Blutspuren. Die Geschichte der Vampire (Autor: Hagen Schaub)
 
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Blutspuren. Die Geschichte der Vampire von Hagen Schaub

Untertitel: Auf den Spuren eines Mythos

Rezension von Oliver Kotowski

 

Rezension:

Mit Blutspuren. Die Geschichte der Vampire. Auf den Spuren eines Mythos will der Autor Hagen Schaub den Mythos nicht nur erläutern, sondern in erster Linie die zahlreichen Irrtümer in Bezug auf den Vampirglauben unter besonderer Berücksichtigung der neueren Forschung aufklären. Wie üblich bei Sachbüchern will ich das Buch Kapitel für Kapitel angehen; wem das zu ausführlich ist, der möge einfach direkt zum Fazit scrollen.

 

Was sind Vampire? (14 S.): Was genau ist eigentlich ein Vampir? Obwohl Schaub sich nicht mit dem Vampir-Bild der Literatur befasst, sondern nur mit dem des Volksglaubens, ist das Ergebnis sehr variantenreich. Schaub versucht gar nicht erst eine vollständige Liste von möglichen Eigenheiten zu erstellen, was aufgrund der Unklarheit auch extrem aufwändig wäre. Stattdessen streicht er den Duktus des Bildes heraus. Interessant ist die Diskussion ob der Vampir von anderen Untoten scharf zu trennen ist oder ob er nur ein Mitglied der Familie der schädigenden Toten ist – Schaub argumentiert plausibel für letzteres. Das obligatorische Wort zur etymologischen Debatte fehlt nicht, Neues gibt es hier aber ebenso wenig – rasch führt Schaub aus, dass der Ursprung unklar ist.

Was lange vor Dracula war (21 S.): Der Glaube an übernatürliche Blutsauger – bzw. Lebensräuber – scheint so alt wie die Menschheit zu sein. Knapp und präzise stellt Schaub einige Mythen (oder was davon in Quelltexten fassbar ist), die in den Vampir-Mythos eingeflossen sein könnten, vor, wobei er im Vorfeld auf einige Diskrepanzen zwischen blutsaugenden Dämonen etc. und Vampiren eingeht. Der Reihe nach werden Hinweise auf Wiedergängerglauben in der Vor- und Frühzeit, Blutsaugern in der Antike, skandinavischen Untoten, britischen Untoten, französischen Wiedergängern, mitteleuropäischen Nachzehrern, lebenden Leichen in Böhmen und Mähren, schlesischen Untoten, je ein Vorfall aus der Schweiz sowie aus Bulgarien behandelt. Die Mehrheit der Fälle ist dabei 'amtlichen' Dokumenten wie Chroniken u. ä. aus der frühen Neuzeit entnommen.

Der Vampir und die Realität (26 S.): In diesem Kapitel setzt sich Schaub mit einigen Zügen der Mentalität zur Zeit der 'Vampir-Hysterie' auseinander. Er beginnt mit dem Verbreitungsgrad und der Verwurzelung des Aberglaubens, den er vor allem am Hexenglauben festmacht – fast Europa weit wurden über Jahrhunderte hinweg unzählige Hexen verbrannt. Meistenteils wurden sie – vereinfacht gesagt – zu Sündenböcken für schwerwiegende Missgeschicke gemacht. Die Hexenhinrichtungen reichen weit bis ins 18 Jh. hinein. Da Hexenglaube und Vampirglaube z. T. nebeneinander bestanden, sieht Schaub keinen Zusammenhang zwischen dem Abklingen des Hexenglaubens und dem 'Aufkommen' des Vampirglaubens. Dann wendet er sich den Ansichten über Tote zu. Zentral ist für ihn die Feststellung, dass Tote nicht sofort als entseelt verstanden wurden, sondern noch für eine gewisse Zeit passiv da wären. Zum Abschluss eine Bemerkung zum Licht – es gab kaum welches. Die Dunkelheit und Stille habe entscheidend die Phantasie der Landmenschen angeregt. Die Grundsteine des Vampirglaubens lauten also Aberglaube und Verunsicherung.

