Druckversion: Der Pakt (Autorin: Diandra Stone)

Der Pakt

Autorin: Diandra Stone

 

Noch nie hatte sie sich so unwohl gefühlt. Nervös schlug sie die Beine übereinander und lehnte sich im Stuhl zurück.

Das Dämmerlicht zeichnete Streifenmuster auf das Gesicht ihres Gegenübers. Seine Haut strahlte ungewöhnlich weiß. Sie wirkte wächsern und auf eine unbestimmte Art wie tot.

Ihr Blick wanderte auf die feuchten Hände im Schoß. Die Fingernägel waren abgekaut. Eine Unart, die sie eigentlich seit ihrer Teenager - Zeit abgelegt zu haben glaubte. Die Tiefe der Wunden erschreckte sie. Kleine Mäusebisse, die bis tief ins Nagelbett reichten. Wie kam es, dass es ihr zuvor nie aufgefallen war?

Schnell ließ sie die Finger unter der Handtasche verschwinden.

Kerzen gerade saß er auf dem Stuhl hinter dem schlichten Schreibtisch aus schwerem Eichenholz.

Er thronte auf einem prächtigen Holzstuhl mit ochsenblutrotem Leder und einer hohen Lehne. Menschlich war nur wenig an ihm. Er hatte schmale, blutleere Lippen, die von Verbissenheit und Härte zeugten. Tiefe Furchen zeichneten das welke Gesicht. Die kleinen, roten Augen lagen so tief, dass labbrige Hautfalten sie beinahe begruben.

Sie war auf den Anblick vorbereitet. Es sollte sie nicht erschrecken.

Aber es erschreckte sie.

Krampfhaft hielt sie sich am Gedanken fest, dass er ihre letzte Hoffnung war. Wenn jemand ihr helfen konnte, dann er! - Ihre Gedanken hafteten sich an die vielen kleinen Medikamentenpackungen im Bad, die sich seit Wochen dort stapelten. Ihre letzte Zuflucht.

Sie sollte sich freuen.

Ein innerlicher Schüttelkrampf packte sie. Umständlich wischte sie sich die kalten Schweißtropfen von der Stirn. Dieser Raum, dieser Mensch schüchterte sie ein. Ängstigte sie.

Sie wollte raus hier!

"Nun?" - Seine Stimme polterte durch den Raum und hallte an den hohen, kahlen Steinmauern wider. Eine gewaltige, tiefe Stimme, vor der Angelina unwillkürlich zusammenzuckte. Sie wechselte die Beine und schlug das linke Bein über.

Sie blickte sich um, nur um ihn nicht in die Augen blicken zu müssen oder auf Hände oder Fußspitzen. Ihr Blick wanderte das gewaltige Gewölbedach des Arbeitszimmers entlang, huschte über die massiven, kahlen Mauern zu die prächtigen spitzrunden Fensterbogen mit den bunten Gläsern hin, deren wahrer Glanz und Schönheit nur zu erahnen war. Obwohl früher Nachmittag herrschte fahles Dämmerlicht im Raum. Alle Fenster waren mit stabilen Holzläden verrammelt. Nur durch die Ritzen drangen Lichtstreifen, in denen Staubkörner tanzten.

Sie fror. Im Hintergrund hörte sie eine Klimaanlage auf Hochtouren schnurren.

Sein Blick war ihr unangenehm bewusst, als sie die Lippen öffnete und kein Wort heraus kam. So viele verzweifelte Versuche zu ihm in Kontakt zu treten, so viele Tränen, so viel Hoffnung und jetzt, wo sie den ersten entscheidenden Schritt geschafft hatte, war alles wie fort geweht, und sie wollte nur noch raus.

Er wartete. Nein, er entließ sie nicht aus seinem Blick.

Schrecklich brannten die so sorgfältig zurecht gelegten Worte in ihrem Hals. Er fühlte sich schwer an, als hätte jemand die Hand um ihre Kehle gelegt und zu gedrückt. Warum? Warum konnte sie nicht einfach die Augen schließen und alles vergessen?

"Ich bin mir nicht sicher...", stammelte sie schließlich.

Sein Gesicht verschärfte sich. Die Lippen zogen sich breit auseinander. Tiefe Krater wuchsen bis zum Knochengrund auf seinem Gesicht. Es schien, als wolle er ihr seinen Totenschädel entblößen.

