Dämonentor (Autor: Charles Stross; Die mysteriösen Fälle des Bob Howard Bd.1)
 
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Dämonentor von Charles Stross

Reihe: Die mysteriösen Fälle des Bob Howard Bd. 1

Rezension von Oliver Kotowski

 

Rezension:

Dämonentor ist der erste Band der Trilogie um die Wäscherei, einer geheimen britischen Regierungsbehörde, die sich mit übernatürlichen Bedrohungen befasst. Enthalten sind zwei Abenteuer des Geek-Ermittlers Bob Howard: der Roman Archive des Grauens (284 S.) und die Erzählung Der Beton-Dschungel (107 S.), die 2005 einen Hugo Award gewann.

 

Archive des Grauens beginnt ganz harmlos: Bob Howard arbeitet für die Wäscherei. Die "Wäscherei" ist der Spitzname für ein Überbleibsel des SOE, die okkulte Bedrohungen für Großbritannien neutralisieren soll. Bob war bisher allerdings nur als Systemadministrator im Innendienst tätig. Soll er denn sein Lebtag dem bekloppten Idioten von der Buchhaltung erklären wie Excel funktioniert? Bob meldete sich also für den Außendienst. Sein erster richtiger Auftrag führt ihn in die USA: Die britische Philosophieprofessorin O'Brian möchte wieder nach Hause, doch die Schwarze Kammer – das Pendant der Staaten zur Wäscherei – hält eine Rückkehr für eine Bedrohung der nationalen Sicherheit. Bob soll vorsichtig die Lage sondieren. Das Auftreten einer dritten Macht ändert die Sachlage allerdings gewaltig – die Spur führt zunächst zurück nach Nazi-Deutschland.

 

Der Beton-Dschungel lässt Bob einer seltsamen Spur nachgehen: Zwischen den Beton-Kühen von Milton Keynes liegt eine verkohlte Kuh. Die Wäscherei hofft, dass es sich nur um einen Studentenscherz handelt – denn wenn es ein GAME ANDES REDSHIFT ist, dann ist die Chance groß, dass Bob das Pensionsalter nicht mehr erreichen wird.

 

Auf dem ersten Blick lebt Bob im realen London des frühen 21. Jh.: Er arbeitet als Systemadministrator bei einer Behörde, die ein enges Budget hat – es werden Büroklammern gezählt und die Abrechnung von Überstunden ist mindestens so Nerven aufreibend wie der Kampf gegen Cthulhu selbst – und modernen Konzepten ist man nur begrenzt aufgeschlossen gegenüber – Gleitzeit geht nicht.

Doch in Wirklichkeit ist es die Welt okkulter Verschwörungen: Die Schwarze Kammer muss sich mit dem irakischen Mukhabarat herumschlagen und der britische SOE hatte seine größte Stunde, als man die SS-Ahnenerbe Abteilung zerschlug. Doch das ist lange her und von der SOE ist nur noch die Wäscherei geblieben.

Die Außendienstler der Wäscherei haben nicht nur Zugang zu Hi-Tech-Waffen wie miniaturisierten MGs, sondern auch zu okkulten Objekten wie der Ruhmeshand. Stross nimmt hier Arthur C. Clarkes drittes Gesetz: "Jede hinreichend fortgeschrittene Technologie ist ununterscheidbar von Magie." – Magie ist angewandte Mathematik. Wer die richtigen Formeln kennt, kann Informationen – oder sogar Massen – von einer Dimension in eine andere übertragen. Und dort können die monströsen Dinge lauern, von denen H. P. Lovecraft berichtete. Nach diesem Schriftsteller und dem Erfinder der modernen Kryptologie Alan Turing ist die Formel benannt: Mit dem Turing-Lovecraft Theorem lassen sich entsprechende Tore öffnen.

Die phantastischen Elemente entstammen damit einerseits den Spionage- und Verschwörungsgeschichten, wie eben Verschwörungen und Hi-Tech-Gadgets, die jedoch häufig einen okkulten Dreh bekommen, und andererseits Horrorgeschichten, wie Schwarze Magie und tentakelige Dämonengötter, die jedoch einen mathematisch-(quanten)physikalischen Dreh erhalten.

Das Setting insgesamt wird nur begrenzt ausführlich beschrieben, führt aber an einem sehr exotischen Schauplatz. Die Figuren sind verhältnismäßig flach, daher bleibt das Setting eher ein Ambiente, als dass es zum Milieu wird.

 

Die zentrale Figur ist der Ich-Erzähler Robert – Bob – Howard. Als Student war er nahe daran eigenständig das Turing-Lovecraft Theorem zu entdecken. Daraufhin wurde er für die Wäscherei rekrutiert – um das Computersystem zu warten. Dies war ihm zu langweilig und so beantragte er die Versetzung zum Außendienst. Sein Hintergrund macht ihn jedoch nicht zum Geek-Bond, sondern zum okkulten MacGyver. Die Werkzeuge des Ex-Hackers sind dann auch weniger Fäuste und Faustfeuerwaffen, sondern PDA (mit okkulten Programmen), Multitool, Schraubendreher und Überbrückungskabel. Entsprechend trägt er keinen Anzug, sondern T-Shirts mit ausgefallenen Motiven. Typisch für einen heinlein'schen competent man ist er recht charakterlos: Er ist zwar spöttisch, kommt öfters zu spät, mag keine Autoritäten und ist nicht besonders mutig, doch letztlich macht er nicht, was er für richtig hält, sondern dass, was getan werden muss.

