Rezension von Christel Scheja
Denkt man an die großen und bedeutenden Flüsse dieser Welt, dürften den meisten der Amazonas und der Nil einfallen und danach nur noch Schweigen. Doch auch in Asien gibt es Ströme, die mit den genannten mithalten können und über Tausende von Kilometern die Landschaft prägen. Zu diesen gehört der Amur, der sich dem Betrachter nicht als homogenes Gewässer darstellt, sondern als Fluss-System von kontinentaler Dimension.
Die dreiteilige Dokumentation verfolgt den Lauf des Flusses von seiner Mündung bis zu den Quellen. „In der Ferne Osten“ beginnt die Reise, in dem riesigen Delta, zwischen den Küsten der Tartarenstraße, wo sich das Japanische und das Ochotskische Meer treffen.
Das Mundungsdelta ist eine Welt für sich – Lebensraum für unzählige Tiere und Pflanzen, aber auch Heimat vieler Menschen, die sich trotz der politischen Umstände ihre Kultur bewahrt haben. Später wird „Der schwarze Drache“ zum Grenzfluss zwischen Russland und China, zwei einander belauernden Supermächten, die die Macht des Stromes gnadenlos für sich nutzen. Dennoch findet die Natur auch hier Nischen und Ecken, in denen sie sich entfalten und das Leben aufblühen lassen kann, inmitten von Sümpfen und Seen oder den vielen Zuflüssen.
Der Amur fließt durch Tundra und Taiga gleichermaßen. Auch er friert im Winter zu und wird zu einem der wichtigsten Verkehrswege im Winter, auch wenn man es zunächst nicht glauben mag – aber Tiere und Schmuggler wissen diese Veränderung der natürlichen Grenze zwischen den Staaten gerne zu nutzen.
Und schließlich erreicht man die heiligen Quellen in der Mongolei – jedoch von nicht einem sondern gleich zwei Flüssen, die sich noch in der Steppe zum Amur vereinen. Auch hier gehen Natur, Tier und Mensch eine Symbiose ein, wie man sie nur selten findet.
Nachdem die bekannten Regionen längst abgegrast sind, wenden sich immer mehr Filmemacher den Orten zu, die bisher wenig beachtet wurden – sei es, dass man sie nicht für so interessant hielt wie etwa das Amazonasbecken, oder dass es aus klimatischen oder politischen Gründen schwierig ist, dort zu drehen.
Das dürfte auch hier der Fall gewesen sein – Russland und China gehören nicht unbedingt zu den Staaten, die westliche Filmemacher mit offenen Armen empfangen und sie bei der Arbeit noch unterstützen, selbst wenn sie sich nur auf Landschaft, Pflanzen und Tierwelt konzentrieren und die Menschen weitestgehend auslassen.
Und genau das ist auch hier zu spüren. Man merkt schon, dass die weiten Landschaftsaufnahmen so gehalten sind, dass man nur die wilde Natur zu sehen bekommt, aber nicht wirklich erkennen kann, wo man sich gerade aufhält. Die Aufnahmen konzentrieren sich auf Tiere und Pflanzen, die wenigen Völker, die vorgestellt werden, zeigen eher ihren Alltag im Einklang mit der Natur und nicht viel anderes. Gesellschaftliche und auch ökologische Probleme werden ganz ausgeblendet. Der Amur erscheint in seiner Gänze als gesundes Biotop, aber ob er das auch ist – das steht auf einem anderen Blatt.
Trotzdem ist die Dokumentation sehr gelungen, entführt sie doch in einen Teil der Erde, den man sonst nur sehr selten zu sehen bekommt, in Regionen, die allein schon durch ihr Klima unwirtlich sind und Menschen wie auch Tiere vor große Herausforderungen stellen, die beschlossen haben, dort zu leben.
Den Zuschauer erwarten in den drei mal fünfundvierzig Minuten in erster Linie wunderschöne Landschaftaufnahmen, seltene Beobachtungen von Tieren aber auch viele kleine interessante Informationen, wenn auch nichts davon in Richtung Gesellschaftskritik oder Umweltschutz geht. Aber das würde in den atmosphärisch gestalteten Episoden vermutlich auch ziemlich stören. So kann man sie einfach nur genießen und über das staunen, was die Filmemacher aufgestöbert und vor die Kamera bekommen haben.
Von den Dreharbeiten erzählt jedenfalls das Making-of, das mindestens so interessant ist wie die Folgen. Bild und Ton sind ansonsten auf der Höhe der Zeit und lassen nichts an Qualität vermissen.
Fazit:
„Amur – Asiens Amazonas“ gehört zu den interessanten neuen Dokumentationen auf dem Markt, stellt sie doch eine Region der Erde näher vor, die bisher nur selten und wenn dann in kleinen Bereichen vorgestellt wurde. Hier aber lernt man den Charakter des Flusses in seiner Gänze kennen – vom Mündung bis hin zu den Quellen, die unterschiedlichen Landschaften, Tier und Pflanzenwelten, die er auf seinem Weg kreuzt und in Europa nahezu unbekannt sind – ein lohnenswerter Blick in eine fremde Welt also!
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