Das Geheul der Wölfe (Autor: Ute Mrozinski)
 
Zurück zur Startseite


  Platzhalter

Das Geheul der Wölfe

Autor: Ute Mrozinski

 

 

Canidae – oh Canidae! Warum? Chaostheorie? Dominoeffekt?

Eigentlich – war doch alles nur Pech. Tiefschwarzes, klebriges Pech! Sie waren unterwegs gewesen mit dem großen Forschungsschiff Canis-Lupus I. Ein dreihundert Meter hohes, hundert Meter breites Schwingenschiff, geformt wie ein riesiger Vogel.

Das einzige Schiff seiner Art, das einen Zeitmanipulator besaß, der in der Lage war die Raumzeit zusammenzuziehen. Die Kraft des Zeitmanipulators beruhte auf dem Prinzip des umgekehrten Urknalls. Das csorkasische Forschungsinstitut in Canis, der Hauptstadt Csorkassas, hatte unter seiner, Csorkos Leitung den Zeitmanipulator entwickelt, der an und für sich nur ein verkleinerter Teilchenbeschleuniger war. Komprimierte Hochleistungstechnik. Sie hatten die Speicherringanlagen auf kleinstem Raum minimiert. Sie montierten die Anlagen in einer Spirale, die in einer ein Meter hohen, und fünfzig Zentimeter breiten Säule Platz fand. Trotz dem brachte es Csorkos mit seinem Team fertig, Protonen mit nahezu Lichtgeschwindigkeit zusammenprallen zu lassen.

Kleine „Urknalle“ entstanden. Die RAUMZEIT verhielt sich wie ein schlagendes Herz, dehnte sich aus, fiel wieder zusammen, und das mehrmals hintereinander.

RAUMZEIT, für winzige Sekunden auf einen Punkt komprimiert, die dann wieder in hoher Geschwindigkeit auseinanderdriftete, konnte Strecken überwinden, die einen schwindelig machten. Dieses Schiff war in der Realität noch nie geflogen, der Zeitmanipulator nur im Simulator zum Einsatz gekommen, aber alles war schon tausendmal gecheckt worden. Die Funktionen liefen einwandfrei. Es hätte nur ein kurzer, winziger Sprung werden sollen. Ein Test. Eine Versetzung von fünf Minuten. Doch dann die panische Meldung der technischen Abteilung. Fehlfunktion im Zeitmanipulator! Er ließ sich nicht mehr stoppen. Eine wahnsinnige, schwindelerregende Abspulung der Räume. Das Schiff wurde in rasender Geschwindigkeit durch die Zeiten und wieder zurückgeworfen! Wabernder grauer Zwischenraum, fremde, heimatliche Sternkonstellationen! Ungeheure Gewalten, die auf dem Schiff, den gesamten Lebewesen lasteten!

Tonnenschweres Gewicht auf seinem Hirn, seinem Körper, schien ihn zu zerquetschen! Rote Schleier vor seinen Augen! Wieder rückwärts in die Zeit. Die unbarmherzige Meldung des Computers – Überhitzung der Reaktoren – die Reaktoren gehen durch – Explosion – Absturz – nichts mehr!

Das Schiff zerrissen in seine Einzelteile – von einer titanischen Faust auf einen fremden Planeten geschmettert! Sie waren am Rande einer kleinen Felsenkette gestrandet, dahinter erhob sich schwarz und mächtig ein riesiges Waldgebiet. Was für ein Hohn – der Zeitmanipulator lief noch eine ganze Weile – dann blieb er stehen im Jahre 1121. Sie waren zwölf Jahrhunderte zurückgeworfen worden – in einen wahrhaft elenden Zustand!

Halb benommen, mit einem gebrochenen Hinterlauf war er zwischen den zahlreichen Verletzten umhergekrochen – und hatte sie gesucht – Canidae! Die schöne Canidae mit dem glänzenden, schwarzen Fell, dem schmalen Fang, den blitzenden Zähnen, dem wachen Geist, seine Gefährtin und erste wissenschaftliche Assistentin. Da lag sie auf der Seite, noch festgeschnallt in ihrem Sessel, wie in einem Schleudersitz.

Ihre sonst blitzenden, grünen Augen waren stumpf, und der meistens blütenweiße Fellstreifen, der vom Kopf bis in den Rücken hinunter reichte, verschmiert mit grau-braunem Schlamm. Prellungen und kleinere Schrammen bedeckten ihren Körper. Doch sie lebte!

Irgendwie hatte er sie heraus aus den brennenden Trümmern geschafft. Weg von der Absturzstelle, hinunter zu diesem eisigen kleinen Fluss, der sich auf der anderen Seite eines natürlichen Felsenwalls entlang schlängelte. Mit ihnen konnten sich gerade noch fünfzig Csorkas retten, Frauen, Männer und Welpen. Fünfzig – von zweihundert. Darunter der Kapitän und Führer ihres Rudels Lupon.

Vom Ufer des Flusses beobachtete Csorkos, wie die Hitze der Flammen den tiefen Schnee hinter den Felsen schmolz, wie das Wasser den Brand erstickte. Schwaden von Wasserdampf trieben nach oben und wurden vom schneidenden Wind weiter getrieben, um in irgendeinem anderen Gebiet dieses Planeten abzuregnen.

Nach kurzer Zeit der Agonie machte sich der klägliche Rest der Mannschaft auf, und beschloss standzuhalten.

Sie hatten ihr nacktes Leben, ein paar metallene Trümmer, halb zerstörte Antriebs- und Steueraggregate. Nach einer ausführlicheren Bestandsaufnahme stießen sie auch auf ein paar wenige Werkzeuge und Waffen, die der Zerstörung entgangen waren. Hoffnung flackerte in dem kleinen Häuflein Csorkas auf.

Sie wählten einen Platz hinter den Felsen als Versteck, leckten ihre Wunden, deckten die nötigsten Bedürfnisse ab.

Irgendwann entdeckten sie diese seltsamen Tiere, die ihnen ähnlich von Gestalt waren, eine Art halb intelligente Vorstufe der Csorkas.