Die weiteren Figuren sind eher klischeehaft und flach, auch wenn sie zumeist einen unerwarteten Zug aufweisen; insgesamt fällt dieses jedoch nur im Einzelfall auf, da Stross eine Vielzahl von Figuren verwendet – der Leser muss neben der professoralen Schönheit O'Brian und zwei chaotischen Mitbewohnern noch ein gutes halbes Dutzend von Arbeitskollegen im Hinterkopf behalten. Der Beton-Dschungel fügt nicht nur eine taffe Polizistin hinzu, er beginnt auch die Figuren runder zu gestalten.

 

Die Plots sind kluge Thriller: Es gibt eine rätselhafte Bedrohung – Was soll mit O'Brian geschehen? Wie wurde die Kuh verkohlt (und warum)? – deren Hintermänner aufzuspüren und zu neutralisieren sind. Während Bob ermittelt, muss er zahlreiche Anschläge der Finsterlinge überstehen. Es gelingt Stross immer wieder vom üblichern Verlauf derartiger Thriller abzuweichen. Diese überraschenden Wendungen sind dann neben den Action-Szenen und Rätseln die Hauptspannungsquellen. Die düstere Bedrohung verliert jedoch durch seine Rationalisierung einen wesentlichen Moment: Sie ist nicht unheimlich. Der Horror-Faktor besteht eher aus den bizarren und ekeligen Elementen. Es erwartet den Leser eher Splatter als Grusel – doch dieser ist fein dosiert. Daneben gibt es auch einige humorvolle Szenen, in denen sich meistenteils mit den Auswüchsen der Bürokratie auseinandergesetzt wird.

Damit kommt man zu einer interessanten Frage: Ist das Dämonentor eine Hommage an die Harry Palmer Geschichten von Len Deighton, das Cryptonomicon von Neal Stephenson und den Cthulhu-Mythos von H. P. Lovecraft oder ist es eine Parodie auf diese?

Parodistische Elemente finden sich zweifellos; die Büroklammernrevison ist ein solches, die klischeehaften Figuren kann man ebenso lesen. Doch sehr vieles ist einfach nicht überzogen genug um parodistisch zu wirken. So bleibt der Band ein eigentümliches Mittelding.

Eine weitere Spannungsquelle können die vielen Anspielungen sein – neben Lovecraft werden unter anderem Hexenjagd in L.A., ein gewisses Sammelkartenspiel und J. J. R. Tolkiens Bauer Giles von Ham (wohnhaft: The Shire) aufgerufen. Doch Stross greift die Motive kaum auf, er spielt nicht mit ihnen, wie es z. B. Kim Newman in Anno Dracula macht – er nennt sie bloß.

Der Plot fließt zügig, auch wenn Archive des Grauens einen relativ langen Vorlauf hat; das schnelle Fallen der Plotpunkte und die überraschenden Wendungen lassen die Geschichte jedoch nie langweilig werden.

 

Erzähltechnisch weist der Band einige Ungewöhnlichkeiten auf: Zunächst sind die Geschichten nicht im Imperfekt erzählt, sondern im Präsens. Daran gewöhnt man sich allerdings sehr schnell. Dann sind in Der Beton-Dschungel fünf fiktive Berichte eingestreut, was einerseits gut zur Ich-Erzählung passt und andererseits den Stil variiert. Und schließlich gibt es vor allem in Archive des Grauens einige mit Erklärungen überladenen Dialoge, mit denen Stross vermutlich den Geek-Stil einfangen will; nichts desto weniger wirken sie unnatürlich. Die Geschichte entwickelt sich progressiv in einem Strang.

Der Stil ist erwartungsgemäß empathisch: Flapsig bis spöttisch erzählt der Technikfreak Bob von seinen Erlebnissen – die Wortwahl ist entsprechend. Die Sätze sind mittellang, aber gradlinig und recht flüssig; Stross versucht einen natürlichen Sprachduktus nachzuahmen.

 

Fazit:

Bob Howard, ein Ermittler in Sachen okkulte Verschwörungen, muss sich mit finsteren Mächten herumschlagen – Dämonengötter von Jenseits des Seins und Bürokraten der Wäscherei. Stross mischt auf amüsante Weise Cthulhu-Mythos mit Spionage-Thriller. Wer eine spannende und pulpige Cthulhu-Komödie lesen oder Stross' Fortschritte beim Geschichtenerzählen beobachten mag, der braucht hier nicht zu zögern.

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Dämonentor

Reihe: Die mysteriösen Fälle des Bob Howard Bd. 1

Autor: Charles Stross

Heyne (August 2007)

Broschiert: 398 Seiten

ISBN-10: 345352313X

ISBN-13: 978-3453523135

Erhältlich bei: Amazon


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Erstellt: 02.09.2007, zuletzt aktualisiert: 12.04.2024 09:51, 4816