Druckversion: Das Tor (Autorin: Basma Abdel Aziz)

Das Tor von Basma Abdel Aziz

Rezension von Ralf Steinberg

 

Yahya Gad al-Rabb Said ist Handelsvertreter. Durch Zufall gerät er in eine blutig niedergeschlagene Unruhe gegen das Regime und erleidet eine Schussverletzung. Die Notversorgung findet in einem Militärkrankenhaus statt, dann wird er an ein anderes Krankenhaus verwiesen. Dort wird er von Tarik behandelt, der ihm aber die Kugel nicht herausnehmen kann, denn dafür wird eine Genehmigung benötigt. Diese gibt es im Tor, einem zentral gelegenen Verwaltungsgebäude des Regimes. Doch wird momentan niemand hinein gelassen und so bildet sich eine Schlange durch die halbe Stadt …

 

Das titelgebende Tor im Roman der Ägyptern Basma Abdel Aziz wird als Metapher für einen sich verselbständigenden Verwaltungsapparat etabliert. Gesichtslose Entscheidungen, die irrsinnig erscheinen, aber in ihrer Richtung alle repressiv sind. Die Menschen arrangieren sich damit, improvisieren und viele Menschen versuchen, durch exzessives Ausleben der sich ständig erweiternden und verändernden Vorschriften zu überleben. Dabei scheinen sie eine gewisse Begeisterung für das Leiden zu entwickeln. Diese seltsame Welt mit dem Tor wirkt teils lustig, teils beängstigend skurril und erinnerst stark an das Leben in der DDR.

 

Der Sprachstil ist sehr sachlich, mit verstecktem Zwinkern, und vielleicht typisch für Literatur in repressiven Systemen, damit die Autorin hinter dem Agieren der Figuren verschwindet.

 

Diese Figuren bilden einen losen Reigen, die sich immer wieder begegnen und deren Leben die Autorin in kleinen Episoden folgt. Yahya steht dabei als Bezugspunkt immer wieder im Fokus. Mit seiner Kugel im Bauch ist er der Beweis für den inzwischen geleugneten Schusswaffeneinsatz der Sicherheitsgarde. Seine Kollegin und Freundin Amani wird sich der Bedeutung des Problems bewusst und versucht dem immer kränker werdenden Yahya zu helfen, doch damit gerät sie selbst ins Visier des Regimes. Stets dabei ist Nagi. Der Freund ist das anarchistische Element des Romans. Er schlängelt sich durch alle Systeme durch, ohne sich wirklich zu integrieren. Das Leben in der Schlange vor dem Tor ist für ihn eine Kette an Möglichkeiten, die er mühelos wahrzunehmen vermag. Man spürt den feinen Humor Basma Abdel Aziz’ in etlichen Szenen, auch wenn vieles nur angerissen wird. Etwa die Gründung von Unternehmen in der Schlange, die News-Verbreitung durch Busse oder die Beziehungsgeflechte über die Bereiche der Schlange hinweg.

 

Die Handlung schreitet eher nebenher vorwärts, wird fast lapidar aktualisiert. Viele Hintergrundinformationen zu den Figuren werden zum Teil erst so spät präsentiert, dass sie keine Rolle mehr spielen. Das verstärkt den emotionale Abstand zu den Figuren, der durch die sich offenbarenden Katastrophen von einer Art bangem Entsetzen gefüllt wird. Yahya mit der Kugel im Bauch, die alte Dame Umm Mabrouk mit ihrer privaten Tragödie …

 

Die Ereignisse im Staat um die Diktatur des Tores und Yahyas persönliches Schicksal, sein Kampf gegen die Windmühlenflügel, erfahren wir als kleine Geschichten, Alltagsepisoden, die nur mit wenigen Ausnahmen exemplarisch sind. Vieles liegt unter einer Art Schleier. So erfahren wir zwar, das Amani nicht als Juristin arbeiten kann, aber nicht, in welcher gesellschaftlichen Schicht sie sich zur Handlungszeit bewegt? Es fehlen so ziemliche alle kulturellen Rahmen. Es fühlt sich so an, als hätten alle Bevölkerungsteile denselben Stand, solange sie nicht zum Tor gehören. So summieren sich die Menschen zu einem Volk mit dem fast gesichtslose Staat auf der anderen Seite.

Selbst bei den Rebellen verweigert uns die Autorin jedes Hinschauen. Keine konkreten Figuren oder Szenen. Der Widerstand ist ähnlich unsichtbar wie die Administration. Völlig unscharf wird es bei den Schalterbeamten. Sie gehören irgendwie zum Tor, sind aber davor, fällen schnelle Entscheidungen. Wie das alles wirklich funktioniert, wer da spioniert, verhört, regelt, bleibt unbeschrieben, eben unscharf. Was das Grauen insgeheim verstärkt. Das Buch endet dann auch wie erwartet, mit einem bösen Ende.

 

Fazit:

Mit »Das Tor« gewährt uns Basma Abdel Aziz einen Einblick in eine dystopische Welt, deren Regeln zum Systemerhalt nicht einfach nur wie eine Farce wirken, sondern für ihre Bewohner von tödlichem Ernst sind.

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Buch:

Das Tor

Original: Al-Tabuur, 2013

Autorin: Basma Abdel Aziz

Übersetzung: Larissa Bender

Titelillustration: Ints Vikmanis und LouieLea

Taschenbuch, 283 Seiten

Heyne, 13. April 2020

 

ISBN-10: 3453320468

ISBN-13: 978-3453320468

 

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, zuletzt aktualisiert: 10.03.2024 18:58