Das Haus der Wünsche (Autor: Rudyard Kipling; Die Bibliothek von Babel Bd. 13)
 
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Das Haus der Wünsche von Rudyard Kipling

Reihe: Die Bibliothek von Babel Bd. 13

Rezension von Oliver Kotowski

 

Rezension:

Das Haus der Wünsche ist der dreizehnte Band der Bibliothek von Babel, einer von J. L. Borges herausgegebenen Reihe zur Phantastik. Enthalten sind fünf kurze Erzählungen von Rudyard Kipling. Die Geschichten sind 1924-1926 veröffentlicht worden, sieht man von Ein Krieg der Sahibs ab, die bereits 1904 erschienen war. Sie sind recht unterschiedlich, doch alle verwenden jeweils ein Wunder. Dieses wird aus unterschiedlichen Gründen die Welt der Protagonisten nicht verändern.

 

Zu den Geschichten im Einzelnen:

Das Haus der Wünsche (33 S.): Nach langer Zeit treffen sich die beiden alten Freundinnen wieder. Es gibt viel zu klatschen. – Sind die Pfarrgehilfinnen nicht alle gleich? Spielen sich auf wie Hochkirch-Nonnen. – Die Jungs von heute sind keinen Deut besser als vor vierzig Jahren. Immer nur nehmen und nehmen, aber nichts geben – und wir müssen uns damit abfinden! – Schließlich kommt man auf das Verhältnis von Henry und Grace zu sprechen; sie war ihm ergeben, ja, ist es noch immer, aber er kehrte zu seiner Mutter zurück. Als er schwer erkrankt, ist sie bereit zum Haus der Wünsche zu gehen und ein großes Opfer zu bringen.

Der Erzählstil fängt hervorragend den Duktus zweier alter Klatschbasen ein. Es handelt sich um eine eigentümlich zurückhaltende Wundergeschichte: Hinter unaufgeregten Langmut und Alltagsbanalitäten verschwinden das Wunder der Liebe, der Opferbereitschaft und eines perfiden Sündenbock-Zaubers. Damit erinnert die Geschichte in gewisser Weise an Julio Cortázars Das besetzte Haus (in: Argentinische Erzählungen); dort nehmen die Protagonisten das Wunder ebenfalls nicht zur Kenntnis.

Ein Krieg der Sahibs (32 S.): Der Inder Umr Singh erklärt einem misstrauischen Engländer, wie er als Sikh nach Afrika gelangte – sind doch Sikhs zu stolz um als Diener zu arbeiten. Das war bei Singh etwas anders, da er als junger Mann eine enge Beziehung mit dem Engländer Kurban eingegangen war: Kurban nannte ihn "Vater", Singh nannte ihn "Kind" – wenn kein anderer anwesend war. Als in Afrika der Buren-Krieg ausbrach, meldete Kurban sich krank und ging nach Afrika um mitzukämpfen; Singh folgte ihm als Diener, da anderes nicht möglich war. So nahmen die beiden am Krieg der Narren teil.

Eigentlich ist es nichts weiter, als eine kleine, leicht tragische Kriegserzählung, doch erzählt wird sie streng aus der Perspektive des Ich-Erzählers Singh, eines stolzen Rassisten und grausamen Soldaten: Heute wäre er ein Kriegsverbrecher. Diese Mentalität wird bis zum Sprachduktus hervorragend nachgeahmt. Ein übernatürliches Element tritt kurz auf – die Erzählperspektive lässt sie formal der todorovschen Phantastik angehören.

Eine Madonna im Schützengraben (30 S.): Nach dem 1. Weltkrieg steigt die Mitgliederzahl der Instruktionsloge massiv an – viele der Neuen leiden unter seelischen Störungen. Ein gewisser Strangewick gehört dazu. Im Krieg war er Meldegänger, der Befehle vom Stab in die Schützengräben brachte. Er erlitt damals einen Zusammenbruch. Anscheinend war die Schlächtergasse der Auslöser: Unter den Laufstegen waren die Leichen französischer Soldaten gestapelt. Wenn die Bretter morsch waren, trat man auf die ledrigen, fauligen Toten, und im Frost gefroren sie, so dass es ein abscheuliches Knacken gab. Der Arzt Keede glaubt jedoch, dass Strangewick etwas verbirgt. Hängt es mit dem Tod Feldwebel Godsoes zusammen? Strangewick hatte ihn als letzter lebend gesehen und war kurz darauf zusammengebrochen.