Sie freundeten sich mit ihnen an, lernten von ihnen sich an die Natur anzupassen, ihre Krallen wie Messer zu nutzen, und die Kraft ihrer Muskeln einzusetzen.

Die Csorkas trainierten die Schnelligkeit ihrer Vorder- und Hinterläufe. Sie schnitzten sich primitive Pfeile und Bögen aus dem Holz des Waldes, denn sie besaßen nur noch wenige Laserstrahler und elektronische Werkzeuge. Mit ihren scharfen Zähnen, einem Jagdtier den finalen Biss zu geben, brachten sie einfach nicht fertig.

Die Csorka-ähnlichen Tiere wurden ihre kleineren Brüder, zumal sie sich gedanklich/mental verständigen konnten. Diese Noch-Tiere erzählten ihnen von der bunten Zahl der Lebewesen auf diesem Planeten. Sie dachten an ein Volk, das sie unter dem Namen „Menschen“ kannten. Diese Menschen, schienen sich überall zu verbreiten. Sie bauten feste Siedlungen. Sie aßen Pflanzen, aber sie waren auch Jäger. Gefährliche Jäger, wie die Noch-Tiere dachten.

„Sie denken an uns als Wölfe, und jagen uns ohne Erbarmen Sie haben – Hilfswölfe – die sie Hunde nennen. Die erledigen für sie beim Jagen die Drecksarbeit. Sie kreisen uns ein, sie verfolgen uns, sie stellen uns. Die Menschen haben es dann einfach. Sie geben uns nur noch den finalen Biss. Sie halten, uns für ihre Konkurrenten, doch wir schlagen nur einen Bruchteil der Beute, die ihnen gehört. Sie glauben sogar wir würden sie und ihre Welpen fressen!“

„Und?“, fragte Csorkos, während sie sich einmal aufmachten zur Jagd, „tut ihr das?“

„Nein“, antwortete der Wolf Jelenko, – „zu schwierig, zu gefährlich. Sie schlagen und stechen mit Ästen, an deren Enden scharfe, spitz zulaufende Dinge befestigt sind. Sie besitzen sogar Stecken aus denen Feuer herausschießt!“

„Lanzen, Äxte, Messer, primitive Gewehre!“, dachte Csorkos damals. „Das könnte trotz allem die beherrschende Rasse des Planeten sein oder werden! Obwohl das nicht gerade von Intelligenz zeugt, aber sind wir besser? Ich muss mit Lupon darüber sprechen. Vielleicht sollten wir sie vorsichtig kontaktieren!“ Doch dazu kam es nicht mehr.

Nach einem Jahr intensiver Arbeit baute Csorkos als leitender Chefwissenschaftler mit dem Rest csorkasischer Techniker, aus den Trümmern des zerstörten Mutterschiffes und aus Teilen eines noch halb intakten Beibootes, ein kleineres Schiff zusammen.

In seiner Gestalt dem ursprünglichen, metallisch/grauen Schwingenschiff ähnlich, aber nur sechzig Meter breit, fünfzig Meter lang, und fünfundzwanzig Meter hoch.

Sie hatten es sogar geschafft, den Zeitmanipulator wieder zu reparieren. Es gab noch ein paar Probleme mit der Montierung in den Schiffsverbund. Doch in zwei bis drei Tagen schätzten die Techniker, ließ sich das beheben.

Und – Canidae trug einen Welpen – konnte es besser sein, in diesen Tagen? Doch dann kamen Sie. Das Blatt wendete sich abrupt.

 

Es sollte ihre letzte Jagd auf diesem Planeten werden. Sie wollten eigentlich nur noch ihre Vorräte auffrischen, für den bevorstehenden Flug. Der Zeitmanipulator würde sie zwar in Nullzeit wieder zurückbringen, aber man wusste ja nie.

Csorkos, Canidae, und vier Wölfe schwärmten aus. Sie hatten Glück, sie konnten vom frühen Morgen bis zum Nachmittag fünf kapitale Hirsche erlegen. Sie schleppten ihre Beute hinter einen der größeren Farnbüsche im Wald, dort wo Bäume und Unterholz am dichtesten standen. Hier konnte man auch die schmackhaften Waldbeeren und essbare Pilze finden. „Der Wind steht günstig! Kein anderes Lebewesen wird uns hier finden“, bellte Canidae mit ihrer kehligen dunklen Stimme. Csorkos hatte wohlgefällig ihre schlanke, hoch aufgerichtete Gestalt betrachtet, sein Blick glitt über den dichten kurzen Körperpelz und den langen borstigen Kopfpelz mit dem glänzenden weißen Streifen. Ohne es zu merken, zog er sanft lächelnd die Lefzen nach oben. „Später“, hatte er gedacht. „Erst die Arbeit, dann das Vergnügen!“ Schließlich begann er zusammen mit Canidae, die Hirsche fachgerecht, für den Transport zu zerlegen. Ihre vier Begleiter hielten Wache. Die Arbeit war schwer und trieb ihnen trotz der Kälte den Schweiß auf die Stirn. Und doch arbeiteten sie ohne Pause. Denn sie wollten noch vor der Dunkelheit wieder zurück im Lager sein, um nachtaktiven Tieren und „menschlichen“ Räubern aus dem Weg zu gehen. Sie hatten nicht wirklich geglaubt, dass irgendetwas geschehen könnte. Ihre kleinen Brüder, die Wölfe, würden sie warnen. Außerdem - dieses Land war weit, und die angeblich gefährliche Rasse, die von den Wölfen Mensch genannt wurde, lebte anscheinend in weit verstreuten Rudeln.

Csorkos ächzte erschöpft als er mit Canidae, die letzten Stücke auf die Transportmatte aus geflochtenen Pflanzenteilen, und starken Ästen warf. Eine der zwei Matten, die sie mitgebracht hatten, war schon voll beladen, mit blutigen, halbgefrorenen Hirschteilen. Canidae streckte sich zu ihrer vollen Größe. Er hörte noch immer ihr wohliges, Knurren, das wie das Schnurren eines gut geölten Motors klang. Jeder einzelne Muskel schien sich auseinanderzuziehen. Oh wie er es geliebt hatte sie dabei zu beobachten.

