Reihe: Shadowmarch Band 2
Rezension von Christian Handel
Rezension:
Seit die Zwielichtler ihr nebelverhangenes Land hinter der Schattengrenze verlassen haben, um in den Krieg gegen die Menschen zu ziehen, hat sich die Lage für die letzten verbliebenen Mitglieder der Herrscherlinie der Eddons dramatisch verschlechtert. Dabei ist die königliche Familie seit der Gefangennahme König Olins und der heimtückischen Ermordung dessen ältesten Sohnes ohnehin bereits vom Schicksal gezeichnet.
In der ersten Schlacht gegen die mystischen Zwielichtler ist der junge Kronprinz Barrick unter den Bann der Kriegerfürstin der Elben geraten und hat sich auf die gefahrvolle Reise in die Schattenlande der Zwielichtler begeben. Er ist gezwungen, eine Mission zu erfüllen, an die er sich bei wachem Bewusstsein nicht erinnern kann und geht dafür sogar eine zweckmäßige Allianz auf Zeit mit einem Elbenkrieger ein, der eigentlich sein geschworener Todfeind sein müsste.
Seine Zwillingsschwester Briony befindet sich ebenfalls nicht mehr auf der Königsburg. Die rechtmäßige Prinzregentin ist auf der Flucht vor den Häschern des Grafen Tolly, der sich die prekäre Lage der Eddons zu Nutze gemacht hat, um sich der Krone zu bemächtigen. Briony ist jedoch nicht gewillt, es Tolly einfach zu machen. Sie taucht unter und nimmt die Identität eines jungen Mannes an, um im Verborgenen Verbündete gegen den Thronräuber zu suchen.
Ebenfalls untergetaucht ist am anderen Ende des Kontinents die junge Qinnitan, Braut des Gottkönigs Sulepis aus dem südländischen Xis. Auch sie scheint auf geheimnisvolle Weise mit dem Herrschergeschlecht der Eddons in Verbindung zu stehen. Anders als Briony will sie jedoch keine Krone zurück erringen, sondern flieht vor ihrem Ehemann, der sie für düstere Rituale missbrauchen will.
Auf rund 800 Seiten schildert uns US-Erfolgsautor Tad Williams, der seinerzeit mit seiner Saga „Das Geheimnis der Großen Schwerter“ international für Furore sorgte, die dramatische und mysteriöse Geschichte des Kontinents Eions, der gleich von zwei Seiten in die Mangel genommen wird: Im Norden dringen die überirdischen Zwielichtler vor, um ihr altes Territorium von den Menschen zurückzuerobern. Im Süden steht der wahnsinnige Gottkönig Sulepis vor den Toren einer als uneinnehmbar geltenden Stadt, um deren Mauern einzureißen. Vom Flair her erinnert dieser Grundplot tatsächlich etwas an George R. R. Martins „Lied von Eis und Feuer“, in der Ausführung ist „Shadowmarch“ jedoch ganz anders. Die Geschichte wird aus den unterschiedlichen Blickwinkeln einer handvoll Hauptprotagonisten erzählt. Dankenswerter Weise verspricht der Autor aber, dass die Handlung den Rahmen einer Trilogie nicht sprengen wird. Zudem beweißt Tad Williams wieder einmal, dass er ein begnadeter Wortschmied ist. Er präsentiert stimmungsvolle Szenen und Sätze, von deren Atmosphäre auch in der Übersetzung erfreulicherweise nicht allzu viel verloren geht. Mit einigen wenigen unglücklich gewählten Bezeichnungen in der deutschen Version kann man leben.
Im Zentrum von „Das Spiel“, dem zweiten Teil der Shadowmarch-Trilogie, stehen die Reisen der Charaktere. Diese gehen – zumindest in manchen Fällen – nicht nur auf physischer, sondern auch auf psychologischer Ebene vonstatten.
Einen wichtigen Stellenwert nimmt ab diesem Mittelband auch die Götterwelt Eions ein. Deren Schicksal scheint Parallelen zu dem der Eddons zu haben. Darauf scheinen zumindest die Schöpfungstexte verschiedener fiktiver Glaubensgemeinschaften dieser Welt hinzuweisen, die den einzelnen Kapiteln vorangestellt sind. Diese Passagen werfen ein interessantes Licht auf die Geschehnisse im Roman und scheinen sogar Andeutungen auf die wahren Pläne und Ziele der Zwielichtler sowie des Eroberers Sulepis zu machen.
Trotz all dieser faszinierenden Handlungszutaten geht das Rezept in diesem zweiten Teil von Dreien nicht hundertprozentig auf: Die Geschichte zieht sich mitunter etwas zäh dahin.
Dabei ist es gar nicht so, dass wenig passiert in „Das Spiel“, ganz im Gegenteil. Es geschieht jedoch nur wenig, das die Handlung auch vorantreibt. Die Protagonisten sind über weite Strecken des Romans sozusagen „unterwegs“. Williams scheint sie auf Ausgangspunkte zu manövrieren, auf denen er sie für den abschließenden Teil benötigt.
Die langsame, ausufernde Erzählweise, die dadurch entsteht, gibt dem Werk zwar ein sehr episches Feeling, das Tempo ist für den Lesefluss jedoch etwas zu stark gedrosselt. Man fragt sich ein bisschen zu lange, wohin der Autor eigentlich will.
Für Abwechslung sorgen hier dankenswerter Weise die Handlungsstränge neuer Hauptfiguren wie die Herzoginwitwe Merolanna und ihre Freundin, der Gottesschwester Utta sowie die junge Adelige Pelaya, die sich mit dem gefangenen König Olin anfreundet.
Natürlich sind auch wieder die zwergenähnlichen Funderlinge Chert und Opalia, der Möchtegern-Poet Matty Kettelsmit, der Gelehrte Chaven und andere, aus dem ersten Teil der Trilogie mit von der Party.
Klar und deutlich ist zu sagen, dass „Das Spiel“ als Mittelteil einer Trilogie nicht für sich allein stehen kann. Man muss den ersten Teil, „Die Grenze“, kennen. Als Quereinsteiger wird es einem nicht gelingen, der Handlung zu folgen.
Ein Gesamturteil fällt gerade aus diesem Grund schwer. Mit „Die Grenze“ hatte Tad Williams einen vielversprechenden Auftakt hingelegt, dem es sicher zum großen Teil zu verdanken ist, dass der geneigte Leser auch beim zweiten Band am Ball bleibt, obwohl gewisse Schwächen hier nicht zu verleugnen sind.
Bleibt abzuwarten, ob der Autor mit seinem Abschlussband das Erzähltempo so steigern kann, dass die Trilogie als Ganzes betrachtet durchaus empfehlenswert ist.
Rein äußerlich legt der Klett-Cotta-Verlag qualitativ jedenfalls ein sehr schön aufgemachtes Hardcover vor: Schutzumschlag und ein goldfarbenes Lesebändchen machen den Wälzer zu einem Hingucker. Ebenfalls mit in der deutschen Ausgabe findet man zahlreiche Kartenskizzen der verschiedenen Handlungsorte sowie einen ausführlichen Appendix mit Begriffserklärungen und Personenregister.
Fazit:
Nicht in allen Punkten überzeugender zweiter Band einer ambitionierten, durchaus lesenswerten Trilogie von einem talentierten Bestseller-Autor, der sich dankenswerter Weise nicht selbst kopiert. „Das Spiel“ kann sicher nicht für sich allein stehen und ist definitiv nichts für Lesemuffel, denn man braucht einen langen Atem.