Der Räuberbräutigam (Autorin: Eudora Welty)
 
Zurück zur Startseite


  Platzhalter

Der Räuberbräutigam von Eudora Welty

Rezension von Ralf Steinberg

 

Verlagsinfo:

Drei Reisende steigen in einem Gasthaus am Mississippi ab und teilen sich ein Bett. Am nächsten Morgen hält einer von ihnen seine Schlafgenossen für Geister und springt mit einem großen Satz aus dem Fenster. 'Den sehen wir nie wieder', sagt der blonde Jamie Lockhart und überlegt, wie man die Goldstücke des verschwundenen Bettgenossen teilen könnte. Der Tabakpflanzer Clement lädt Jamie daraufhin für den nächsten Sonntagabend in sein Haus ein. Just an diesem Tag wird Clements Tochter, die schöne Rosamond, von einem Räuber mit rußgeschwärztem Gesicht verführt. Ihr Vater beauftragt seinen neuen Freund Jamie damit, die Untat zu rächen …

 

Rezension:

Der Räuberbräutigam gehört eher nicht zu den bekannteren Märchen aus der Sammlung der Gebrüder Grimm. Daher ist diese Verbindung zum gleichnamigen Märchen von Eudora Welty durchaus erwähnenswert.

Interessant sind vor allem die Abweichungen. Zunächst verlegt die Autorin das Geschehen an den Mississippi in eine Zeit vor dem Bürgerkrieg und schafft somit eine nostalgische Stimmung. Der Vater der Braut ist der reiche Farmer Clement Musgrove, dessen Geschichte so tragisch wie landesverwurzelt ist. So verließ er eins mit Frau und Tochter ein gut bestelltes Stück Land, um sich einer der vielen Pionierzüge anzuschließen. Doch sie werden zusammen mit einem anderen Paar von Indianern gefangengenommen. Musgroves Frau und der andere Mann werden getötet, während man ihn, seine Tochter Rosamond (im Original Rosamund) und die andere Frau, Salome, aneinander gefesselt der Wildnis überlässt. Musgrove schwört im Falle einer Rettung Salome zu heiraten.

Während seine erste Frau wunderschön war, ist Salome das Gegenteil davon. Zudem verbittert durch ihr Unglück wurde sie zu einer gemeinen und geltungssüchtigen Frau, die ihren Mann antreibt, reicher und reicher zu werden.

Eines Tages lernt Musgrove unterwegs vom Handelsplatz einen Mann kennen, den er für einen Ehrenmann hält, denn er rettet ihm das Leben. Doch Jamie Lockhart ist ein Räuber, der Musgrove nur verschont, weil er sich aus dessen Haus weitaus größere Reichtümer verspricht.

So bleibt er in der Gegend und trifft dort zufällig im tiefsten Wald auf Rosamond, die von ihrer Stiefmutter ständig in die Wildnis zum Kräuterpflücken gesandt wird in der Hoffnung, nicht wieder zu kommen.

Um bei seinen Übeltaten nicht erkannt zu werden, hat sich der Räuber das Gesicht mit Beerensaft verschmiert. Rosamond hingegen hat ein prachtvolles Kleid an, welches sie gerade erst von ihrem Vater geschenkt bekam. Es kommt was kommen musste: Der Räuber stiehlt ihr die Wäsche, aber nicht jedoch die Unschuld. Nicht an diesem Tag …

 

Rosamond ist kein besonders kluges Mädchen. Gepiesackt von ihrer Stiefmutter, ver- und entführt von einem Räuber erleidet sie ein recht tragisches Schicksal, jedoch transformiert sich die Tragik hier in Romantik. Die Vergewaltigung führt dazu, dass Rosamond sich ihrem Schänder an den Hals wirft, ihm und seinen Kumpanen das Räubernest putzt und damit glücklich ist.

Der Räuberhauptmann verliebt sich natürlich auch in sein Opfer, ohne dass er sie oder sie ihn zunächst erkennen. Während im Märchen das Mädchen ihren Räuberbräutigam enttarnt und so der Bestrafung übergibt, vermischt Eudora Welty an dieser Stelle die Geschichte mit der Liebesgeschichte von Psyche und Amor. Rosamond lässt sich überreden, die Identität ihres Mannes entdecken zu wollen, was die beiden entzweit.