Erst begriff er nicht, was da geschah. Ein scharfes Sirren in der Luft, ein schmerzliches Jaulen, um ihn herum. Maßlos überrascht, sah er Canidae die Augen aufreißen. Ein Gurgeln entfloh ihrer Kehle. Kraftlos sank ihr Körper zusammen, und krachte mitten in das Unterholz. Rinnsale flossen in das kurze Fell den Hals hinunter und färbten den Schnee unter ihr rot. Als die Bedeutung dieser Bilder, dieser Geräusche seinen Verstand erreichte, war es zu spät. Ein dumpfer, heftiger Schmerz traf ihn am Hinterkopf – und plötzlich war es Nacht!

Er wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, als er erwachte. Es konnten nur wenige Minuten gewesen sein. Reglos blieb er liegen, noch gefangen im Schock.

„Teufel! Seht nur, Wolfsteufel! Und wir haben sie erlegt. Viktor, Carl, ist euch klar, dass wir uns beim Fürsten damit beliebt machen können? Er wird nie erfahren, dass wir es waren, denn wir werden ihm sagen, die Teufel und ihre Wölfe haben die Hirsche und das Vieh auf seinem Gutshof gestohlen. Ist ja auch nicht ganz falsch, zumindest diese Hirsche, haben sie wirklich gestohlen!“ Krächzendes Lachen – „stellt euch mal vor. Wir bekommen den Erlös für sein Vieh und seine Hirsche, und vielleicht noch ein paar Goldstücke als Belohnung. Die Jagdgesellschaft des Fürsten hat das Dorf verlassen, nach dem er uns mit seinen Soldaten den Zehnten ausgepresst hat. Viktor sag ihnen, dass wir die Wilderer gefunden haben! Es sind die Teufel der Hölle selbst mit ihren Wölfen. Wenn sie das nicht glauben, sollen sie kommen und selber sehen. Dieser eine da, hat einen schweren Schlag in den Nacken bekommen, aber er ist noch nicht ganz tot. Vielleicht gibt es in einem Versteck noch mehr von ihnen. Der Pfaffe, den sie immer mitnehmen, um ihre Beute segnen zu lassen, könnte etwas aus diesem Biest herausbekommen. Ich bin sicher, dieser Diener Gottes wird feststellen, dass es noch mehr von diesen Teufeln gibt. Das wird seinen Geldbeutel füllen, und den Verdacht von uns ablenken! Lauf jetzt Viktor! Ich halte hier mit Carl die Stellung!“ Hastige Schritte – jemand lief weg.

Csorkos Schädel dröhnte, und er verstand den Sinn dieser fremden Laute nicht. Doch sie klangen nach Wut, Zorn, Hass! Vorsichtig öffnete er ein Auge, und plötzlich brandeten wie eine Welle, Schmerz und Entsetzen durch seinen Körper.

Dieses Bild, das einem furchtbaren Schlachtfeld glich, würde sich für immer auf seine Netzhäute brennen. Die Wölfe – alle tot. Jelenko lag ausgestreckt quer über den gefrorenen Hirschkadavern, als habe er noch fliehen wollen, sein Fell färbte sich rostig rot vom Blut. Die anderen Wölfe lagen ein paar Meter weiter, mit schrecklichen Wunden, als habe man sie nicht nur erstochen oder erschossen, sondern mit einem Beil dahingeschlachtet. Und Canidae – Canidaes wunderschöner Kopf, mit dem wohlgeformten Fang – lag – in einer – Blutlache. Ein Pfeil steckte in ihrem Hals. Etwas zündete plötzlich in ihm, trieb seinen Körper wie eine Feder nach oben, ließ ihn ein lautes schmerzvolles Geheul ausstoßen.

„Canidae, Oh Canidae!“

Mit einem angstvollen Schrei sprangen die Menschenwesen auseinander! Fassungslos vor soviel Widerstandsfähigkeit.

Den Überraschungsmoment nutzend, rannte er in den Wald. Immer weiter. Die Menschen hatten sich sehr schnell von ihrem Schock erholt, und folgten ihm mit wütendem Geschrei. Schnell wie der Wind sprang er über bemooste Steine, quer liegende Baumstämme. Doch er war verletzt, erschöpft. Sie würden ihn bald einholen. Beim großen Canis – diese Albtraumwesen hatten ihn gleich! Da kam ihm eine Idee. Es musste kalt sein in diesem Tümpel! Aber er war das einzige Versteck, in dem er vor diesen nach Angst, Zorn und Jagdtrieb stinkenden Hunden sicher war! Hunde! Er hatte sie an Hunde denken hören, aber Hilfswölfe war eigentlich der bessere Ausdruck. Er hörte sie bellen, hastig warf er einen Blick nach hinten. Die Wesen, die sie überfallen hatten, mussten Verstärkung geholt haben! Eine ganze Truppe – sie ritten auf hochbeinigen, starken Springtieren. Sie kamen immer näher. Er hörte ihr wütendes Geschrei! Diese Hunde - domestizierte Wölfe. Gezüchtet, und in ihren Genen geknechtete tierische Kreaturen.

Sie geiferten, bellten, schnüffelten umher. Sie mussten seinen Geruch schon in der Nase haben, knurrend, fletschten sie die Zähne.

Da waren sie schon heran – auf ihren Springtieren, die Herren der Hunde. Die beherrschende humanoide Rasse dieses Planeten, technisch nicht unbedingt hoch stehend, aber wenn man selber nichts mehr hatte, außer seinen Krallen, seinem Gebiss, womit man sich wehren konnte, sah es ganz mies aus. Dann konnte man noch so intelligent und technisch hoch stehend sein, harte hölzerne Prügel, und die Schneiden eiserner Streitäxte, waren auch für einen Csorka tödlich. Oh beim großen Canis! So eine kleine Desintegratorpistole wäre jetzt sehr nützlich gewesen. Aber sie besaßen nicht mehr viele. Er hatte sie für Schweißarbeiten im Lager zurücklassen müssen.

