Filmkritik von Cronn
Im Jahr 1992 erschien ein Horrorfilm, der zum ersten Mal die Elemente des Serienkiller-Subgenres a la Freitag der 13. oder Nightmare on Elmstreet mit Kritik an Rassismus zusammenbrachte. Der Candyman war geboren. Aus der Story The Forbidden von Horrormeister Clive Barker entlehnt geriet der von einem Lynchmob ermordete Maler, gespielt von Tony Todd, zu einer Ikone des Horrorfilms.
Nach mehreren Fortsetzungen, die von Mal zu Mal von der Kritik schlechter aufgenommen wurden, wurde es still um das Franchise. Im Jahr 2019 meldete Jordan Peele Interesse am Candyman an. Der Regisseur hatte damals erst vor einem Jahr mit seinem Regiedebüt Get Out für Furore im Horrorgenre gesorgt. Die intelligente Story rund um ein gemischtfarbiges Pärchen und ihrem Wochenende bei den Eltern wurde gefeiert und sogar für das Drehbuch mit einem Oscar prämiert. Daher war die Meldung, dass Jordan Peele sich für das »Candyman«-Franchise interessierte, elektrisierend für die Horrorfans.
Nun hat er zwar die Regiearbeit der Regisseurin Nia DaCosta übergeben, fungiert aber weiterhin als Produzent im Hintergrund. Doch was ist der neue »Candyman« eigentlich? Reboot, Remake, Sequel oder Prequel? Doch zunächst ein paar Worte zum Inhalt.
Inhalt:
»Traust du dich, seinen Namen zu sagen?«
Jahrzehntelang wurden die Bewohner des Chicagoer Viertels Cabrini-Green von der Spukgeschichte über einen grausamen Killer mit einer Hakenhand terrorisiert. Als der Künstler Anthony McCoy (Yahya Abdul-Mateen II) die makabre Geschichte des Candyman in der Gegenwart recherchiert, ahnt er nicht, dass er damit seine geistige Gesundheit aufs Spiel setzt und eine beängstigende Welle der Gewalt entfesselt, die ihn auf Kollisionskurs mit dem Schicksal bringt.
Soweit die offizielle Mitteilung. Diese reicht aus, um den Inhalt knapp wiederzugeben. Daher kann direkt zur Kritik übergegangen werden.
Kritik:
Um »Candyman« zu verstehen, ist die Kenntnis der Quasi-Vorgänger nicht nötig. Er schließt direkt an den Ursprungsfilm aus dem Jahr 1992 an. Die Regiearbeit erweist sich dabei als eine zumeist gelungene Umsetzung mehrerer Themen, als da sind: Rassismus, der moderne Kunstmarkt und Gentrifizierung. Die Regisseurin zeigt schon sehr früh, dass sie souverän mit ihren Mitteln umzugehen weiß. Die von unten nach oben gefilmte Eingangssequenz macht dies deutlich. Eine verkehrte Welt ist es, was uns geboten wird.
Der Candyman ist dabei sowohl ein Rächer für die Schwachen aus der Black-Community als auch ein Mahnmal für die Black-Lives-Matter-Bewegung. Aber er ist noch mehr. Er ist mehrdeutig, stellt also auch eine Gefahr für diejenigen dar, welche sich von ihm beschützt fühlen sollten. Er ist daher eine bizarre Mischung aus Golem und Jason Voorhees.
Nia DaCostas Film weist über das herkömmliche Schema des Slasherfilms hinaus, bedient aber dennoch teilweise dessen Grundmuster. In diesen Szenen ist »Candyman« gelegentlich schwächer in der Dramaturgie. Beispielsweise folgt die erste Mordszene zu sehr den Klischeemustern, einzig abgeschwächt durch die Idee, dass der Candyman ausschließlich in der Reflexion zu sehen ist. Später erhebt sich die Regiearbeit darüber, indem geschickte Entscheidungen getroffen werden. So wird beispielsweise das rituelle Aussprechen des Namens nicht immer durchgeführt. Der Rezipient kann sich das alleine vorstellen. Auch sind spätere Mordszenen umso effizienter, da weniger Slasher-Momente gezeigt, dafür umso mehr die Reaktionen darauf dargestellt werden. Beispielsweise wird beim Mord in der Schultoilette der Fokus auf die gemobbte schwarze Schülerin gelegt und somit erneut ein Bezug zum Grundthema Rassismus gelegt und mit Mobbing verbunden. Als besonders gelungen darf eine Szene gelten, in der ein Mord gezeigt wird, der sich vor einem großen Glasfenster eines Hochhauses abspielt. Die Kamera steht weitab davon, zoomt sogar noch stärker davon weg und zeigt wie parallel zum Mordgeschehen das Leben in den anderen Wohnungen unbeeindruckt weitergeht. Niemand bemerkt etwas. Ein Verweis auf die Anonymität in der Großstadt kann hier gefunden werden.
Die hypnotische Musik verdient ein Extralob. Der Komponist Robert A. A. Lowe hat mit großer Kreativität und musikalischem Gespür Soundcollagen geschaffen, die unter die Haut gehen. Dabei ist der Soundteppich niemals effekthascherisch, sondern stets sublim und daher umso verstörender in Kombination mit den Bildern, die ebenfalls viel andeuten, aber nicht alles zeigen.
Ebenfalls sehr zu loben ist die Idee, die Flashbacks zurück zu den Wurzeln des Candyman-Mythos in Form von Schattenspielen mit Scherenschnitt-Puppen zu gestalten. Das distanziert das Grauen des Black-Horrors, stilisiert es und macht es dennoch erfahrbar.
Der Film ist dabei niemals eindeutig plakativ, stellt viele seiner Aussagen immer wieder selber in Frage. Damit stellt er sehr differenziert seine Themen dar und regt dazu an, dass der Zuschauer selber auf die Themen persönliche Antworten sucht.
Fazit:
Nia DaCosta gelingt das Kunststück mit »Candyman« gleichzeitig einen Horrorfilm zu erschaffen, wie auch auf erste Themen aus der Black-Community und weitere Aspekte mehr zu deuten. Damit wird der Streifen nicht zu einem austauschbaren Slasher, sondern zu einem intensiven Horrorerlebnis, das lange nachwirkt. Bei Farbigen, aber gerade auch bei weißen Rezipienten. Horror mit zeitkritischem Tiefgang.
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