Artikel: Let’s go, Vertigo!
 
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Let's Go, Vertigo!

– Ein paar Gedanken zu Vertigo bei Panini Deutschland

Redakteur: Christian Endres

 

Vertigo Comics gibt es nicht erst seit gestern. Revolutionäre Titel wie Sandman, Swamp Thing und Hellblazer haben allesamt schon ein paar Jahre auf dem Buckel, und selbst jüngere Serien wie 100 Bullets oder Fables laufen mittlerweile schon einige Zeit mit ungebrochenem Erfolg und ebenso ungebrochener Popularität in den USA (und haben, wie etwa im Fall von 100 Bullets, ja sogar hierzulande schon eine Teil-Veröffentlichung erfahren). Trotzdem herrscht auf dem deutschen Comicmarkt derzeit eine Schwindel erregende Euphorie, wenn es um Paninis neues Vertigo-Label geht. Grund dafür ist natürlich der Umstand, dass Panini im vergangenen Jahr dank DCs neuer Lizenzpolitik das »deutsche Monopol« für einen Großteil der Comics des begehrten Vertigo-Imprint ergattern konnte und nun langsam aber sicher in Fahrt kommt, was die Veröffentlichung der vielfältigen Produktpalette aus dem Hause DC Vertigo angeht. So stehen nach Bekanntgabe der vorläufigen Jahresplanung für das erste Halbjahr 2007 Neuauflagen von Gaimans Sandman, Azzarellos 100 Bullets und sogar Ennis’ Preacher (letztgenannter sogar im Hardcover) ins Haus, aber auch neue Vertigo-Titel wie Willinghams Fables, Morissons W3 oder eben die lang erwarteten Fortsetzungen von 100 Bullets oder Y – The Last Man mit den neuen Tradepaperbacks in den Startlöchern ...

 

Versumpft in der Vergangenheit

 

Ich erinnere mich noch an meine erste (fast schon klassische!) Berührung mit einem Vertigo-Comic: Ein Band des legendären Runs von Alan Moore bei Swamp Thing, damals noch in der deutschen Ausgabe bei Carlsen. Es war ein außergewöhnliches Erlebnis – dem ich seinerzeit natürlich noch nicht den Stellenwert oder die Bedeutung zuordnete, wie ich es heute wahrscheinlich (und hoffentlich) täte. Aber auch wenn ich damals noch nicht so viel über Comics und deren Vielfältigkeit bzw. den gehobenen Anspruch von Künstlern wie Alan Moore, Stephen Bissette, Rick Veitch, John Totleben oder Tatjana Wood (um einmal das Gespann dieser für mich einschneidenden, unvergesslichen Ausgaben mit meinem großen grünen Freund zu benennen) wusste, so verstanden Moores beeindruckende Swamp Thing-Geschichten es wenigstens schon damals, mich zu beeindrucken und zu begeistern. Ich wusste zwar nicht genau, wohin mit diesen extravaganten Horror-Stories voller Gefühl, Innovation und Poesie, und auch nicht, wohin es mich nach der Lektüre noch verschlagen sollte – aber ich wusste schon damals irgendwo tief in mir drinnen, dass ich hier etwas außergewöhnliches gelesen hatte, das sich deutlich von den Disney- oder Superhelden-Comics unterschied, die ich zu der Zeit noch vornehmlich gelesen habe; etwas außergewöhnliches, das mir dabei helfen sollte, das Tor zur weiten, bunten Welt der Comics noch ein mächtiges Stück weit aufzustoßen ...