Der hechelnde Atem der Hunde, ihr triumphierendes Bellen, das Wiehern und Schnauben der Pferde, dröhnte schon in seinen Ohren, der nächtliche Wind trieb den von blindem Jagdeifer angefüllten Geruch in seine empfindliche Nase. Da öffnete sich der dichte Wald zu einer Lichtung, und vor ihm tauchte ein im Mondlicht glitzernder kleiner Weiher auf. „Es ist wirklich bitterkalt. Aber das Wasser trübt ihren Geruchssinn!“

Ohne weiter zu überlegen, ließ er sich auf alle Viere sinken, überwand mit weiten Sätzen, das wenige Meter breite Ufer und sprang ins Wasser. Wild mit den Armen rudernd, „tu so Csorkos, als könntest du nicht schwimmen, als würdest du ertrinken“, ließ er sich bis nach unten auf den nur drei Meter entfernten Grund sinken.

Für seine Verfolger musste es so aussehen, als ob er vor Verzweiflung ins Wasser gesprungen und ertrunken war. Krampfhaft, mit nach innen gedrehten, angelegten Ohren, krallte Csorkos sich mit allen Vieren im schlammigen Untergrund des kleinen Sees fest. Nur noch gedämpft drangen die Geräusche der Meute und ihrer Herren an seine Ohren. Sie würden noch einige Minuten am Ufer des Weihers stehen bleiben und die Wasseroberfläche beobachten. Und so lange musste er unten bleiben, bewegungslos am Boden hockend.

Endlos schlichen die Sekunden dahin. Noch immer hörte er ihr gedämpftes Gemurmel, hörte sie herumlaufen, hörte das enttäuschte Gebell der Hunde. Verdammt, er war ein Csorka, und kein Fisch. Wann verschwanden sie endlich? Der Druck in seiner Brust nahm zu – er brauchte Sauerstoff! Der Wunsch nach oben zu schießen, und durch die Wasseroberfläche zu stoßen wurde übermächtig! Doch mit übercsorkischer Kraft, hielt er sich ruhig.

Plötzlich war es still – kein Laut mehr! Waren sie wirklich fort? Er traute diesen Wesen fast alles zu. Der mannshohe Busch, am Rande des steil abfallenden Sees – wenn er den erreichen könnte! Vorsichtig langsam, wie ein csorkischer Schlammwurm kroch er am Grunde des Sees dahin, klammerte sich an Wasserpflanzen und Steinen fest, um nur ja nichts aufzuwirbeln, keine ungewöhnliche Bewegung des Wassers zu erzeugen. Denn wenn sie doch noch dort oben standen – und warteten – würden sie es merken! Als er endlich seine Krallen in die steilen, karstigen Felswände des Sees schlug, und sich zeitlupenhaft nach oben zog, war der Druck in seiner Brust zu einem heftigen Schmerz angewachsen, und sein Herz schlug wie ein Dampfhammer um noch das letzte Quäntchen Sauerstoff durch den Körper zu pumpen.

Über ihm glitzerte dunkel, nur erhellt durch die Mondstrahlen, die Wasseroberfläche, einer gekräuselten, unordentlichen Decke gleich. Die diffusen Schatten einzelner, weit ausladender Äste spiegelten sich zitternd über seinem Kopf.

Er hatte sein Ziel erreicht! Vorsichtig stieß er nur mit der Schädeldecke durch die Wasseroberfläche, bog den Kopf unmerklich nach hinten, die Augen so weit wie möglich nach oben gerollt, die Schnauze nur Millimeterweise herausgestreckt, und hechelte lautlos nach dem kostbaren Sauerstoff. Vor ihm ragte dunkel das Blätterwerk des Busches auf. Böschung, und Waldlichtung waren leer. Das penetrante Duftgemisch von Hund, Mensch, Springtier lag nur noch schwach über der Gegend, weit in der Ferne hörte Csorkos immer schwächer werdendes Stimmengemurmel und Hundegebell. Sie waren fort. Für diesen Augenblick war er gerettet!

Csorkos spannte die Muskeln von Vorder- und Hinterläufen an, und katapultierte sich mit einem heftigen Ruck endgültig aus dem Wasser. Mit allen Vieren landete er auf der sanft ansteigenden Uferböschung, und krabbelte humpelnd, leise jaulend die wenigen Meter, bis auf die grasige Lichtung. Blieb noch einmal sekundenlang nach Luft hechelnd auf seinen Hinterläufen hocken, schon da eine mächtige Gestalt – als er sich dann vollends auf zwei Beine stellte, um einen besseren Überblick zu bekommen, erreichte er eine Größe von zwei Meter fünfzig. Der silbern glänzende Fellstreifen in seinem ansonsten schwarzen Fell, lief vom Kopf über den Rücken, bis zum Steiß hinunter, und war sein Familienkennzeichen. Es wies ihn als Csorkos da Silva den Wissenschaftler aus. Die Farbe lag in den Genen fest. Aber das würde ihm jetzt kaum etwas nützen.

Entschlossen schüttelte er sich das Wasser aus dem Fell, damit ihm der Pelz nicht gefror. Dann drehte er sich, in der aufrechten Stellung verharrend, nach rechts und rannte mit weiten Sätzen, ohne irgendeinen Laut zu erzeugen in den dunklen Wald hinein. Er würde noch einige Stunden ununterbrochen laufen, tief in den Wald vordringen müssen, um eine zweite, versteckte Lichtung zu erreichen.

Noch immer rannte er, ohne Pause! Duckte sich unter herab hängenden Ästen, sprang über im Weg liegende Steine. Es war stockdunkel. Das dichte Blätterdach des Waldes ließ das Licht des Vollmondes hier nicht durch. Doch er brauchte auch nichts zu sehen. Er roch den Weg. Er roch den spezifischen Geruch der Erde, auf die er trat. Er roch die moosigen Steine. Er konnte den Geruch von herab hängenden, und abgebrochenen harzig duftenden Ästen unterscheiden. Nur manchmal, für winzige Augenblicke verlor er den Kampf gegen die Erschöpfung, dann schlugen ihm die spitzen Zweige der Bäume doch ins Gesicht, und rissen blutige Schrammen. Aber das spürte er kaum. Er begrüßte diesen Schmerz! Er war wenigstens real, überdeckte den Schmerz in seiner Brust, in seinem Geist!