Himmel, warum musste sie so denken? - Er war ihre Hoffnung. Ihr... Todesengel, schoss es durch ihren Kopf.

Sie rieb sich die Arme. Im dünnen Sommerkostüm kam sie sich nackt vor.

Er stand auf. Der Stuhl mit der hohen Rückenlehne schabte über den Steinboden. Das Geräusch dröhnte in den Ohren. Ein Klingeln blieb zurück, selbst als es still geworden war.

Die Bewegung kam abrupt und schien so endgültig, dass Angelina unwillkürlich in sich zusammen fuhr. Beinahe wäre sie vom Stuhl gefallen. Sie fühlte sich schwach.

"Ich darf Sie bitten zu gehen!", sagte er und seine Stimme hämmerte, schlug auf sie ein.

"Nein, warten Sie!" - Angelina riss die Arme hoch, als wolle sie ihn umarmen. Sie suchte Schutz bei ihm, vor ihm. Welch ein Wahnsinn!

"Sie stehlen meine kostbare Zeit!"

"Es tut mir leid. Ich wollte Sie nicht verärgern... Es kommt nur alles so überraschend!"

"Sie verärgern mich nicht, Angelina. Aber Sie müssen sich sicher sein und das sind Sie nicht! Gehen Sie! - Es ist besser so. Glauben Sie mir. Für Sie und auch für mich!"

Er drehte sich herum, machte Anstalten den Raum durch eine der drei hohen, spitzrunden Holztüren zu verlassen.

"Nein. Halt, warten Sie!" - Angelina sprang auf. Ihre Knie zitterten heftig. Poch poch. Poch poch. Der Raum pulsierte in ihren Ohren.

"Helfen Sie mir!", schrie sie fast. Ihre Stimme überschlug sich, sie verhaspelte sich. Hustete. "Ich weiß, nur Sie können mir helfen. Sie sind der Einzige!"

Er machte eine abwertende Handbewegung. "Unfug!"

"Ich kann nicht mehr. Sie sind meine letzte Hoffnung!" - Das Schluchzen brachte ihre Stimme ins Wanken. Unsicher ging sie einen Schritt auf den prächtigen Holzschreibtisch zu. Ihre Knie brachen unter ihr weg. Sie stützte sich auf die Kante des Tischs. Alt, war sie geworden. Alt und gebrechlich. Mühsam wischte sie die Tränen von den Wangen. Ihre Augen brannten. Fast waren sie nun so gerötet wie seine.

Er blickte sie an. Seltsam, dieses Bild. Sein weißes, kahles Gesicht, seine schmale, ausgezehrte Figur, ein Schatten seiner Selbst. Angelina schaffte es kaum dem scharfen Blick stand zu halten. Doch sie tat es. Sie blickte ihm genau in die giftigen Pupillen.

Er räusperte sich. "Es ist gefährlich! - Sie müssen sich wirklich sicher sein!"

 

Ein kleiner, finsterer Raum. An den Wänden brannten Fackeln. Ein schwerer Eichentisch und ein einfacher Hocker bildeten das einzige Inventar. Keine Fenster. Ein Kellerraum. Tief unter der Erde wie ein Grab. Die einzige Tür, massig und massiv, zu schwer für eine Frau sie zu öffnen. Er zückte einen Schlüssel, der so groß war, dass er in keine Hosentasche passte. Das Geräusch, als der Schlüssel ins Schloss glitt und den Riegel vorschob, rieselten Stiche über den Rücken.

"Träume können töten.", sagte er. "Es sind unsere Gedanken, die der Traum vergiftet. Es ist unsere Wahrnehmung, die der Traum in andere Farben taucht und für uns verfälscht. Ein falscher Traum kann unsere Erinnerung für immer verändern. Wir werden nicht mehr sein, was wir sind, wenn unsere Träume gestohlen werden..."

Er machte eine Handbewegung, sich auf den Tisch zu setzten. Breite Lederschnüre baumelten herab.

Eisenschnallen hingen an den Wänden. Mittelalterliche Werkzeuge und Folterinstrumente wie Daumenschrauben, Ketten, Äxte, Sensen und Keulen reihten sich ordentlich an der Wand aneinander.

