Druckversion: Das dritte Buch des Blutes (Autor: Clive Barker)

Das dritte Buch des Blutes von Clive Barker

Rezension von Matthias Oden

 

Clive Barkers Bücher des Blutes haben auch hierzulande längst Kultstatus – Grund genug, um der Erstauflage von 1987 eine zweite folgen zu lassen. Und genau das tut der Knaur-Verlag seit September 2005; diesen Februar erschien nun „Das dritte Buch des Blutes“: fünf Kurzgeschichten auf 317 Seiten.

Und dieses „Dritte Buch des Blutes“ ist ein schönes Beispiel dafür, dass Clive Barker zwar als Horror-Autor Weltruhm erlangte, aber die Geschichten die erzählt, letztlich keine Horror-Geschichten sind. Sie sind viel eher Plattformen, die stets gleich aufgebaut sind: Auf dem Fundament einer skurrilen Idee schafft Barker Raum, den er voll stopft mit Sex und Gewalt.

Dies soll nicht heißen, dass Barkers Ideen kein Horrorpotential hätten, ganz ihm Gegenteil eignen sich viele für einen Horror-Plot hervorragend. Aber die Möglichkeiten seiner Geschichten verschenkt er durch stupides Zu-Tode-Reiten seiner beiden Hauptthemen Sex und Gewalt.

Viel ist geschrieben worden, über Barkers angeblichen „erotischen“ Horror. Aber: Erotik bedient die Fantasie, Barkers grelle Präsentation von Sexuellem höchstens die Lendengegend – und ist in ihrer Allgegenwärtigkeit und Deutlichkeit höchst fantasielos.

 

# Beispiel 1: In „Rohkopf Rex“ erzählt Barker von einem monströsen Riesen, der durch Unwissenheit auf ein englisches Dörfchen losgelassen wird und versucht, das einstmals ihm gehörende Land von den Menschen zurückzuerobern (skurrile Idee). Im Rahmen dieses Vorhabens metzelt sich Rohkopf nun durch die Dorfbevölkerung (Gewalt), während es Barker schafft, auf höchst überflüssige Weise sein anderes Thema (Sex) immer wieder zu bedienen: Eine Szene zeigt dem Leser Rohkopf über seine weiteren Pläne nachdenkend – onanierend, selbstredend. Und dass sich ein der Polizei Verdächtiger selbstverständlich während seines Verhörs durch ein Loch in der Tasche andauernd selbst befummelt, trägt natürlich ungemein zur Atmosphäre des Horrenden bei.

Vor so viel geballter Abarbeitung der Barker-Themen ist es dann auch nicht verwunderlich, wenn die Konstruktion des Horrors Lücken aufweist: Wieso Rohkopf sich an den haufenweise produzierten Leichen nicht gütlich tut, wenn er doch einen so großen Appetit auf Menschenfleisch hat, und stattdessen immer weiter morden muss, bleibt ungeklärt. Interessiert aber irgendwie auch keinen.

 

# Beispiel 2: In „Sündenböcke“ stranden die Protagonisten an einer seltsamen Insel, die nach und nach ihre gespenstischen Wesenszüge enthüllt: Steine springen wie von selbst, und inmitten der Einöde stehen in einem Verhau ein paar Schafe, als ob sie auf etwas warten würden (skurrile Idee). Barker schafft es mühelos, die an sich packende, unheimliche Atmosphäre seiner Geschichte zu versemmeln, weil er wieder einmal mit überflüssigen Kopulationen (Sex) und einer breit ausgewälzten Schlachtszene (Gewalt) langweilt.

 

# Beispiel 3: „Bekenntnisse eines (Pornographen-)Leichtentuchs“ handelt von einem Mann, der teils unwissentlich, teils wider Willen mit Rotlichtmilieu-Größen Geschäfte macht, dabei umkommt, Besitz ergreift von seinem Leichentuch und sich in dieser Form an seinen Mördern rächt (skurrile Idee). Natürlich wird diese Gespenster-Vendetta genutzt, um großzügig auszuteilen, und wenn am Ende – wenn dem Antagonisten die Innereien durch den Mund hinausgezogen wurden (Gewalt) – ein kleines Kind neugierig mit dem Glied eines Toten spielt, dann ist Gottseidank auch das andere Thema (Sex) abgehakt.

 

Barker kann schreiben, das steht außer Frage. Schöne, griffige Formulierungen, flüssiger Stil und lebendige Sprache – alles da. Um so mehr ist es ein Jammer, wenn er seine Geschichten immer wieder im Dunstkreis aus Titten, Hinterzimmersex und billigen pornographischen Versatzstücken ansiedelt.

Nicht wird hier kritisiert, dass Barker Sex überhaupt in seine Geschichten einbaut – das Horror und Erotik funktionieren, beweisen Klassiker wie „Dracula“ oder modernere Glanzstücke wie Dan Simmons „Tod in Bangkog“ (erschienen in: Ders., Lovedeath, Festa 2005). Aber Horror und Erotik können nur dann funktionieren, wenn Erotik tatsächlich gleichberechtigtes, wichtiges Plot-Element ist und nicht einfach nur lieb- und sinnlos in eine Geschichte hineingeschmissen würde, die auch ohne Sex auskäme. Viel wäre gewonnen, wenn Barker sich in seinen Geschichten auf den Sex beschränken würde, der für diese auch notwendig, elementar ist – und das wäre immer noch eine ganze Menge. So aber versinken selbst die besten Ansätze wie im „Zelluloidsohn“ in der nur auf den ersten Blick frivolen, tatsächlich aber immer leicht schmuddelig wirkenden „Erotik“ à la Barker. Auf die Dauer ist das alles einfach nur ermüdend.

Und wenn es um sein Lieblingsthema Nr. 1 geht, ist auch der sonst so sichere und gekonnte Erzähler Barker nicht vor Peinlichkeiten gefeit: „Der liebe Arschaufreißer, sein phallisches Herz sei gesegnet.“ Gott, was für ein Satz! Spätestens hier wünscht man sich einen Lektor, der Barker hart an die Kandare genommen hätte.

 

Barker schreibt keinen Horror. Barker schreibt Geschichten, in denen er versucht zu schockieren. Seine Mittel dazu heißen Gewalt und Sex, und mit beiden hofft er, an den Geschmacksgrenzen herumzuschnippeln. So müssen seine Geschichten fast zwangsweise an dem für Horror so wichtigen Aufbau einer dichten, unheimlichen Atmosphäre scheitern, sind sie doch ganz auf kurzfristige, sich abnutzende Effekte getrimmt.

Vielleicht ist dies ja so etwas wie „Boulevard-Horror“: Die verkaufssteigernden Mittel der Regenbogenpresse beherrscht Barker jedenfalls aus dem Eff-Eff, und sie funktionieren – Neuauflagen sind wohl der deutlichste Beweis dafür. Doch ähnlich wie bei den bunten Zeitungen mit den großen Buchstaben und vielen Bildern ist es bei seinen Werken so, dass man von ihrem lauten Getöse zwar angelockt wird. Doch die richtig guten Geschichten, die muss man hier wie dort woanders lesen.

 

Oje, das hat nicht geklappt, Elfenwerk! 202404192148488c06373b

Das dritte Buch des Blutes

Autor: Clive Barker

Broschiert - 316 Seiten - Droemer/Knaur

Erscheinungsdatum: Februar 2006

ISBN: 3426629224

Erhältlich bei: Amazon

 

, zuletzt aktualisiert: 12.04.2024 09:51