Während er lief, einen endlos langen Lauf, rekapitulierte Csorkos immer wieder nur ein Ereignis, wiederholte den einen Namen, „Canidae – oh Canidae! Warum?“

Laut hallte der schluchzende Schrei in seinen Ohren wieder. Erschrocken presste er die Lippen zusammen, und horchte. Idiotischer Leichtsinn! Doch außer dem schläfrigen Zwitschern der Vögel, dem Rauschen der Blätter, dem Knacken der Zweige, hörte er kein Geräusch.

Das Knacken der Zweige – folgte ihm da etwa jemand? Csorkos blieb stehen und lauschte, ließ seine wolfsartigen Ohren durch die Luft spielen, wie eine sich drehende Empfangsschüssel – nichts. Einbildung! Er rannte weiter – und – da! Schon wieder dieses Knacken, seitlich von ihm.

Keuchend schlug er einen Haken nach rechts, in die entgegengesetzte Richtung, zog unsinnige, scheinbar endlose Schleifen. Von weitem schon, hörte er es Plätschern. Schließlich sah er ihn auch – den eisigen kleinen Bachlauf, noch kilometerweit vom Lager entfernt. Csorkos ließ sich auf sein Hinterteil fallen, rutschte das flache Ufer hinunter, stieg hinein und watete hindurch, um seine Spuren so klein wie möglich zu halten.

Angestrengt horchte er in die Dunkelheit, sog mit der Nase prüfend die Luft ein. Nein – nichts mehr! Wenn da jemand gewesen war, hatte er ihn abgehängt. Nun hochkonzentriert, alle Sinne ausgefahren, riechen, schmecken, hören, sehen, setzte er lautlos Wasser tretend seinen Lauf fort. Einen solchen Fehler durfte er sich nicht mehr leisten. Er musste das Rudel rechtzeitig warnen. Die Wölfe, und Canidae hätten ihm Recht gegeben!

Endlich sprang er mit tauben Beinen ans rechte Ufer, in den verharschten Schnee. Fast wäre er gestürzt, und mit den Hinterläufen zurück in den Bach gerutscht. Gerade noch rechtzeitig, fuhr er seine Krallen aus, und verankerte sie im Boden. Sekundenlang taumelnd, konnte er sich endlich wieder stabilisieren. Dann ließ er seinen Blick nach links wandern. Es war eher eine Felsenkette, die sich wie eine archaische Anlage, in einem kilometerweiten Rund durch den Wald zog. Zu regelmäßig angeordnet, um natürlich zu sein. Doch er hatte andere Probleme, als die Erforschung fremder Planetenkulturen.

„Dem weisen Canis sei Dank!“, flüsterte Csorkos, als er fünfzig Meter weiter, die kleine schmale Öffnung zwischen den Felsen sah, gerade noch groß genug um zwei Csorka, die eng nebeneinander standen durchzulassen, verdeckt von einem Csorkahohen Busch.

Lautlos schlich er näher an die Felsenöffnung heran. Nichts war zu sehen, und nichts war zu hören. Doch die csorkischen Wächter hatten ihn längst gerochen und gesichtet, und als befreundeten Artgenossen erkannt. Als er mit dem rechten Arm den Busch beiseite drückte und durch die Öffnung trat, winkten sie freundlich, mit gesenkten Lanzen.

Tief durchatmend blieb er seitlich hinter den Felsen stehen, und nahm das mittlerweile vertraute Bild auf. Hier war alles wie immer. Willkürlich verstreute, moosige Felstrümmer, meterhoch. Vor Urzeiten wohl von Wind und Regen soweit ausgewaschen, das sich riesige Höhlen in ihnen gebildet hatten, in denen man wohnen konnte. Dazwischen Grasland und vereinzelte Bäume. Das Ganze wirkte wie ein vernachlässigter Garten.

Im Hintergrund auf einem hundert Meter weitem Areal war das Grasland verkümmert, die Bäume gerodet, und Trümmer und Felsblöcke weg geräumt worden. Dort stand wie ein überdimensionaler, grauer Vogel, der seine Schwingen prüfend zum Flug ausbreitet, das Schiff. Nur noch wenige Tage, dann würden sie wieder damit starten – und endlich diesen verdammten Planeten, und seine „freundlichen“ Bewohner verlassen.

Die kleine Schar der Csorkas hatte bei seiner Ankunft ihre Lagerfeuer vor den Wohnhöhlen verlassen, und ihre Arbeit am Schiff, und in dem kleinen, angelegten Garten niedergelegt, und waren mitten auf dem freien, grasigen Platz zusammengeströmt. Schweigend standen sie da, zusammen mit den Wölfen und erwarteten ihn. Aufregung, Nervösität lag in der Luft. Aus ihrer Mitte kam ihm ein groß gewachsener, breitschultriger Csorka entgegen geschritten. Sein weißer Fellstreifen war in dem übrigen Fell kaum noch auszumachen. Doch seine Schritte waren noch immer agil, seine Reißzähne, scharf und glänzend. Die gelblichen Augen funkelten wie Glas. Dunkel knurrend zog er seine Lefzen zurück.

„Hallo Csorkos! Gut das du zurück bist! Aber es ist etwas geschehen – nicht wahr? Dein Zorn und dein Entsetzen wehen mich an! Wo sind die anderen? Wo ist eure Jagdbeute, und vor allen Dingen wo ist meine Schwester?“

„Lupon!“, das war alles was Csorkos herausbrachte, dann wurde ihm schwarz vor Augen, die Anstrengung der letzten Stunden, und das Entsetzen übermannte ihn.

