Der Jüngling (Autor: Fjodor M. Dostojewskij)
 
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Der Jüngling von Fjodor M. Dostojewskij

Rezension von Ralf Steinberg

 

Rezension:

Fjodor M. Dostojewskij zählt zu den bekanntesten russischen Autoren, seine Werke wie Die Brüder Karamasow oder Schuld und Sühne sind auch durch Verfilmungen weltberühmt.

Der Jüngling hingegen gehört zu den weniger bekannten Werken. Hauptgrund dürfte der experimentellere Aufbau sein. Der Roman besteht aus den Aufzeichnungen eines neunzehnjährigen Jünglings, die Ereignisse eines Zeitraumes von einem halben Jahr wiedergeben. Die Ich-Perspektive wird bis zum Schluss nicht verlassen und so verfolgen wir die Geschehnisse als Reflexionen und Erinnerungen, ständig gebrochen von Vorgriffen, Andeutungen, nachgereichten Einschätzungen und eher grundsätzlichen Gedankengängen, die zum Teil ein heilloses Wirrwarr bilden. Der Ich-Erzähler Arkadi plappert ununterbrochen.

Dabei offenbart er typische Probleme von Jugendlichen. Er wird nicht ernst genommen und reagiert darauf mit Wut und Aggressivität, was natürlich dazu führt, dass er noch weniger ernst genommen wird. Seine Naivität und mangelnde Erfahrung machen ihn zudem zu einen Spielball der gesellschaftlichen Intrigen.

Dostojewski steht mit seinem Werk für eine psychologische Charakterisierung seiner Figuren, bevor die Wissenschaft ihre berühmten Grundlagenwerke lieferte. So gelingt es ihm, eine Selbstsicht zu erschaffen, die sowohl aus der nachträglichen Betrachtung heraus funktioniert, als auch im Handlungsaugenblick. Selbst plötzliche Wendungen lassen sich stets erklären, gerade auch in den ausgelösten Reaktionen. Der Reiz des Romans besteht weniger darin, die angekündigte Katastrophe zu erwarten, als vielmehr mitzuerleben, wie Arkadi in der chaotischen Erwachsenwelt zurechtkommt, sich selbst kennenlernt und mit seinem eigenen Handeln zu leben lernt.

So erkennt er den Zusammenhang zwischen seinem Verhalten und den Wunden aus der Kindheit. Wie in einer unendlich langen Psychoanalysesitzung ergründet er die familiären Komplikationen, nicht nur in seiner eigenen Familie, sondern auch in dem seltsamen Geflecht der Figuren, dass sich immer dichter um ihn spinnt.

Das fängt mit der Suche nach einer Vaterfigur an. Arkadi ist der uneheliche Sohn eines Gutsbesitzers, der in wilder Ehe mit der Mutter lebt, den gesetzlichen Vater aber als Leibeigenen besaß, bis dieser als Wanderprediger davonzog.

Doch da der Knabe störte, kam Arkadi in ein Internat und wurde dort bald aufgrund seines nichtadligen Status schikaniert. Ohne weiteren Kontakt zur Familie stand der Junge früh für sich allein.

Als er sich nach Petersburg aufmacht, seinen Vater zu sehen und ihn kennenzulernen, ist ihm noch nicht klar, woraus sich seine Gefühle zusammensetzen und was er überhaupt will. Seine Suche nach Werten und Idealen führte zunächst nur zu sich selbst. Er bildet sich einen Plan für die Zukunft, nennt es Idee und hält sich mit ihr im Herzen für ausreichend gewappnet, das Leben zu bestehen.

Doch zu sehr ist sein Geist noch im Werden. Er begegnet schönen und hässlichen Frauen, Ganoven, Betrügern, Lügnern, Revolutionären und der eigenen Familie.

Im Nachwort geht Rudolf Neuhäuser auf die Unordnung als zentralem Aspekt des Romans ein und beschreibt auch das Kommunikationsproblem, dem alle Figuren und sozialen Strukturen im Roman unterliegen.

Tatsächlich fällt es beim Lesen immer wieder auf, wie groß die Hürden sind, die wichtigen Dinge anzusprechen oder früh zu klären.

Arkadi läuft mehrfach ins offene Messer, weil man ihm nicht alles erzählt oder seinen Kenntnisstand überschätzt. Viele Probleme hätte man vorher lösen können, wenn man sie beredet hätte. So aber gehen die Worte oft aneinander vorbei und beinhalten in erster Linie Monologe.

Die sind aber nicht substanzlos. Vielmehr nutzt Dostojewski jede Möglichkeit, um Themen wie Religion, Stand und Adel und die Entwicklung der russischen Gesellschaft zu erörtern.

Vieles davon ist kontextbezogen zu verstehen, wer hier keine Interessen hegt, wird sich eher langweilen. Auch muss man Spaß daran haben, mitzuerleben wie Arkady Fehler begeht oder ins Fettnäpfchen tritt und das mit Aktionen, die nur zu ihrer Zeit als solche funktionieren. Gerade im ersten Teil etwa ist es ihm wichtig, nicht erniedrigt zu werden und gerät bei Worten oder Handlungen in Wallung, die heute komplett belanglos scheinen.

Doch musste Arkadi viele Dinge des damaligen Lebens erst lernen und Fehler sind eine harte Schule.

Eine weitere Hürde stellt sich dem Leser in den Weg, wenn er Probleme mit den russischen Namen hat. Zwar gibt es ein Figurenglossar, aber oft genug verwirren sich Fürsten und Vatersnamen zu einem heillosen Durcheinander. Aber auch hier zeigt sich Dostojewskis planende Hand, etwa als aus dem nur Wersilow genannten Vater, André Andréjewitsch wird und sich somit die Persönlichkeitsspaltung auch namentlich manifestiert.

Doch bleibt man am Ball und folgt Arkadi dann tatsächlich bis hin zur Katastrophe, ergeben sich Einblicke in eine russische Gesellschaft, die schon bald vom Tisch gefegt werden sollte.

 

Der DTV verwendete für die Neuausgabe die Übersetzung von Marion Gras-Racic und spendierte ihr neben dem bereits erwähnten Nachwort eine informative Zeittafel. Auch wenn eine andere Übersetzung berühmter ist, kann man mit dieser Edition im Graublauen Reihengewand sehr zufrieden sein.

 

Fazit:

Sicherlich kein leichtgängiger Roman bietet Dostojewskis »Jüngling« ein erstaunlich analytisches Bild eines jungen Mannes in der Zarenzeit des 19. Jahrhunderts. Gleichzeit entwickelt sich vor dem Leser das Abbild einer seltsamen Epoche, in der sich alte gesellschaftliche Strukturen aufzulösen beginnen und neue erst erdacht werden müssen.

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Buch:

Der Jüngling

Originaltitel: Podrostok, 1875

Autor:Fjodor M. Dostojewskij

Übersetzerin: Marion Gras-Racic

Nachwort: Rudolf Neuhäuser

dtv, 1. Januar 2010

Taschenbuch, 778 Seiten

Titelbild: Ilja Repin

 

ISBN-10: 3423124091

ISBN-13: 978-3423124096

 

Erhältlich bei: Amazon

 

Kindle-ASIN: B004UBCX14

 

Erhältlich bei: Amazon Kindle-Edition

 

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Erstellt: 03.11.2012, zuletzt aktualisiert: 08.04.2024 09:56, 12812