Der Vampir ist Realität (36 S.): Hier wendet Schaub sich den Berichten über Vampiren und ähnlichen Wiedergängern zu. Er beginnt mit Berichten aus dem frühen 17. Jh. und endet mit einem aus dem späten 18. Jh. Sie stammen überwiegend aus Ost- und Mitteleuropa und werden von Schaub sehr knapp zusammengefasst: Erwähnt werden wenn möglich Ort, Zeit, betroffene Personen und Besonderheiten des Falls. Dabei werden die fünfunddreißig Fälle vor den berühmten Ereignissen um Peter Plogojowitz tendenziell knapper als die dreißig darauf folgenden behandelt. Interessant ist dabei, dass häufiger davon berichtet wird, dass die Opfer 'Vampirblut' trinken um sich vor weiteren Vampirattacken zu schützen, als dass ein Vampir das Blut seiner Opfer trinkt; Vampire werden eher für Krankheiten verantwortlich gemacht.

Teufel, Seuchen und andere Ideen (40 S.): In diesem Kapitel geht Schaub die Erklärungsansätze des 17. und 18. Jh. an. Die Gelehrten, die sich mit den Vampiren befassten, waren schon 'immer' skeptisch, aber während im 17. Jh. die theologischen Argumente überwogen, setzten sich im 18. Jh. zunehmend medizinische und psychologische durch, ohne dass man sich völlig von dem trennte, was heute als Aberglaube verstanden wird. Schaub stellt die Ansätze knapp vor, wobei er auch die Autoren in den historischen Kontext der deutschen Debatte einordnet. Er beginnt mit den zwei traditionell theologischen Ansätzen, lässt ihnen drei gemischte Ansätze folgen und wendet sich dann den drei "Vätern der modernen Vampirdebatte" zu. Weiter geht es mit der Vampirdebatte von 1732-33: Schaub macht neunzehn Beiträge aus. Zu den Nachzüglern zählt er nur noch vier Beiträge – Gerard van Swietens Remarques sur le Vampyrisme führte dann auch direkt zum Erlass von Maria Theresia, der die Vampirverfolgung verbot. Was folgt sind Randphänomene: Für die Okkultisten wird stellvertretend Joseph von Görres' Die christliche Mystik vorgestellt. Dann nennt Schaub fünf Beiträge von französischen Gelehrten und zwei von italienischen. Insgesamt werden sechsunddreißig Beiträge vorgestellt.

Der Vampir kommt aus der Mode (16 S.): Schaub erläutert, warum die Vampirdebatte so bald verstummte – anders herum werde ein Schuh daraus: Es gab keine 'Vampir-Hysterie', sondern die Gelehrten der Aufklärung haben dieses Thema durchdiskutiert wie jedes andere auch und nachdem die entscheidenden Argumente gemacht waren, gab es schlicht nichts mehr zu diskutieren. Dieses falle zusammen mit dem Ende der großen Seuchen – ohne Epidemien wurde der Vampir als Erklärungsmodel kaum mehr benötigt – und der Feststellung der Obrigkeit, dass sie für offizielle Vampiruntersuchungen konkrete Kosten verursachten, aber keinen Mehrwert hatten.

Der Vampir und seine Symbolisierung (11 S.): Nachdem Schaub einige Unterschiede zwischen dem Vampirbild des Volksglaubens und dem der Literatur aufgezeigt hat – er konzentriert sich dabei auf die dominante Stellung der Sexualität in der Literatur – gibt er einen Überblick über die literarischen Werke des 18. und 19. Jh. Vorgestellt werden deutsche, britische, französische und osteuropäische Werke. Sieht man von dem deutschen Anteil ab, so ist der Überblick sehr dürr geraten, was aber kaum stören sollte – es gibt ausreichend Einführungen in das Thema. Der Abschnitt über die deutsche Literatur geht dagegen über das weitläufig bekannte hinaus.