Das erste was er wieder spürte war das kurze Gras der Lichtung, wohlige Wärme auf seinem fast zu Eis gefrorenen Fell. In seinen Ohren ein vertrautes Prasseln. Zögernd öffnete er seine Augen, Funken – Licht, Farben, glitten über seine Netzhaut, setzten sich schließlich zu einem Bild zusammen. Lupons schmales Csorkagesicht, beugte sich über ihn. Sein Arm hob Csorkos Nacken und Schultern an, richteten ihn auf, und stabilisierten ihn. Bis er schließlich wieder genug Kraft hatte um selber zu sitzen. Ein anderer Csorka, reichte ihm einen Becher aus Holz mit irgendeinem Kräutertee. War das der kleinwüchsige Wlaso? Sein zweiter wissenschaftlicher Assistent? Nur langsam klärte sich seine Wahrnehmung, kam sein Erinnerungsvermögen wieder, und damit der Schmerz und das Entsetzen. Mit bebenden Lippen, und zitternden Händen starrte er in Lupons blasses Gesicht.

„Was ist geschehen?“ grollte Lupon kehlig, packte ihn und bohrte fast seine Krallen in seine Schultern. „Reiß dich zusammen Csorkos! Was – ist – geschehen? Mach endlich deinen Fang auf!“

„Die Wölfe“ – stieß Csorkos hervor – „Canidae – alle tot!“ Tränen rollten ihm aus den Augen, rollten die Wangen hinunter, und tropften in das kurze Körperfell

Von einer Sekunde zur anderen schien auch noch der letzte Rest von Farbe aus Lupons dunklem Gesicht zu weichen. Die Augen zogen sich zu gelblich leuchtenden Schlitzen zusammen. Seine Stimme war scharf, wie einen Peitschenknall.

„Wie ist das passiert Csorkos? Wie konnte das passieren?“

Schon längst, hatte sich ein Kreis um ihn und Lupon, und den kleinen Wlaso gebildet. Alle Csorkas und das gesamte Wolfsrudel, versammelten sich um sie

Tief durchatmend, den eigenen Schmerz und das Entsetzen beiseite drängend, fing er stockend an zu erzählen.

 

Als er seine Erzählung beendete, sprang Lupos auf „Diese Barbaren, diese Dämonen!“, bellte er als Csorkos seine Erzählung beendete. Er lief in großen Schritten hin und her, fuhr seine Krallen aus und wieder zurück. Wie ein Drachenkamm, sträubte sich sein Fell. Im Hintergrund des Feuers, einen äußeren Schutzkreis um Lupons Wohnhöhle bildend, heulten die etwa zwanzig Wölfe, ihre Köpfe, ihre Blicke auf den Mond dieser Welt gerichtet – ein Klagelied. Schaurig und herzzerreißend.

„Nein Canidae“, dachte Csorkos, „nein! Ich werde mich nicht lähmen lassen von dem Entsetzen und der Trauer! Du bist sinnlos, vollkommen sinnlos gestorben! Du und der kleine Welpe in deinem Leib! Jelenko, und seine drei Gefährten – wie sinnlos – auch ihr Tod! Lupon!“, stieß er laut hervor, während er sich entschlossen, aus der Hocke in den Stand brachte und dem Kommandanten sanft, mit eingezogenen Krallen die Hände auf die Schultern legte. „Wir sind es Canidae und den Wölfen, vor allen Dingen den Überlebenden hier schuldig das wir nicht in Agonie verfallen! Wir müssen starten Lupon! Das Schiff ist schon seit gestern Abend bereit! Wir haben die Checks erledigt. Sogar den Zeitmanipulator konnten wir reparieren!“

Grimmig zog Lupon seine Lefzen nach oben und bleckte sein Gebiss! „Du hast Recht! Was also hält uns noch auf nicht wahr? In wenigen Stunden Csorkos, in der Morgendämmerung-!“

„Nein Kommandant!“ Csorkos griff hart nach Lupons Handgelenk – „jetzt! Wir müssen jetzt starten. Alle hier sollten die nötigsten Gegenstände zusammenraffen, und sofort ins Schiff gehen!“

„Sind sie dir gefolgt Csorkos?“

„Ich weiß es nicht Lupon! Ich habe bei meiner Flucht einige seltsame Geräusche gehört, schwache Gerüche sind in meine Nase gedrungen. Ich weiß einfach nicht ob ich sie wirklich abgehängt habe.“

Die nächsten Minuten, hämmerten sich für ewig in Csorkos Gedächtnis ein. Immer wieder, sah er Lupon den Kopf heben, sah wie er seine Blicke über die versammelten Csorkas schweifen ließ. Lupons Fang öffnete sich, doch die Worte die er sagen wollte, verließen nie seine Kehle.

Denn in diesem Augenblick, begann das Geheul der Wölfe!

Zornig und warnend, jämmerlich und klagend! Schließlich ein jaulendes, ohrenbetäubendes Gebell! Csorkos wandte den Kopf alarmiert, zum Eingang des Steinwalls. Die Wächter lagen am Boden, Pfeile in ihrer Brust. Gepanzerte, in Eisen gepackte Wesen auf Springtieren quollen durch den Eingang. In einer unübersehbaren Zahl. Zähnefletschende Wölfe sprangen an ihnen hoch, wurden noch im Sprung von Pfeilen durchbohrt, jaulend vor Schmerz schlugen sie zurück auf den Boden, und regten sich nicht mehr.

Der Vorgang dauerte keine Minute. Csorkos hörte hinter sich einen dumpfen Knall, überraschtes Gurgeln. Auf der Stelle wirbelte er herum. Der Kommandant lag auf dem Boden. Die gebrochenen Augen weit aufgerissen. Die ausgefahrenen Krallen, zeigten nutzlos gegen den Himmel. Ein Pfeil steckte in seiner Brust.

„Lupon!“, Csorkos keuchte vor Schrecken. Doch es blieb ihm keine Zeit für Trauer und Entsetzen. Die Csorkas und Wölfe um ihn herum waren in Auflösung begriffen.

Bevor sie begriffen was hier überhaupt passierte wurden sie eingekreist, ging ein Hagel von Pfeilen auf sie nieder. Schreie, heiseres ersterbendes Bellen, das helle, schmerzliche Quietschen der Welpen, geisterte durch sein gemartertes Hirn.

