Barbie: Die ultimative Pop-Power-Phantastik-Puppe
 
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Barbie: Die ultimative Pop-Power-Phantastik-Puppe

Artikel von Karin Reddemann

 

Karstadt hatte einen Aufzug, in dem eine dünne Frau mit Turmfrisur stand, die Stockwerke aufzählte und dabei dauerhaft lächelte, als gäbe es keine schönere Beschäftigung. Karstadt hatte auch ein großes Treppenhaus, in dem Plakate von Llorett de Mar hingen. Das konnte man dort als Busreise buchen, was mich schwer beeindruckte, weil ich mir nicht vorstellen konnte, dass man im Bus den Globus umrunden kann. Ich hatte ja nun nicht die rechte Ahnung. Die Mondlandung hielt ich für einen Spielfilm der anderen Art, und Frankfurt nebst Frankreich waren für mich ein gemeinsamer Haufen. Ebenso Nixon und Brandt, die ich aus dem Fernsehen kannte und für ein und denselben netten Mann hielt. Meine Oma sah exakt aus wie die Queen, aber da war mir der Unterschied wohl klar.

Beneidenswert blond

Bleibt ergo festzuhalten: Das alles liegt lang und länger zurück. Ich war noch wirklich sehr klein und beneidenswert unbelastet, als ich mit meinen Eltern über das Treppenhaus in die Spielwarenabteilung, – plus Teppiche und Bettwäsche, zweite Etage –, gelangte und mit einem großen Paket in der Tüte von der dünnen Frau mit der Turmfrisur zurück ins Erdgeschoss gebracht wurde. Normalerweise nahm man damals, ob rauf oder runter, immer die Treppe bei zwei, drei banalen Stockwerken, – tatsächlich waren die Leute auch insgesamt schlanker als heute, das nur mal so –, aber zur Feier des Tages und mehr noch auf mein Drängeln hin nahmen wir den Aufzug. Die Tüte mit dem kostbaren Paket trug meine Mutter. Darin befand sich meine erste Barbie. Blonde Ponyfrisur, goldener Badeanzug, keine Schuhe. Schuhe überhaupt sollten sich in den Folgejahren noch als Problem herausstellen.

I’m a Barbie girl ...

Diese Barbie hatte ich gut zwei Wochen zuvor dort in dieser phantastischen Spielwarenabteilung auf einem phantastischen silbernen Podest, gut platziert in Aufzug- / Treppennähe, – oh ja, Karstadt verstand es, seine Reize in Szene zu setzen –, mit großen Augen und großer Gier darin entdeckt, gnadenlos zwei Wochen lang erbettelt und für die beste, wirklich unschlagbarste ihrer Spezies befunden.

 

»I’m a Barbie girl, in a Barbie world

Life in plastic, it’s fantastic

You can brush my hair, undress me everywhere

»Imagination, life is your creation ...«

 

Sie trug dann, weiterhin barfüßig, was sogar passte, eine ganze Weile ein violett-rosa gebatiktes Hippie-Outfit mit Fransen, das sich nur Barbie erlauben durfte. Ich nicht. Ich hatte meine Kniestrümpfe und meinen roten Faltenrock und aus. Vermutlich war ich diesbezüglich sogar etwas neidisch. Ich liebte diese Puppe auch nicht. Sie hatte nie einen Namen. Ich fand sie einfach nur wunderschön. Sie und ihren Hippie-Look.

 

Den Rang lief ihr später dann ganz ernsthaft eine brünette Petra ab, die deutsche Plasty-Barbie. Die hatte eine verblüffende Ähnlichkeit mit Libuše Šafránková in Drei Haselnüsse für Aschenbrödel. Meine Libuše bestand aber auch nicht aus hohlem Plastik, sie war bereits deutlich weiterentwickelt, hatte bewegliche Gummibeine und ein durchaus gewissenhaft hübsch modelliertes Gesicht. Kein Vergleich mit den anfänglichen Woolworth-Petras, die irgendwie unanständig wurden, wenn sie sich setzen sollten.

... in a Barbie world ...