 

Und damit sind wir direkt beim Kern der Sache: Die Idee, DC (Detective Comics, falls an dieser Stelle noch jemand über die Bedeutung der Buchstaben rätseln sollte) ein erwachsenes, anspruchsvolles Sublabel für Comics der etwas anderen Art zu spendieren, kam in den 80ern nämlich eben mit just jenem legendären Swamp Thing-Run des Briten Alan Moore erstmals auf (und sollte 1993 von der nicht weniger legendären DC-Redakteurin Karen Berger offiziell in die Tat umgesetzt und eben unter dem Namen Vertigo ausgerufen werden). Zum anderen ist Unterschied natürlich genau das Wort, auf das man Vertigo abstrahieren könnte, um es in aller Kürze prägnant zu beschreiben. Denn die meisten Vertreter aus dem breiten Spektrum an Serien und Titeln machen dafür, dass sie eigentlich nur als ein weiteres Imprint eines der beiden großen US-Comicverlage – und damit direkt neben beispielsweise Batman, Superman und Wonder Woman - erscheinen, definitiv den Unterschied aus.

 

Der Tod des Komplett-Sammlers

 

Es ist sicherlich das gewisse Etwas, das den Vertigo-Comics ihren derzeitigen Hype in good old Germany beschert – die Unterscheidbarkeit sowohl zu den anderen, in der Regel eher mainstreamlastigen Titeln von DC und Marvel, aber dennoch auch der Abstand in die andere Richtung, dem Indy-Bereich und der Kleinverlagsszene. So bietet Vertigo einen für den Verlag zudem recht rentablen Mittelweg zwischen Kreativität, Innovation, Kunst und – nicht zuletzt – Kommerz, der bei den Fans seit Jahren bestens ankommt und darüber hinaus vielen talentierten Künstlern als Startbrett für eine beachtliche Karriere im Comic-Business gedient hat (wenngleich diese Künstler bei Vertigo zumeist ihre besten, kreativsten und unbeschwertesten Arbeiten abliefern, ehe sie in den großen Häusern dann oftmals ein wenig nachlassen und sich dem beugen, was der Markt verlangt). Mitunter spricht also Folgendes für den Erfolg von Vertigo: Autoren, die auch mal mit einer Norm oder Konvention brechen. Zeichner, die ihren Stil nicht dem derzeit gängigen Mainstream anpassen. Konzepte für Figuren und Serien, die es so noch nicht in Comicform gab. Das alles macht die Faszination und den Erfolg von DC Vertigo aus – das alles macht vieles daran so verdammt gut und lesenswert. Und das alles erklärt vielleicht auch zumindest ein Stück weit die Begeisterung und Euphorie derzeit, da Panini langsam aber sicher mit ihrem neuesten Lizenz-Erwerb in die Vollen geht und Tradepaperback für Tradepaperback auf den Markt wirft oder in Aussicht stellt.

 

Das wiederum ist wünschenswert, das ist klasse, das ist toll und das beschert dem deutschen Leser eine Vielzahl prächtiger Titel und Veröffentlichungen im Trade-Format oder gar im sammelwürdigen Hardcover - aber genau darin sehe ich auch die einzig wirklich echte Gefahr, die von der Verbindung Panini/Vertigo ausgeht ...

 

Die in den letzten Monaten immer wieder angesprochene Monopolstellung von Panini ist für mich dabei weniger interessant oder problematisch als die Tatsache, dass der Comicleser fortan noch tiefer in die Tasche greifen muss. Und trotz des so gerne propagierten (und angeprangerten) Monopols des Sammelbildchen/Comic-Verlages ist es ja so, dass nach wie vor auch von anderen Verlagen tolle Comics herausgebracht werden, egal ob nun Ehapa, Carlsen, Reprodukt, Cross Cult, Modern Tales oder eben andere Titel vom US-Markt, (den Manga-Boom nun auch noch mal ganz bewusst außer Acht gelassen).

