Er ist der Superstar unter den SF-Autoren aus China: Cixin Liu. Seine Trisolaris-Trilogie war auch im Western enorm erfolgreich. Der erste Band (Die drei Sonnen) gewann sogar den prestigeträchtigen Hugo. Inzwischen wurde der Stoff mehrfach adaptiert. Es gibt Comics und Filme, auch eine Netflix-Serie wurde produziert.
Seine Bestseller-Romane erschienen im Original von 2007 bis 2010. Das ist schon eine ziemlich lange Weile her. Für seine Fans in Deutschland beträgt der Abstand zur Erstveröffentlichung der deutschen Übersetzung von Band 3 immerhin schon sechs Jahre.
Nun ist ein neues Buch von Cixin Liu erschienen.
Wobei … neu ist in diesem Fall relativ. Der Blick von den Sternen, so der Titel des Werks, ist eine Sammlung von alten Texten. 19 Erzählungen und Essays sind in dem Buch zusammengestellt, die zum Teil von 1999 stammen. Prosa und Sachtexte wurden gut durchgemischt. Auf eine chronologische Reihenfolge, was eigentlich logisch und wünschenswert gewesen wäre, hat man seltsamerweise verzichtet.
Dafür hat man nicht mit Vorsatzblättern und leeren Seiten gespart, um das Buch auf über 300 Seiten zu strecken. Zusammen mit dem nicht unbedingt nötig gewesenen Hardcoverkleinformat verlangt der Verlag für den leicht antiquierten Lesestoff immerhin 20 Euro.
Fans von Cixin Liu dürfte das nicht stören. Und vor allem für jene ist diese »Neuerscheinung« interessant. Die Sachtexte zeigen den Chinesen als glühenden Science-Fiction-Fan, für den das Genre fasst schon eine Art von Religion zu sein scheint. Die in seinen Essays, Vorworten und Artikeln zu findenden Einstellungen sind ehrenwert. Der eher systemunkritische Schriftsteller vermeidet politische Aussagen, aber das erwartet man von ihm auch nicht.
Seine Gedanken sind insgesamt interessant und man spürt an vielen Stellen seine Zukunftsverliebtheit und die spekulative Ader, die durch seine Vorbilder wie Arthur C. Clarke geprägt wurden. Einer der längeren Texte, Die Welt in fünfzig Jahren, geschrieben 2005, in dem er Überlegungen in Bezug auf Themen wie Energie, Transport, digitales Leben oder auch Kriege zusammenfasst, ist wirklich gelungen. Und als Leser kann man diese Ideen mit der Realität 20 Jahre später, anno 2025, vergleichen.
Ein 21 Jahre altes Interview ist ebenfalls in dem Buch zu finden. Allerdings beschäftigt es sich mit dem damals zeitgenössischen Roman Kugelblitz (2004), was sicherlich interessant ist, aber man hätte sich stattdessen (oder ergänzend) in jedem Fall ein aktuelles allgemeines Interview mit Cixin Liu gewünscht.
Schön nerdig ist der Text Wir sind Science-Fiction-Fans von 2001, der mit den Worten »Wir sind ein Haufen seltsamer Sonderlinge, eingebettet in die uns umgebenden Menschenmassen« beginnt. SF-Fans »springen wie Flöhe zwischen Zukunft und Vergangenheit, driften wie Nebelschwaden zwischen Sternwolken, erreichen in Sekundenbruchteilen die Ränder des Universums«. Nie hat jemand seine eingefleischte Leserschar und das Fandom glühender beschrieben.
Was ist mit der Prosa? Die enthaltenen Stories sind eher Füllstoff. Kein Vergleich mit den grandiosen »Trisolaris«-Romanen. Es blitzen einige Liu-typische Ideen auf. Allen ist gemein, dass die Charakterisierung der Protagonisten etwas dünn ausgefallen ist. Das ist ein Manko, das den Werken von Cixin Liu generell anhaftet, aber bei den Romanen mitunter zu verschmerzen ist, weil sie darüber hinaus durch ihre Fabulierkunst überzeugen.
Auch wenn es so scheint, dass ich mit dem Buch möglicherweise etwas zu hart ins Gericht gegangen bin: Anhänger von Hard-SF im Allgemeinen und Cixin Liu im Besonderen, möchte ich die Sammlung »Der Blick von den Sternen« wärmstens empfehlen. Sie bietet zusätzliche Einblicke und neue Perspektiven auf Lius Werk und belebt das Feuer der Sehnsucht nach einem neuen Roman des chinesischen Starautors. Besser erstmals in Deutsch neu veröffentlichte alte Texte als gar keine.