Druckversion: Das letzte Buch (Autor: Zoran Živković)

Das letzte Buch von Zoran Živković

Rezension von Oliver Kotowski

 

Rezension:

Vera Gavrilović, die Inhaberin des "Papyrus", ruft den Notarzt und die Polizei, denn in ihrer Buchhandlung war noch nie jemand gestorben. Wie verhält man sich da? Kriminalkommissar Dejan Lukić beruhigt sie: Der Arzt geht von einer natürlichen Todesursache aus, vermutlich ein Herzinfarkt. Alles kann normal weitergehen. Pathologe Dimitrijević vermeldet allerdings ein seltsames Ergebnis: Die Todesursache ist unbekannt. Kein Herzinfarkt. Aber so lange nicht mehr derartige Tote auftauchen, kann man wohl nichts unternehmen. Dann ruft Fräulein Gavrilović erneut an: Wieder eine Tote. Leichte Panik schleicht sich in ihre Stimme. Bloß ein Zufall? Lukić kommt ins Grübeln. Doch vorerst beruhigt er die Buchhändlerin – bestimmt kann alles normal weitergehen. Die beiden – Vera und Dejan – kommen sich unterdessen näher, schließlich hatte der Herr Kommissar Literaturwissenschaft studiert. Zusammen machen sie sich daran die rätselhaften Todesfälle aufzuklären – denn bei zweien wird es nicht bleiben.

 

Die rätselhaften Tode ereignen sich in einer großen serbischen Stadt, die gut Belgrad sein kann. Doch abgesehen von einem generellen Großstadtgefühl ist die Verortung nicht weiter wichtig. Das Setting ist allerdings firm in der Moderne eingebunden: Handys, Terrorismus-Verdacht und Telefonüberwachung sind integral in den Plot eingebunden. Wer akzeptieren kann, dass bei Metropolen eher die kosmopolitischen Gemeinsamkeiten als die nationalen Eigenheiten im Vordergrund stehen, wird hier ein beiläufig, aber präzise entwickeltes Milieu vorfinden; es wird eigentlich nur in der Haltung und den Handlungen der Figuren spürbar.

Bei der Frage nach dem phantastischen Element heißt es schleichen, nämlich um den heißen Brei herum: Zum einen ist die Frage eng mit der Auflösung verbunden und es soll natürlich nicht zuviel verraten werden, zum anderen entzieht sich jenes Element einer einfachen Zuordnung. Der Klappentext nennt es "postmodern" und ganz zweifellos ist der Roman nicht mimetisch. Zwar gibt es Anklänge an 'normale' Fantasy (hier fallen mir spontan zwei Werke ein, die allerdings ungenannt bleiben sollen; nur soviel: Wer die international berühmten Werke deutscher Fantasy-Autoren kennt, wird vom Clou der hier rezensierten Geschichte nicht ganz so überrascht sein), aber der sehr realistische Stil und der Krimi- bzw. Thriller-Plot machen es extrem schwer diesen krassen Bruch mit der Realität mit Übernatürlichem in Verbindung zu bringen. Da geht es eher in Richtung Superstring-Theorie und SF; passt aber wieder nicht so recht, weil es keine (pseudo-)wissenschaftlichen Erläuterungen gibt. Obwohl es also weder Fantasy bzw. SF noch realistische Literatur zuzuordnen ist, fällt es auch nicht in den Bereich der todorovschen Phantastik, da das Moment der Unschlüssigkeit fehlt. Es erinnert am ehesten an Texte des Magischen Realismus, doch da es sich nicht um ein anderes Lebensgefühl, sondern um eine intellektuelle Spielerei geht, ist "postmodern" vielleicht am treffendsten.

 

