Das rote Zimmer (Herausgeber: Klaus-Dieter Sedlacek; Erstaunliche Geschichten 1)
 
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Das rote Zimmer herausgegeben von Klaus-Dieter Sedlacek

Reihe: Erstaunliche Geschichten Band 1

 

Rezension von Matthias Hofmann

 

Ein interessantes Projekt hat Klaus-Dieter Sedlacek gestartet. Es heißt Erstaunliche Geschichten und ist eine Art Verneigung vor den alten Science-Fiction-Pulp-Magazinen. Wir erinnern uns: Das erste seiner Art war Hugo Gernsbacks Amazing Stories. Dessen erste Ausgabe erschien 1926 und markierte den Beginn der großen Ära der SF-Pulps in den USA. In den ersten Ausgaben brachte Gernsback eher unbekannte Geschichten von damals wie heute bekannten Autoren, wie z. B. H .G. Wells, Jules Verne oder Edgar A. Poe.

 

Diese Idee macht sich auch Sedlacek zu eigen. In jeder der ersten Ausgaben seiner im Selbstverlag veröffentlichten »Erstaunlichen Geschichten« soll eine Story von H. G. Wells zu finden sein. Geboten werden auch die alten Illustrationen und Titelbilder des Originals. Das Format ist mit 17 x 22 cm ungewöhnlich, aber im Maßstab zu klein, um nostalgische Pulp-Gefühle aufkommen zu lassen. Und natürlich sind die erstaunlichen Geschichten Sedlaceks auf besserem, sprich weißem, holzfreien, Papier gedruckt.

 

Die vorliegende erste Ausgabe zeigt deutlich die Problemstellen der Reihe. Ihr Konzept liegt zwischen dem eines Magazins und dem einer Anthologie-Reihe. So ist der Umfang mit weniger als 80 Seiten zu schmal für ein Buch und für ein Magazin fehlen sekundärliterarische Beiträge wie z. B. Rezensionen, Artikel oder natürlich ein Editorial. Stattdessen finden sich kurioserweise die Original-Teaser von Gernsback, die aus dem Zeitkontext gerissen, etwas merkwürdig wirken. In Zukunft sollten man lieber eigene Texte aufbieten, um zu zeigen, dass hier jemand mit redaktionellem Sachverstand die entsprechenden Geschichten ausgewählt hat.

 

Leider zieht sich eine gewisse Oberflächlichkeit durch die gesamte Publikation. Sämtliche Beiträge werden »nackt« präsentiert. Wenn sie schon nicht historisch eingeordnet werden, so fehlt zumindest die Angabe der Originaltitel und der Originalveröffentlichung. Nur so wirkt heutzutage eine Neuedition alter Texte seriös und überzeugt auch Fans des Genres und Puristen. Diese Leser- und Sammlergruppe wird nämlich benötigt, um eine solche Reihe wie »Erstaunliche Geschichten« zum Kauf- und Sammelobjekt zu machen.

 

Nach diesen Mangel befragt, entgegnet Sedlacek, dass er seine Publikation in erster Linie für sich selbst mache. Er mag die alten Pulpmagazine (wie übrigens auch Robert E. Howards Conan, den er mit schönen Pulp-Titelbildern ebenfalls neu herausbringt). So nimmt Sedlacek aus den Pulps was in der Public Domain, also gemeinfrei, ist, übersetzt es und stellt es als »Erstaunliche Geschichten« neu zusammen.

 

Aus meiner Sicht ist das zu kurz gedacht, denn eine solche Reihe hat durchaus Potenzial. Aber nur, wenn sie mit der nötigen Sorgfalt gemacht ist. Neben den Originalangaben fehlen auch Informationen zu Titelmotiv und Illustrationen. Hier meint Klaus-Dieter Sedlacek, dass Interessierte solche Informationen selbst recherchieren könnten, aber genau diesen Service müsste eigentlich die Publikation leisten. So wäre es seriös gewesen, den Namen Frank R. Paul, dem Zeichner des Titelbildes, im Impressum zu lesen. Nicht nur der Vollständigkeit halber, sondern auch aus Respekt vor dem Kreativen. Zwar hat Sedlacek das Motiv etwas manipuliert, unter anderem farblich verändert, und sieht sich selbst als Schöpfer des Titelbilds, aber natürlich dürfte auch ein Halbblinder die frappierende Ähnlichkeit zwischen dem Original und der »Hommage« erkennen.

 

Kommen wir zum Kernstück des ersten Bands von »Erstaunliche Geschichten«: den Geschichten. Ausgewählt wurden zwei Kurzgeschichten von H. G. Wells, eine von George Allan England und eine Erzählung von H. P. Lovecraft. Während Wells und Lovecraft bis heute populär sind, war es England nur zur Lebzeiten, und auch nur in den USA.

 

G. A. England ist mit Das Ding von – "Draussen" vertreten, ein Beitrag aus der Debütausgabe von »Amazing Stories«. Für die Lektüre ist es, laut dem kurzen Textintro, »notwendig, beim Lesen die eigene Vorstellungskraft zu benutzen.« Es ist die einzige Geschichte in dem Band, die auf Deutsch noch nicht mehrfach veröffentlicht wurde.

 

Von Wells sind in Deutschland besonders die zur Weltliteratur zählenden Romane wie Die Zeitmaschine oder Krieg der Welten bekannt, weniger diese Kurzgeschichten. Im Band heißt es, dass in dieser Reihe »zahlreiche« von Wells’ Geschichten in »erstmaliger« Übersetzung erscheinen würden. Die titelgebende Kurzgeschichte Das rote Zimmer aus dem Jahr 1894 erschien allerdings schon mehrfach auf Deutsch, so z. B. 1974 in VAMPIR Taschenbuch 4 (Exklusive Alpträume) und viele weitere Male in Wells-Sammlungen bei Zsolnay, Ullstein oder Gruselanthologien wie Ravensburgers GeisterHausBücher. Plus: Sie erschien zuletzt vor nicht einmal zwei Jahren 2018 zum zweiten Mal beim Festa Verlag in der Anthologie Lovecrafts dunkle Idole.

