Rezension von Christian Endres
Yates ist nicht nur ein ausgemachter Zyniker, sondern auch der gefragteste Futurologe unserer Zeit: Der populärste Trendpapst einer ganzen hungrigen Generation auf der ständigen Highspeed-Gralssuche nach oberflächlichen Scheinwahrheiten und falscher Hoffnung – nach polierten Statistiken und schönen, trügerischen Satzkonstruktionen, um die nächsten Sponsoren in einen infizierten Müllhaufen investieren zu lassen oder um die ausgemergelte Bevölkerung noch ein wenig länger hinhalten zu können. Montags predigt Yates gegen Abtreibung, dienstags hält er eine Lobrede auf das Kondom. Er beschönigt Sterberaten, ignoriert den Hunger der Welt und dreht Zahlen und Zitate, bis der Gipfel der Gesellschaft über die Zukunftsperspektive erfährt, was er hören möchte.
Eines Tages erkennt der zwischen Hotelzimmern und Konferenzsälen tingelnde Yates jedoch, dass sein Leben als Neo-Nostradamus im Dienste zurechtgezimmerter Prognosen und ersonnener Hochglanz-Visionen nicht nur die Menschen um ihn herum, sondern auch ihn selbst betrogen und ins Unglück gestürzt hat. Eine einzige, mit Hilfe der hochprozentigen Herren Bean und Puschkin geschriebene Rede in Südafrika (Yates’ erstes Manifest der Ehrlichkeit seit vielen, vielen Jahren) krempelt das Leben des begehrten Futurologen quasi über Nacht um.
Nun verzapft Yates nicht länger den titelgebenden Bullshit, den alle Welt hören will. Er wird zum Antiheld der Zukunftsseher und überdies im Auftrag einer ominösen Organisation ausgesandt, weltweit wichtige bevorstehende Ereignise auszumachen - ein Spürhund für Krisen mehr denn für Trends. Als Yates dann nach einem Grönland-Trip auch noch kryptische Botschaften mit Nostradamus-Zitaten kriegt und u. a. Zeuge und Haupdverdächtiger eines Bombenattentats in Mailand wird, merkt er recht schnell: Die Wahrheit kann noch gefährlicher sein als das Spiel mit der falschen Hoffnung im Multimediazirkus. So gefährlich sogar, dass Yates auf einer einsamen Insel im Surferparadies abtaucht und kurz darauf in einem Kriegsgebiet landet ...
Vor fast zwei Jahren bereits als »No Future» im Hardcover erschienen, liegt nun die umgetaufte Taschenbuch-Version von James P. Othmers eigenwilligen Roman vor, in dem der Nachrichtenredakteur, Drehbuchautor und Werbefachmann nicht gerade zimperlich mit unserer bilanzierenden, taxierenden, schönredenden Gesellschaft umgeht. Überdies ist »Bullshit Nation« in Zeiten, da kürzlich erst jedermann sozusagen aus den Wolken gefallen ist und sich erschüttert fragte, wo sein Geld geblieben ist und wer was damit gemacht hat (und wer überhaupt Schuld ist), wahrscheinlich aktueller und automatisch bissiger denn je.
Othmers knackige Satire ist trotz aller Thriller-Allüren und Anti-New-Age-Klischees ein messerscharf sezierender Enthüllungsroman, und so lauert hinter jeder Übertreibung und Abstrusität noch eine Art Wahrheit samt Spiegel. Aber auch der Humor kommt nicht zu kurz (herrlich, wie Yates seiner Freundin, die ihn für einen Geschichtslehrer abserviert hat, Mörtel aus einer Renaissance-Kapelle in Mailand oder 30.000 Jahre altes Gletscher-Eis aus Gröndland schickt!).
Ein außergewöhnlicher, äußerst bizarrer und auf liebevolle Art schräger, aber auch sehr nachdenklich stimmender Roman über die Moralsuche eines der größten Schönrede-Doppelagenten im grellbunten Propaganda-Krieg des Informationszeitalters – aber eben auch eine große Metapher über Blendwerk, Verantwortung und Chancen.