Bloß nicht der Hund
 
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Bloß nicht der Hund

Artikel von Karin Reddemann

 

Ihren Hund hat Die Fremde in dir am Ende einer langen Nacht wieder. Er taucht während des Films, der übrigens großartig ist, einfach spurlos unter, und die Sorge um ihn begleitet die Angst um Erica wie ein trotziger Schatten, den das Drehbuch prinzipiell ohne Gewicht wirft. Denn der Hund ist nur Nebendarsteller. Einer von vielen. Aber sterben darf dieser eine nicht. Muss er gottlob auch nicht. Und das ist richtig so: Bloß nicht der Hund!

 

Ich würde jetzt gern direkt von Hachiko erzählen oder von John Preston, der seine Munition verschießt, um einen kleinen Hund zu retten. Mir fällt aber spontan diese Szene in Camp Evil ein, die mir den ganzen Film madig gemacht hat. Das ist betont salopp, aber recht gequält formuliert. Denn obgleich ich hier mit der hartgesottenen Familie spreche, die meist allzu gern der Dunkelheit die ihr zugedachte böse Nacht wünscht, weiß ich sehr wohl, was uns zornig macht: Wenn da jemand die Grenze überschreitet, das Gebot missachtet, das Tabu bricht und unsere Gefährten richtet. Denn merke: »Sei meines Hundes Freund, und du bist auch der meine.« (Indianisches Sprichwort)

Freund ist ein Hundename

 

Meine Großmutter sagte, sie habe ihren Mann nur ein einziges Mal bitterlich heulen sehen. Er weinte um seinen tödlich verunglückten Hund. Das war in den 1960ern. Ich betrachte meinen Großvater auf einer vergilbten Fotografie in Soldatenuniform, wie er ernst, blutjung und vielleicht ahnungslos in die Kamera blickt, neben ihm sein Begleiter, ein Schäferhundmischling, ein »großartiger Kerl, der irgendwo in französischer Erde begraben liegt«. Das Bild ist fast einhundert Jahre alt, meine Großmutter war deutlich jünger als er, und irgendwann erfuhr sie wohl, dass seine Liebe nie so sehr auf Menschen gezielt hatte, wie diese es sich gewünscht hätten. Immer wünschen. So sollte es vermutlich nicht sein. Aber wer entscheidet? »Freund ist der Name eines Hundes.« (Japanisches Sprichwort)

 

John Wick (Keanu Reeves) im gleichnamigen Film, ein Profikiller, der mit seiner Vergangenheit abschließen möchte, greift wieder zur Waffe, als eine beauftragte Schlägertruppe ihn in seinem Haus überfällt und seinen Hund umbringt. Ein Welpe, zudem das letzte Geschenk an ihn von seiner verstorbenen Frau. John Wick tötet schnell und kompromisslos, und er tötet viele. Natürlich gilt sein Rachefeldzug nicht ausschließlich dem Hund, da sind noch andere Rechnungen offen, aber was er macht und wie er es macht ist tatsächlich eine gewisse Genugtuung. Da kommt kein Mitleid auf, das läuft korrekt ab. Immerhin sind das die nicht die Guten, die draufgehen. Und immerhin haben sie den kleinen Hund ermordet.

 

Die brutale Vergeltung für geschehenes Unrecht im Großen und für ihn im nur scheinbar Kleinen ist eine faire Geschichte. Und dass Wick zum Schluss in einer Veterinärklinik seine Wunden verarztet und dort einen heimatlosen Hund aus dem Käfig befreit und ihn mit nach Hause nimmt, weckt Zufriedenheit pur. Ein tröstend schönes Ende nach den Wuttränen zu Beginn und der Zustimmung, was den weiteren Verlauf betrifft.

 

Wir machen die Geschichten

 

Ansonsten hat Priorität: Wenn Klauen nach uns greifen, Dämonen spucken und Dichter schreien, bleibt der Werwolf ein kluger Kopf. Wenn wir die Augen schließen, um unsere Phantasie von eiskalten Lippen küssen zu lassen, frieren wir nicht. Wir erinnern uns. Wir schreiben es auf. Wenn die Glotzenden, die Kreischenden und die Unheimlichsten von allen, diese Stillen, Lauernden, Denkenden, nicht mehr wach sind, hören wir ihnen weiter zu, während sie träumen. Und flüstern es uns gegenseitig ins Ohr. Wir machen die Geschichten. Nur die eine nicht und niemals, diese eine wollen wir nicht erzählen.