Angelina trat langsam an den Tisch heran. Ihre Hände schwammen in Feuchtigkeit. So kalt war ihr... Ihre Lippen zitterten. Ein Beben, von den Fußspitzen bis zum Scheitel. Verrückt, hier zu sein. Verrückt, so zu träumen!, dachte sie. Aber dann fing sie seinen Blick. Und alles in ihr stockte.

Sie war sich sicher.

Entschlossen stieß sie sich mit den Zehenspitzen vom Boden ab und hockte sich auf den Tisch.

Er nickte. Er stand im Schatten einer Kerze und nickte. Sein weißer Kopf schimmerte wie ein Mond hinter dunklen Wolken. Der Schatten an der Wand zeichnete das Bild eines grotesken Dämons. Teufelshörner, ein langer, peitschender Schwanz, ein gekrümmter Rücken, die Höcker eines dicken Buckels. Doch er... er war ganz anders. Ein Gesicht wie von einem Engel aus Marmor, von fast beruhigender Schönheit.

Angelina schloss die Augen. Sie tat es bewusst. Spürte den Muskel in ihren Lidern. Spürte die Schwere, die sich über ihren Blick senkte. Die Dunkelheit. Als ob ein Sargdeckel über ihr zugeschlagen worden wäre.

Langsam öffnete sie die Augen. Ihr Herz klopfte schneller, als dieser entscheidende Moment eintrat. Würde es Finsternis bleiben oder würde sie in das Dämmerlicht des Kellers zurück kehren?

Mit Erleichterung nahm sie das fahle Licht der Fackeln wahr. Völlige Dunkelheit jagte ihr immer kindliche Angst ein. Erst das Dunkel, dann die Lähmung, dann die quälenden Stimmen, die tödliche Gefahr.

Er blickte sie an. Nein, er starrte, er hackte die Augen in ihr Gesicht. Angelina rieb sich fröstelnd die Arme.

Die langen, gepflegten Fingernägel, überaus starke, spitze Krallen, deuteten ihr, sich auf den Tisch zu legen.

Sie tat es. Sie wusste, es war zu spät davon zu laufen.

Ihr Körper versteifte, als er sich ihr näherte und die Fesseln anlegte. Innerlich schrie sie auf, wehrte sich verzweifelt. Doch ihr Körper blieb steif. Ohnmächtig.

Er lächelte. Ein sonderbares Lächeln. Seine Lippen schienen ganz mit dem hellen Weiß der Haut zu verschmelzen. War es möglich, dass nichts an ihm auch nur die mindeste Ähnlichkeit mit etwas Menschlichem besaß?

Beinahe hätte sie vor Erleichterung laut aufgelacht. Für einen unerträglich schrecklichen Moment hatte sie doch tatsächlich geglaubt, seine Zähne wären Raubtierzähne, blank poliert, spitz und hart, dazu geeignet Stahl zu zerbeißen. Aber nein, wie vertraut ihr die Zähne vorkamen! Ungewöhnlich ebenmäßig, strahlend weiß, noch nicht einmal besonders stark ausgeprägte Eckzähne, die man so häufig vor fand. Durch und durch harmlos, diese Zähne. Ein Mensch. Sicher. Ein Mensch.

"Die Dämonen rufen Sie!", flüsterte er. Die Fackeln tanzten wild und schlugen dann entsetzlich hoch, als habe jemand Benzin in ihr Feuer geschüttet. Es stank nach verbranntem Fleisch.

Ja, da waren sie. Die quälenden Stimmen.

Das Messer blitzte. Flammen spiegelten sich auf der blank polierten Scheide. Sie riss entsetzt die Augen auf, konnte sie nicht mehr von dem Messer abwenden.

SCHMERZ. Tiefer, unendlicher Schmerz. Das Messer glänzte matt von Blut. Sie versuchte die Augen zu schließen, doch sie waren erstarrt ...

 

 

Aus dem Schlaf schoss sie senkrecht im Bett auf. Das dünne Seidenhemd klebte auf der Haut. Sie hechelte bis sich unter ihr das Bett drehte. Der Plus galoppierte, die Adern hüpften aus dem Hals. Einen Augenblick saß sie einfach nur da. Steif und zitternd. Dann bemerkte sie den Schmerz in ihrer rechten Hand. Sie löste die Faust, die sie um den Zipfel Bettwäsche gebildet hatte. Ein dunkler Fleck zeichnete sich im Dämmerlicht des frühen Morgens auf dem hellen Laken ab.