Brennender Schmerz, vom linken Ohr abwärts, bis hinunter zum Fang. Neben ihm stöhnte, Wlaso. Instinktiv ließ Csorkos sich fallen, und zog mit einem Arm seinen Assistenten mit sich.

Zischend zog ein Pfeil über sie hinweg, und landete irgendwo in der Landschaft.

Dämonen waren sie, diese Wesen auf ihren hochbeinigen Springtieren. Ihre Stimmen nur Zorn, und Flüche und Hass. „Luzifer!“, schrieen sie. „Luzifer! “ Es war das einzige Wort was er identifizieren konnte. Was bedeutete das? War das ihr Dämonengott für den sie kämpften?

Csorkos hob den Kopf, sah die sterbenden Csorkas, spürte die Panik die sich breit machte. Sein Blick streifte Lupons Wohnhöhle. Nein – dort wären sie verloren! Aber was war das? Was hatte der unglückliche Kommandant da in den Klauen? Hastig bückte er sich und entwand das Ding Lupons steifen Händen! Ein Desintegrator. Er hatte einen der wenigen Desintegratoren bei sich getragen. Doch sein Tod war zu überraschend gekommen. Ich werde ihn für dich abfeuern Lupon! „Ins Schiff!“, schrie er, „los, wir müssen ins Schiff!“

Tief Luft holend, sprang er auf und lies seine Zähne blitzen, stieß ein Brüllen aus seiner Kehle heraus, wie ein angreifendes mächtiges Raubtier und feuerte mit der Desintegratorpistole zweimal in die Luft. Mehr war nicht nötig.

Die Springtiere der Wesen, die sich Menschen nannten, fingen an zu scheuen, streckten ihre Vorderhufe hoch in die Luft, oder galoppierten in rasendem Tempo davon. Ihre nicht minder verängstigten Reiter schlugen hart auf dem Boden auf.

Es herrschte ein Chaos aus durchgehenden Huftieren, fluchenden, panischen, schreienden Soldaten.

Die Gunst der Situation ausnutzend, ließ Csorkos sich wieder auf alle Viere nieder, und preschte davon, wie ein überdimensionaler, vorsintflutlicher Wolf. Dicht hinter ihm rannte Wlaso, und das dezimierte Häuflein der anderen Csorkas und der Wölfe. Er hörte ihren hechelnden Atem, roch ihre vertrauten Ausdünstungen.

„Werwölfe!“, kreischten die Menschen, heiliger Christus! Die Werwölfe haben das Kreuz überwunden. Sie greifen an!“

Csorkos wusste nicht, was sie da brüllten. Es interessierte ihn auch nicht. Er sah sie auseinander springen und in panischer Angst die Flucht ergreifen. Doch einige folgten ihnen. Ihre Augen glühten fanatisch – oder war es nur das Licht der aufgehenden Sonne? „Seht nur!“, hörte Csorkos sie rufen. „Sie wollen verschwinden! Sie werden auf ihrem riesigen, schwarzen Teufelsvogel durch die Lüfte in die Hölle reiten!“ Sie waren nur noch fünf Meter von dem Schwingenschiff entfernt. Er sah seine nachtschwarzen Flügel im Mondlicht glänzen. Den Überrangscode des zweiten Kommandanten und Chefwissenschaftlers schon im Geiste parat, holte er noch einmal hechelnd Luft um den letzten Meter zum Schiff mit einem Satz zu überwinden. „Csorkos! Verdammter Mist! Der Zeitmanipulator“, stieß Wlaso hervor. „Wir konnten den Zeitmanipulator noch nicht einbauen! Aber – ja das müsste gehen!“

Zwanzig Meter vom Schiff entfernt, geschützt durch einen sorgfältig gebauten, hölzernen Überbau, lagerte eine ein Meter hohe Säule, deren metallisch glänzende Hülle, mit blinkenden Sensorfeldern überzogen war. Nur Csorkos, Wlaso und Lupon, kannten das Innenleben des Zeitmanipulators.

Csorkos sah Wlaso nach links ausscheren, Haken schlagend, sich vorbeischlängelnd an wiehernden Pferden, und zur Seite spritzenden Menschen. Knurrend und Zähne bleckend wie ein csorkasischer Dämon.

„Wlaso, komm zurück! Was machst du da? Wlaso sie werden dich töten!“ Hirnloser verwachsener Idiot! Die Menschen würden nicht ewig auf ihre Dämonenfratzen hereinfallen. Sie würden sich wieder darauf besinnen, dass diese „Bestien“, durchaus sterblich waren!

„Ich komme zurück!“, schrie Wlaso. „Flieht endlich ins Schiff, ihr hirnlosen Fellträger!“ Dann trat Wlaso mit aller ihm zur Verfügung stehenden Kraft, die Türe ein, stürmte in den Raum.

Schlagartig kapierte Csorkos, was der Kleine wollte, gleichzeitig wusste er auch das Wlaso log. Aber es gab keinen anderen Ausweg mehr.

Endlich überwand er mit einem Sprung die verbliebene Distanz zum Schiff und landete unter den ausladenden Flügeln. In wenigen Sekunden stand er am runden Bauch des Schiffes. Hastig tippte er in ein Sensorfeld rechts neben dem Schott seinen Code ein. Leise summend öffnete sich nach oben größer werden eine Einstiegsluke, gleichzeitig schob sich eine schmale Gangway hinunter bis auf den Boden.

Csorkos ließ den kleinen Trupp Csorkas an sich vorbeiziehen. Sogar die wenigen übrig gebliebenen Wölfe sprangen über die Gangway in das Schiff hinein. Nichts konnte ihnen jetzt mehr Angst machen. Wie durch nichts zu schreckende Dämonen, sah Csorkos einen kleinen Reitertrupp heranpreschen. „Folgt ihnen notfalls in die Hölle!“, schrie einer der Gepanzerten und gab seinem Pferd die Sporen. „Für Gott und den Fürsten!“ Hastig verschwand Csorkos über die Rampe und kletterte durch die Einstiegsluke. Noch einmal warf er einen Blick über die Schulter. Bedrohlich schreiend, galoppierten die Menschenwesen heran. „Weiser Canis, was ist das bloß für ein Gott, in dessen Namen sie Lebewesen bestialisch töten?“ Von Wlaso war nichts mehr zu sehen. „Danke Wlaso“, murmelte Csorkos, und spürte das Fell um seine Augen nass werden. Jetzt zog er sich endgültig in den verkleinerten Forschungsraumer zurück, und betrat über den schmalen Gang die Zentrale. Jeder war auf seinem Posten, jeder wusste was er zu tun hatte. Die paar Wölfe hatten sich jaulend in eine Ecke gedrängt.