 

»Das rote Zimmer« ist insofern bemerkenswert, dass es sich hierbei um eine Geistergeschichte handelt, also um ein Genre, welches nicht so typisch für H. G. Wells ist.

 

Auch die zweite Geschichte von Wells wurde bereits vielfach auf Deutsch veröffentlicht. Die SF-Geschichte aus dem Jahr 1901 über ein Elixier, das die Wahrnehmung und Aktivität eines Menschen um ein vielfaches beschleunigt, sodass die Welt um ihn herum so langsam erscheint, als wäre sie eingefroren, findet sich in der mehrfach neu edierten Wells-Sammlung Das Kristall-Ei, aber auch in Anthologien wie Die besten klassischen Science-Fiction-Geschichten (Diogenes) oder Wege zur Science Fiction Band 3: Von Wells bis Stapledon (Heyne). Die Geschichte heißt übrigens im Original The New Accelerator. In Sedlaceks Übersetzung wird daraus Der neue Nervenbeschleuniger. Das ist einigermaßen kurios, da sich die Übersetzungen in diesem Band in der Regel sklavisch und eher unbeholfen an das englische Original klammern. Aber das ist auch symptomatisch für die gesamte Übersetzungskunst, wie man sehr gut am Lovecraft-Text sehen kann.

 

H. P. Lovecrafts Die Farbe aus dem All erschien erstmals in der Debütausgabe von »Amazing Stories« und zählt zu seinen besten Geschichten. Sie ist insofern brandaktuell, da sie erst 2019 von Richard Stanley mit Nicolas Cage in der Hauptrolle fürs Kino verfilmt wurde. Dem deutschen Filmstart im März 2020 machte allerdings die Corona-Krise einen Strich durch die Rechnung.

 

Einen Autor wie Lovecraft, der vor allem im Magazin Weird Tales zu Hause war, und bis heute unzählige Male nachgedruckt und neuübersetzt wurde, in den ersten Band hineinzunehmen, wäre vielleicht trotzdem zu akzeptieren, wenn wenigstens die neue Übersetzung stimmig wäre. Dem ist aber keinesfalls so. Im Gegenteil. Die Übersetzung von Sedlacek ist stellenweise extrem hölzern, voller Stilblüten und lässt vielfach so viel Sprachgefühl vermissen, dass man glaubt, Herr Goog L. Translator hätte den Text übersetzt.

 

Bereits der erste Satz gibt Rätsel auf: »Westlich von Arkham erheben sich die Hügel wie wild, und es gibt Täler mit tiefen Wäldern, die noch nie eine Axt gesehen hat.« Dieser Satz stimmt schon im Deutschen nicht, egal, wie das englische Original lautet. Und so geht es weiter. Kranke Schweine werden bei Sedlacek »grau und morsch«. Und wenn die Kühe in der Geschichte von der rätselhaften Krankheit befallen werden, heißt es in der Neuübersetzung »Dann schlug etwas auf die Kühe ein«, wo im Original steht: »Then something struck the cows.«

 

Das nennt man wohl »Sprachgefühl des Grauens«. Und die Lektüre wird somit zum verbalen Spießrutenlauf oder zum Rätselfestival, wenn man versucht zu erraten, wie wohl die Sätze im Original heißen könnten.

 

Fast schon konsequent natürlich steht natürlich am Schluss jeder Geschichte »Das Ende«, statt, wie im Deutschen üblich, einfach nur »Ende«. Im Original steht schließlich »The End« geschrieben.

 

Vieles, was hier bemängelt wird, kann man ändern: ein Vorwort zur Einstimmung für die Leserschaft, dazu ein, zwei redaktionelle Texte, z. B. über die veröffentlichten Geschichten oder ihre Autoren, dazu Originalangaben.

 

Und warum nicht noch ein, zwei Rezensionen zu Büchern, die Freunde von alten Pulp-Magazinen interessieren können? Dazu ein gescheites Lektorat der Übersetzungen. Und schon hätte man eine schöne Publikation, die von den ernsthaften Interessenten am Thema und des Genres dankend willkommen geheißen werden würde.

 

Zwei weitere Ausgaben von »Erstaunliche Geschichten« liegen bereits vor. Alle drei Monate soll ein weiterer Band folgen. Ich bin gespannt wohin die Reise geht …

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Buch:

Das rote Zimmer

Reihe: Erstaunliche Geschichten Band 1

Herausgeber: Klaus-Dieter Sedlacek

Übersetzung: Klaus-Dieter Sedlacek

Titelillustration: Frank R. Paul

Taschenbuch, 64 Seiten

Selbstverlag, 25. Februar 2020

 

ISBN-10: 3750460604

ISBN-13: 978-3750460607

 

Erhältlich bei: Amazon

Inhalt:

  • Der neue Nervenbeschleuniger von H. G. Wells (The New Accelerator, 1901)

  • Das Ding von – "Draussen" von G. A. England (The Thing from – »Outside«, 1926)

  • Das rote Zimmer von H. G. Wells (The Red Room, 1896)

  • Die Farbe aus dem All von H. P. Lovecraft (The Colour Out of Space, 1927)


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Erstellt: 07.07.2020, zuletzt aktualisiert: 12.04.2024 09:51, 18768