„Du musst einen richtig fetten Bruch machen, Salil, dann hört das mit den Pöbeleien auf!“, flüsterte der schmierige Mulan seinem Gegenüber in der düstersten Ecke der Sperberhöhle zu, der verruchtesten Kaschemme im Hafenviertel Saramees. „Und die Jungs von der Schattengilde lachen dich nicht mehr aus. Hör mir gut zu, Salil.“
Mulan rutschte dem hageren Dieb so dicht auf die Pelle, dass dem der Gestank von öligem Fisch und scharfen Gewürzen in die Nase geblasen wurde. Angewidert verzog Salil das Gesicht, aber er schluckte besser eine freche Bemerkung herunter, weil sein neuer Freund offenbar die Chance seines noch jungen Lebens im Ärmel versteckt hielt. Seit einer geraumen Weile redete er schon auf ihn ein, jetzt wiederholte er seinen Tipp in aller Kürze.
„Du kennst also die Absteige in der Pfeifergasse, die Brave Kaari! Auf der Gegenseite steigst du ins Wohnhaus ein. Das kannst du nicht verfehlen, ich hab einen Zinken an die Hauswand geritzt. Dann die Treppen hoch, zwei Stockwerke sinds. Es wird schon keiner aus den Zimmern gucken. Da hausen nur Flüchtlinge und anderes Pack, die nichts mit den Wachen zu tun haben wollen, sonst …“
Mulan deutete mit seinen wulstigen Fingern einen Strick an, und als sei es besonders lustig, ließ er seine fleischige Zunge heraushängen und japste und keuchte, aber Salil blieb das Lachen im Hals stecken. Es gab zwar keinen Henker in Saramee, so wie in anderen Städten fern seiner Heimat, aber Salil konnte sich lebhaft vorstellen, wie das schmutzige Handwerk vollzogen wurde. Und er vermutete, dass viele alteingesessene Bewohner der Stadt mit den zahllosen Flüchtlingen aus dem Umland am liebsten genau so verfahren würden, sobald sie sich das Geringste zuschulden kommen ließen.
„Vom Fenster im obersten Flur kannst du in einige Zimmer der Braven Kaari! rüberschauen. Ich brauch dir ja keinen Plan zu zeichnen, du kennst dich in der Ecke aus. Guck dir also das erstbeste Zimmer aus, die sind zur Nachtzeit alle bis aufs letzte Bett besetzt. Und dann rüber und kräftig zugelangt.“ Mit einem Holzstocher pulte Milan zwischen den Zahnlücken und brachte die breiigen Reste eines Fisches oder eines anderen Getiers zum Vorschein. Bevor Salil bei dem ekelhaften Anblick würgen konnte, stopfte sich der feiste Kerl den dicken Klumpen zurück ins Maul und schluckte kräftig.
„Du hättest auch das Darmbrät vom Kaibuhn probieren sollen, das schmeckt lecker. Du bist doch ein schmales Tuch, ein paar Granda Fett auf den Rippen kannst du gut gebrauchen. Ach, nimm mal von meinem Teller!“ Mulan schob ihm die zerstoßene Mahlzeit unter die Nase, als kredenze er dem Stadtmeister von Saramee eine der seltenen Kostbarkeiten aus Talifars Tränenden Gärten.
Im Fraß krabbelte etwas. Das war zu viel für Salil, sein Magen spielte bei dem Geruch von halbrohem Fischdarm und seinem unsäglichem Inhalt keinen Deut länger mit. Bevor Schlimmes passierte, würgte er ein „Danke für den Tipp, aber ich mach mal besser voran!“ heraus, polterte seinen wackligen Stuhl mit einer heftigen Bewegung gegen den Nachbartisch – was ihm ein Wütendes „Du kriegst gleich Prügel, du Hänfling!“ einbrachte – und torkelte davon, eine Hand vor den Mund haltend.
Mulan schrie ihm noch ein „Das ist eine todsichere Sache“ hinterher, dann landete Salil mit einem weiten Satz in der Schimmergasse. Wenn er vorher noch einen Moment gehofft hatte, die frische Luft würde ihm helfen, überzeugte ihn sein Magen im Nu von diesem Irrtum. In hohem Bogen spie er seine letzte Mahlzeit heraus – kein traniger Kaibuhn, sondern würziges Sarangemüse mit einem gut durchgebratenen Stück Wildbret, das seine Konsistenz aber drastisch verändert hatte.
Eine von den ewig jungen Töchtern der Nacht schaute ihn mit unverhohlenem Abscheu an. Ihr verkniffenes Gesicht war bunt geschminkt wie ein Pfau bei der Brautwerbung, und sie war gewiss auf der Pirsch nach einem gut betuchten Freier für den Abend und bestenfalls noch die Nacht. „So ein Gesindel!“ zischte sie im Vorbeigehen, und Salil machte etwas, was ihm sonst sehr fremd war: „Entschuldigt, ich kann nichts dafür.“ Er wischte sich den Mund mit einem beinahe sauberen Tuch ab und verfluchte sich gleich, vor einer zweifelhaften Lebedame einen Kniefall gemacht zu haben. Das war nur Mulans Schuld, den er ja erst vergangene Woche kennen gelernt hatte und der ihm diese unangenehme Situation bescherte. An und für sich war Mulan aber ein angenehmer Mensch, soweit Salil die Nähe eines durchtriebenen Halunken als angenehm empfinden konnte, wenn er nur nicht alles in sich hineinstopfen würde, was weich und wabbelig und halbwegs durchgebraten war.