 

Die Geschichte von dem Hund, der stirbt. Er ist nicht alt, er ist nicht krank, er hat auch keinen tragischen Unfall. Er stirbt, weil sein Tod sich einfügt in eine Erzählung, die diesem Tod einen Sinn geben will. Sowas geschieht. Natürlich. Wir wühlen nicht verzweifelt in der Märchentruhe, um das ein für allemal ausschließen zu können. Keine Chance. Aber wenn der Hund stirbt, ohne Not, der Sache, der Kunst, dem schlechten Geschmack zu dienen, einfach stirbt, wie wir irritiert und angewidert meinen, ganz ohne Not, die wir nicht erkennen können und wollen … Wenn die Not auch gar nicht da ist, weil es die die Monster, die Schatten, die Irren sind, die es zu definieren und zu bezwingen gilt …

 

Dass er stirbt, sagt mein Bruder im Geiste, geht gar nicht, dass er gar leidet wie eine banale Schauer-Bestie … grauenvoll. Verabscheuungswürdig. Und er nennt seine Gesinnung, die da so schonungslos brutal und ehrlich lautet: »Von mir aus können im Film alle krepieren. Hauptsache, der Hund überlebt.«

 

Wer verdient Anteilnahme?

 

Neulich im Tatort wurde ein Terrier namens Percy vergiftet, nachdem man eine Dreiviertelstunde als Zuschauer Gelegenheit gehabt hat, ihn so richtig ins Herz zu schließen. Das geht gar nicht. Am Anfang hatte man das Mordopfer mit herausgeschnittener Zunge und abgehackten Händen gezeigt. Schlimm, sowas. Der Kerl war aber kein Sympathieträger. Percy sehr wohl. Natürlich. Und unabhängig davon, wer jetzt was warum an Anteilnahme verdient, ist klar, dass dem Hund nichts Böses passieren sollte. Nie.

 

Der Hund in »Camp Evil«, einem belgischen Horrorfilm, der in einem Pfadfinderlager spielt, überlebt auch nicht. Für die Handlung ist er nicht unbedingt relevant, er wird zu Tode geprügelt, um zu demonstrieren, wie die Jungs im Camp sich gegenseitig ihre Art von aggressivem Mut und unlogischer Wut auf etwas völlig Unschuldiges herauslocken. Die Szene ist furchtbar. Ich werde zum Kind, das sich ein Kissen vor das Gesicht drückt, um nicht wissen zu müssen, was es nicht sieht. Es ist gar nicht da, es kann gar nicht sein.

 

Irgendwo irgendein Hund

Gleichsam überlege ich als Ewig-schon-kein-Kind mehr, was nicht stimmt. Ich lese ein Buch, – Das Ritual von Graham Masterton –, und werde mit einer kannibalischen Sekte und Selbstverstümmelung in gruseligster und unappetitlichster Ausführung konfrontiert.

Muss gedanklich würgen und rege mich doch am meisten darüber auf, dass der ansonsten geschätzte Autor einen Wachhund bei lebendigem Leib verbrennen lässt. Die Wahnsinnigen fackeln ihn einfach ab. Er hat einen Namen. Gumbo. Und obgleich er nur eine winzige Randfigur ist, ist er derjenige, an den ich denke. Kein vierbeiniger Held wie der Mischling Hagen in White God (Underdog).

Nur irgendein Hund.

Trotzdem.

Und trotzdem.

 

In Dawn of the Dead, dem Remake von Romeros Kultschocker Night of the Living Dead, finden so gut wie alle den Tod. Steve, Andy, Norma, Monica, Frank … am Ende sogar der tapfere Michael, Sympathieträger wie Kenneth, Ana und ein weißer wuscheliger Hund. Die drei nebst einem jungen Pärchen kommen davon. Gut, streng genommen nicht, weil der Abspann nichts wirklich Hoffnungsfrohes verheißt, aber im Film geschieht dem Hund nichts. Obgleich er als Bote durch ein ganzes Zombie-Rudel geschickt wird. Das finde ich richtig, das gefällt mir. Das gefällt jedem aus der schrecklichen Sippe, die unsere ist. Der Hund gehört dazu. Wir verraten die Familie nicht.

 

»Keine Beleidigung würde mich so hart treffen wie ein misstrauischer Blick von einem meiner Hunde.« (James Garner)

Mona Lisa contra Welpe

Der Grammaton-Kleriker John Preston (Christian Bale) verbrennt in Equilibrium die Mona Lisa und tötet seinen besten Freund, weil ihm Emotionen fehlen. Als er sie zurückerhält, erschießt er ein Dutzend oder mehr schwer bewaffnete Männer, um ein Welpe vor der Tötung zu retten. Er nimmt ihn mit, obgleich er sich damit auf das Gravierendste strafbar macht. Und als nunmehr »fühlendes Wesen« sorgt der Elite-Kämpfer dafür, dass nach all den professionellen Gemetzeln, die sich bis zum optimistischen Ende ergeben, der kleine Hund in Sicherheit bleibt.

Und bei ihm und seinen Kindern ein Zuhause findet.

 

So ein bisschen heile Welt macht alles natürlich nicht viel besser.

Es geschehen schreckliche Dinge.

 

Darüber schweige ich nicht, ich sehe sie und weiß, dass wir uns anblicken und nicken.

 

Ein lächelnder Satz soll hier noch stehen, dann ist’s genug:

 

»Man kann auch ohne Hund leben, aber es lohnt sich nicht.«

(Heinz Rühmann)

 

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Erstellt: 15.04.2022, zuletzt aktualisiert: 09.04.2024 19:17, 20753