Rezension von Christel Scheja
Auch wenn viele amerikanische Serien in Vancouver gedreht werden, so hat sich in Kanada eine eigenständige Serienkultur entwickelt, der es manchmal sogar gelingt, international Erfolge einzufahren wie zuletzt „Orphan Black“. Und selbst wenn sie sehr genretypisch angelegt sein mögen und ihre Vorbilder haben mögen, so entwickeln sie doch auch irgendwann eine eigene Dynamik so wie „Cracked“, die unter anderem von dem Task Force Offizier Calum de Hartog entwickelt wurde.
Detective Aidan Black ist zwar ein erfolgreicher Cop, fällt innerhalb von kurzer Zeit aber unangenehm auf, weil er in manchem Situationen überreagiert und dabei die Kontrolle über sich zu verlieren scheint. Er zeigt erste Anzeichen eines posttraumatischen Stress-Syndroms.
Um ihn nicht aufgrund der Gefahr, die er für sich und andere darstellen könnte, suspendieren zu müssen und doch weiterhin seine ganz besonderen Fähigkeiten nutzen zu können, entscheidet sich Inspektor Diane Caligra eine neue Einheit zu gründen.
Die Psych-Crimes-Unit soll immer dann eingreifen, wenn ein Mord oder Entführungsfall so seltsam ist, dass man Fachleute braucht, um Verhalten und Motive des Täters entschlüsseln und so auf dessen Spur kommen zu können.
Neben Aidan Black kommen auch noch seine junge Kollegin Poppy Wisnefski und der psychiatrische Pfleger Leo Beckett ins Team und nicht zuletzt auch Doktor Daniella Ridley, die zwar in einem Krankenhaus eine gute Stellung hat, aber merkt, dass sie eine Veränderung braucht.
Zunächst weiß der Detective nicht so ganz, was er von der Sache halten soll und rasselt vor allem mit Doctor Ridley zusammen, die gerade am Anfang nicht seiner Meinung ist, als sie einen seltsamen Mord an einem Jungen aufklären soll. Aber schon im Verlauf der Ermittlungen merken die beiden, welche Fähigkeiten der andere hat und wie gut sie miteinander harmonieren können, etwas, was Poppy und Leo weit weniger schwer fällt.
Schon der nächste Fall bringt Aidan an seine Grenzen, spiegelt doch vieles seine eigene Situation wieder. Aber als Daniella in Gefahr gerät, muss er Einsatz zeigen und sie retten, etwas, was das Eis bricht und sie zu einer Einheit werden lässt.
Das hilft ihnen, als sie herausfinden sollen, warum ein Mädchen die Hänseleien seiner Mitschüler mit Gewalt beantwortet hat und dabei Bekanntschaft mit einer gefährlichen Sekte machen, oder als ein Psychiater immer wieder attackiert wird, der als Zeuge in einem Prozess aussagen soll. Später bekommen sie es mit einem Rock-Duo zu tun, müssen herausfinden, warum sich ein Mädchen von der Highschool gerade auf spektakuläre Weise das Leben nimmt. Später steht Aidan selbst vor Gericht, weil er bei einem schrecklichen Zwischenfall in einem Schulbus den Angreifer aus nicht ganz zu erklärenden Gründen erschossen hat und damit nicht mehr tragbar für Polizei und Staatsanwaltschaft zu sein scheint.
Das sind nur einige der Fälle, denen sich Aidan Black und Daniella Ridley stellen müssen – zwei Ermittler, die trotz aller Unterschiede einander sehr ähnlich sind und nach ersten Schwierigkeiten ein gut harmonierendes Team werden, bei dem offen gelassen wird, ob sich andere emotionale Bindungen entwickeln, was im Gegensatz zu dem Stereotypen amerikanischer Serien sehr positiv auffällt.
Die erste Staffel braucht sehr viel Zeit, die Figuren rund um das Team aufzubauen und so miteinander agieren zu lassen, wie man es von ihnen erwartet. Dabei kommen glücklicherweise auch die Personen aus dem näheren Umfeld nicht zu kurz.
Das nimmt allerdings einiges von der Spannung, die die einzelnen Fälle haben sollten. Denn immer wieder spielen auch persönliche Befindlichkeiten der Ermittler mit hinein, bremsen die Ergründung des Falles auf, werden Probleme aufgeworfen, die auch sie besser kennen als ihnen lieb ist und lassen sie offensichtliche Fallen nicht erkennen.
Interessant dabei ist, dass Doktor Daniella Ridley zwar die ganze Zeit ein Auge auf Aidan Black haben soll, aber auch selbst genügend innere Dämonen in sich trägt, von denen sie bisher keinem erzählt hat und die erst jetzt nach und nach ans Licht kommen. So wirken die Hauptfiguren zerbrechlich und labil, besitzen dadurch aber auch eine gewisses Einfühlungsvermögen, das ihnen hilft, sich besser in Täter und Opfer zu versetzen.
Immerhin haben nicht alle Fälle einen klassischen Mord als Ausgangspunkt, aber Gewalt ist auf die eine oder andere Weise doch immer im Spiel und kommt manchmal sehr überraschend, was auch die hohe Altersfreigabe erklärt. Denn durch die realistisch dargestellten Probleme und die lebensnah gestalteten Täter wirkt alles noch viel intensiver.
Auch wenn die Ausgangssituation oder die hinter dem Verbrechen stehenden Konflikte ungewöhnlich und skurril sein mögen, die Ermittlungsarbeiten und die Auflösung sind es leider selten. Manchmal überraschen die Episoden, meistens jedoch erfüllen die Autoren lieber Konventionen des Genres als eigene Wege zu gehen. Das verwischt dann den außergewöhnlichen Eindruck und lässt die Serie auf weiten Strecken leider doch eher wie an den amerikanischen Markt angepasste Massenware wirken.
Alles in allem spricht man jedoch vor allem die Fans an, die nicht nur stereotype Täter sehen wollen, sondern auch die vielschichtigen Schicksale dahinter, die oft genug aus dem wahren Leben gegriffen sind. Wie so oft werden viele Probleme auch auf die Ermittler projiziert, die dadurch ebenfalls wichtige Entwicklungen durchmachen, weil sie immer wieder dazu gezwungen werden, ihre eigenen Schwächen zu erkennen und sie im passenden Moment zu umschiffen..
Bild und Ton sind von dem Standard, den man von aktuellen Serien gewohnt ist, Extras gibt es alf der DVD allerdings keine, was aber auch nicht weiter stört.
Fazit:
Alles in allem erweist sich „Cracked“ als solide Krimiunterhaltung, die sich im einem Bereich des Genres bewegt, der zwar momentan sehr beliebt ist, aber auch noch nicht so abgegrast wurde wie andere. Die Geschichten sind abwechslungsreich und unterhaltsam, auch wenn sie nicht immer überraschend in Szene gesetzt wurden. Die Figuren sind von Anfang an vielschichtig angelegt und entwickeln sich angenehm weiter, so dass keine Wünsche offen bleiben. Die Serie dürfte damit vor allem die Zuschauer ansprechen, denen Action und Dramatik nicht ganz so wichtig wie menschliche Schicksale und Ermittler sind, mit denen sie fühlen und leiden können.
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