 

Wer ein Hobby hat, der möchte nichts geschenkt. Doch wer ein Hobby hat, die dazugehörige Leidenschaft und Begeisterung hegt und pflegt, der möchte es wenigstens bestmöglich ausführen. Was, wenn das monatliche Budget allein schon durch die Vertigo-Neuveröffentlichungen annähernd gesprengt wird, ein ziemlich schwieriges Unterfangen wird. Denn wenn das Preacher-Hardcover für knapp 40,- Euro schon ein kleines Loch im Säckel hinterlässt und im selben Monat andere Verlage ebenfalls noch mit z. B. neuen Bänden ihrer Werkausgaben in ähnlichen Preissegmenten erscheinen, dann wird es letztlich sehr schwer, sich über die Üppigkeit zu freuen. Denn dann muss man sortieren, selektieren, verzichten – und was könnte schrecklicher sein für einen Leser, Fan und Sammler guter Comics, als aus zehn Titeln, die er unbedingt haben möchte, drei oder mehr abzuwählen und dahingehend zu verdammen, auf der Strecke zu bleiben?

 

Diese Situation wird aber unausweichlich sein, irgendwann. An einer Ecke muss man als Leser schließlich die Schere ansetzen, die Grenze ziehen und die Relationen beachten. Und ich für meinen Teil fürchte und kann absehen, dass es nicht bei den lesenswerten Vertigo-Titeln sein wird. Nein, ich kann jetzt schon mit einem weinenden Auge prognostizieren, dass ich 2007 die Nostalgie endgültig über Bord werfen und mich von einigen Serien trennen werde, die mich schon seit über zehn Jahren begleiten, in der Qualität derzeit aber stark nachgelassen haben.

 

Ich habe mich kürzlich davon überzeugen lassen, dass es durch Paninis Vertigo-Offensive nicht mehr oder weniger Titel gibt als vor sechs, sieben Jahren, den Hochzeiten von Dino, z. B.; doch man sollte das heutige Potential an Marketing, die Präsenz und die Opulenz nicht unterschätzen, die ein sehr gut strukturierter und auf dem deutschen Comicmarkt bestens etablierter Verlag wie Panini den Vertigo-Titeln bietet und mit auf den Weg gibt. Da wird der Ruf des Elitären auch gerne einmal verschmäht, wenn man eine Serie wie Sandman oder Fables dafür gut zwischen Marvel Exklusiv und 100% DC auf dem Markt positionieren kann. Und das macht wohl den Unterschied aus derzeit und rechtfertigt, denke ich, die Bedenken, wie sich der Markt für den Leser entwickeln und wann man sich auf Dauer von guten Serien trennen müssen wird.

 

Where To Go with Vertigo?

 

Panini, die für 2006 einen Rekord-Umsatz vorweisen können, haben für eine Fortsetzung ihres Erfolges in 2007 also fraglos den richtigen Grundstein gelegt: Die Vertigo-Titel sprechen alte wie neue Leser an und begeistern unabhängig von sonstigen Vorlieben ein breites Publikum an Comiclesern. Und dann gibt es quasi noch kostenlose Publicity bis zum Abwinken, da die Leserschaft euphorisiert durch die Weltgeschichte taumelt und Vertigo!, Vertigo! skandiert ...

 

Es ist schön, dass Serien wie Fables den Weg nach Deutschland finden und Perlen wie Neil Gaimans Sandman neu aufgelegt werden. Nun muss man das erste Jahr mit Vertigo unter der marketingtechnischen und verlegerischen Betreuung von Panini einfach wohl erst einmal abwarten und vor allem auch jeder für sich selbst entscheiden, was er davon mitnimmt (oder mitnehmen kann) und was nicht.

 

Den deutschen Markt bereichern tut eine solch optimale Veröffentlichung der Vertigo-Titel jedenfalls ohne Frage, und der Schmerz über den Untergang von SPEED dürfte spätestens mit der ersten Vertigo-Veröffentlichung von Panini Deutschland im vergangenen Herbst endgültig vergessen gewesen sein.

 

Wer klug selektiert, weiß was er will und sich seine Kapazitäten einteilt, der kann in den kommenden Monaten große Kunst erleben, seine Sammlung wohlfein aufstocken und viele schöne Lesestunden erleben.

 

So far: Let's Go With Vertigo ...

 

Oje, das hat nicht geklappt, Elfenwerk! 202404250838595a6a2917
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Erstellt: 18.01.2007, zuletzt aktualisiert: 20.02.2015 00:08, 3364