Blut, Sex und Entsetzen (8 S.): In diesem kleinen Kapitel sollen drei Fragen beantwortet werden: Inwieweit veränderte bzw. manifestierte der Film das heute bekannte Bild vom Vampir? Was macht den Vampirfilm zu einem erfolgreichen Dauerbrenner? Was bewirkt der Vampirfilm heute? Es sind zwar ein paar interessante Gedankengänge in den Antworten enthalten, doch um die Diskussion voranzubringen sind sie zu kurz – der letzten Frage wird nicht einmal eine Seite gewidmet – und zudem zu sehr von Rat- und Verständnislosigkeit geprägt. Diese Seiten waren besser in eine ausführlichere Darstellung des Vampirbildes im Volksglauben oder einer differenzierteren Betrachtung der modernen Erklärungsmodelle geflossen.

Kein Freund der Kunst und Architektur (6 S.): Weder in der Kunst noch in der Architektur hat der Vampir in der Vergangenheit einen eindeutigen Nachhall hinterlassen. Besonders für die Kunst hat Schaub die sehr plausible These Pokornys parat: Es gab keine adaptierbare Bildtradition – vor Bela Lugosis Dracula-Interpretation gab es keine eindeutig darstellbaren Vampirmerkmale und damit auch keinen Platz für den Vampir in der Kunst. In der Architektur ist noch einiges im Fluss: Dienten verschiedene christliche Motive der Abwehr übernatürlicher Bedrohungen? Sicher ist nur, dass manche als Schutz-Runen interpretierte Verstrebungen ganz sicher keine Runen sind und daher auch vor nichts schützen sollen, sondern nur die Statik stützen sollen.

Gräber, Knochen und Gelehrte (21 S.): Schaub beginnt sein Kapitel über archäologische 'Vampir'-Funde mit einem disclaimer: Selten sprechen solche Funde eine eindeutige Sprache – von nicht jeder exhumierten und verstümmelten Leiche glaubte man, dass es ein Vampir sei. Doch selbst mit Abstrichen ergibt sich ein interessanter Befund, denn augenscheinlich hatte man nicht nur in Südosteuropa Leichen auf die klassische Art 'entschärft', sondern im gesamten slawischen Siedlungsraum lassen sich klare Hinweise finden, es gibt Moorleichen aus dem skandinavischen und britischen Raum, die als Indizien gewertet werden können, zahlreiche Gräber von Awaren, die auf den Glauben an lebende Leichname deuten, in Deutschland, der Schweiz und Österreich wurden Überreste gefunden, die sich entsprechend deuten lassen, selbst an der Ostküste der USA wurden anscheinend 'Vampire' unschädlich gemacht. Vieles bleibt dabei unsicher, doch die Hinweise auf einen weit verbreiteten Glauben an lebende Tote sieht Schaub sich durch den archäologischen Befund verdichten.

Gab es wirklich lebende Leichname? (28 S.): In diesem Kapitel geht Schaub mehr oder minder aktuellen Erklärungsmodellen zum Vampirglauben nach. Knapp stellt er Stärken und Schwächen vor, wobei er die Orientierung an das Vampir-Bild des Volksglaubens und die Häufigkeit des zur Erklärung herangezogenen Phänomens besonders wichtig nimmt. Ersteres sollte selbstverständlich sein, letzteres mag ein wenig verwundern, da er selbst feststellt, dass kein einzelnes Modell den Vampirglauben insgesamt erklären kann, sondern immer der Einzelfall geprüft werden muss. Der Reihe nach erläutert er Milzbrand, Tollwut, Porphyrie, die klassischen Seuchen, xeroderma pigmentosum, Mutterkorn, Opiumkonsum, Schizophrenie, psychologische Ansätze, Selbstmanipulation, Hysterie und Quellenkritik, den Nährgehalt des Blutes, Genetik, Verwesung, Erdböden, Scheintote, Langeweile und ein paar "Fantasien". Ein langes Kapitel, doch leider nicht lang genug, denn Schaub prüft nur, ob sich der Vampirglaube insgesamt damit erklären lässt, statt zu prüfen, inwiefern Ansätze oder Teile davon fruchtbar gemacht werden können.

