Das Science Fiction Jahr 2005 (Herausgeber: Sascha Mamczak & Wolfgang Jeschke; Sekundärliteratur)
 
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Das Science Fiction Jahr 2005 hrsg. von Sascha Mamczak und Wolfgang Jeschke

Rezension von Christel Scheja

 

Ursprünglich aus dem Mitte der 80ger Jahre herausgegebenen "Heyne SF-Magazin" entstanden, gehört "Das Science Fiction Jahr" mittlerweile zu den Urgesteinen der Heyne SF-Reihe. In einem dicken Band von zumeist mehr als 1000 Seiten wird rückblickend das letzte Jahr unter die Lupe genommen, aber bekannte Autoren und Kritiker der Szene beschäftigen sich in ihren Essays mit eines Hauptthemas. So wird dem Leser für sein Geld eine Menge an unterschiedlichem und sehr vielfältigen Lesestoff geboten.

 

Das sind im Einzelnen:

 

Im Editorial lassen sich die beiden Herausgeber erwartungsgemäß anläßlich des Jubiläums über die Entwicklung des Heyne SF-Jahres in den letzten 20 Jahren aus, vor allem Jeschke erzählt von den Anfängen als Lieblingsprojekt des damaligen Verlagsleiters, und den Wandeln, den es im Lauf der Zeit genommen hat.

 

Die nächsten 250 Seiten sind dem diesjährigen Schwerpunktthema "Wie die Science Fiction die Welt veränderte" gewidmet. So unterschiedlich wie die Autoren aus Deutschland und anderen Ländern sind, sind auch ihre Ansätze und Überlegungen zu diesem Thema, von politisch bis literaturwissenschaftlich, von rein subjektiven Erörterungen zu sehr sachlichen Artikeln. Dieser Teil des Buches beginnt mit einer sehr persönlichen Betrachtung von Hartmut Kasper, der die Frage stellt, wie SF und Realität eigentlich zusammenhängen. Dabei verharrt er nicht nur bei der Analyse eingetretener Zukunftsprognosen früherer Autoren sondern erwähnt auch die krassen Widerspruch zwischen der Hochachtung gegenüber Geschichten eines Karl May und der Abscheu gegenüber Perry Rhodan Comics, die im Grunde ja beide erstunken und erlogen sind.

 

Wesentlich zeitbezogener und politischer sind da die Essays von Sascha Mamzak und Thomas M. Disch. Während der erste sich mit den Katastrophen in SF und Realität beschäftigt, ist "Das Recht zu lügen" eher eine zynische Abrechnung mit einigen "Wahrheiten" der westlichen Gesellschaft, die die SF gut als Aufhänger benutzen könnte. "Herren über Raum und Zeit" geht ausführlich auf die Ideologie der Scientology Church ein, die ihre Wurzeln ja ganz klar in utopischen Phantasien L. Ron Hubbards hat, heute aber im Leben einiger Menschen eine große Rolle spielt, während sich Bernhard J. Dotzler mit der Bedeutung von Atombomben in der SF und Norman Spinrad mit der Reagan-Era und SDI beschäftigt.

Aber natürlich werden auch im Jules Verne Jubliäumsjahr die visionären Klassiker eines H. G. Wells oder Jules Verne und Spuren der SF in früheren Jahrhunderten nicht vergessen, ebenso die vorhergesehenen Entwicklungen, die sich in der ein oder anderen Form heute schon verwirklicht haben.

Insgesamt wird das Schwerpunktthema sehr vielfältig und manchmal auch von ungewöhnlichen Standpunkten aus beleuchtet. Die Zusammenstellung ist so sorgfältig und abwechslungsreich, dass es den wenigsten Lesern dabei langweilig werden dürfte.

 

Im ungefähr 200 Seiten umfassenden zweiten Teil des Buches widmet man sich verschiedenen Büchern und Autoren, die im Moment im Gespräch sind, an Aktualität nicht verloren haben.

Michael K. Iwoleit beschäftigt sich mit Phillip K. Dick, dessen Romane seit "Blade Runner" immer wieder für düstere SF-Action-Thriller herhalten müssen und analysiert die Bücher und Geschichten auf eine sehr persönliche Weise - zeigt, wie viel eigentlich von der verschrobenen und eigenwilligen Weltsicht des Autors in ihn steckt, die Dick allerdings zu Lebzeiten zu einem gesellschaftlichen Außenseiter machten.

 

Ralf Reiter geht auf die immer beliebter werdenden britischen Autoren ein, die mit ihren Romanen wohl den Nerv der Zeit treffen, und Adam Roberts erklärt in seinem Essay, "Wie die Deutschen die SF erfanden" und stellt dabei eine recht interessante These auf: Auch die persönliche Glaubenseinstellung beeinflusst den Stil und die Interessen eines Autors, während viele Fantasy-Werke wie "Der Herr der Ringe" durch und durch katholische Werke seien, richteten die meisten Protestanten ihren Blick in die Zukunft, also die SF. Gerade dieser Artikel ist recht interessant und lädt zum Nachdenken ein.

 

Abgeschlossen wird dieser Teil durch Biographien der bis Redaktionsschluss verstorbenen Autoren einschließlich Walter Ernsting und Rainer Ziegler und zwei Interviews mit Frank Schätzing, der ja im vergangenen Jahr auch in der in der breiten Öffentlichkeit mit seinem Thriller "Der Schwarm" von sich reden machte und mit Alastair Reynolds, der die Frage beantwortet: "Wer würde den eigentlich keine Space Opera schreiben" wollen. Wobei sich seine Visionen allerdings ziemlich von den klassischen Abenteuern der 30ger und 50ger Jahre unterscheiden.

