Druckversion: Das fremdartige Bildnis des Herrn Valtheros (Autor: Markus K. Korb)

Das fremdartige Bildnis des Herrn Valtheros

Autor: Markus K. Korb

 

Vor langer Zeit hatte ich einen Freund, oder jedenfalls glaubte ich einen gehabt zu haben. Weder waren mir Valtheros Herkunft, noch seine Abstammung bekannt. Nach all den Jahren und besonders nach den Ereignissen, die uns trennten, denke ich inzwischen jedoch, dass diese Tatsachen niemand gewusst hatte. Ja mehr noch, ich bin der festen Überzeugung, dass sie niemand gewusst haben konnte. Hätte eine Person oder Institution von diesen Dingen Kenntnis gehabt, wäre Herr Valtheros schon vor langer Zeit durch einen aufgewühlten Mob getötet worden.

In der Rückschau erscheint es mir absolut unglaublich, dass sich niemand jemals für die wahre Natur seines Charakters interessiert hat, war er doch in der Tat ein Mensch von außerordentlichem Intellekt und kreativen Fähigkeiten. Doch viele Genies wandern unerkannt unter uns, was viele Begebenheiten ungewissen Ausgangs erklären mag.

Schon als ich Valtheros auf der Universität der kleinen Stadt im Süden kennen lernte, beschäftigte er sich mit Schriften und Dingen, die der normale Geist abgeneigt ist, anzuerkennen. Diese Studien waren so absonderlicher Natur und bargen in sich solch große Schrecken, dass das Gesicht meines Freundes oftmals geisterhaft bleich im Türrahmen erschien, suchte ich ihn in seiner Mansardenwohnung, hoch über den schiefen Giebeln der Stadt, auf. Trat ich dann in das Zwielicht des großen Zimmers, das Valtheros zu gleichen Teilen als Wohn-, Schlaf- und Studierzimmer benutzte, dann war er es, der stets wieselflink an mir vorbeihuschte und große rahmenartige Gegenstände mit Tüchern verhüllte, ehe ich einen Blick darauf werfen konnte. Ich besaß den Takt ihn niemals nach den Objekten seiner Studien zu fragen, obwohl es mir manchmal war, als vernehme ich ein leises Wimmern aus einer Kiste, oder höre das Kratzen von Nägeln an der Innenseite einer Schranktür.

Als ich Valtheros das letzte Mal aufsuchte, erschienen mir seine ausgezehrten Züge noch verwirrter und seine nach innen verzogenen Augen noch rotgeäderter als sonst. Er beeilte sich mich hereinzuwinken und huschte mit seinem dünnen Beinen an mir vorbei um wiederum einen Rahmen durch die geschickte Bewegung seiner Spinnenfinger mittels eines faltigen Tuches zu bedecken.

Sein frühzeitig ergrautes Haar wirbelte lose um den knochigen Schädel, als er sich mit einem für seinen körperlich bedenklichen Zustand unerwarteten Schwung herumwarf. Mir kam es so vor, als könne ich Erleichterung in seinem weißen Gesicht lesen.

„Schön, dass du wieder einmal Zeit gefunden hast. Ich vermisse die philosophischen Gespräche mit dir, und das gerade zu einem Moment, in welchem die Klauen des Irrsinns aus den verbotenen Büchern nach mir zu greifen scheinen.“

Ich gab meiner Verwirrung Ausdruck, doch er lächelte nur.

„Nein, nein, mein Freund. Ich drohe nicht wahnsinnig zu werden – wenn man die wahre Natur des Seins begreifen lernt, kann man sich dann wahnsinnig nennen? Ich habe das Geheimnis entdeckt, das ich so lange in archaischen Nekropolen und versunkenen Städten längst vergessener Kulturen gesucht habe.“

Valtheros lachte leise in sich hinein, wobei sein schlacksiger Körper bedenklich zitterte.

„Und dabei lag die Entdeckung so nahe, ich habe sie stets hier in meinen Händen gehalten.“

Mit diesen Worten öffnete er seine fleckigen Hände und zeigte mir die farbverschmierten Innenflächen. Noch immer wusste ich nicht, was ich von der Veränderung seines einst melancholischen Charakters zu halten hatte. Ich starrte nur mit unbeweglichem Gesicht.

„Ein berühmter Autor hat einmal geschrieben: „Nur im Herzen des Grauens, kann man sich vor dem Grauen verbergen“ – es ist nur zu wahr. Hier ist das Herz des Grauens!“

Valtheros Finger zeigte auf seine Stirn, unter der ein Geflecht aus blauen Adern pulste.

„Nur hier allein sitzt das Grauen, das mich seit Jahren verfolgt. Doch ich habe es gebannt. Und noch viel mehr: ich kann es auf andere Dinge übertragen!“

Ich fragte ihn, welche Dinge er meine, doch er schüttelte nur den Kopf. Dann schritt er wieder zum tuchbedeckten Rahmen. Seine Finger ergriffen die Falten des Stoffes und verharrten wie die Beine von Insekten, die sich in einem Netz verfangen hatten.

