Rezension von Cronn
Seit ich vom Schiff abgeseilt worden bin, sind kaum fünf Minuten vergangen und fast habe ich bereits vergessen, dass es jemals ein Transportschiff gegeben hat, da die Brandung mein kleines Ruderboot so sanft aufgenommen hat und mich in Richtung Strand wiegt.
Die Fahrt hin zum Sandstrand der Insel ist geradezu idyllisch, wenn ich nicht im Hinterkopf den Grund meines Daseins wüsste, wäre ich vollauf glücklich. Irgendwo auf diesem vor mir liegenden Eiland ist mein Geliebter verschwunden und ich bin aufgebrochen, ihn zu suchen.
Fast mühelos komme ich am Strand an. Über mir wiegen sich Palmenblätter, eine Muschel liegt drüben im Sand. Vögel fliegen über mich hinweg, ein Wasserfall rauscht und ein Regenbogen erstreckt sich dort. Der Duft von Blumen kitzelt in meiner Nase.
Ich erkenne dort drüben ein paar Kisten und ein selbst zusammengebautes Ausleger-Katamaran in Miniaturgröße. Ein Zettel mit französischen Sätzen erweckt mein Interesse. Ich kann nur etwas mit »Tod« und »Insel« entziffern. Eine stark abgenutzte, von der Arbeit an Holz stumpf gewordene Machete steckt daneben. Zwei lange Schleifspuren im Sand zeigen mir, dass hier wohl jemand einen Katamaran gebaut und ins Wasser gezogen hat, um von der Insel zu flüchten. Irgendetwas ist hier nicht geheuer …
Call of the Sea ist das Werk des Entwicklerstudios Out of the Blue und wird vom Publisher Raw Fury herausgebracht. Das Studio hat seinen Sitz in Madrid und mit dem Game sein erstes Werk vorliegen. Und wie gelungen das ist, soll die nachfolgende Rezension aufzeigen.
Hintergrund:
»Call of the Sea« erzählt die Geschichte von Norah, die sich auf den Weg macht, um ihren verschollenen Mann Harry zu finden. Der war auf einer Expedition in die Südsee und wurde zuletzt auf Tahiti gesehen. Von dort aus allerdings verliert sich seine Spur. Norah folgt ihm auf eine weitere Insel, die mysteriös und dennoch idyllisch erscheint. Was ist mit ihrem Mann geschehen? Lebt er noch oder wurde er das Opfer einer Tropenkrankheit? All das gilt es herauszufinden.
Die Story von »Call of the Sea« ist sehr gelungen. Das ist ein wichtiger Grund, um sich mit dem Spiel zu beschäftigen, neben den Puzzles.
Gameplay:
Das Game »Call of the Sea« erzählt seine Story mit Hilfe von Kommentaren Norahs, aber auch durch die interaktiven Umgebungen. Ein großer Reiz liegt darin, sich selbst einen Reim auf die verschiedensten Dinge zu machen, die man vorfindet. Das environmental storytelling ist hierbei immens wichtig und sehr gelungen. Wenn der Spieler sich darauf einlässt und die nötige Geduld mitbringt, wird er dafür belohnt, dass er seine Phantasie benutzt.
Die ist ebenfalls nötig, um die zahlreichen Umgebungs- und Gegenstandsrätsel zu entschlüsseln. Nur mit der nötigen Kombinationsgabe und einer gehörigen Portion Einfallsreichtum lassen sich diese Rätsel lösen. Dabei sind sie stets in sich logisch und passend zu der Story eingebaut.
»Call of the Sea« verlässt sich ganz auf die Immersion des Spielers und kommt ohne Kampfsystem aus. Die Narration steht im Vordergrund, gemeinsam mit den Puzzles. Das funktioniert ganz wunderbar und erzeugt einen perfekten Flow, da man sich niemals unter- oder überfordert fühlt. Die Spielzeit ist allerdings recht gering, aber das ist nicht schlimm, da die Spielerfahrung dafür umso geschlossener wirkt. Besser ein kürzeres Spielerlebnis als ein längeres, das mit langweiligen Passagen gestreckt wird. »Call of the Sea« hat die perfekte Balance gefunden.
Grafik und Sound:
Unter der Haube von »Call of the Sea« arbeitet der Motor der Unreal-4-Engine. Das merkt man dem Spiel sofort an. Die Umgebungen sind zwar in einer Art farbenfrohem und low-poly Comic-Stil gehalten, aber dennoch sind sie detailreich. Es macht Spaß, durch die Insel zu streifen. Auch die Beleuchtung ist sehr gelungen austariert: Hier mal ein bewegter Schatten, dort fallen Bündel von Sonnenstrahlen durch die Blätter – die Stimmung ist sehr bewusst eingesetzt.
Im Soundbereich fällt als erstes die Sprecherin von Norah auf. Dies ist em>Cissy Jones, die bereits in Firewatch grandiose Arbeit geleistet hat und vorher bei Telltales The Walking Dead beschäftigt war. Sie verleiht dem Spielfigur Norah große Tiefe und Charakter mit ihrer Stimmfärbung. Das trägt viel dazu bei, dass der Spieler Norah als glaubwürdig empfindet. Auch Yuri Lowenthal als Harry darf nicht unerwähnt bleiben. Seine Stimme ist ebenfalls passend gewählt und ausdrucksstark.
Die Musik unterstützt die mysteriöse Aura des Games. Mit Orchesterinstrumenten, die in feinen Nuancen abgestuft miteinander agieren, ergibt sich ein Soundtrack, der noch lange im Spieler nachhallt.
Fazit:
»Call of the Sea« ist ein sehr gelungenes Erstlingswerk des Entwicklerstudios »Out of the Blue«, das den Spieler auf eine emotionale und spannende Reise mitnimmt, die gleichzeitig geheimnisvoll ist und dennoch den Verstand berührt.
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