Es überraschte sie wie tief sich ihre langen Fingernägel in die Hand gebohrt hatten. Rostrot trudelte das Blut den Abfluss im Waschbecken hinunter. Angelina wandte den Blick ab und sah in den Spiegel. Ihr blasses Gesicht erschreckte sie umso mehr, als ihre Augen furchtbar gerötet waren.

Das Licht in der Küche blendete. Sofort schaltete sie es wieder ab. Fast im Dunkeln kochte sie sich eine Tasse Kaffee. Sie wärmte sich die kalten Hände an der Tasse. Erst jetzt stachen ihr die Striemen an den Handgelenken in die Augen. Mein Gott! - Entsetzt sprang sie vom Küchenstuhl auf. Die Tasse fiel zu Boden. Überall verschüttete sich der warme Kaffee.

Ihr Blick war vernebelt von Tränen. Sie tastete sich aus der Küche, zurück ins Bad. Obwohl das Licht sie blendete, ertrug sie es. Die Kopfschmerzen quälten sie bis zur Übelkeit.

Langsam zog sie das Seidenhemd über den Kopf. Dann zwang sie sich in den Spiegel zu sehen.

Entsetzen zeichnete sich auf ihrem Gesicht ab. Ein kleiner, dünner, spitzer Schrei entwich dem Mund, den sie mit ihren Händen erstickte.

Auf der hellen Haut zeichnete sich deutlich eine lange, dünne, rote Narbe ab.

Unmöglich!

Wieder und wieder fühlte sie die offensichtlich frische Narbe nach, die längs direkt über ihrem Herzen entlang führte.

 

Angelina wischte den Dampf vom Spiegel.

"Alles in Ordnung?"

Erschrocken drehte sie sich herum. Gerhard war ganz in seine Chirurgenuniform gehüllt. Er hielt die Hände weit ab von sich. Eine Krankenschwester zog ihm gerade die Handschuhe über.

"Du siehst blass aus. Hast du nicht gut geschlafen?"

"Es geht schon. Es ist nur..." - In letzter Zeit sehe ich Gespenster. Angelina biss sich auf die Lippen. - "Ich habe nachgedacht."

Etwas in seinem Gesicht veränderte sich. Blankes Entsetzten zeichnete sich darauf ab. "Deine Hände...", flüsterte er und kam auf sie zu. Hinter ihr lief das kochend heiße Wasser in den Ausguss des Waschbeckens.

 

"Du brauchst ein wenig Abstand von der Arbeit.", sagte Gerhard, der Oberarzt. "Du wirkst oft so abwesend, verwirrt, beinahe..." - Seufzen. - "Nimmst du Etwas?"

Angelina schüttelte den Kopf. Trotzig setzte sie ihre Beine auf den Boden. Ihre bandagierten Hände hoben sich leuchtend von der dunklen Hose ab. "Ich nehme keine Drogen, wenn du das meinst. Ich bin vielleicht etwas überarbeitet, aber bitte kein Junkie."

"Das habe ich nicht gesagt."

"Aber gedacht! - Ihr alle glaubt doch, dass ich spinne."

"Das sagst du."

"Spitzfindigkeiten!"

Gerhard setzte einen mitleidigen Gesichtsausdruck auf, der Angelina wütend machte. Am Liebsten hätte sie ihm das Gesicht zerkratzt. Aber sie bezweifelte, ob sie das mit den bandagierten Händen geschafft hätte.

"Sag mir die Wahrheit! - Was ist los mit dir? - Sind es immer noch diese Alpträume?"

Verflucht, warum hatte sie je mit ihm darüber geredet! - Du Schlange an meiner Brust.

"Vielleicht solltest du dir professionelle Hilfe holen!"

Sie schüttelte den Kopf, als wolle sie ihm energisch widersprechen.

Äußerlich unberührt, vielleicht die Stimme eine Spur ärgerlicher, sprach er weiter auf sie ein. "Es ist doch so, dass dich diese Alpträume beeinträchtigen. Heute verbrühst du dir die Händen, gestern diese andere unleidliche Geschichte... du warst einfach nicht bei der Sache!"

"Was soll das heißen?", fauchte sie ihn an. Ihre Wut war unüberhörbar.

"Das Kind...", murmelte er sichtlich betroffen.

