Artikel: Und gib ihr einen Namen
 
Zurück zur Startseite


  Platzhalter

Und gib ihr einen Namen

Michael Ende zum 80. Geburtstag

 

von Ralf Steinberg


Am 12. November 2009 wäre Michael Ende 80 Jahre alt geworden. Sein Name steht für eine ganze Reihe beliebter Figuren und Geschichten deren Reiz ungebrochen ist.


Das Unglaubliche an den Geschichten von Michael Ende ist ihre Wirkung auf den Leser.


Obwohl Ende auf keine moralische oder gar pädagogische Intention explizit wert legte, schmuggelte sich seine eigene Lebensart hinein und lässt uns Leser einen Menschen erkennen, der nicht nur die Vielseitigkeit des Lebens liebte, sondern auch um den Wert der Träume wusste.


Dass dies ganz natürlich in seine Werke einfloss, lag an seiner sehr speziellen Poetik. Sein Kernprinzip des Schreibens, war eine Absichtslosigkeit, das Wirken der Kunst aus sich selbst.


Vielleicht ist das der Grund, dass seine Phantasie uns immer wieder überraschen kann. Seine Figuren bemühen sich nicht, unseren Vorstellungen zu entsprechen, sie schaffen sie neu. Wenn es etwas gibt, das Michael Ende wirklich von uns wollte, dann war es das Träumen, das Eindringen in das Reich der Phantasie. Nicht umsonst nannte er die Welt seines berühmtesten Werkes Phantásien.


Eine Welt, die wir Leser selbst erschaffen und in die wir eintauchen können.


Es ist klar, dass in einem Artikel über Michael Ende, der auf einer Seite erscheint, die sich mit Phantastik im weitesten Sinne beschäftigt, der ewige Eskapismusvorwurf aus einer sehr subjektiven Sicht heraus betrachtet wird.


Man ist hier quasi professioneller Taucher im Meer der Nichtrealität. Das Maß ist nicht der Grad der Weltfremdheit, sondern der Umfang schöpferischer Macht.


Und wenn man bedenkt, wie oft man der These begegnet: "Das gab es schon, das hat schon wer geschrieben!", dann begreift man vielleicht, was das Besondere an den Geschichten ist, die Ende das Leben schenkte.


Es gab sie noch nicht. Keine Momo, kein Jim Knopf und keine Unendliche Geschichte.

Er besah sich die Welt auf eine neue und doch so einfache Weise, mit ähnlicher Ruhe und Weisheit, wie man sie den Schildkröten zuschreibt, die Ende so liebte und die immer wieder in seinen Büchern auftauchten.


Wer heute als Erwachsener in das Regal mit seinen Kinderbüchern schaut, wird viele liebe Erinnerungen finden. Aber er könnte eine Überraschung erleben, gibt er eines dieser Bücher an seine Kinder weiter und fragt sie, wie es ihnen gefällt. Wehmütig wird mancher erfahren, dass es die Kinder nicht mehr anspricht.


Bis auf wenige Ausnahmen. Neben den grandiosen Geschichten von Astrid Lindgren, bleiben Kinder bei Michael Ende hängen. Es ist Magie!


Das liegt vor allem daran, dass Michael Ende Geschichten erzählte, denen man einfach folgen musste.


Man befand sich plötzlich wie Bastian Balthasar Bux als Leser inmitten der unendlichen Geschichte, flog mit Atréju auf dem Glücksdrachen Fuchur über die Kontinente von Phantásien, wurde gejagt von Gmork, traf auf die uralte Morla und dachte sich einen neuen Namen für die Kindliche Kaiserin aus.


Hob man dann Blick aus den farbigen Zeilen, hatte sich das Zimmer verändert. Keine Flucht, sondern ein neues Sehen mit den alten Augen war das Ergebnis.


Mit jeder Seite, jedem Buch erschaffen wir die imaginäre Welt neu und bringen immer auch etwas aus ihr zurück, etwas, das wir in uns selbst finden.


Michael Ende bestand immer auf seine Absichtslosigkeit beim Schreiben.


Die Handlung schuf sich selbst, sprang vorwärts oder schlug Purzelbäume. Auch seine enge Verbindung mit dem Theater sorgte für eine ganz spezielle Dramaturgie - nicht umsonst ist Jim Knopf und der Lukas der Lokomotivführer als Fernsehserie der Augsburger Puppenkiste bekannt geworden.


Zeitlos selbst nach digitaler Revolution und dem Siegeszug von Zauberlehrlingen.


Michael Ende hätte es bestimmt gefallen, dass die Kinder von heute zu Büchern greifen, in denen es von phantastischen Figuren nur so wimmelt und dabei ist es egal, ob es Vampire, Hexen oder eine Kindliche Kaiserin ist. Dass sie ihre Zeit damit verbringen, ihrer Phantasie freien Lauf zu lassen und all jene Abenteuer zu erleben, die sie sich wünschen. Denn nichts macht uns mehr zum Menschen als das Träumen. Hier bestimmen wir, was aus uns werden kann.


Mit einer Geschichte beginnt es.

Gib ihr nur einen Namen und sie wird niemals enden.


Nach oben

Platzhalter
Platzhalter
Platzhalter
Erstellt: 02.01.2010, zuletzt aktualisiert: 16.10.2023 21:13, 9813