Aufgrund des regressiven Aufbaus und des Rätsels um den Zusammenbruch ist es eine Kriminalgeschichte vor dem Hintergrund des Krieges. Der Titel scheint zunächst irreführend zu sein, greift aber in der Tat mit beißender Ironie das Wunder der Geschichte auf; die Anspielung auf die Engel von Mons aus Arthur Machens The Bowmen deutet bereits die Richtung an.

Das Auge Allahs (37 S.): Johann Otho kehrt ins Kloster St. Illod aus Spanien zurück, wohin er gereist war um sich für künstlerische Teufels-Darstellungen zu inspirieren. Der Abt, eher ein Wissenschaftler als ein Priester, hat zwei berühmte Gäste geladen: Einen italienischen Arzt (der eine Anspielung auf Roger Frugardi sein könnte) und einen Oxforder Philosophen (der wohl eine Anspielung auf Roger Bacon ist). Man wendet sich später Johanns Bildern zu, vor allem den Teufeln, und ist überrascht ob deren Fremdartigkeit. Wie kam Johann dazu? Von einem Moslem erhielt er ein Gerät: "Das Auge Allahs". Mit ihm schaute er die Teufel – oder die Vorbilder dazu. Wie soll nun mit diesem Gerät verfahren werden?

Diese conte philosophique geht von einem Anachronismus aus und stellt die unterschiedlichen Umgangsweisen von Arzt, Künstler und Philosophen mit dem Fortschritt, aber auch das Aufeinanderprallen von Mittelalter und Renaissance dar.

Der Gärtner (20 S.): George, das schwarze Schaf der Familie Turrell, hinterlässt mit seinem Tod seiner Schwester Helen das Wohl und Wehe seines neugeborenen Sohns. Die nimmt dieses Erbe an, holt ihn von Indien nach England und lässt ihn auf den Namen "Michael" taufen. Sie entwickeln eine enge Beziehung – beinahe wie Mutter und Sohn. Als Michael in Frankreich von einer deutschen Granate getötet wird, erlebt Helen, wie man von den Mühlen der Verwaltung zu einem trauernden Angehörigen verarbeitet wird.

In drei knappen Episoden wird das Verhältnis zwischen Helen und Michael entwickelt; es ist eine Art Miniatur-Familiendrama, das mit einem kleinen Wunder in einer Ungleichheit der Beziehung gipfelt, die vorher schon angedeutet wurde.

 

Trotz ihrer oberflächlichen Divergenz gibt es einige strukturelle Ähnlichkeiten zwischen den Geschichten. Die Schauplätze sind zwar weit gestreut – England, Afrika, Frankreich, die Gegenwart, das Mittelalter – aber besonders viel Aufmerksamkeit wird ihnen nicht geschenkt. Dennoch kann der Leser sich die Situation immer sehr gut vorstellen, wozu auch die Figuren beitragen: Aus ihnen heraus wirkt das Setting als Milieu.

Ähnliches gilt für die Figuren. Sie sind alle zentrisch, sogar etwas typenhaft, aber die feste Verwurzlung im gut beobachteten und wiedergegebenen Milieu lassen sie nie uninteressant oder gar unglaubwürdig werden.

 