"Ich habe es nicht umgebracht!", schrie sie und im gleichen Moment erschrak sie über sich selbst. Umgebracht? - Glaubte sie etwa, sie hätte das Kind umgebracht? - Nein, die Verletzungen des Unfalls waren einfach zu groß.

"Darum geht es doch gar nicht! Das Kind hatte wahrscheinlich keine Chance...", er hielt inne, ein nachdenklicher Glanz trat auf seine Augen. Glaubte er ihr etwa nicht? - Sein Blick lastete auf ihr. "Aber du warst nicht bei dir. Du warst einfach nicht bei der Sache!" - Gerhard wirkte so ruhig, als sei sie eine Patientin, der er auf schonende Art und Weise bei bringen musste, sie werde sterben. Der Tonfall nervte sie.

"Du brauchst Hilfe.", sagte er mit seiner endgültigen, vernichtenden Art. - Aus der Schublade holte er eine Visitenkarte. Er musste nicht suchen. Sie lag bereit. Er reichte sie über den Tisch und legte sie auf die Kante. Angelina stibitzte zornig auf die Adresse. Eine Privatklinik für Psychotherapie am anderen Ende der Stadt.

"Ich brauche keine Therapie.", behauptete sie trotzig. Ihr Herz schmerzte und ihre Hände pochten. Doch sie wusste es. Sie brauchte jemanden, der ihr half ihr Leben, ihre Träume in den Griff zu bekommen!

 

Dieser Termin war ihr so verhasst wie eine Verabredung beim Zahnarzt. Dennoch wirkte sie seltsam gelassen. - Das Tor quietschte. Ihre Schritte hallten im Kies vor dem prächtigen, monströsen Haus. Eine merkwürdig blasse Frau öffnete die Tür auf ihr Klingeln. Sie sprach kein Wort und hielt ihren Kopf gesenkt, so, als fürchte sie in ihre Augen zu blicken. Sie führte sie durch die riesige Halle, in der das Geräusch der Absätze ihrer Schuhe wider hallte, als befänden sie sich in einer Kirche. Es roch streng nach Desinfektionsmitteln. Irgendwo hörte sie Jemanden schreien. Von draußen drang das Gekläffe mehrerer scharfer Hunde hinein. Der Professor lebte in dieser Residenz wie ein Prinz und gewährte Audienzen... - Beinahe hätte sie Reißaus genommen!

Die Marmortreppe schwang sich in einem beeindruckenden Bogen nach oben. Über eine weitere kleinere Wendeltreppe gelangten sie in den zweiten Stock. Die hohen, spitzen Holztüren knarrten, als sie geöffnet wurden. Dann verschwand die Frau, als habe sie etwas erschreckt und Angelina blieb allein im Empfangsraum zurück. Irgendwie kam ihr alles seltsam vertraut vor.

Dort saß er. Sein Gesicht wirkte wie das versinnbildlichte Omen von Unheil. Er trug einen weißen Kittel und der Bügel einer teuren Sonnenbrille stibitzte aus der Hemdtasche.

"Wollen Sie sich nicht setzen?" - Seine Stimme klang freundlich unverbindlich. Irgendwie fühlte sie sich von ihm wie ein kleines Kind behandelt. Zorn erfüllte sie.

Zögerlich nahm sie auf dem ausladenden Stuhl vor dem mächtigen Schreibtisch Platz.

"Was führt Sie zu mir?" - Er schien die Lippen kaum bewegt zu haben. Aber es war nur das fahle, flatterhafte Licht, das von den Blättern des Nussbaums vor dem Haus zerstückelt wurde. Ein flüchtiger Eindruck.

Angelina zuckte mit den Schultern. Sie pustete sich eine schwarze Locke von der Stirn. "Ich bin besessen.", flüsterte sie.

"Besessen?" - Wenn er Augenbrauen gehabt hätte, jetzt wären sie in seine Stirn gewachsen. Das Interesse in seiner Stimme war unüberhörbar. "Nun, verzeihen Sie meine Direktheit, glauben Sie nicht, dass Sie vielleicht ein psychologisches Problem haben?"

"Ich bin besessen.", wiederholte Angelina, auch auf die Gefahr hin, dass sie starrsinnig wirkte.

"Erklären Sie mir das näher.", forderte der Professor sie auf. Er lehnte sich an der hohen Lehne seines Stuhls zurück.

