Das Schattenjahr (Autor: Jeffrey Ford)
 
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Das Schattenjahr von Jeffrey Ford

Rezension von Matthias Hofmann

 

Auf der Suche nach einem Geheimtipp? Here we go!

 

Der US-Amerikaner Jeffrey Ford ist hierzulande ein unbeschriebenes Blatt. Nicht, dass er in seinem Heimatland eine Riesennummer wäre, aber er hat im Lauf seiner mehr als vierzigjährigen Karriere einige Preise eingeheimst. Seine erste Kurzgeschichte erschien bereits 1981. Sein erster Roman im Jahr 1988. Danach legte er jedoch eine Pause ein, aus familiären Gründen, um Ende der 1990er-Jahre wieder mit dem Schreiben weiterzumachen.

 

Der Großteil seines Oeuvres besteht aus Kurzgeschichten, von denen gerade einmal zwei auf Deutsch veröffentlicht wurden. Und Romane? Fehlanzeige! Bis vor kurzem.

 

Zu seinen wichtigsten und besten Büchern zählt Das Schattenjahr. Es war nominiert für den Locus Award und hat den World Fantasy Award und den Shirley Jackson Award gewonnen. Im Original ist er 2008 erschienen. Höchste Zeit, dass er endlich, 16 Jahre später, auch den Weg zu einem deutschen Verlag gefunden hat. Zu verdanken haben wir die deutschsprachige Ausgabe dem kleinen Wandler Verlag aus dem beschaulichen Landkreis Vorpommern-Rügen.

 

Erzählt wird die Geschichte eines namenslosen Sechstklässlers, der in einer Kleinstadt im US-Bundesstaat New York an der Ostküste ein bizarres Jahr, ein Schattenjahr, erlebt. Die Handlung spielt in den 1960er, bietet all die richtigen popkulturellen Anspielungen und schildert die Erlebnisse des Protagonisten, die er mit seinem etwas älteren Bruder Jim und seiner jüngeren Schwester Mary teilt. Der Vater der Geschwister ist mit drei Jobs gleichzeitig die meiste Zeit abwesend beim Arbeiten. Ihre Mutter ist alkoholsüchtig. Ihre Großeltern wohnen in einer umgebauten Garage nebenan und bieten wenigstens etwas Halt im Leben. Und ja, George, ein Hund darf natürlich auch nicht fehlen. Wichtig zu wissen: Mary ist ein besonderes Kind. Zwar ist sie etwas zurückgeblieben und muss in der Schule eine Sonderklasse besuchen, aber sie hat eine Inselbegabung, die wesentlichen Einfluss auf die weiteren Geschehnisse haben wird.

 

Es beginnt als die großen Sommerferien zu Ende gehen. Seltsame Dinge passieren in der Nachbarschaft. Ein Spanner beobachtet eine Frau, die sich umzieht und sorgt für weitere Turbulenzen. Ein Schüler verschwindet auf rätselhafte Weise und ein unheimlicher, unbekannter Mann mit einem weißen Auto macht die Kleinstadt unsicher. Kurzum: Ein großes Geheimnis schwebt über der Stadt und es gilt, dieses zu ergründen.

 

Die Geschichte von »Das Schattenjahr« entfaltet sich langsam, fast schon gemächlich, sodass vordergründig nicht viel passiert. Im Detail passiert allerdings ganz schön viel. Wir sind dabei, als es ins neue Schuljahr geht, in die »Deppenfabrik«, wie die Schule vom Erzähler genannt wird. Dort wird er auch schon mal von aggressiven Bullys gemobbt oder zusammengeschlagen und erlebt die Dinge, die einem als Kind so passieren. Die Erzählweise erinnert an Ray Bradbury oder Stephen King in seiner besten Phase. Wer den Film Stand By Me gesehen hat, weiß, was ich meine.

 

Jeffrey Ford zeigt sehr viel Liebe zum Detail und baute viel eigene Lebenserfahrung in den Roman ein. Der Realismus einerseits und das nicht greifbare unheimliche Etwas, das über der Kleinstadt schwebt, andererseits, ergeben eine perfekte Mischung aus Coming-of-Age-Story und Spannungsroman. Einen immensen Anteil hat Fords feingeschliffener Schreibstil, der von Eva Bauche-Eppers wirklich kongenial übersetzt wurde.

 

Man taucht einfach gern ein in diese nordamerikanische Kleinstadtwelt, die anschaulich und sowohl mit unheimlichen als auch augenzwinkernden Episoden aufgefächert wird. Allein die amüsanten Kapitel wie z. B. die Episode, in welcher der Protagonist versucht, mit möglichst wenig Aufwand eine Hausarbeit zum Thema »Griechenland« zu schreiben, sind den Preis des Buches wert.

 

Auch wenn »Das Schattenjahr« den World Fantasy Award gewonnen hat, ist es kein typischer Fantasyroman. Im Gegenteil, die fantastischen Elemente halten sich in Grenzen und werden nur angedeutet. Wer also aus dieser Richtung viel erwartet, dürfte ziemlich sicher enttäuscht werden. Alle anderen werden das Werk mit Gewinn lesen. Das Buch kann grundsätzlich auch als Mainstream-Roman gelesen werden, da er nicht so richtig in eine bestimmte Schublade passt.

 

Abgesehen davon bietet »Das Schattenjahr« ein gutes und spannendes Geheimnis, stilistisch starke Prosa und handelnde Figuren, zu denen man in null-komma-nichts eine mitfühlende Beziehung aufbaut, weil man durch die anschauliche Schilderung sehr schnell in die Geschichte gezogen wird. Für mich ein Buch der Sorte Pageturner.

 

»Das Schattenjahr« bietet prächtige Unterhaltung und war für mich ein überraschend schönes Lesefest. Ein Buch zum Verlieben.

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Buch:

Das Schattenjahr

Original: The Shadow Year, 2008

Autor: Jeffrey Ford

Übersetzung: Eva Bauche-Eppers

Titelillustration: Derek Ford

Taschenbuch, 370 Seiten

Wandler Verlag, 12.10.2024

 

ISBN-10: 394882522X

ISBN-13: 9783948825225

 

Erhältlich bei: Amazon


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Erstellt: 13.04.2025, zuletzt aktualisiert: 10.07.2025 11:24, 24449