Colin Mirth (Autor: Achim Hiltrop)
 
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Colin Mirth von Achim Hiltrop

Rezension von Oliver Kotowski

 

Rezension:

Bei Colin Mirth handelt es sich um zwölf kurze Erzählungen von jeweils etwa zwanzig Seiten um den Titel gebenden Ermittler, der im viktorianischen London ungewöhnlichen Mordfällen nachgeht. Zur Seite steht ihm nicht nur der abergläubische Sergeant Moore, sondern auch der blau schimmernde Flaschengeist Abdul. Ob man diese nicht ganz ernst gemeinten Texte nun für eine Kurzgeschichtensammlung oder einen Episodenroman halten soll, ist schwer zu entscheiden.

 

Der Leser tritt in dem Moment hinzu, als Colin Mirth seinem neuen Kollegen vorgestellt wird. Vorher war er als Commander für den Secret Service Jahre lang als Spezialist für paranormale Phänomene im Ausland tätig, doch nun wurde diese Abteilung aufgelöst und entschieden, dass der Ermittler zum Scotland Yard versetzt wird. Sein direkter Vorgesetzter ist Inspector Pryce. Pryce hält nichts von Geisterjagden und weist ihm Sergeant Archibald Moore zu, damit er sich wieder in die Gesellschaft integriert und an anständige Polizeiarbeit gewöhnt. Moore ist zwar ruppig, aber durchaus jovial und aufgeschlossen. So können die beiden sich bald zusammenraufen und den aktuellen Fall bearbeiten. Es geht dabei um Entführungen nahe der Themse. Handfeste Zeugenaussagen gibt es keine, nur ein paar Aussagen von Personen niederen Standes über ein altes Segelschiff. Als ein Herr edlen Geblüts verschwindet, müssen Resultate her – doch wurde er wirklich von der Besatzung eines Seelenverkäufers geshanghait? Das Totenschiff auf der Themse stellt die Ermittler vor ernsthafte Probleme.

Im Laufe der Zeit freunden die beiden sich mit einander an und lösen bizarre Kriminalfälle, in denen es um blaublütige (und andere) Geister; Leichen aus dem Umfeld des Rabbis der Gemeinde von Whitechapel, die Lehm an den Händen haben; einen Besucher aus Japan, der einen Dämonen im Gepäck hat; Partys der High Society, auf denen nach dem Dinner Mumien ausgewickelt werden; und einen Werwolf, der Shakespearetexten nachjagen, geht. Aber nicht immer steckt auch ein übernatürliches Wesen hinter den mysteriösen Vorgängen: Manchmal ist der Täter ein ganz normaler Mensch – auch wenn der abergläubische Sergeant Moore bisweilen schwer davon zu überzeugen ist.

 

Zwar nimmt Colin Mirth seinen Dienst beim Scotland Yard im November 1876 auf, doch ein ernst gemeinter historischer Roman ist es nicht: Obwohl es im 19. Jh. einen britischen Geheimdienst gab, ist kaum davon auszugehen, dass ein Ressort mit einem Commander geschlossen wurde; immerhin war der erste Leiter des 1909 eingerichteten Secret Intelligence Service Sir Mansfield Cumming auch nur ein Commander. Später wird Mirth als Sergeant übernommen – diese Degradierung sollte einen ungeheuren Affront darstellen und Mirth zum sozialen Außenseiter machen, dennoch wird er zu Gesellschaften des Adels eingeladen. Auch die polizeilichen und gerichtsmedizinischen Methoden muten zu modern an. Wenn Mirth den Rang eines Commanders hatte, dann ist dieses eher als Anspielung an einen anderen bekannten Agenten des MI6 im Rang eines Commanders zu werten. Insgesamt kommen die drängenden Themen dieser Zeit – die Industrialisierung, Massenverelendung und der chauvinistischer Imperialismus – kaum zur Sprache. Es wird stattdessen ein Bild des doyleschen "Good-Old-England" gezeichnet; das ambientehafte Setting ist wohl wiederum als Anspielung zu verstehen.

 

Auch die beiden Ermittler erinnern charakterlich an Sherlock Holmes und Dr. Watson: Colin Mirth ist ein schlanker, eleganter Mann mit Takt und Manieren, der aber keineswegs konservativ oder gar starrsinnig ist. Mit Witz, Bildung und kühlem Kopf geht er den Fällen nach. Archibald Moore ist Witwer, von gesetzter Gestalt, er ist leichtgläubiger als Mirth, was er durch eine konservative Haltung zu kompensieren versucht. Daher stellt er sich langsamer auf neue Situationen ein und sieht häufiger Übernatürliches am Werk, wo banalere Erklärungen richtiger sind. Die dritte wichtige Figur ist der Flaschengeist Abdul. Viel erfährt man über ihn allerdings nicht. Er verabscheut Schwarze Magie und ist seinem Herrn bis in den Tod hinein loyal. Die Nebenfiguren sind Typen: Inspector Pryce ist der sture Vorgesetzte, der ein Abweichen von Vorschriften als beinahe kriminell wertet – und Übernatürliches hat in den Vorschriften keinen Platz. Daraus ergeben sich gewisse parodistische Spannungen. Können Mirth und Moore das Wirken übernatürlicher Mächte immer ausreichend kaschieren? Dann gibt es noch den skrupellosen Wissenschaftler, arroganten Adligen und Priester, der unter Hybris leidet. Hiltrop schafft keine eigenständigen Figuren, sondern spielt mit den Typen der Krimis und Gruselgeschichten des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jh.