Mit einiger Raffinesse spinnt die Autorin im Anschluss etliche Handlungsfäden, um ihr Märchen am Ende auf eine nicht unerwartete Weise zu beenden.

 

Der Stoff ist mit Lokalkolorit durchtränkt. Sklaven werden erwähnt, spielen aber keine Rolle. Indianer sind eher minderbemittelte Verbrecher, ein Indianermädchen muss sterben, um den Plottwist für das Ende vorzubereiten. Hier ist eine Menge Zeitgeist zu spüren und es wird nicht unbedingt klar, ob Eudora Welty hier die Südstaaten besonders plastisch darstellen wollte oder es sich um erzählerische Gewohnheiten handelte.

 

Auch die Nebenfigur des dummen Jungen Böckchens erscheint recht ambivalent. Sie übernimmt eine Narrenrolle mit lustig gemeinten Szenen, aber auch die eines unabhängigen Freigeistes, ähnlich Cupido. Gerade weil der Ton der Geschichte stark an Märchen anlehnt, wirken die mit Witz verbundenen Grausamkeiten umso ernster.

 

Man kann natürlich in Rosamonds Schicksal auch eine Parabel über Selbstbestimmung sehen. Durch die Vergewaltigung durch einen Mann, der Verlust der Unschuld, ist ihre vorherbestimmte Karriere als reiche Farmerstochter zerstört. Unabhängig davon, ob sie aus Pragmatismus, Liebe oder Dummheit die Braut des Räubers wird – sie macht sich auf den Weg. Träumt sie zu Beginn von der Liebe, greift sie später zu und lässt sich weder von Hinterlist noch anderen Unbilden davon abhalten, ihr Glück zu behalten. Schwanger reist sie Jamie Lockhart hinterher und zwingt ihn letztlich, sich seiner Verantwortung zu stellen. Sie macht aus ihm den Ehemann, den sie will.

Vielleicht nicht unbedingt die von der Autorin beabsichtigte Lesart, aber enthalten ist sie.

 

Erwähnenswert ist auch die Verwendung von Mike Fink als Bestandteil des Märchens. Die historische Figur galt als king of the keelboaters (In der Übersetzung von Hans J. Schütz wird er zum Flachbootmann). Sein Leben wurde schnell mythisch verklärt und es entstanden etliche Abenteuergeschichten, die ihn zu einer lokalen Legende werden ließen. Gerade für die unterlegenen Südstaatler kamen solche Heldenfiguren recht, auch wenn er mehr für seine Prügeleien und Trenkfestigkeit berühmt war.

In diese Tradition reiht sich Eudora Welty ein, indem sie Fink sowohl am Anfang als auch am Ende auftreten lässt und somit für ihre LeserInnen auch geschichtlich eine Klammer anbietet. Allerdings bog sie auch den Raufbold Mike Fink um. Am Ende ist er ein selbstloser Postbote, der Rosamond hilft, zu ihrem Liebsten zu gelangen. Der Wilde Süden, domestiziert von einer Frau.

 

Fazit:

Eudora Weltys Südstaatenmärchen »Der Räuberbräutigam« verbindet die Härten des klassischen Märchens mit dem Leben im Staat Mississippi vor dem Bürgerkrieg und der griechischen Legende von Psyche und Amor. Dabei entstand eine seltsam faszinierende Mischung, die mal abstößt, mal berührt und sich damit mühelos in die schönste Märchentradition einreiht.

 

Nach oben

Platzhalter

Buch:

Der Räuberbräutigam

Original, The Robber Bridegroom, 1942

Autorin: Eudora Welty

Übersetzer: Hans J. Schütz

Gebundene Ausgabe, 156 Seiten

Klett-Cotta, 25. Juli 2015

 

ISBN-10: 3608960287

ISBN-13: 978-3608960280

 

Erhältlich bei: Amazon

Alternative Buchhandlungbestellung

im Otherland bestellen

Oje, das hat nicht geklappt, Elfenwerk! 20240329014640d4ac2caa
Platzhalter
Platzhalter
Erstellt: 15.09.2015, zuletzt aktualisiert: 27.02.2024 17:30, 14108