Sie räusperte sich. "Vor vier Monaten starb ein Kind auf meinem OP-Tisch. Ich habe mich schuldig gefühlt, obwohl ich nichts für sie tun hätte können. Da begannen die Alpträume."

Er unterbrach sie. "Das Kind... es hatte eine besondere Bedeutung?"

Angelina blickte zu Boden. Sie biss sich auf die Lippen, bis sämtliches Blut daraus entwichen war. Dann nickte sie endlich. "Sie war meine Tochter. Sie starb an den Folgen eines Autounfalls. Sie lag auf dem OP. Ich hatte Notdienst. Ich konnte nichts für sie tun... Ich konnte sie nicht retten." Sie sprach seltsam unbeteiligt, als ob es sich um einen fremden Menschen handeln würde.

Er senkte die Augenlider und legte seine weißen Finger aneinander. "Warum sind Sie besessen?"

"Ein Dämon hat Kontakt zu mir aufgenommen. Er wollte einen Pakt mit mir schließen."

"Einen Pakt?"

"Er erscheint mir mit jedem Kind, dass sterbend auf meinem OP-Tisch liegt. Er bietet mir die Chance das Leben zu retten gegen... - Ich weiß manchmal nicht, ob ich wach bin oder schlafe. Ich weiß es einfach nicht..."

"Aber Sie schlafen nicht. Sie halten diese Erscheinung für real. Warum?"

"Weil, weil, weil ich diesen Pakt geschlossen habe. Ich habe den Pakt geschlossen!", schrie sie, bevor ihre Stimme von Tränen erstickte. "Ich konnte den Schmerz, die Stimmen, den Anblick der toten Kinder unter meiner Hand nicht mehr ertragen!"

Unberührt wartete er hinter dem Schreibtisch, bis sie sich gefasst hatte. "Er hat mir das Herz aus dem Leib gerissen." - Sie hielt ihre Hände weit von sich, als wolle sie diese von sich abstoßen. "Nichts tut mehr wirklich weh." Sie lächelte, fast verträumt.

Irritiert blickte er sie an. Etwas an dieser Frau beunruhigte ihn. Er wusste nur nicht was. "Dieser Traum war sicherlich sehr erschütternd!"

Sie nickte. Ihr Gesicht versteinerte. Sie zog die Tasche eng an sich heran. "Sie müssen mir helfen!" - Wäre er eine Spur weniger arrogant gewesen, er hätte den gefährlichen Spott in ihrer Stimme vernommen.

"Sind Sie sich sicher?"

Angelina war sich sicher. Es gab nur einen Weg, wirklich frei zu sein. Sie packte das Messer aus ihrer Handtasche. Er schrie auf. Sein grimmiges Gesicht verzog sich vor Entsetzten. Blut sickerte auf sein Hemd. Er lächelte. Dämonen können nicht wirklich sterben.

Vielleicht war es nur ein Alptraum, aber sie hatte ihr Herz zurück erobert. Nie mehr würde ein Kind unter ihren Händen sterben. In diesem Punkt hatte der Dämon sie belogen. Er ließ die Kinder sterben. Er raubte ihre Seelen. Ihr Herz gab ihm die Kraft dazu. Das war nun vorbei.

 

Sie schloss die Augen. Jemand kam und packte sie am Arm. "Es wird Zeit zurück zu kehren..." - Das grelle Licht schmerzte, brannte auf der Haut. Als sie die Augen öffnete, blickte sie in das Gesicht von Gerhard.

"Alles in Ordnung? Du bist ohnmächtig geworden."

"Wie geht´s dem Kind?" - Ihre Stimme klang so ängstlich.

Ein Lächeln breitete sich über seinem Gesicht aus. "Du hast es gerettet. Du hast ihm das Leben gerettet! - Aber jetzt komm, du brauchst Ruhe. Leg dich aufs Ohr. Die nächste 36 Stundenschicht kann warten."

 

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Oje, das hat nicht geklappt, Elfenwerk! 20240419202114200e207c

Disclaimer

Die Charaktere dieser Geschichte, sowie alle Handlungen sind geistiges Eigentum des Autors. Alle Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen, Orten oder Handlungen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt. Der Autor verfolgt kein kommerzielles Interesse an der Veröffentlichung dieser Geschichte.

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, zuletzt aktualisiert: 26.07.2019 10:10