Auf Libuše folgte eine Quick-Curl-Barbie mit Drähten im Haar, die beim Durchbürsten wirklich schäbig ausleierten. Stand auch auf der Packung: Nicht kämmen. Tat ich aber. Da fällt mir ein, dass ich die einzige Dauerwelle, die ich mir jemals habe machen lassen, auch eifrig raus bürstete. Verstört von meinem Antlitz, denke ich. Ich bürstete morgens so lange, bis ich fast wieder wie ganz ohne Locken aussah. Vielleicht ist das bei mir Natur der Sache.

 

Birgit Kremmkus von nebenan hatte ebenfalls eine Quick-Curl, deren Haar irgendwann vom glatt Kämmen völlig verhunzt war. Sie hat es dann radikal abgeschnitten, das sah völlig gruselig aus. Wir konnten die Entstellte noch nicht mal mehr als leidlich attraktiven Mann durchgehen lassen, so missraten war der Strubbelkopf.

 

Das mit den Männern war überhaupt solch eine Sache: Ich hatte keinen Ken. Meine Schwestern auch nicht. Irgendwann brachte mir meine Mutter einen Fred mit. Den Petra-Plasty-Ken. Auch nützlich. Kein Überflieger. Kein wirklicher Beau. Aber sympathisch und prädestiniert für bescheidene Rollen, die ihm nicht abverlangten, das Universum zu retten. Dazu gesellte sich Big Jim von unserem Bruder. Der muskelbepackte Gnom mit dem Knautschgesicht blieb freilich ewiger Statist, als adäquater Partner taugte er nicht.

 

Vor Fred und Jim musste die Barbie meiner älteren Schwester, die steife Beine und eine leicht angenagte Nase, woher auch immer, hatte, als Kumpel Tom oder König Tim herhalten, das erschien uns akzeptabel, weil sie kurzes Haar hatte. Garderobe für sie/ihn war reichlich vorhanden: Von den vielen uns großzügig überlassenen Stoffresten von »Tante« Thea Rühr, einer Schneiderin, die unter dem Dach wohnte und mit unserer Oma befreundet war, wurden die zweckdienlichen so drapiert, dass die Frau als solche gar nicht auffiel.

 

Besagte Barbie meiner Schwester muss wohl eine der ersten Mattel-Modepuppen gewesen sein, die 1964 über den großen Teich in unsere Kinderstuben gekommen waren. Vermutlich im illusorischen Idealzustand heute eine Stange Geld wert. Sie hatte diesen frech-frivolen Blick aus den Augenwinkeln heraus und trug, als meine Schwester sie bekam, einen schlichten roten Badeanzug. Ordentlich angezogen waren sie alle nicht bei ihrer Ankunft. Damals.

Wir alle so wie die!

Unsere Großmutter schenkte ihr dann ein Etuikleid mit hochhackigen grünen Schuhen, das sah sehr wichtig und erwachsen aus, aber die Schuhe waren flott verschwunden, und das Kleid designte ich zum Maxirock für Tutti um, die nichts anzuziehen hatte. Barbies kleine Schwester. Kein wirkliches Vergnügen. Die war niedlich, aber irgendwie niedlich waren wir ja selbst. Barbie war eine Frau. So wie die ungefähr oder zumindest ähnlich würden wir ja alle später wohl mal werden. Dachten wir so und wussten genau, dass das nicht hinhauen würde. Die Figur allein ... geht normal gar nicht. Wir waren phantasievoll, aber nicht blöd.

 

Bevor es jetzt oder überhaupt schon zu Irritationen bei jüngeren Lesern kommt: Hier ist nicht die Rede von DER Barbie, die alles hat, alles braucht und alles kriegt und alles kann: Villen, Pferde, Doktortitel, Raumschiff, rosa Luftballons und eine Hollywoodkarriere.

 

 

Vorliegende Berichterstattung, – nennen wir durchaus liebenswerte Erinnerungen mal ganz vernünftig so –, ist von diesem eher nostalgischen Charakter, der Befürchtungen darüber aufkommen lassen könnte, dass die Kolumnistin nicht mehr so ganz von dieser Welt ist. Es besteht diesbezüglich kein Grund zur Sorge, geschrieben wird (nur!) Geschichte.