„Es ist noch nicht vollendet, aber ich zeige es dir trotzdem. Es trägt schon eine Ahnung seiner vollendeten Form in sich. Sieh selbst!“

Valtheros tat einen Schritt zur Seite und entblößte in einer von mir als obszön empfundenen Bewegung den Gegenstand, dessen Rahmen im Mondlicht zu leuchten schien.

Es war ein Gemälde. Offensichtlich von Valtheros selbst gefertigt, denn seine Initialen prangten unverkennbar auf einer Ecke.

Wirbelnde Kreise aus grellem Chaos verwoben sich mit der Schwärze des Hintergrund zu einer Struktur des Schreckens. Ich trat näher heran und erkannte, dass die Leinwand mit einem lederhaft wirkenden Bezug überdeckt war. Dieser trat aus der Fläche des Gemäldes heraus, was dem Hintergrund einen epidermisartigen Charakter verlieh: wie eine rissige und mit Altersflecken übersäte Haut, zerrottend und faltig. Frische rote Farbspritzer glänzten versprenkelt auf ihr und trockneten in jenem Moment, als ich sie ansah.

Die Wirkung des Bildes war die einer gestaltgewordenen Bosheit, die mich aus dem Abgrund der Seele anstierte. Erschrocken wich ich einen Schritt zurück und gewahrte nun, dass sich ein allumfassender Sinn in diesen Klecksen und Spritzern verbarg.

Während ich noch benommen dastand, formte mein Gehirn aus den Einzelteilen der Komposition ein Gesicht. Ein schwarzer Schlund schien alles Übel des Kosmos in die Welt hinauszuschreien. Gleichzeitig drehten sich die wahnsinnigen Augenwirbel in tiefsitzenden Höhlen, blutverschmiert wie die gesamte Gesichtshaut.

„Glaube mir, es war ein langer und schmerzhafter Prozess, es aus einer Seele zu schneiden. Der Vorhang aus Fleisch, den wir Körper nennen, bietet hingegen nur einen geringen Widerstand.“

Erst an dieser Stelle entdeckte ich einen roten Klecks an der Seite des Arbeitskittels von Valtheros. Er roch süßlich und trocknete sichtbar ein. Gedämpfte Klopflaute drangen aus einer dunklen Ecke, wo sich ein großer Wandschrank befand.

„Beachte das gar nicht! Ich brauche natürlich gewisse fleischliche Katalysatoren, um das Werk in Gang zu bringen. Sieh diese einfach als Stimulans meiner Inspiration an.“

Valtheros ergriff meinen Arm und führte mich zur Wohnungstür. Immer noch benommen ließ ich es geschehen.

Er verabschiedete mich mit deutlich erkennbaren Ausflüchten und schloss die Tür. Noch lange stand ich davor und hörte den gedämpften Schreien hinter dem Holz der Tür zu, die kaum menschlich zu nennen waren.

 

Mein nächster Besuch fand ein halbes Jahr später statt. Ich durchwanderte schlaflos, wie jede Nacht, die Straßen der Stadt und war in den Anblick der Häuser versunken, die sich Schulter an Schulter aneinander rieben, so dass ich meinte, das Schaben ihrer Schindeln hören zu können.

Wie zufällig führte mich mein Weg zu jenem windschiefen Haus, in welchem Valtheros seine Atelierwohnung besaß. Ich lenkte meine Schritte durch die offene Tür und die gewundene Holztreppe hinauf, bis ich vor der verzogenen Wohnungstür stand. Auf mein Klopfen hin erschien das geisterhaft bleiche Gesicht meines vermeintlichen Freundes und er zog mich stürmisch hinein. Seine Stimme raunte mir zu:

„Es war nicht allein, noch sind es wir. Selbst im einsamsten Augenblick, wenn unsere schwarzen Seelen ihre Flügel ausbreiten, sind wir umgeben von unsichtbaren Dingen. Komm und sieh!“

Wiederum führte er mich zum Gemälde, aus dem mir die blanke Bosheit entgegenschlug. Ich erkannte das Gesicht wieder. Es war nicht verändert worden. Doch im Hintergrund zeichneten sich im grauen Nebel einer sterbenden Welt die Schemen von drei Wesen ab. Seltsamerweise konnte ich nicht klar erkennen, ob es sich dabei um Menschen handelte – zu lang waren ihre Arme, zu dünn ihre Körper – und doch nahm ich es aus mir unerfindlichen Gründen an. „Kannst auch du sie sehen!“

Ich bejahte die Frage und wollte wissen, was sie darstellen sollen.

Valtheros zitterte.

„Ich hoffe, dass Sie uns nicht sehen können!“

Ich runzelte die Stirn ob der seltsamen Äußerung und wiederholte meine Frage.