Die größten Unterschiede scheint es bei den Plots zu geben. Das Haus der Wünsche und Die Madonna im Schützengraben sind beides Wundergeschichten. In beiden tastet sich der Leser langsam an das Wunder heran. Während es beim Haus langsam von selbst herauskommt, aber von den Protagonistinnen nicht als solches erkannt wird, muss der Arzt in der Madonna die Wahrheit mühsam aus dem Zeugen herausholen, es quasi wie einen Granatsplitter aus ihm herauspulen. In beiden Fällen hängt das Wunder mit dem Thema Heilung zusammen – aber im Haus ist dieser Zusammenhang – mehr oder weniger – positiv, in der Madonna klar negativ. Der Krieg der Sahibs scheint in erster Linie ein Sittengemälde zu sein, bei dem die Mentalität der Sikhs dargestellt werden soll; das Sujet ist hier, wie schon in der Madonna, der Krieg. Der findet sich auch in Der Gärtner; doch hier geht es vielmehr um die Beziehung zwischen Kind und Adoptivmutter. In beiden Geschichten wirkt das Wunder nicht ganz stimmig. Wozu sieht im Krieg der Sikh das Wunder? Dem aufmerksamen Leser werden zunächst Hinweise zum Zweifel auffallen: Er ist krank und hat Opium konsumiert – keine guten Voraussetzungen für eine Vertrauens erweckende Beobachtungsgabe. Hier liegt es dann am Leser weiterzudenken: Was sagt das Wunder über den Sikh aus, wenn er es sich nur eingebildet hat? Im Gärtner wird dem Leser das Wunder nur auffallen, wenn er die (zugegeben offensichtliche) Vorausdeutung bemerkt hat. Damit wird das scheinbar aufgepfropfte Wunder fest eingebunden. Der Reiz liegt eher darin, dass die Zeugin – ähnlich wie im Haus – das Wunder nicht bemerkt. Auch hier liegt es am Leser weiterzufragen: Was sagt das über die Beziehung zwischen Adoptivmutter und Kind aus? Das Auge Allahs schließlich ist eine Uchronie: Ein Künstler bringt eine Erfindung mit, die ihrer Zeit voraus ist. Hier geht es einerseits um die verschiedenen Typen und deren Haltung zum Fortschritt, andererseits um den Unterscheid zwischen dem Zeitgeist des Mittelalters und dem der Renaissance – aus Sicht der Renaissance, natürlich. Das Auge sticht somit am deutlichsten aus der Sammlung heraus.

Allen Geschichten gemein ist die betuliche Herleitung; diese macht das Wunder quasi real, der Leser braucht zumeist einen Augenblick um sich der Tragweite des Geschehens bewusst zu werden – und dann bietet sich ihm Anlass, nicht nur über das gebotene Wunder, sondern auch über die Wahrnehmungen und Rationalisierungen des Menschen nachzudenken. Damit geraten einige Geschichten, wie z. B. Das Haus der Wünsche, in die Nähe des magischen Realismus. Dieses ist neben der treffenden Beschreibung der Situation dann auch die Hauptspannungsquelle. Wer bei den vielen Kriegsschauplätzen nun auf handfeste Action hofft, wird gewissermaßen enttäuscht. Zwar gibt es Kämpfe und Tote, doch die kommen plötzlich: Eben noch war alles ruhig, dann ein Schuss aus dem Hinterhalt oder eine Granate und jemand stirbt. Kalt, unpersönlich und willkürlich scheint der Tod zu sein. Das trifft wohl die Erfahrungen der Soldaten, ist aber nicht spannend.

 

Erzähltechnisch sind die Geschichten eher konservativ, aber vom Erzählrhytmus her treffend; hier sei nur kurz an den Sprachduktus aus Das Haus der Wünsche oder Der Krieg der Sahibs erinnert.

 

Fazit:

Ob Londoner Klatschbasen, Buren-Krieg in Afrika, der 1. Weltkrieg in Frankreich oder Klosterbrüder des Mittelalters – es geht immer darum, wie Menschen mit einem Wunder umgehen. Diese Wunder sind nicht schrill, sondern in ihrem Auftritt beinahe Alltäglich - ihre Kraft entfalten sie erst, wenn man sich Gedanken über die Ereignisse macht. Wer den Sinn einer Geschichte nicht auf dem Silbertablett serviert bekommen will, wird mit der Sammlung Das Haus der Wunder einen weiteren interessanten Aspekt der Phantastik erforschen können.

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Oje, das hat nicht geklappt, Elfenwerk! 20240425015502b25e5ec9
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Titel: Das Haus der Wünsche

Reihe: Die Bibliothek von Babel 13

Original: Ohne Angabe

Autor: Rudyard Kipling

Übersetzer: Eike Schönfeld

Verlag: Edition Büchergilde (September 2007)

Seiten: 166-Gebunden

Titelbild: Bernhard Jäger

ISBN-13: 978-3-940111-13-5

Erhältlich bei: Amazon


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Erstellt: 04.04.2008, zuletzt aktualisiert: 18.04.2024 09:19, 6245