 

»... dress me up, make it tight, I’m your dolly

You’re my doll, rock’n’roll, feel the glamor in pink

Kiss me here, touch me there, hanky panky ...«

 

Wir trafen uns zu regelmäßigen Barbie-Sessions, setzten uns auf den Teppichboden im Kinderzimmer oder mitten auf den Hof und packten mit wichtiger Mine aus, was wir hatten: Ein bisschen gekaufte Garderobe und jede Menge angesammeltes Zeug zum Entdecken, Erfinden und Verkleiden. Wir waren Meister im Improvisieren. Wir bauten unsere Bühnenbilder aus Schuhkartons, Glasperlen und Gardinenfetzen, schneiderten aus mit Filzstift bemalten Tempos Arztkittel, Engelsflügel und Hochzeitskleider. Und kämpften verbissen um Schuhe, die immer Mangelware waren. Wir konnten uns über das Thema Schuhe derart erhitzen, dass wir alles komplett wieder zusammen packten. Und aus. Endgültig zerzankt. Vorbei. Für die nächste Viertelstunde ungefähr.

 

Ein paar Verwandte von Barbie waren dazu gekommen: Drei kleine Tuttis, – eine für jede von uns Schwestern –, einige weitere preisgünstige Petras als Personal, dann eine Skipper, die Teeny-Barbie, mit der wir nicht so recht etwas anzufangen wussten. Nicht Limo, nicht Sekt. Irgendwie. Und nie der eine echte Ken. Dauerverlobt mit Barbie. Das wussten wir gar nicht. Aber solche Infos waren auch unwichtig für unsere Geschichten.

 

Die waren dramatisch, es kamen Reiche und Arme, Kluge und Dumme, Gute und Böse darin vor. Eine der Bösen war Schotti. Die alte unbezahlbare Barbie meiner Schwester übernahm diese Rolle, wenn sie nicht grad als Mann gebraucht wurde. Unsere Barbies umarmten und kränkten, ärgerten und versöhnten, küssten und schlugen sich. Wir entschieden, wie das wahre Leben sein sollte. Ein erwachsenes Leben. Nicht wirklich unseres, aber die Vorstellung, der Traum oder Alptraum davon. Unnötig, das zu erklären.

Zuerst war Lilli

Erdacht hat sich die Ur-Version der Comic-Zeichner Reinhard Beuthien 1952 für die Bild-Zeitung mit seiner Lilli-Figur, einem blonden sexy Pin-Up, das es seit 1955 als Puppe gab. 1959 brachte der US-amerikanische Spielzeugkonzern Mattel nach dem Lilli-Vorbild Barbie in sein Verkaufsprogramm und sicherte sich 1964 die Vermarktungsrechte an Lilli. Seitdem geht Barbie, Maßstab 1:6, Kurven: 99-46-84, kreiert von Ruth Handler, benannt nach deren Tochter Barbara, mit stetig wachsender Fangemeinde, – die Alten bleiben treu, die Jungen ziehen nach –, und großem Freundeskreis rund um die Welt, folgt allen Modetrends, ist immer schön, schlank, blitzgescheit, sportlich, kulturell, politisch neutral, aber korrekt, reizvoll und kokett, aber anständig.

 

Und sie mischt überall dort mit, wo aktuell was los ist ... immer entsprechend gekleidet und frisiert, längst schon nicht ausschließlich blond. Aber bevorzugt. Immer noch. Barbie »in echt« ist blond. Für mich dem Wandel zum Trotze. Damals war sie es in der Carnaby-Street, später auf der Southfork-Ranch (TV-Dallas). Heute fliegt sie so wohl in Galaxien umher und schließt Brüderschaft mit Aliens. Aber das muss ich nicht mehr unbedingt wissen. Vielleicht aber doch.

 

»... make me walk, make me talk, do whatever you please

I can act like a star, I can beg on my knees

(...)

Hit the town, fool around, let’s go party

You can touch

you can play

If you say ›I’m always yours‹«

(Aqua, 1997)

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Erstellt: 13.11.2020, zuletzt aktualisiert: 28.02.2024 16:07, 19165