Dejan Lukić, der Kriminalkommissar, ist nicht nur der Ich-Erzähler, er ist auch die zentrale Figur. Er hatte Literaturwissenschaft studiert, aber dann keinen Job in diesem Berufsfeld bekommen. Dafür hatte er was bei der Polizei gefunden und so ist der intellektuelle Literaturliebhaber zum Staatsdiener geworden. Dem Staat und der Polizei steht er mit gemischten Gefühlen entgegen: Einerseits hegt er eine für Akademiker übliche Abneigung wie auch ein Misstrauen gegenüber den staatlichen Schnüfflern, andererseits gehört er jetzt irgendwie selbst dazu. So versucht er das Beste aus der Sache zu machen: Ohne ein Karrierist oder Streiter für Recht und Ordnung zu sein will er einen anständigen Job machen. Dass er sich dabei nicht immer an Gesetze oder Anordnungen hält, versteht sich von selbst. Er verliebt sich in die andere wichtige Figur: Vera Gavrilović, die sich übrigens auch in ihn verliebt. Literatur ist ihre Leidenschaft – sie hatte gehoffte dieser mit dem "Papyrus" gewinnbringend nachgehen zu können. Stattdessen ist sie eine Kauffrau geworden. Aber genau wie Lukić will sie einen anständigen Job machen. Die Mittdreißigerin ist ein Durchschnittsmensch, auch wenn sie hübsch und humorvoll ist. Diese beiden sind die detailreichsten und vielschichtigsten Figuren, doch auch die anderen – Olga Bogdanović, Veras Geschäftspartnerin, Doktor Dimitrijević, der Gerichtsmediziner, und Hauptkommissar Milenković vom Amt für Nationale Sicherheit um nur ein paar zu nennen – sind keineswegs flache Typen.

 

Der Plot lässt sich als recht gradliniger Mystery-Thriller beschreiben: Es gibt rätselhafte Tote in einer Buchhandlung, denen der Ermittler nachgeht. Dabei muss er sich mit dem Geheimdienst, einer Sekte und der eifersüchtigen Geschäftspartnerin seiner neuen Freundin auseinandersetzen. Dabei gibt es einige naheliegende Spannungsquellen, wie die generelle von den ungeklärten Todesfällen und dem mysteriösen Verhalten des Geheimdienstes ausgehende Bedrohung, akute sich in Aktion-Szenen manifestierende Bedrohungen und natürlich die Rätsel, sowie weniger naheliegende Spannungsquellen, wie die humorvollen Dialoge, die sich vor allem zwischen Dejan und Vera bzw. Olga entspinnen.

Das Ende kann allerdings meines Erachtens die aufgebauten Erwartungen nicht sauber auflösen; es wirkt ein wenig überstürzt und unrund. Da der Plotfluss nicht anders als "rasant" bezeichnet werden kann, fällt dieses nur begrenzt ins Gewicht.

 

Erzähltechnisch ist der Roman relativ unauffällig, aber keineswegs mittelmäßig. Ich-Erzähler Lukić entwickelt die progressiv einem Strang folgende Geschichte. Der Stil ist – wie der Erzähler selbst – ironisch-spöttisch und geschliffen; er ist angemessen für den Literaten. Der Plotfluss wird seinethalben nie beeinträchtigt.

Živković verwendet nicht nur viele gewitzte Dialoge, sondern auch einige Anspielungen – Umberto Ecos Im Namen der Rose ist da nur eine, wenn auch gewichtige – und andere Stilmittel wie Vorausdeutungen usw.; vor allem bedient er sich sehr beiläufig postmoderner Mittel, die sich im gewitzten Spiel mit dem Stoff niederschlagen.

 

Fazit:

Nach der zweiten Leiche in der Buchhandlung gerät die Inhaberin Vera Gavrilović in Panik und Kommissar Dejan Lukić ins Grübeln: Ist das ein seltsamer Zufall, sind es wirklich irre Terroristen oder steckt was ganz anderes dahinter und was hat der Geheimdienst damit zu schaffen? Zoran Živković zeigt mit diesem humorvollen postmodernen Mystery-Thriller, dass spannende Unterhaltung und ein literarischer Stil keineswegs unvereinbare Gegensätze sind. Leider fehlt es am Ende ein wenig an Originalität, sonst würde kein Makel den Spaß trüben. Nichtsdestotrotz ist Živković ein Autor, den Freunde des Slipstreams unbedingt im Auge behalten sollten.

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Oje, das hat nicht geklappt, Elfenwerk! 202403291504472e8fb93e

Titel: Das letzte Buch

Reihe: -

Original: Poslednja knjiga (2007)

Autor: Zoran Živković

Übersetzung: Aus dem Serbischen von Astrid Philippsen

Verlag: dtv (November 2008)

Seiten: 223 Broschiert

Titelbild: Stephanie Weischer

ISBN-13: 978-3-423-21103-1

Erhältlich bei: Amazon

, zuletzt aktualisiert: 17.04.2023 20:56