 

Weitere 150 Seiten wird der Wissenschaft und Spekulationen in der Science Fiction gewidmet, wobei vor allem zwei Artikel hervor zu heben sind: einmal "Aus Großvaters Zukunftswerkstatt" über die Phantasien der 60ger Jahre über die technischen Entwicklungen um das Jahr 2000, die auf uns Menschen des beginnenden 21 Jh. doch mittlerweile eher erheiternd, naiv und befremdlich wirken und sich stellenweise längst überholt haben. Die Autoren Tommy Laeng und Andreas Seibold benutzen dafür einen recht satirischen Plauderton, der manche Sachen etwas überspitzt darstellt.

 

Auf der anderen Seite steht "Die entwickelte Gesellschaft" in der der Autor Karsten Kruschel deutlich macht, dass die Menge des Wissens, die wir sammeln in gleichem Maße verloren geht, nicht nur durch den schnellen Verfall der physischen Medien, die gerade heute nicht für die Zukunft gemacht sind, sondern manchmal schon nach 20 Jahren nicht mehr lesbar oder zerstört, sondern auch durch die geschickt eingefädelten Vernichtungstaktiken unserer Gesellschaft.

Weitere Artikel zu humanbiologischen Themen, über Schwarze Löcher und Rezensionen zu hundert aktuellen Büchern aus allen Bereichen der Wissenschaft und Philosophie runden diesen Teil des "SF-Jahres 2005" ab.

 

Der Rest des Buches (etwa 400 Seiten von den insgesamt 1156 Seiten) ist dem Primärwerken des Genres selber gewidmet, im Bereich Film stellt man die Neustarts des Jahres 2004 vor und bewertet sie allerdings auch auf sehr subjektive Weise. Treffender kann der Obertitel dieses Abschnittes nicht gewählt sein: "Die Effektdosis macht das Kassengift" - sprich: Vor allem die Filme, in denen Spezialeffekte im Vordergrund stehen locken die Leute ins Kino, die Handlung ist eher nebensächlich.

Weiterhin werden interessante DVD-Neuerscheinungen von fast vergessenen Klassikern des phantastischen Genres vorgestellt und das Phänomen Godzilla auseinander genommen. Auf ähnliche Weise werden Hörspiele - so etwa auch der Umsetzung von Tad Willams "Otherland", auch wenn der Schwerpunkt sonst auf rein deutschen Produktionen liegt - und Computerspiele in Werkstattberichten und Rezensionen vorgestellt, beim Comic widmet man sich den Katastrophenphantasien des Alan Moore.

 

Rezensionen zu wichtigen SF-Neuerscheinungen des Jahres 2004 (aber nicht unbedingt nur Empfehlungen) aus kleinen und großen Verlagen und die gewohnt ausführlichen und interessanten Marktberichte von Hermann Urbanek über die Entwicklungen des phantastischen Genres auf dem deutschen, britischen und amerikanischen Markt runden das "Science Fiction Jahr 2005" ab. Wie immer widmet er sich nicht nur den bedeutenden Verlagen und ihrem Programm, sondern wirft auch einen Blick auf die kleineren oder Nischen-Verlage, nicht zuletzt auch in die Fan-Szene. Dabei hebt er Trends hervor, die sich seit seiner letzten Marktbetrachtung gezeigt haben.

Natürlich darf aber auch eine Bibliographie sämtlicher beim Heyne Verlag im Jahre 2004 erschienenen phantastischen Bücher nicht fehlen.

 

Fazit:

Das "Science Fiction Jahr 2005 bietet neben dem Rückblick auf die Entwicklungen der phantastischen Szene im Jahr 2004 auch interessante Essays zu zeitlosen Themen, die manchmal vom aktuellen Zeitgeschehen eingeholt werden, was gerade in den mehr gesellschaftskritischen Essays zu "Wie die Science Fiction die Welt veränderte" deutlich wird. Dennoch kommen nicht wenige der autoren zu dem Schluss, dass die SF noch lange nicht am Ende ist - man muss nur im Prinzip die Augen offen halten um aus dem heutigen Wissenstand spannende und glaubwürdige Theorien zu entwickeln.

Nicht wenige der Artikel laden zum Nachdenken oder Diskutieren ein, andere wieder zum Schmunzeln, während die Rezensionen überwiegend subjektiv geprägt sind und man durchaus auch anderer Meinung sein kann.

 

Durch eine kluge Auswahl und Zusammenstellung ist den beiden Herausgebern ein Reader gelungen, der seinem Anspruch mehr als gerecht wird. Durch die große Bandbreite an Themen und Artikeln wird der Geschmack vieler Leser angesprochen, vor allem wenn sie in der Science Fiction mehr als nur oberflächliche Unterhaltung sehen, sondern sich ein wenig intensiver mit der ganzen Materie beschäftigen oder genau das erstmals tun möchten.

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Buch:

Das Science Fiction Jahr 2005

Herausgeber: Sascha Mamczak und Wolfgang Jeschke

Taschenbuch, 1146 Seiten

Heyne, Mai 2005

Titelbild: Arndt Drechsler

 

ISBN: 3453520688

 

Erhältlich bei: Amazon


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Erstellt: 11.08.2005, zuletzt aktualisiert: 10.04.2024 18:52, 914