassen musste.

Obwohl ihre Arbeiter skeptisch sind, kann sie die Farm ganz gut bewirtschaften, auch, weil ihr Gabriel Oak selbstlos unterstützend zur Seite steht.

Ein unbesonnener Scherz jedoch bringt den Pächter der Nachbarsfarm, Mittvierziger Boldwood dazu, sich heillos in Bathsheba zu verlieben. Er bedrängt sie und nur knapp kann sie ein Verlöbnis verschieben. Als reichte das noch nicht, stolpert sie des Nachts über den Schürzenjäger Leutnant Troy und verliebt sich in den scharfzüngigen Charmeur.

Doch auch er verfällt der schönen Frau, obwohl er schon vergeben ist. Das Drama nimmt seinen Lauf …

 

Zwei Frauengeschichten stehen im Zentrum des Romans. Die offensichtlichere ist die von Bathsheba. Beständig unter Druck, sich gegenüber bestimmenden Männern behaupten zu müssen, droht sie auch an ihrer Selbstständigkeit zu scheitern. Weder Farmer Boldwood noch Leutnant Troy können das Nein einer Frau akzeptieren. Bathsheba kann sich ihrer nicht wirklich erwehren, ist sie doch gefangen in den Regeln der Höflichkeit, des Schicklichen und der Last ihrer Entscheidungen. So wird sie, die eigentlich die Zügel fest in der Hand halten wollte, zur verzweifelt Ertrinkenden, umhergewirbelt von den Wassern dreier Ströme, die unter und über ihr aufeinanderprallen. Da hilft es auch wenig, dass Gabriel Oak im Hintergrund bleibt.

 

Das wesentlich wuchtigere Schicksal in diesem Buch muss jedoch die Magd Fanny Robin erleiden. Die Geliebte von Leutnant Troy gibt ihre Stellung auf dem Hof von Bathsheba auf, um ihrem Freund in eine neue Garnisionsstadt zu folgen. In der Hoffnung auf ein gemeinsames Leben mit ihm sendet sie auch das Geld zurück, dass Gabriel Oak ihr schenkt. Troy behandelt sie wie Dreck. Lässt sie sich um die Hochzeit kümmern, vergibt ihr nicht die Verwechslung der Kirchen und schäkert hemmungslos weiter mit anderen Frauen herum.

Selbst, als er sich gegen sie entschied, bringt er ihr nicht den Respekt entgegen, ihr das auch zu sagen. Obwohl er um ihre unsichere wirtschaftliche Lage weiß, überlässt er sie einfach ihrem Schicksal.

Und das machen auch alle anderen. Obwohl das halbe Dorf in das Leiden des jungen Mädchens eingeweiht ist, interessiert man sich deutlich mehr für Bathsheba. Auf der untersten Stufe der englischen Gesellschaft ist auch das Mitleid nur selten zu finden. In ihrer verzweifeltsten Not erbarmt sich ein Hund, ihr zu helfen.

Erst ihrer Leiche wird Aufmerksamkeit zu teil. Da plötzlich empfindet man Verantwortung und fühlt sich gesellschaftlichen Normen verpflichtet. Aber die Unschuld wurde getötet.

 

Hardy pflanzt diese hochdramatischen Ereignisse in ungemein kraftvolle Beschreibungen des Farmlebens und der Landschaft. Vom Wetter bis hin zur landwirtschaftlichen Tätigkeiten versorgt er seine Leserinnen und Leser mit kurzweiligen Szenen, die bis in die Dialoge das ländliche Leben farbenfroh bebildern. Und selbst als sich die Situation zuspitzt, bleibt Hardy ein ruhiger Erzähler, bemüht, keine seiner Figuren einseitig zu zeichnen. Selbst der Hallodri Troy bekommt seine Lebensgeschichte und damit eine Grundlage für sein Handeln, die zumindest erklärbar macht, warum er so lange – und letztendlich zu lange – braucht, um sich zu seiner wahren Lieben zu bekennen. Auch er ist das Opfer des englischen Standesdenkens. Dass er damit gleich zwei Frauen ins Unglück stürzt, erhöht die Tragik des unmenschlichen Systems.

 

Ähnlich kann man auch Boldwood und Oak betrachten. In beiden Figuren spiegeln sich die Grenzen ihres gesellschaftlichen Aufstiegs. Hardy deutet an, dass auch Boldwood Interesse an Fanny Robin hatte, vielleicht sogar nur väterliche Gefühle empfand, doch er geht ihnen nicht nach. Nicht für eine Magd.

Gabriel Oak arbeitet sich hoch, scheitert jedoch zunächst unglücklich. Bathsheba weist ihn ab, weil sie ihn weder liebt, noch auf seiner gesellschaftlichen Ebene lebt, denn zum Zeitpunkt seines Antrags ist er der Farmer und sie die mittellose Nichte. Als sich das Blatt wendet, fehlen ihr immer noch die Gefühle für den Schäfer.

Ihr großes Problem in allen drei Fällen jedoch war stets die Zeit. Man ließ ihr nicht die Zeit zum Denken. Den Männern ging es um den Besitz, die Eroberung Bathshebas. Sie stand vor dem Verlust der Selbstständigkeit, ihr Zögern ist nur zu verständlich, doch in Anbetracht des damaligen Frauenbildes spielte das keine Rolle im männlichen Werben.

Diesen Konflikt bringt Hardy deutlich zur Geltung und trotz allen gewünschten und gezeigten Realismus, gönnt er uns zumindest einen kleinen Lichtblick auf eine Besserung der Umstände, zeichnet er Geduld und Fleiß am Ende aus. Was allerdings auch nicht ganz überraschend geschieht.

 

Fazit:

»Am grünen Rand der Welt« von Thomas Hardy erzählt von den tragischen Problemen, in die Standesdenken und gesellschaftliche Zwänge ein Frau im viktorianischen England stürzen können. Und ganz nebenbei verzaubert er mit lebendigen Schilderungen eines längst vergangenen ländlichen Lebens. Realistisch, traurig und mit großartigen plastischen Figuren, deren Schicksal sich zu einem schaurigschönen Panorama öffnet.

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Buch:

Am grünen Rand der Welt

Original: Far from the Madding Crowd, 1874

Autor: Thomas Hardy

ÜbersetzerInnen: Roswith Krege-Mayer (Vorwort) und Peter Marginter

Taschenbuch, 423 Seiten

Deutscher Taschenbuch Verlag, 1. Mai 2015

Cover: Petra Börner

Karte: H. A. Shelley

 

ISBN-10: 3423144017

ISBN-13: 978-3423144018

 

Erhältlich bei: Amazon

 

Kindle-ASIN: B00ZUAJZ6K

 

Erhältlich bei: Amazon


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Erstellt: 28.07.2015, zuletzt aktualisiert: 23.08.2023 08:32, 14052