„Das weiß ich noch nicht genau. Sie sind zu weit entfernt. Auch herrschen in der Welt der Kunst andere Gesetzmäßigkeiten, die unsere Sehkraft einschränken.“

Ich bin mir auch heute noch sicher, dass er von der Welt der Kunst sprach und nicht von einem andersgearteten Jenseits, oder gar Parallelwelt. Valtheros schien die Gestalten demnach nachträglich in das Bild eingefügt zu haben – ich nahm an, das geschah in einer Art künstlerischer Vision, einem Rauschzustand, möglicherweise der geistigen Verfassung eines Opiumessers ähnelnd. Nur so ließen sich die merkwürdigen Proportionen erklären.

Noch während ich zwischen Faszination und Abscheu schwankte, ergriffen mich die krallenartigen Hände Valtheros.

„Schau – sie kommen näher!“

Tatsächlich schienen sich die Personen, wie ich sie der Einfachheit halber nennen möchte, ein wenig herangeschritten zu sein – möglicherweise ist „Schreiten“ das falsche Verb, denn sie hatten weder ihre Haltung verändert noch deuteten ihre Körper an, dass sie überhaupt Füße besaßen. Doch gleich darauf tat ich dies als halluzinatorischen Einfluss von Valtheros ab, denn das Dunkel des Zimmers spielte mir sicherlich einen Streich, indem die wankenden Schatten der Vorhänge immerfort auf das Bild fielen.

Valtheros Stimme kippte fast in ein Kreischen über. Ob aus Entsetzen oder Freude weiß ich nicht zu sagen.

„Und da hinten – sieh: es werden immer mehr!“

Ich ertrug die Hirngespinste meines Freundes nicht mehr und verließ aufgebracht die Wohnung.

Und dennoch befiel mich in den nächsten Tagen stets ein merkwürdiges Gefühl, wenn ich auf der Straße einer Gestalt begegnete, deren Extremitäten ein wenig überlang zu sein schienen. Doch mag das auf den allherrschenden Nebel und dessen Perspektivenverzerrung zurückzuführen sein. Aber es sah so aus, als würden mir mit jedem Tag mehr dieser Personen begegnen.

Eines Nachts rief mich mein Freund wieder zu sich. Sein Gesicht war schweißüberströmt und die Bewegungen wirkten fahrig. Beinahe körperlos schritt er durch sein Atelier.

„Es ist vollendet. Ich kann mir nichts bewegenderes vorstellen, als dieses Gemälde. Es ist perfekt.“

Was er mir zeigte, kann ich nicht beschreiben. Nur so viel sei gesagt, dass es mich mit blankem Grauen erfüllte und ich die wahre Natur meines Freundes erahnte. War er schon seit jeher mir fremd gewesen, so wusste ich nun tief in meiner Seele, dass er schon jedem menschlichen Wesen fremd war. Ich möchte ihn als einen Torwächter bezeichnen, wobei die Formulierung hinkt. Er war mehr ein Öffner der Türen, als ein Bewacher, sonst hätte er niemals diese Dinge hereingelassen, die sich nun unerkannt unter uns Menschen bewegten.

Es gab nur eine Sache, die getan werden konnte, die getan werden musste.

Ein kluger Mann hat einmal behauptet, dass die Zerstörung eines Kunstwerks den Rückfall der Menschheit in die Barbarei zur Folge haben könnte, wäre es nur das entscheidende Werk, das den Menschen befähigt über Recht und Moral nachzusinnen.

Wenn es jemals ein Kunstwerk gegeben haben sollte, das genau dem Gegenteil dieser Formulierung entsprach, so war dies eben jenes, das Valtheros geschaffen hatte.

Wirkte nicht auch er in diesen Momenten für mich wie gemalt. Eine geschickte Kopie eines Menschen, aber dennoch nur eine Kopie, dessen wahrer Charakter sich in den Pinselstrichen verbarg?

Was hätte ich denn anderes tun können, als das im Mondlicht hellblitzende Metall des Brieföffners zu ergreifen und sowohl das lebende Kunstwerk Valtheros als auch das totwirkende Gemälde zu zerschneiden?

Doch in dem Moment, als die Leinwand sich wie eine geöffnete Haut nach außen schält und der tote Körper meines vermeintlichen Freundes langsam wie Papier zu Boden segelt, rieche ich Terpentin und fühle ätzende Säure auf meiner Hand. Als ich sie mir vor das Gesicht halte, sehe ich, wie meine Haut ihre Farbe verliert, verwischt, durchsichtig wird und schließlich verschwindet: Ein mir unbekannter Maler auf der anderen Seite hat gerade eben begonnen, mich auf seiner persönlichen Leinwand des Lebens als ein misslungenes Werk auszulöschen...

 

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Oje, das hat nicht geklappt, Elfenwerk! 20240424074540c957f104

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, zuletzt aktualisiert: 26.07.2019 10:10