 

Die Spannungsquellen stehen dem bisher Gesagten nicht im Wege: Zwar gibt es allerhand Monster und blutige Morde, aber richtig gruseln will es den Leser nicht – es erzeugt einen wohligen Schauer. Dabei sind die Variationen, welche die phantastischen Elemente hier erfahren durchaus interessant. Vielmehr als bei dem Setting und den Figuren spielt der Autor hier mit seinen Vorbildern. Somit ist wohl die zentrale Spannungsquelle die Frage, wie genau der Fall gelöst wird. Darin erinnern die Fälle trotz der Arbeit des Geisterjägers für den Scotland Yard weniger an Jason Darks John Sinclair-Erzählungen, aber deutlich an W. H. Hodgsons Carnacki, der Geisterfinder. Außerdem gibt es einige humorige Geplänkel zwischen den Figuren, vor allem Mirth und Moore, die zuweilen pikaresk, zuweilen parodistisch sind. Die Plots neigen damit zu einer eigenwilligen Mischung von Komödie und Mystery. Damit entfernt sich das Werk von Arthur Machens Geschichten um Mr. Dyson – und erinnert eher an Charles Stross' Dämonentor. Zur humorigen Seite können auch die Shakespeare-Wettstreite gezählt werden: Mirth kennt alle Werke des Barden auswendig und zitiert gern daraus, was Moore zum Anlass nimmt, seinen Kollegen mit obskuren Zitaten auf die Probe zu stellen. Ob dies amüsiert oder nervt, ist sicherlich Geschmackssache.

Gegen eine tiefer gehende Wirkung als Mystery steht jedoch der Plotfluss. Da die Geschichten nur relativ kurz sind und sich sehr rasch entwickeln, gibt es keine Längen. Andererseits gibt es aber auch kaum Fortschritte in den Ermittlungen, da es kaum Hinweise gibt, die Bedacht zusammen gepuzzelt werden wollen; oftmals fallen der erste Hinweis, die Enträtselung und die Lösung zusammen. Hier hätte vielleicht der eine Fall zugunsten einer Streckung eines anderen Falls gestrichen werden können, zumal einige Fälle etwas zu zufällig und konstruiert wirken.

 

Den im BoD-Verlag erschienenen Büchern werden oft eine hohe Fehlerquote und andere sprachliche Defizite vorgeworfen. Mir ist nur ein Fehler aufgefallen – ein Name wurde verwechselt, was dazu führte, das Sergeant Moore sich selbst in dritter Person dazu aufforderte zur Tat zu schreiten – was sich im Vergleich zu der Fehlerquote der großen Taschenbuchverlage gut ausnimmt. Sprachlich ist das Werk keine große Kunst, dafür wird in dem aus auktorialer Perspektive erzähltem Werk etwas zu oft "geschmunzelt" und sonderlich elegant sind die Satzkonstruktionen auch nicht. Andererseits passen die gradlinigen und prägnanten Sätze gut zum schnellen Plotfluss.

 

Fazit:

Colin Mirth und Sergeant Moore gehen im viktorianischen London mysteriösen Kriminalfällen auf den Grund: Geister, Dämonen und Schwarzmagier, aber auch banale Verbrecher gilt es zur Strecke zu bringen. In zwölf Episoden werden Elemente von Gruselgeschichten in eigenwilligen Mystery-Komödien verwand. Dieser "Cosy Horror" bietet kurzweilige Feierabendlektüre, von welcher der veröffentlichende BoD-Verlag nicht abschrecken sollte.

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Oje, das hat nicht geklappt, Elfenwerk! 20240425114741d5c85b43
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Titel: Colin Mirth

Reihe: -

Original: -

Autor: Achim Hiltrop

Übersetzer: -

Verlag: Books on Demand (2007)

Seiten: 239-Broschiert

Titelbild: Claudia & Achim Hiltrop

ISBN-13: 978-3-837009-10-1

Erhältlich bei: Amazon


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Erstellt: 25.02.2008, zuletzt aktualisiert: 14.05.2022 19:19, 5898