Der oberste Vampir (16 S.): Spricht man über Vampire, so ist eine Behandlung Draculas obligatorisch. Zunächst befasst sich Schaub mit dem historischen Vlad III. und danach mit der Romanfigur Dracula und seinem Schöpfer Bram Stoker. Sieht man von einem Detail ab – nach Schaub war Radu, der Bruder Vlads, der homosexuell Geliebte des Osmanenherrschers Mehmed II.; doch da der Vorwurf der sexuellen Devianz zu den Standartvorwürfen des christlichen Europas gegen die islamischen Osmanen gehörte, ist der Vorwurf gegenüber den Verräter Radu mit einiger Skepsis zu behandeln – ist alles ganz ordentlich, wenn auch nichts Aufregendes dabei ist.

Untot bleibt untot (9 S.): Es bleibt eine Art Fazit. Weder im 19. noch im 20. Jh. ist der klassische Vampirglaube aus den Köpfen verschwunden, auch wenn sich zunehmend Eigenschaften aus der Literatur hinzugesellen – eine ganze Zahl an Exhumierungen bis weit ins 20 Jh. hinein und Äußerungen in Interviews bis in die Gegenwart belegen dieses. Darüber hinaus gibt es sehr viele Menschen, die Vampirjägern wie Stephen Kaplan nacheifern – Menschen, die sich für Vampire halten, gibt es viel weniger. Das ist hochspannend, so lange Schaub sich an die Fakten hält, sobald er sich von seinen Fantasien leiten lässt, mag es zwar den einen oder anderen Leser erheitern, mich aber hat es gelangweilt.

 

Fazit:

Hagen Schaub will mit diesem Werk das in der letzten Zeit von den verschiedenen Wissenschaften gewonnene Wissen in Bezug auf den Vampirglauben dem interessierten Laien näher bringen und dabei gleich einige Irrtümer ausräumen. Dieses Ansinnen ist ihm mit gewissen Einschränkungen gut gelungen. Mir ist nur ein echter Fehler aufgefallen: Voltaire hielt nicht die Kapitalisten für die wahren Vampire, sondern den Klerus. Bedauerlich ist, dass nicht immer eindeutig die Quelle benannt wird – so heißt es im Kapitel zur Vampirliteratur, dass etwa 70% aller literarischen Vampirfiguren Adlige seien; woher die Zahl stammt, bleibt unklar. Ich vermute, dass sie Hans Richard Brittnachers Ästhetik des Horrors entnommen wurde – in dem Fall wäre es für den Leser sicherlich eine interessante Information, dass Brittnacher 'nur' etwa siebzig Vampirgeschichten analysiert hat. Nun halte ich Schaubs Haltung, den ganzen "Schwachsinn" zu entkräften zwar für sehr ehrenwert, aber bisweilen schießt er über das Ziel hinaus; das beginnt mit einem Stil, der sine ira et studio mitunter angenehmer zu lesen wäre, und endet bei einer Haltung, die bisweilen zu sehr von der eigenen Rechtmäßigkeit ausgeht: So kritisierenswert viele Thesen aus Norbert Borrmanns Vampirismus oder die Sehnsucht nach Unsterblichkeit sind, so wenig ist eine Kritik gut begründet mit der Feststellung, dass er nicht den Vampirglauben im Blick habe – richtiger wäre es natürlich, Borrmann nachzuweisen, dass seine Thesen nichts Erhellendes zum Verständnis des Vampirglaubens beitragen (was ganz zweifellos nicht der Fall ist).

Doch diese Makel sind zum Glück gering, denn Schaub bietet eine differenzierte Diskussion zur Bedeutung dieses Glaubens, in der lobenswert viele Quellen zur Sprache kommen. Kombiniert mit Claude Lecouteux' Die Geschichte der Vampire. Metamorphose eines Mythos halte ich Schaubs Blutspuren für die derzeit beste Einführung für Laien ins Thema und selbst Leser, die sich schon länger mit dem Thema befassen, dürften noch neue Details erfahren.

 

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Buch:

Blutspuren. Die Geschichte der Vampire. Auf den Spuren eines Mythos

Autor: Hagen Schaub

Leykam Verlag, 1. Oktober 2008

Gebunden, 272 Seiten

Titelbild: Peter Eberl

 

ISBN-10: 3701176280

ISBN-13: 978-3701176281

 

Erhältlich bei: Amazon


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Erstellt: 19.03.2009, zuletzt aktualisiert: 22.12.2023 16:05, 8449