Csorkos jetzt der erste Kommandant, saß wie die anderen angeschnallt in seinem Sessel. Das Eingangsschott war geschlossen – und kein Lebewesen würde hier hereinkommen, außer wenn er es wollte. Gebannt starrte er auf die Bilder der Außenbordkameras. Mit finsteren Blicken stoppten die Reiter ihre Pferde vor dem geschlossenen Schott. Im Hintergrund schien hölzerne Überbau des Zeitmanipulators plötzlich von innen heraus zu glühen, sich auszudehnen, und wieder zusammenzuziehen. Als wenn die Säule atmen würde. Die Holzplanken fingen krachend Feuer, doch bevor die Hütte in ein tosendes feuriges Inferno aufgehen konnte, wurde die Türe wieder aufgestoßen, hustend, stolperte Wlaso heraus. Die leuchtend, pulsierende Säule in der rechten Klaue, wie eine Monstranz vor sich hertragend, rannte er schließlich mit wütendem Gebell durch die Masse der gepanzerten Reiter. Angstvoll schreiend, begleitet durch das panische Wiehern der scheuenden Pferde, spritzten die bis dahin fanatisierten, furchtlos wirkenden Menschen zur Seite, wurden abgeworfen und durch die Luft gewirbelt. Wlaso ließ sie alle hinter sich und verschwand plötzlich unter dem Bauch des Schiffes. Csorkos hatte bis zum letzten Augenblick gewartet, doch jetzt reckte er den Daumen in die Höhe. Der Pilot verstand ihn sofort und leitete den Start ein. Sekunden später brüllten die Triebwerke auf. Die Menschen, die sich noch in der Nähe des Schiffes aufhielten wurden vom Feuerausstoß der Antriebsdüsen erfasst. Entsetzt erwartete Csorkos das sie verbrannten und zu Asche verglühen würden. Aber nichts von dem geschah. Das Feuer erreichte sie gar nicht mehr Sie lösten sich auf. In kürzester Zeit. Die nunmehr weißglühende, metallene Säule wurde sichtbar. Die Außenbordkameras zeigten Wlasos gedrungenen, wie zusammengestaucht wirkenden Körper durch die Luft springen, den Zeitmanipulator in den Krallen, landete er mit ausgestreckten Armen an der Unterseite einer stählernen Schwinge. Csorkos schien es, als ob Wlaso von weißglühendem Licht übergossen, in die Säule hineingezogen würde. Selber nur noch ein bläulich-weißer Schemen. Die Arme erhoben gegen den Himmel, hörte er die helle Stimme in seinem Kopf.

„Ich durchstoße die Zeit! Ich bin Zeit! Ich fliege durch die Ewigkeit. Wir sehen uns Csorkos!“ Das bläulich/weiße Glühen, erfasste die Menschenwesen und ihrer Tiere, erfasste den toten Körper Lupons, übergoss die gefallenen Csorkas, verwandelte alles zusammen in Quanten der Zeit und des Lichts, und der Information, erreichte endlich das Schiff, packte es und wirbelte es davon in einem Sturm.

Und wieder hatte Csorkos das Gefühl, das ungeheure Gewalten seinen Körper zusammendrückten, Sekunden später jedes Atom einzeln auseinander zogen, komprimierten…Das gesamte Schiff schien ein immer währendes, implodierendes und wieder auseinanderdriftendes Universum zu sein!

Und schlagartig war es vorbei. Als sei es nie anders gewesen, erschienen auf dem Schirm des Bordcomputers die glühenden Lichter des Weltalls.

Erste Meldungen kamen herein, Daten, Positionsbestimmungen, Sternensysteme, Csorkassasystem!

Csorkos Wahrnehmungen waren noch gedämpft, seine Sinne kämpften sich gerade wieder nach oben, da schlug plötzlich das Funkgerät an. Die Bilderfassung zeigte einen schmalen Csorka mit hellbraunem Fell, in der dunkelblauen Montur der csorkasischen Funk- und Orterstationen. Grinsend mit hochgezogenen Lefzen, und blitzendem Gebiss sprach er sie an.

„Willkommen zurück Csorkos. Ihr seht etwas mit genommen aus. Lupon ist vom Übergang wohl noch etwas außer Gefecht gesetzt – was?

„Was will diese lahme Pfote von mir?“, dachte Csorkos mühsam.

Der Csorka plapperte weiter, bevor Csorkos ihm antworten konnte. „Wo habt ihr die Canis-Lupus I geparkt? Wieso kommt ihr mit diesem Beiboot? Aber egal, das könnt ihr nachher erklären. Erst einmal herzlichen Glückwunsch!“

„Wozu?“, krächzte Csorkos endlich.

„Na euer Experimentalflug ist doch geglückt. Ihr seid nach exakt fünf Minuten csorkasischer Zeitrechnung wieder aufgetaucht.“

 

 

Nach oben

Platzhalter

Disclaimer

Die Charaktere dieser Geschichte, sowie alle Handlungen sind geistiges Eigentum des Autors. Alle Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen, Orten oder Handlungen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt. Der Autor verfolgt kein kommerzielles Interesse an der Veröffentlichung dieser Geschichte.

Freigabe zur Weiterveröffentlichung besteht, soweit vom Autor nicht anders angegeben nur für "FantasyGuide.de". Für alle weiteren Veröffentlichungen ist die schriftliche Zusage des Autors erforderlich.


Platzhalter
Platzhalter
Erstellt: 21.04.2011, zuletzt aktualisiert: 23.02.2019 14:08, 11734